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Tee wie Teenager

Blubbert so bunt: Warum Bubble Tea das neue Kultgetränk unter Berliner Jugendlichen ist

Klassiker, aber kein Renner: Tapioka-Perlen für den Bubble Tea

Samstagmittag, Marburger Straße, Ecke Ku‘damm. Ein paar Mädchen stehen auf dem Bürgersteig vor einem Teeladen, mit Handys und Bechern in der Hand. Sie kichern. Und schlürfen. Die eine erzählt ihrer Freundin aufgeregt, sie habe ihm gerade eine SMS geschickt, dass sie wieder hier seien, „aah, er antwortet!“, kreischt sie auf und kichert weiter. Auch Vico und Anton aus Lichtenrade treffen sich hier. Shoppen, bummeln, Leute treffen. Zum Ku‘damm kommen die 13-jährigen Schüler schon länger, aber der Treffpunkt ist ein neuer: „BoboQ“, Berlins erster Bubble Tea Shop. Freunde haben ihnen vor ein paar Wochen davon erzählt. Vicco und Anton, bis dahin keine großen Teetrinker, probierten es aus, fanden es „für Tee extrem lecker“ und sind seit einem Monat jeden Samstag in dem Laden, der mit seinen quietschorangenen Couches und der weißen Theke wie eine Cocktailbar aussieht. Erfrischend findet Vico seinen kalten Mango Green Tea, den bestellt er immer, nur die platzenden Kugeln, die sogenannten Poppings, davon probiert er immer neue. Anton mag es umgekehrt und am liebsten mit Lychee. Warum sie hierher kommen? In Lichtenrade gibt es keinen Bubble Tea. Noch nicht.

„BoboQ“ ist laut eigener Aussage Berlins erster Bubble Tea Shop von mittlerweile über 20. Im Februar 2010 eröffnete Ming Lai den Laden, Idee und Rezept brachte er aus Taiwan mit. Dort wurde Bubble Tea in den Achtzigern erfunden. Damit die Kinder mehr Tee tranken, versetzten die Erwachsenen ihn mit Tapiokakugeln. Die werden aus der Mehlstärke der Maniokwurzel, einer Art Kartoffel des Ostens, gewonnen, mit Ahornsirup oder Karamell gekocht, schmecken süß und glitschig und sind deshalb ein Erlebnis. Zum US-Exportschlager wurde der Tee in den Neunzigern, als statt der geschmacksarmen Tapiokakugeln auch „popping bobas“ gereicht wurden, saftgefüllte Kugeln mit verschiedenen Geschmäckern, die im Mund platzen. Auch der schwarze oder grüne Tee kann mit Fruchtsäften variiert und statt mit Kugeln mit Kokosnussfleischstücken getrunken werden. In der Marburger Straße gehen täglich ungefähr 800 Becher des „Fun-Drinks aus Fernost“ (Selbstbeschreibung) über die Theke. „BoboQ“ hat innerhalb des letzten Jahres 13 Filialen in Berlin und neun weitere in anderen deutschen Städten eröffnet, weiter sollen folgen. Die Konkurrenz ließ nicht lange auf sich warten: „Babbel T“ oder „Buddha Bubble Tea“ heißen die Läden in Prenzlauer Berg und Charlottenburg, in der Rosenthaler Straße in Mitte macht im Oktober der Flagship Store von „Come Buy Bubble Tea“ auf, eine der größten Ketten Taiwans.

Warum der Trend über 20 Jahre brauchte, um Deutschland zu erreichen, weiß keiner. Auch nicht Tarkan Beyhaz. Aber er freut sich, noch einer der ersten zu sein, der das Geschäft mit Bubble Tea entdeckt hat. „Schneidest Du denn wenigstens noch gegenüber, Tarkan?“, fragt ihn ein ehemaliger Stammkunde, Beyhaz entschuldigt sich. 15 Jahre lang war er Friseur, hatte den Laden seines Vaters in der Oranienstraße in Kreuzberg übernommen. Bis er vor ein paar Monaten keinen Bock mehr auf Haare schneiden hatte. Aus dem Friseurgeschäft hat Beyhaz „Bubble O“ gemacht und verkauft dort seit Juni dieses Jahres Frozen Yoghurt und Bubble Tea. Die Zutaten bezieht er wie „BoboQ“ von Possmei, dem größten taiwanesischen Lieferanten, dessen deutscher Vertrieb auch von den „BoboQ“-Gründern geschmissen wird. Kinder sieht Beyhaz aber nicht als die Hauptzielgruppe. „Bubble Tea ist ein Lifestyle-Getränk für körperbewusste Menschen“, findet der 35-Jährige, Tee sei schließlich gesund, und in allen anderen Zutaten sei kaum Chemie drin. Nur Fructose, essbare Farbstoffe und pflanzliche Gelatine, wie er auch seinen muslimischen Kunden immer wieder erklärt. „Das ist wie Molekularküche“, sagt Beyhaz. Die Topseller hier sind Yoghurt mit Erdbeer und Passionsfrucht mit grünem Tee, sagen seine Angestellten.

War mal ein Friseursalon: "Bubble O" in der Kreuzberger Oranienstraße

Auch bei „BoboQ“ in der Marburger Straße gehen nicht nur Kids ein und aus. Marcel, Nadine und drei ihrer Freunde kommen aus Bonn, kannten von dort und aus dem Fernsehen schon Bubble Tea und suchten jetzt gezielt nach einem Laden während ihres Hauptstadtbesuchs. „Schmeckt wie Cocktails ohne Alkohol“, finden die 25-Jährigen, „mit Schuss, das würde boomen!“. Kalle und Malin aus Stockholm sind mit ihrer fünfmonatigen Tochter auf dem Weg zum KaDeWe zufällig vorbeigeschlendert. Von Bubble Tea hatten sie noch nie gehört, auf dieses Experiment ließen sie sich ein, so was hätten sie schließlich in ganz Schweden noch nicht gesehen. Sie probieren Peach Tea. Schmeckt das? „Gibt einen Energieschub und fühlt sich gesund an“, findet Kalle.

Am gesündesten ist wahrscheinlich noch die ungesüßteste und vergleichsweise geschmacksneutrale Variante mit Tapioka und Milchtee. Aber die mögen in Berlin bisher noch die Wenigsten, auch Vico und Anton nicht. Die anhaltende Beliebtheit des Bubble Teas kann das aber kaum bremsen, „BoboQ“ beschäftigt sogar einen Sicherheitsmitarbeiter, der vor dem Laden Wache schiebt. Grund: In Kombination mit den dicken Strohhalmen eignen sich die Poppings zum Ärgernis der Nachbarn auch ganz wunderbar als Spuckgeschosse.

(erschienen in: zitty, Oktober 2011)

Franziska und der Schlager

„Kauflandcenter Leipzig-Reudnitz, vormittags. Es ist Freitag, ein gewöhnlicher Schultag. In der Eingangshalle, zwischen Lottoannahmestelle, Schuhcenter und Handyshop: Senioren und Passanten mit Einkaufstüten. Warten und gucken, kein Drängeln. Ein rosafarbenes Banner verrät: „Franziska live on tour.“ Vor einem Bühnenpodest sitzt Franziska Katzmarek an einem Tisch. Sie ist 15, die einzige Jugendliche hier. Sie lacht, schreibt Autogramme. Aus zwei Lautsprecherboxen tönt „Sommergefühl“, der Song, mit dem Franziska vor einem Jahr die Schlagermusiksendung „immer wieder sonntags“ gewonnen hat, zwölf Mal in Folge. Tausende rufen für Franziska an, wählen sie zur „Sommerhitkönigin“. Seitdem geht ihre Gesangskarriere vor.“ (mehr…)

Das war Franziska vor zwei Jahren. Für eine Reportage für das Deutschlandradio Kultur und meine Abschlussarbeit an der Uni habe ich das Mädchen auf einer ihrer Promo-Tourneen begleitet. Es war eine Erfahrung, die ich trotz Kirmes- und Scheunenfetenvergangenheit nur im Ungefähren vorher so erwartet hatte.

Kauflandcenter Dresden, 11:28 Uhr. Franziska liefert ab.

Franziska will keine eigenen Songs schreiben. Sie sieht sich als Interpretin, wie Helene Fischer, Freundin von Florian Silbereisen und ihr großes Vorbild. Ein Angebot von Dieter Bohlen, sagt sie, hat sie abgelehnt, weil sie lieber deutsch singen will. Die Sprache verstehen ihre Fans. Die Fans, klar, die meisten sind älter, aber alle sind sehr nett, sagt sie. Die Freunde beschweren sich schon manchmal, dass Franzi so selten daheim ist. Mit Vater Olaf startete sie ihre Karriere, stand mit ihm als „Franzi und Wolfgang“, so sein Künstlername, auf der Bühne. Bis Olaf Katzmarek, pünktlich zu Beginn ihrer Pubertät, einsah, dass sich seine Tochter alleine besser vermarkten lässt. Jetzt ist er ihr Manager und fährt sie durch die Republik beziehungsweise ihren ehemaligen Osten. Da kommt Franzi her, da ist sie am beliebtesten.

Diese Popschlager-Mühle, in die Franziska und ihr Vater da vorgestoßen sind und nirgendwo anders hinwollten, ist herrlich anachronistisch. Da geht es noch um Maxi-CD-Verkäufe, um Hitparaden, um Radioshows. Franziskas Zielgruppe ist überwiegend gerade noch so jung, dass sie einen CD-Player bedienen kann, aber vor allem auch so alt, dass sie Downloads kaum noch für sich entdecken wird. Oder schlichtweg so treu, dass ihr Alter nicht mal eine Rolle spielt. Eigentlich befindet sich Franziska und die ganze Schlagerbranche also da, wo die Musikindustrie selbst gerne noch wäre: in einer Zeit, in der man dem Publikum noch vorsetzen kann, was es gut zu finden hat. In der es konsumiert und vergisst. In der aus Scheisse noch regelmäßig Gold gemacht wird. Hach, die goldenen Neunziger (wenn es nur die wären)!

Im Vorfeld meiner kleinen Tour mit Franziska aber sind auch andere denkwürdige Dinge passiert: Nach bereits erfolgter Akkreditierung für „Das große ZDF-Sommer-Open-Air mit Marianne und Michael“ in der Berliner Wuhlheide lud mich das ZDF wieder aus. Ich sei bei dieser Veranstaltung „nicht erwünscht“, weil ich eine Person zu viel gefragt hatte, ob ich eventuell doch O-Töne im Backstagebereich nehmen dürfte. Dürfte ich nicht – und bin natürlich trotzdem hingefahren. Und was soll ich sagen? Ich habe mich selten so außergewöhnlich amüsiert wie an jenem Abend, an dem mir zwei Jungs in meinem Alter eine übrige Karte verkauften und wir gemeinsam zu den Flippers, Bernhard Brink, Achim Petry und DJ Ötzi die bekannten Zeilen erst mitsummten, später fast grölten. Ich habe mich geschämt für mich – und dann habe ich verstanden, warum diese Musik funktioniert. Ich habe mit Leuten gesprochen, die keine 20 sind und dem altbackenden Charme dieser so aalglatten Illusion von Geselligkeit nicht mal wiederstehen wollen. Sie sind Fans. Der Höhepunkt dieser „Live“-Aufzeichnung war ein natürlich vollkommen unkalkuliertes „Ein Stern“, das Nic P, Francine Jordi und Patrick Lindner für Marianne und Michael, als Dank für ihr Lebenswerk, zum Besten gaben. Und das ging so.

Franziska ist dort nicht aufgetreten. Ihren Höhepunkt des Ruhms hatte sie vermutlich, als sie die Zuschauer von Stefan Mross‘ Sendung „immer wieder sonntags“ einen Sommer lang im Sturm nahm. Das hier war der Song, und ich bin immer wieder mit einer Mischung aus Respekt und Unverständnis begeistert, wie verschieden Lebensentwürfe aussehen können. Franziska hat die Schule noch nicht wieder aufgenommen. Dafür ihr zweites Album „Erzähl mir von der Zärtlichkeit“.


Franziska – Sommergefühl

Schlager statt Schule

Die 15-jährige Franziska aus Sachsen-Anhalt möchte die neue Stefanie Hertel werden. Manuskript einer Radioreportage.

Anmoderation:
Massenphänomen Schlagermusik: Über vier Millionen Zuschauer schalten regelmäßig die „Feste der Volksmusik“ auf der ARD ein. Die Quoten steigen. Moderator Florian Silbereisen ist 27 Jahre und selbst ein Star im Geschäft. Das ändert nichts daran, dass Volks- und Schlagermusik überwiegend von älteren Leuten gehört wird. Aber wer bedient ihre Vorlieben? Seit ihrem Erfolg in der letztjährigen Staffel der Sendung „immer wieder sonntags“, moderiert vom ehemaligen Jung-Trompeter Stefan Mross, macht eine besonders junge Nachwuchssängerin von sich Reden: die heute 15-jährige Franziska Katzmarek will eine von den Großen werden. Im Februar soll ihr zweites Album erscheinen. Große Fernsehshows aber sind für die Schülerin noch die Ausnahme. Ihr Weg dorthin sieht anders aus. Eine Reportage von Fabian Soethof.

Atmo 1 – Leipzig Länge 01’20 (0’05)

Take 1
„Kauflandcenter Leipzig-Reudnitz, vormittags. Es ist Freitag, ein gewöhnlicher Schultag. In der Eingangshalle, zwischen Lottoannahmestelle, Schuhcenter und Handyshop: Senioren und Passanten mit Einkaufstüten. Warten und gucken, kein Drängeln. Ein rosafarbenes Banner verrät: „Franziska live on tour.“ Vor einem Bühnenpodest sitzt Franziska Katzmarek an einem Tisch. Sie ist 15, die einzige Jugendliche hier. Sie lacht, schreibt Autogramme. Aus zwei Lautsprecherboxen tönt „Sommergefühl“, der Song, mit dem Franziska vor einem Jahr die Schlagermusiksendung „immer wieder sonntags“ gewonnen hat, zwölf Mal in Folge. Tausende rufen für Franziska an, wählen sie zur „Sommerhitkönigin“. Seitdem geht ihre Gesangskarriere vor:

O 1 – Franziska, Länge: 0’20
„Ich habe meine 9. Klasse mit einem Durchschnitt von 2,0 abgeschlossen. Hab jetzt meinen Hauptschulabschluss bekommen, mache ein Jahr Pause und dann meine 10. Klasse, Realschulabschluss. Und vielleicht dann auch noch mein Abitur, mal gucken.“

Take 2
Ein Musiker-Kollege und Freund der Familie soll solange Privatunterricht geben. Die Idee stammt von ihrem Vater Olaf. Ihr Manager. Der steht neben der Bühne, beobachtet abwechselnd seine Tochter und ihre Fans. Olaf Katzmarek ist ein großgewachsener Mann Ende 40, trägt Jeans und T-Shirt. Vor sieben Jahren singt er noch gemeinsam mit Franziska im Duett. Künstlername Wolfgang. Heute organisiert er lieber die Karriere seiner ältesten Tochter. Franziskas Auftritt hier in Leipzig sieht er pragmatisch:

O 2 – Vater, Länge: 0’25
„Einkaufscenter sind interessant, da man dem Publikum auch sehr nahe ist. Man muss auch die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern sehen, da ist meistens nicht viel Geld für Konzerte übrig, da haben wir uns entschieden, so’ne Art Ochsentour zu machen und den armen Leuten oder den Leuten, die nicht so bemittelt sind, auch die Chance zu geben, die Künstlerin näher kennenzulernen.“

Take 3
Rund 100 Zuschauer wollen an diesem Vormittag Franziska sehen, ihre CD kaufen, ein Autogramm oder ein gemeinsames Foto ergattern. Der Termin lohnt sich für Fans und Franziska:

O 3 – Vater, Länge: 0’25
„Geld kriegen wir da nicht für. Wir sehen das so, dass die Künstlerin den Fans dann näher ist wie wenn sie auf der Bühne irgendwo steht und es ist abgesperrt oder so. Und das sind ja dann die Leute, die dazu beitragen, dass wir dann in die TOP100 Charts hineinkommen.“

Take 4
Zwei Meter vor ihm klingelt die provisorisch aufgestellte Registrierkasse. In der Warteschlange vorm Autogrammtisch halten Einige Franziskas CD „Nur geträumt“ in der Hand, Andere kaufen sie hier vor Ort.
Franziska erfüllt jeden Autogramm- und Fotowunsch. Bis der Letzte geht. Jens Seidler von der Vertriebsfirma packt die Kulissen zusammen. Und Franziska packt ihre übriggebliebenen Autogrammkarten. Abfahrt, weiter geht’s. Zur nächsten Autogrammstunde.

Atmo 2 – Geräusch Auto
Atmo 3 – Dresden (Aufbau)

Take 8
Drei Stunden später in Dresden. Wieder ein Einkaufscenter. Jens Seidler ist auch wieder da, heizt das Publikum an:

Atmo 4 – Jens Seidler, Länge: 2’14
„Ich freu mich, dass sie da ist. Herzlich Willkommen, Franziska!“

Take 9
Vollplayback. Franziska singt nicht. Sie bewegt ihre Lippen. Das Lächeln perfekt einstudiert, die Choreografie auch. Immer wieder geht’s um Träume, immer wieder geht’s um Sonnenschein, immer wieder fährt sie mit der Hand durch die Luft. Wenige klatschen. Sie bedankt sich.

Atmo 5 – Autogrammstunde, Länge: 0’40 (0’06)

Take 10
Autogrammstunde. Franziska fragt nach Widmungen, vergisst manchmal, ihren eigenen Namen hinzuschreiben. Wie viele Autogramme schreibt sie an einem Tag? Sie weiß es nicht. Und der Tag ist noch nicht zu Ende. Danach geht’s weiter, zu einer Abendshow.

Atmo 2 – Geräusch Auto
Atmo 6 – Magdeburg

Take 11
Eine Woche später. Magdeburg. Die Autogrammstunden in Leipzig und Dresden sind vergessen. Zu viele Eindrücke, zuviel Routine, zu viele Auftritte. 200 werden es Ende des Jahres sein. Heute ist Funkhausfest beim Mitteldeutschen Rundfunk. Der Moderator kündigt Franziska an:

Atmo 7 – Magdeburg (0’10)

„Und deshalb dürfen wir sie jetzt ganz herzlich begrüßen mit ihrem Sommergefühl, hier ist für alle Fans, hier ist für Sie: Franziska! Viel Spass!“

Take 12
Rotschwarzes Trägertop, cremefarbene Hose, goldglitzernde Ballerinas. Aber sonst: Die gleichen Songs, die gleichen Ansagen. Nach 15 Minuten ist der Auftritt vorbei. Franziska schält sich hinter der Bühne eine Orange, trinkt Wasser, setzt sich.
Zuhause und im Auto hört sie gerne Rihanna und Justin Timberlake, erzählt sie. Ein Angebot von Hitproduzent Dieter Bohlen hat sie abgelehnt. Will nur deutsch singen, auf keinen Fall englisch. Songs schreiben will sie auch nicht. Sie will singen. Wie der Schlagerstar Stefanie Hertel.

O 10 – Franziska, Länge: 0’37
„Ich denk mal schon im Popgeschäft dass da alles viel kürzer ist, weil… es gibt natürlich auch Bands, die sich jahrelang halten, ist eigentlich logisch, gibt’s ja in jedem Geschäft, aber meistens isses im Popgeschäft so, dass man da nach zwei drei Jahren überhaupt nichts mehr hört. Im Schlagergeschäft ist das schon was anderes. Weil zum Beispiel Stefanie Hertel oder Andrea Berg gibt’s immer noch nach 20 Jahren und deswegen will ich auch lieber Schlager singen.“

Take 13
Franziska steht auf, geht wieder Autogramme schreiben und Fotos machen. Was danach ansteht? Nach hause fahren und schlafen. Heute keine Bücher. Vielleicht morgen.

(gesendet im Deutschlandradio Kultur, Januar 2009)

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(Nein, der Sprecher bin nicht ich)

Dann trinken wir aus Tüten

Die Berliner CDU fordert ein Alkoholverbot an allen öffentlichen Plätzen. Die Drogenbeauftragten des Landes stimmen ein. Muss die Institution Kiosk Angst vor schwindenden Kunden haben?

Die vor Monaten entbrannten Diskussionen um das bundesweite Rauchverbot vernebelten noch die klare Sicht der Berliner Ordnungsämter, als zum Jahreswechsel ein weiteres Gesetz für dünne Luft in der Innenstadt sorgen sollte: Eine Umweltplakette musste her. Während Gastwirten und Autofahrern gleichermaßen der Kopf raucht, wer denn nun wo was darf und was nicht, kommen im Überwachungswahn auch die partylustigen Fußgänger, egal welchen Alters, nicht ungeschoren davon. Frank Henkel, parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, forderte vergangene Woche „ein generelles Alkoholverbot auf Straßen, Plätzen und im öffentlichen Nahverkehr.“ Entsprechende Anträge will er dieser Tage im Landesparlament einreichen, weil „niemand mit der Flasche am Hals über den Kurfürstendamm spazieren muss.“

In anderen Städten ist so ein Verbot teilweise bereits Realität: In Magdeburg herrscht rund um den Hasselbachplatz seit dem 01. Februar Trinkverbot, das Kneipenviertel „Bermudadreieck“ in Freiburg ist bereits seit Jahreswechsel alk- und glasfreie Zone. Zumindest abends und am Wochenende und erstmal auf Probe. Marburg zieht nach. Die Stadt Hamburg sprach bisher nur eine Empfehlung an ihre Tankstellen und Trinkhallen aus. Berlin-Spandau bemühte sich erst vor drei Jahren um die Einführung eines öffentlichen Alkoholverbots, vergeblich. Das Berliner Straßengesetz untersagte 1999 erstmalig öffentlichen Alkoholkonsum, 2006 wurde dieses Verbot wegen mangelnder Durchsetzung wieder gestrichen. Seit sich im vergangenen Jahr ein Jugendlicher zu Tode gesoffen hat – in einer Bar – halten die Diskussionen erneut an. Der Prozess gegen den Wirt und zwei Angestellte begann letzte Woche, Henkel nahm das Thema wieder auf seine Agenda. Er argumentiert, die Bürger hören nur bedingt zu.

Das Bier auf der Hand hat sich besonders in jungen Berliner Bezirken wie Kreuzberg, Friedrichshain oder Prenzlauer Berg genauso im Ortsbild verankert wie Dönerbuden, Latte Macchiato-Trinker oder Kinderwagen. Berlin ist groß, die Wege lang, der nächste Kiosk immer in Sichtweite. Längst ist das Geschäft mit Alkohol nicht mehr nur ein Nebenverdienst, sollte man meinen. Würden wegen eines Konsumverbots in der Öffentlichkeit etliche Kleinunternehmer um ihre Existenz bangen müssen, weil Ihnen die Kunden ausblieben?

Flanieren und trinken

„Ach, der Verkauf von Alkohol macht vielleicht 20 Prozent unseres Gesamt-Umsatzes aus“, sagt Jonas Gebrelassie und beschwichtigt. „Den größten Umsatz machen wir mit Tabakwaren, den größten Gewinn mit Süßigkeiten.“ Gebrelassie arbeitet im Akuna Matata, Berlins wahrscheinlich höchstfrequentiertem Kiosk. Seit über 18 Jahren steht das Geschäft im Zentrum von Prenzlauer Berg, am Treppenaufgang zur U-Bahn-Station Eberswalder Straße. Die Linie U2 verkehrt hier überirdisch, unter ihr treffen Kastanienallee, Schönhauser Allee, Pappelallee, Danziger Straße und Konnopkes alteingesessener Currywurst-Imbiß aufeinander. Ein Verkehrsknotenpunkt, ein Magnet und Ausgangspunkt gleichermaßen.

Hier wird nicht nur getrunken: Das Akuna Matata an der Eberswalder Straße, © prenzlauerberger.wordpress.com

Am Freitagabend um 21 Uhr feiert das Akuna Matata – bei den Suaheli bedeutet sein Name „keine Probleme“ – Hochbetrieb. Es ist warm für einen Februartag und die Leute kaufen sowieso mehr Bier als unter der Woche. Vor allem Touristen landen hier freitags und samstags regelmäßig, die alternative Flaniermeile Kastanienallee findet in jedem Reiseführer Erwähnung. Die nächste U-Bahn fährt unter lautem Geröll ein, die nächste Meute Unternehmungslustiger fällt in das Szeneviertel ein. Flaschen klimpern, Koffer rollen, Sprachen treffen aufeinander. Gebrelassies Radio beschallt das Fußvolk mit lauter Musik. Ein Mann mit Anzug und Aktentasche ist in Eile, kauft eine Packung Zigaretten und verschwindet mit dutzend anderen Passanten über die Straße. Ein Pärchen hat mehr Zeit, kauft auch Zigaretten und wählt aus der durchschnittlichen Bierauswahl zwei Flaschen Becks. 1,40 € pro halber Liter, „günstig hier in Berlin“. Die gleiche Menge Sternburg kostet sogar nur 80 Cent. Andere kaufen ein Bier oder kein Bier, trinken, lesen, beobachten andere Passanten und warten. „Das ist ein Treffpunkt hier“, sagt Gebrelassie gutgelaunt und verkauft eine Flasche Cola über den Tresen.

Christine Köhler-Azara, Berlins Drogenbeauftragte, sieht in Läden wie dem Akuna Matata ein Problem. Alkohol sei in Deutschland viel billiger und überall verfügbar. Zwar hält sie Verbote für kontraproduktiv, wenn sie nicht umzusetzen sind und entkräftet somit die Realisierung von Henkels Vorhaben. Es sei aber „eine Überlegung wert“, in den Spätkaufläden oder Tankstellen den Alkoholverkauf in Abend- und Nachtstunden zu verbieten.

Das Akuna Matata gleicht einem Flagschiff unter den Seinen. Nicht wegen der eigentlich überschaubaren Auslage, sondern wegen seines Durchlaufs. Allein in einem 200 Meter-Radius lassen sich über eine Handvoll weiterer Geschäfte finden, die Alkohol verkaufen. Konkurrenzdenken herrscht nicht. Die Kiosk-Kultur in Berlin boomt. 695 Unternehmen sind in der Branche „Einzelhandel mit Getränken, darunter Wein, Sekt, Spirituosen und sonstige Getränke“ bei der Industrie- und Handelskammer der Hauptstadt gemeldet. Dazu kommen 304 Tankstellen. Das Geschäft mit Alkohol zieht Kunden. Zeitungsläden und Trinkhallen in ehemaligen Arbeiterbezirken wie Moabit oder Wedding begrüßen schon morgens Stammgäste zu Bier und BZ. Touristen oder Discobesucher verlaufen sich in der Regel nicht dorthin. Die Betreiber sind auf jeden Kunden angewiesen.

Das Akuna Matata ist das nicht, und Alkoholiker lungern vor dem freistehenden Kiosk heute Abend keine. Uwe Witter, Stammkunde und Kiezkenner, trinkt Kaffee aus der Selbstbedienungsmaschine, raucht und beobachtet das Treiben. Nebenan begrüßt eine Gruppe Jugendlicher unter Jubel und Applaus zwei verspätete Freunde, die einen Kiste Sternburg im Handgepäck haben. Ein konkretes Ziel haben sie noch nicht, „aber wir gehen hier gerne raus. Manchmal auch an der Warschauer Straße. Discos, Bars, nix Spezielles, Hauptsache Stadt“, sagt die 17-jährige Birgit aus Charlottenburg. Auch ihre Freunde Robert und Moni, beide 18, sind sich einig, dass ein Alkoholverbot Ihnen das Bier auf der Hand vor dem Bier in der Bar nicht nehmen würde. „Dann würden wir es heimlich trinken, aus der Jacke oder einer Tüte. Das ist billiger als in der Kneipe“, erklärt Robert mit tief ins Gesicht gezogener Wollmütze, „und außerdem gehört Vorglühen doch einfach dazu.“ Moni beschreibt die Problematik eines Verbots noch pragmatischer: „Ob ich mich zuhause besaufe und dann auf die Straße gehe oder gleich hier trinke ist doch egal“.

Alter Wein in neuen Tüten?

Jonas Gebrelassie verdient sein Geld nicht zuletzt dank dieser Mentalität seiner Kunden, deren Streifzüge immer öfter in Saufgelage ausarteten. Aber ein Alkoholverbot, wie Henkel es wieder vorgeschlagen hat? „Am liebsten sofort, da wäre ich absolut dafür!“ sagt Gebrelassie entschieden wie überraschend. Der 42-Jährige lebt seit 15 Monaten in Berlin, kam aus Kassel. So was wie hier habe er noch nie gesehen, die Kinder hätten keinerlei Hemmungen mehr, wie die hier alle die Sau rausließen. Natürlich würde der Verkauf etwas zurückgehen, aber das Geschäft mit Alkohol sei eben nicht die Haupteinnahmequelle, und außerdem müsse man nur wegen der paar Euro mehr nicht an sich denken, sondern auch an die anderen. Die Kids würden immer dreister, beauftragten fremde Erwachsene, wenn er Ihnen nichts verkauft. Während er davon erzählt, greift ein Jugendlicher wortlos zur Kaffeemaschine, erschleicht sich drei Pappbecher und stiehlt sich gewollt unauffällig davon. „So geht das nicht, Kollege“, ruft Gebrelassie freundlich und bestimmt, man würde doch wohl noch mal fragen können. Geduckten Hauptes entschuldigt sich der Junge, bedankt sich für die Plastikbecher, die er stattdessen bekommt und geht. Amüsiert wie verständnislos kommentiert Uwe Witter, seit 18 Jahren trockener Alkoholiker, das Geschehen: „Der will sich und seinen Kumpels natürlich um die Ecke ne Schnapsmischung basteln.“ Gebrelassie und seine Kollegen passen auf, nicht nur auf ihre Kunden, auch auf sich selbst und ihren Ruf.

Großstadtidylle. © reifenwechsler.blogspot.com
Ein paar Meter weiter, im Ladenkiosk Notlösung, sieht Besitzer Ingo Reckin das alles nicht ganz so streng: „Dit jehört ins Sommerloch“, schimpft der Berliner, „wieder sone bepisste Idee von Deutschland, die nich umzusetzen is“. Neben Lebensmitteln, Süß- und Tabakwaren hat er außer Bier auch eine große Auswahl an Wein und Spirituosen. Auch sein Umsatzanteil von Alkohol liegt bei vielleicht 25 Prozent, und obwohl hier regelmäßig junge Leute auf dem Weg zur Diskothek Icon vorbeikommen, lebt Reckin von seinen Stammkunden, 60-70 Prozent der Verkäufe machten die aus. Wenn mal jemand zu sehr schwanken würde, ginge Reckin sicherheitshalber selbst zum Kühlschrank und hole dem Kunden sein Bier. Nur wenn der viel zu hacke wäre, würde er sich das mit dem Verkauf noch mal überlegen. Und bei einem Alkoholverbot draußen? „Papptüte und erledigt, wie in Amiland“.

Ein mögliches Alkoholverbot in der Öffentlichkeit: Alter Wein in neuen Tüten? Eine Verschiebung des Problems von außen nach innen? Ein ernstzunehmendes Zukunftsszenario oder ein Thema fürs post-karnevalistische Loch? Fest steht: Wo kein Kläger, da kein Richter. Über einen U-Bahn-Fahrgast mit Feierabend-Bier wird sich wohl kein Berliner echauffieren. Über ausschreitende Besoffene, egal welchen Alters, schon. Sind die Teilverbote von Magdeburg und Freiburg vielleicht tatsächlich ein Vorbild? Unwahrscheinlich. Berlin hat nicht ein Zentrum, sondern jeder Stadtteil sein eigenes. Die Ordnungsämter kämpfen auch in Zukunft weiter mit dem Anti-Raucher-Gesetz, die Polizei hat ebenfalls anderes zu tun. Köhler-Azaras Frage in allen Ohren: Wer soll das alles bloß kontrollieren? Solange es die Gesellschaft nicht tut, lässt sich der Berliner sein Wegebier nicht nehmen.