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Die Suche nach dem nächsten großen Ding

Facebook fängt an zu nerven. Doch es sind keine Alternativen in Sicht.

Social Networks
Facebook und andere Social Networks und Dienste auf dem Smartphone (Screenshot)

Alle suchen sie das nächste große Ding im Internet, aber es kommt einfach nicht. 2012 war das Jahr, in dem sich neben so etwas wie eine Netz-Ermüdung einstellte. Google + mangelt es an Akzeptanz und Partizipation, Microblogging-Dienst Twitter bleibt in Deutschland in der Nische, MySpace steht nur heimlich von den Toten wieder auf, die Nutzer der virtuellen Pinnwand Pinterest operieren im urheberrechtlich grauen Bereich. Immer neue Start-ups schießen aus dem Boden wie vor zehn Jahren Indiebands. Doch das Epizentrum des täglichen Online-Seins und somit das Social Network 2012 bleibt Facebook.

Allerdings wird die Luft dünner für das Unternehmen. Der Börsengang und anschließende Kurseinbruch der meistbesuchten Website der Welt sorgte für eine Ernüchterung unter Investoren. Der erste TV-Spot, den Facebook anlässlich des milliardsten Users im Herbst lancierte, ließ erahnen, dass das organische und virale Userwachstum an seine Grenzen kommt. Und schon der scheinbar wahnwitzige Kauf von Instagram (1 Milliarde Dollar für 13 Mitarbeiter und eine App ohne Geschäftsmodell) im April offenbarte, wo Mark Zuckerberg hin will und wo seine datensammelnde Gelddruckmaschine noch Lücken offenbart: ins Foto-Segment, zu Location Based Services, auf die Smartphones. Dort sind andere längst, mit etlichen Foto- und Videoapps oder Diensten, die nur deshalb „social“ sind, weil es eine Facebook-Anbindung gibt. Zu denen gehören auch Musikstreamingdienste wie Spotify.

Während Facebook sein Geld mit dem Handel der Daten seiner Kunden macht, müssen Streamingdienste Geld für die Künstler, die Labels und sich selbst einnehmen – sich also mühen um eine zeitgemäße Adaption analoger Strukturen ins Digitale. Ein Geschäftsmodell, das die klassische Musikindustrie sicherlich nicht retten wird. Und, nach gegenwärtigem Stand, leider auch nicht den Künstler. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass die Musik der Zukunft nicht nur keiner Tonträger mehr bedarf, sondern dass sie irgendwann direkt vom Studio im Ohr des Hörers landet. Das funktioniert allerdings wiederum nur unter den Acts, die sich ihr Publikum bereits erspielt haben. Wie Lady Gaga, die mit „Little Monsters“ ihr eigenes Netzwerk aufgebaut hat – die Industrie will sie irgendwann hinter sich lassen.

Und Facebook? Hatte dieses Jahr mehr denn je mit seiner Akzeptanz zu kämpfen. Das gute Image aus den Anfangstagen ist dahin, die User und Seitenbetreiber beschweren sich zunehmend über die Undurchsichtigkeit darüber, was mit ihren Daten geschieht und wie sie selbst zum Werbeträger werden – Facebook nutzen wollen oder „müssen“ sie aber weiterhin. Es gilt mehr denn je das alte Mantra: Wenn du für einen Dienst nichts zahlst, bist du selbst die Ware. Und das schafft Bewusstsein und Bedarf für Neues. Vielleicht ja schon im nächsten Jahr.

(erschienen in: Musikexpress, Januar 2013, Seite 33)

Wenn das Netz stumm bleibt

Für Gehörlose ist das Internet längst nicht so zugänglich, wie es sein könnte. In Videos fehlen Untertitel und Gebärden. Die Bloggerin Julia Probst will das ändern.

Julia Probst hatte nie ein Schrifttelefon. Wenn sie sich im Teenageralter mit hörenden Freunden verabreden wollte, rief ihre Mutter für sie an. Probst ist eine von 80.000 Gehörlosen in Deutschland und doch nicht wie die anderen. Die 29-Jährige ging auf eine Grundschule für Hörende, ist lautsprachig aufgewachsen, Deutsch in Wort und Schrift ist für sie nicht Fremd-, sondern Muttersprache. Die Gebärdensprache hat sie erst mit 17 gelernt.

Trotzdem hatte sie Mühe, die Technik zu nutzen, die Hörenden so selbstverständlich ist. Dann, 1997, kam der heimische AOL-Anschluss und Probst ins Internet.

Heute bloggt sie über ihren Alltag als Gehörlose und twittert, was sie bei Fußballturnieren den Spielern auf dem Platz von den Lippen abgelesen hat. Sie lebt vor, dass das Internet für Gehörlose so wichtig ist, wie es die Einführung des Telefons für Hörende gewesen sein muss. Und gleichzeitig ist sie ein prominentes Beispiel dafür, wie Gehörlose in eben diesem Internet benachteiligt werden.

(…)

Weiterlesen auf ZEIT ONLINE:„Wenn das Netz stumm bleibt“

(erschienen auf ZEIT.de am 18. Juli 2011)

„Jackass“-Star Ryan Dunn ist tot – NOT

Wie diverse Medien am Abend meldeten, ist der „Jackass“-Darsteller und Stuntman Ryan Dunn vergangene Nacht bei einem „tragischen* Autounfall“ gestorben. Wer Dunn wirklich war oder wie dieser Kerl überhaupt heißt, ist Einigen natürlich scheißegal – solange sie die Ersten mit der Nachricht sind:

Ryan Dubb, äh, Dunn ist tot. Oder?

"Ryan Dubb stirbt bei scherem Autounfall"

Weiter heißt es, Dunn sei betrunken gewesen, schließlich hätte er wenige Stunden vorher ein Foto von sich und ein paar trinkenden Freunden getwittert. Der mutmaßliche Schnappschuss ist offenbar gelöscht worden, dafür ist via Twitter nur kurze Zeit später eine ganz andere Meldung aufgetaucht:

Ryan Dunn ist doch nicht tot. Oder?

Und während in den Online-Redaktionen dieser Welt die Eilmeldungen vermutlich schon wieder umgeschrieben wurden („Makaber: ‚Jackass‘-Star inszeniert seinen eigenen Tod“), entpuppt sich die angebliche Fox-Meldung (bis auf Weiteres) als Photoshop-Fake. Eine Ente einer Ente, die keine Ente war. Wahrscheinlich wäre dieser Galgenhumor in Ryan Dunns Sinne gewesen.

—-
*Natürlich ist dieser Tod tragisch, wie fast alle Tode tragisch sind. Auch der Tod von Steve Irwin durch einen Stachelrochen statt durch ein Krokodil war tragisch. Auf eine andere Art.

re:publica XI: Bohemian Rhapsody

Im echten Leben gibt es keine Hyperlinks. Deswegen funktionieren Insiderwitze nur für Insider, deswegen ist Twitter für den gemeinen Internetnutzer kein Äquivalent zu Facebook. Weil sich auf der diesjährigen Social-Media-Konferenz re:publica XI, die vergangene Woche in Berlin zu Ende ging, deutsche und internationale Internetinsider der ersten und zweiten Stunde trafen (Twitterer, Blogger, Netzaktivisten), wirft man ihr und ihren Besuchern auch im fünften Jahr noch Selbstreferentialität vor. „Wir sind kein Einführungskurs“, sagte re:publica-Gründer Johnny Haeusler vorab im Interview, aber er sagt immer wieder auch, dass Netzthemen in der Gesellschaft angekommen sind. Wer da beispielsweise an Wikileaks, den Fall (von) zu Guttenberg, iPhone-Vorratsdaten oder eben Facebook denkt, kann dem nur zustimmen. Bei Twitter sieht das trotz Justin Bieber oder dem Regierungssprecher noch anders aus.

Das Managermagazin Cicero schreibt auf seinem Onlineauftritt, die „Geeks und Nerds“ hätten die Chance vertan und sich auch dieses Jahr nicht für die Gesellschaft geöffnet. Ein Bekannter, der andere Klischees über Blogger und Berlin-Mitte zu kennen scheint, fragte mich am Freitagabend: „re:publica, sind da nicht nur Hipster?“. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt: Allein die Tatsache, dass solche Bilder existieren, beweist, dass mit der Öffnung noch einiges gehen kann (ob das ein Muss ist, ist eine andere Frage). Zumal es ja sogar Besucher, die zu einer vermeintlichen Kernzielgruppe gehören, gibt, die Sinn oder Unsinn der re:publica noch weniger verstanden haben. Aber von vorne.

Was habe ich gesehen?

  • Anonymous. Nicht persönlich, versteht sich, aber in Form eines Vortrag-Rundumschlags über das Schaffen der virtuellen Protestgruppe
  • Einen hochunterhaltsamen und mit einer intelligenten Portion Doppelironie auftretenden Sascha Lobo, der in einem so genannten Startrant erst alle Internetmenschen im Friedrichsstadtpalast beleidigte, die ihr Expertentum nicht so vermarkten wie er selbst – und dann über Trollforschung referierte
  • Johannes „Jojo“ Kretzschmar a.ka. Beetlebum, der von Webcomics schwärmte und auch deren Geschichte nicht vergas
  • Eine Mitarbeiterin der University Of Maryland, die mit einer Umfrage zur gegenseitigen Skepsis zwischen „etablierten Medien und Blogs“ herzlich wenig überraschte und elf Politblogger als deutsche Blogosphäre pauschalisierte
  • Eine junge Akademikerin, die 1:1 aus ihrer Diplomarbeit über Twitter vorlas und damit Eulen ins einschlafende Athen trug
  • Die gehörlose Bloggerin Julia Probst, die bei der letzten Fußball-WM den Spielern von den Lippen ablas und mit ihrer Dolmetscherin auf Nachfrage und vor begeistert-entrüstetem Publikum erklärte, wie man Namen wie „Merkel“, „Guttenberg“, „Westerwelle“ und „Lafontaine“ in Gebärdensprache übersetzt (es zählen die, äh, Äußerlichkeiten)
  • René Walter von Nerdcore/Crack-A-Jack, der daneben saß und aus seinem Streit mit Euroweb und deren fragwürdigen Geschäftspraktiken scheinbar immer noch nichts gelernt haben will („Man sollte besser auf Anwaltsschreiben reagieren? Das ist doch keine Weisheit!“ „Ja, ich glaube ich unterliege irgendwelchen Verpflichtungen. Welchen? Keine Ahnung.“ „Ich bezeichne Arschlöcher auch weiterhin als Arschlöcher“. „Joa, das könnte nochmal passieren.“)
  • Richard Gutjahr, der sich, als er da neulich so vom Tahrir-Platz aus bloggte, noch nie in seinem Leben „mehr als Journalist gefühlt habe als zu dieser Zeit“
  • Blogopas und –omas, die sich erinnern
  • Einhornsex und andere Abseitigkeiten aus dem Netz
  • Nilz Bokelbergs und Markus Herrmanns erwartungsgemäß kurzweilige GTT-Revue inklusive Bingo, Nasenaffenmasken und Freibier

Und bestimmt noch ein paar andere Sachen.

Ja, in der Kalkscheune war es spätestens dieses Jahr viel zu eng, in viele Veranstaltungen kam man praktisch leider nicht rein (ein Umzug in eine größere Location ist zwangsläufig geplant). Vor allem aber geht es offline vor Ort bekanntlich darum, worum es online im Internet auch geht: Networking, Socialising, Hallo sagen, von Anderen lernen. „Ein Klassentreffen“, wie Twitterer der ersten Stunde gerne behaupten und bei der alljährlichen und für Nicht-Twitterer vollkommen sinnbefreiten Twitterlesung vorleben.

Dafür, dass diese mancherorts also tatsächlich gegenwärtige (und oft in der Natur der Sache liegende) Selbstreferentialität abnehmen wird, sorgt, auch dank Facebook, die breitere Gesellschaft selbst für. Und für die Insider rief re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl indes die Digitale Gesellschaft ins Leben, die, so der Interview- und Medientenor, ein bisschen wie Greenpeace sein soll, nur anders. Für das Internet eben – und eben doch nicht: „Wir wollen auch die erreichen, die nicht den ganzen Tag bei Twitter rumhängen“, sagt Beckedahl. Johnny Haeusler weiß offenbar auch, dass da draußen noch einiges mehr zu holen sein wird, wenn er die #rp11 wohlweise mit Queens „Bohemian Rhapsody“ verabschiedet und Freddie Mercury fragen lässt: „Is this the real life, is this just fantasy?“. Es ist das echte Leben, mittlerweile, irgendwie, nur mit Hyperlinks.

Johnny Haeusler im Interview: “Die re:publica ist kein elitärer Zirkel”

Vom 13.-15. April findet in Berlin die Social-Media-Konferenz re:publica XI statt. Mit ihrem Gründer Johnny Haeusler sprach ich für die zitty über Facebook, den Fall Guttenberg und seine (also Haeuslers) Arbeit als Blogger bei Spreeblick. An dieser Stelle: die längere Version des Interviews.

Herr Haeusler, die von Ihnen mitbegründete re:publica findet dieses Jahr zum fünften Mal statt. Was hat sich in dieser Zeit verändert in der digitalen Gesellschaft, in der Welt der Blogs und der sozialen Medien?

Johnny Haeusler, Foto: Jim Rakete
Johnny Haeusler, Foto: Jim Rakete

Johnny Haeusler: Sie sind vielmehr in unserer Gesellschaft angekommen. Am Anfang war es noch eine Nerdgeschichte, dachten wir. Wir – Spreeblick und newthinking, also Markus Beckedahl von Netzpolitik.org und Andreas Gebhard sowie Tanja (Haeusler) und ich – dachten: man müsste sich mal treffen mit allen Bloggern und Twitterern, 300 Leute werden wir schon zusammenkriegen. Dann waren es 700, und letztes und dieses Jahr sind es knapp 3000 Leute, die kommen. Damit ist die re:publica eine der größeren, wenn nicht sogar die größte Social-Media-Konferenz. Die Themen sind immer welche, die später auch im Mainstream stattfinden. Wikileaks zum Beispiel war letztes Jahr ein Thema bei uns, bevor es groß wurde. Auch Fragen zu Netzsperren oder Netzneutralität finden nicht mehr nur in IT-Magazinen oder der Netzwelt, was auch immer das ist, statt. Sie werden auch abends in der Kneipe bequatscht.

An wen richtet sich die re:publica zuerst: an Blogger, Journalisten oder Endverbraucher?

Ja, auch an die User, klar. Aber: Wir sind kein Einführungskurs. Die meisten Besucher fühlen sich mit ihren Tools bereits ein Stück weit zuhause im Internet. Sie sind oftmals selbst Contentproduzenten, und sei es nur durch twittern, auch da verbreitet man ja Links. Andere Leute kommen, um einen Überblick über die Themen zu bekommen. Anders wäre der Zulauf auch nicht zu erklären.

Welche Ziele haben Sie erreicht?

Es geht ja immer um Kommunikation und Austausch. Man ruft eine Konferenz wegen der Feststellung ins Leben, dass es viele Experten gibt. Das merke ich auch bei Spreeblick regelmäßig in den Kommentaren. Aus dieser völlig zerfahrenen Community wollten wir Menschen mit völlig unterschiedlichen Erfahrungen und Interessensgebieten auf eine Bühne stellen, um an ihrem Wissen teilzuhaben. Ich denke das erreichen wir, unbedingt. Es gibt businessorientierte Konferenzen, auf denen ich oft den Eindruck habe, dass die Leute gar nicht das leben, worüber sie da reden.

Was sind die kommenden Ziele?

Wir könnten thematisch noch breiter werden. Einzelne Bereiche zu einer Subkonferenz machen, technische und gesellschaftliche Themen einen ganzen Tag von verschiedenen Seiten beleuchten. Grundsätzlich ist genug Stoff für mehr Themen und mehr Tage da. Wir sind aber zufrieden mit der aktuellen Situation, wir sind Wochen vorher ausverkauft, das nimmt Last, weil wir ja auch ein großes finanzielles Risiko eingehen. Das Vorschussvertrauen, das uns die Leute geben, die ihre Tickets schon kaufen lange bevor das Programm feststeht, gibt uns auch einen besseren Stand bei den Vortragenden. Anfangs griffen wir auf den Bekanntenreis zurück. Die größeren Namen wollen teilweise horrende Honorare haben. Denen müssen wir erstmal erklären, dass das hier anders läuft. Der Eintritt ist sehr niedrig für eine dreitägige Konferenz, keiner soll an einem 2500 Euro-Ticket scheitern. Die re:publica ist kein elitärer Zirkel, und das überzeugt dann auch die Speaker.

Bis vor einigen Jahren waren Blogger noch als pickelige Nerds verschrien.

Es gibt bestimmt auch heute noch Blogger, die pickelige Nerds sind. Das sind aber Klischeebilder. Der bemerkenswerteste Vorgang in den letzten Jahren war, was mit Facebook passiert ist. Für viele Menschen ist Facebook das Internet. Die hatten vorher keinen Chat-Client installiert und waren nicht auf fünf verschiedenen Seiten, um Messages auszutauschen, Fotos oder Videos zu teilen und sich per Mail ihre Geschichten hin und her zuschicken. Facebook hat das alles geöffnet, plötzlich wird jeder zum Mikroblogger. 1400000 Menschen sind in Deutschland bei Facebook registriert. Von dort aus kommen wir zu all den anderen Themen wie Sicherheit, Privatsphäre, die Diskussion um Google Street View. Reden kann darüber fast jeder endlos.

Blogs sind also in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Da lehnt man sich zu weit aus dem Fenster. Ich würde eher sagen, dass die Kommunikation über das Netz sehr stark verbreitet ist. Man kann nicht behaupten, Blogs wären in Deutschland megaerfolgreich. In Amerika, England, Frankreich und, glaube ich, Italien ist das anders. Neulich sagte mir mal einer, das könnte daran liegen, dass die Zeitungslandschaft in Deutschland noch recht gut ist. Du kannst dich hierzulande auch aus den Mainstreammedien verschiedenster Quellen bedienen. Dann ist es hier sehr schwierig, ein Blog, das ja auch ein Fulltimejob sein kann, zu finanzieren. Wenn du deutsch schreibst, ist der Sprachraum und somit die Menge der Leser begrenzt. Die Menschen informieren sich aus ein oder zwei, maximal vier Quellen. Du kannst ja nicht die ganze Zeit fernsehen, Zeitung lesen und dann auch noch Blogs verfolgen oder sogar mitdiskutieren.

Welche Gesellschaftsdebatten wurden in der Vergangenheit über Blogs initiiert?

Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren oder Netzneutralität wären ohne massive Proteste aus den Blogs nie auf dem Schirm größerer Medien gelandet. Da hat es gebrodelt und gekocht, da war soviel Expertise vorhanden, da kamen Medien und Politik nicht mehr herum. Ein anderes Thema war Guttenberg. Ich bin zwar fern davon zu sagen, dass Blogs der ausschlaggebende Faktor gewesen wären. Aber wenn man sich dieses Wiki anguckt, das innerhalb weniger Tage die Quellen der Doktorarbeit gesucht hat – das ist eine kollaborative Arbeit, die so nur über das Netz möglich ist. Das war ein starkes Zusammenspiel von politischen Interessen, Medien und der Netzgemeinde, die Fakten nachwies. Da hat zum ersten Mal eine Kollaboration stattgefunden. Diese Doktorarbeit kann sich ja kein Journalist und keine Redaktion alleine angucken. Gemeinsam geht es dann.

Ist das ein journalistisches Zukunftsmodell? Der „Guardian“ hat es ja schon vorgemacht.

Wikileaks hat es auch versucht, aber man kann das nicht forcieren. Ob es die einzige Zukunft ist weiß ich nicht, aber bestimmt eine mögliche. So ein Tool muss man umarmen, damit rumspielen und es nutzen. Bei Verlagen gab es die Ansage, nicht zu verlinken. Das widerspricht dem Grundgedanken von Hyperlinks. Jeff Jarvis sagte: “Do what you do best and link to the rest.“ Bei Spreeblick mache ich es auch so: Wenn ich eine Berichterstattung nicht selbst leisten kann, biete ich ein Forum für Themen und Kommentare und verlinke.

Spreeblick ist wider seines Namens kein Hauptstadtblog.

War es auch nie! Das liegt in der Geschichte. Der Name ist im Jahr 2000 aufgekommen. Da war die Idee, ein neues Stadtmagazin aufzumachen, in Richtung zitty oder Tip. Aber wir haben schnell gemerkt, dass wir gerade den Service-Bereich nicht leisten können. Der Name stand im Raum, weil wir damals ein Büro mit Blick auf die Spree hatten. Spreeblick hatte so was Currywurst-Berlinerisches. Dann fing ich an zu bloggen, weil ich mich für die Technik interessierte und habe die Domain Spreeblick.com dafür benutzt. Seitdem gab es immer wieder die Frage, ob das ein Blog über Berlin ist. Und das ist es definitiv nicht. Aber es ist ein Blog aus Berlin. Wir haben Leser, die nicht in Ballungsgebieten wohnen, für die ist die Sicht aus Berlin auf Themen spannend. Ich bin Berliner durch und durch, ich bin hier geboren. Und das spürt man auch.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag eines hauptberuflichen Bloggers aus?

Im Grunde ist es ein total langweiliger Bürojob, wie bei den meisten Journalisten. Einmal treibt mich das Interesse an guten Themen. Wenn ich ein allgemeines, nicht zeit- und nachrichtenabhängiges Thema finde, dann sitze ich an so einem Text auch mal sehr lange, dann soll er unterhaltsam, toll und gut geschrieben sein. Dann ist es Autorenarbeit. Wenn es um News oder das Posten von Videos geht, dann gehe ich den eigenen Newsreader durch und gucke immer wieder: was gibt es für neue Quellen, was gibt es für neue Blogs? Die mich langweilen, die schmeiße ich dann raus. Bei einem größeren Thema beginnt die Recherchearbeit genauso wie bei Euch: Man nimmt das Telefon in die Hand und versucht mehr rauszufinden.

Gibt es einen täglichen Mindestoutput?

Nein. Was den Traffic angeht: Ich kann mit einem guten Artikel in der Woche die gleiche Anzahl von Usern erreichen wie wenn ich jeden Tag fünf kleinere Sachen mache. Wir wollen trotzdem täglich was bringen. Ich sehe Spreeblick auch als Unterhaltungsmedium. Mich treibt deshalb eher ein Anspruch als ein Druck.

Können Sie davon gut leben?

Ja. Wir waren früh mit Werbung dabei, 2005, dafür haben wir auch viel Haue gekriegt. Aber wir übertreiben es ja nicht, außerdem hat man sich daran gewöhnt. Dann machen wir die re:publica, die uns teilweise mitträgt. Hin und wieder arbeiten wir auch als Dienstleister, setzen Websites um oder betreuen Communities. Aber nicht für jeden.

Stammgast und Internetikone Sascha Lobo wird auch auf der diesjährigen Konferenz wieder sprechen. Viele fragen sich: nervt der nicht?

Sascha ist extrem unterhaltsam, das darf man nicht vergessen. Es gibt nicht viele Menschen im deutschsprachigen Raum, die eine Stunde lang pures Entertainment liefern und dabei auch noch den ein oder anderen sehr klugen Satz sagen. Zu denen gehört Sascha. Ich kann nachvollziehen, wenn man ihn nervig findet. Aber ich verstehe es auch irgendwie doch nicht. Ich finde Dieter Bohlen doof. Aber der betrifft mein Leben nicht. Sascha Lobo drängt sich ja nicht um das Leben irgendeines Menschen. Man kann ihn gut vermeiden. Ich muss das nicht, weil ich ihn sehr schätze.

Was werden in diesem Jahr die Hauptdebatten sein?

Wir haben dieses Jahr sehr viele Sprecherinnen und damit das Thema Feminismus auf dem Plan. Und wir haben zwei neue Oberbereiche, die wir jeweils vier bis fünf Stunden lang mit Vorträgen und Panels angehen: Bei „re:play“ geht es um Games und die Verspielisierung des Lebens, diese ganzen Facebook- und Handygames. Was passiert, wenn Spiele dich den ganzen Tag begleiten und du dir nicht mehr die Auszeit für das Spiel nimmst? Bei „re:design“ setzen wir uns mit design thinking auseinander, also der Frage, was bedeutet Produktgestaltung und Verpackung bedeutet. Mal gucken wie sich das entwickelt.

Usher twittert fremd

Die Bild-Zeitung kauft laut eigenen Angaben ja kein Mensch. Wenn einer weiß, was heute oder neulich in Deutschlands größtem Boulevardblatt steht oder stand, dann hat er es zufällig aufgeschnappt, im Vorbeigehen am Kiosk gesehen, auf BILDBlog gelesen oder bei Twitter re-tweeted. Die rückläufigen Verkaufszahlen, die Chefredakteur Kai Diekmann dank dem Trend entgegengesetzter Reichweitensteigerung natürlich zu seinem Vorteil auszulegen wusste, scheinen das nachhaltig zu belegen. Ein Blick in die Warterunde an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen um 6:20 Uhr am Flughafen Tegel aber offenbart ein anderes Bild: Trotz des reichhaltigen Angebots an qualitätsjournalistischen Gratis-Produkten von Tagesspiegel bis Süddeutsche Zeitung blättern zwei Drittel der wartenden Geschäftsreisenden durch die Bild-Zeitung. „Kenne Deinen Feind“, wie sie sicherlich auf Nachfrage erklären oder auf die angeschlagene Aufmerksamkeitspanne um diese Uhrzeit hinweisen würden. Will sagen: Dank des heutigen Knaller-Aufmachers (Udo Lindenberg: „So wurde ich zum Rockstar – Nie nüchtern, immer mit Hut, um DDR kümmern“) habe auch ich beherzt zugegriffen.

Auch wenn Reizthemen wie (bitte füllen Sie aus) zu einer populistischen und um Qualitätsjournalismus bemühten Blattkritik animierten – als ich die Zeitung so durchblättere, bleibe ich besonders auf zwei Seiten hängen: Auf Seite 4 stellt „Deutschlands berühmteste Internet-Mode-Expertin“ ihre Fashiontipps für 2011 vor. Jessica Weiß, Bloggerin bei LesMads.de, frischgebackene Buchautorin („Modestrecke“) – und eine sehr geschätzte Bürokollegin von mir. Die Themensetzung jedenfalls zeigt: Man kann schon jetzt nicht mehr über die offenkundige Online-Kompetenz der Bild-Kollegen hinwegsehen, die am gestrigen Neujahrsempfang der ungleich seriöseren Verlagsschwester Berliner Morgenpost stolz (Bild und Familie berichteten auf zwei Seiten) die neuen iPhone- und iPad-Apps des Hauses vorstellten.

Und dann das. Auf der letzten Seite, die ich in Wahrheit natürlich zuerst gelesen angeschaut habe, steht der R’n’B-Star Usher mit schicker Winterjacke vorm Berliner Hotel De Rome. Und was macht er in der Hauptstadt, wenn sein Konzert doch erst einen Tag darauf stattfinden wird? Richtig, er tippt auf seinem Smartphone herum. Bild weiß natürlich mehr: „Beim Kurznachrichtendienst Twitter.de schrieb er: ‚Berlin, seid ihr bereit?'“

Wer das als großer Fan gleich selbst überprüfen möchte, wird enttäuscht. Auf dem angeblichen Kurznachrichtendienst Twitter.de findet sich leider kein Statement von Usher, ja nicht einmal ein Hinweis auf den Superstar und seine digitale Existenz. Was nur vielleicht daran liegt, dass die Domain Twitter.de einer Firma namens Melbourne IT Digital Brand Services gehört, die ihren Service auch erklärt – „This Internet address is being managed by Melbourne IT DBS for one of the world’s top brands. At the present time there is no active Web Site for the address. It may be under construction, or the owner may have reserved the address for future needs.“ – und der vielleicht nur zufällig genauso heißende Kurznachrichtendienst Twitter auf .com endet und die deutsche Domain bislang offenbar nicht gekauft hat.

So ein Fehler kann freilich mal vorkommen. Die eigentliche Quelle stimmte ja ungefähr doch, und wahrscheinlich wissen Bild und seine unergründlichen Informanten in Wahrheit noch viel viel mehr. Woher sollten sie sonst wissen, dass William Baldwin mit seiner Ehefrau Telefonsex via Skype hat? BILDBlog, übernehmen Sie.

Ein Blumenkübel geht um die Welt

Es müssen, um einmal mehr Eva Herman zu zitieren, höhere Mächte im Spiel gewesen sein. Heute morgen noch twitterte ich, dass der Bäckersjunge in der Friedrichstraße aussieht wie Daniel Küblböck. Dann, oben im Büro, lese ich von „Static Kill“, der Bohrlochstopfung im Golf von Mexiko, in dem das ausgetretene Öl schon zu 78 Prozent verschwunden sei, alles also halb so wild. Und dann, nach und nach, erschien mir eine weitere Sensation in Form von Piepgeräuschen. Für alle, die das Internet, aber nicht Twitter nutzen: Das Sommerloch hat auch dort seinen Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt erreicht. In Form eines Blumenkübels.

Es fing wie immer mit einer sehr kleinen Nachricht an. Das war Dienstag. Ein Redakteur der Münsterschen Zeitung twitterte die Meldung am Folgetag um 11:04 Uhr. Und heute, rund 24 Stunden später, überschlugen sich die Ereignisse. #blumenkübel avancierte zum weltweiten „trending topic“ auf Twitter (Twitter? Social Web? Was ist das überhaupt?), und alle machen mit. Der Rest ist bei den Urhebern selbst am besten nachzulesen und jetzt schon Internetgeschichte. Morgen auch in Ihrer Zeitung. Vielleicht aber auch nicht.

P.S.: Und nein, die Dynamiken eines Dienstes wie Twitter zeigt diese nur für die ersten zehn Minuten lustige Nullnummer auch nicht. Das haben jüngst erst Eva Herman und eine ihrer medialen Wiederentdeckung vorausgegangene andere Katastrophe getan.