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Listenwahn 2012: Die Serien des Jahres

Ach. Da war ja noch was. Ein Blog. Postings. Listen. Serien. Freizeit. Vollständigkeitszwang. Nach 2010 und 2011 deshalb jetzt form- und schmerzlos ohne Trailer, Bilder und Texte: die für mich besten, weil letztes Jahr unter anderem gesehenen, Serien 2012. 2013 ist ja auch schon bald Geschichte.

The Sopranos

1. „The Walking Dead“

Die erste Staffel war bloß konventioneller Zombiekram. Spannend und sehr sehr deprimierend wird die Comicverfilmung erst, wenn die Zombies nur noch als Statisten im viel gefährlicheren Kampf zwischen den Überlebenden selbst auflauern.

2. „Breaking Bad“

Der einst krebskranke Chemielehrer Walter White hat die Grenze zwischen Gut und Böse längst weit überschritten und steckt im ersten Teil der finalen Staffel 5 bis zur Stirn in all dem Stress, den ein Doppelleben als Familienvater und berüchtigster Meth-Baron New Mexicos so mit sich bringt. Und dann ist da auch Schwager Hank auf dem Klo…

3. „Homeland“

Claire Danes als labile CIA-Agentin, die einen Kriegsveteran des Terrors bezichtigt und das darin ständige Spiel mit den Erwartungen und Vorurteilen des Zuschauers: „Homeland“ ist trotz einiger Schwächen in Staffel 2 immer noch die subtilere und deshalb bessere Version von „24“.

4. „Dexter“

Schon nach Staffel 4 zeichnete sich wohl ab, dass die Serie um Serienmörder-Mörder und Forensiker Dexter Morgan bald blasser werden könnte als die Opfer des Ice-Truck-Killers. Bis zum Ende des Falls um den Doomsday-Killer und einem, nun ja, einschneidenden Treffen zwischen Dexter und seiner Schwester und Miami-Police-Kollegin Debra darf man aber noch gespannt genug bleiben. Staffel 7 und 8 hingegen – soviel weiß ich jetzt, im September 2013, hätten lieber schweigen sollen.

5. „Game Of Thrones“

Eine Seifenoper im Mittelalter, in der sich keiner gewaschen hat: Die HBO-Verfilmung von George R.R. Martins Fantasy-Romanepos strotzt nur so vor Blut und Gier und Neid und Sex und Krieg und Fehden. Oh, und Drachen gibt es auch.

6. „Der Tatortreinger“

Bjarne Mädel als bauernschlauer Tatortreiniger von der „SpuBe“ (Spurenbeseitigung). Wenige Folgen, viel Herz für ihre Figuren, und bei aller Komik – in jeder Folge trifft Schotti bei seiner Arbeit auf Angehörige, Täter, Gäste oder sonst wie mit den Opfern in Verbindung stehenden Menschen – immer auch die ein oder andere Lebensweisheit parat, die mit Plattitüden so wenig zu tun hat wie Bernd Strombergs (neben dem Mädel zuvor die Rolle des depperten Ernie spielte) Sprüche mit Inhalten.

7. „Sherlock“

Shooting Star Benedict Cumberbatch als moderner Sherlock der Neuzeit, neben ihm Martin Freeman als Dr. Watson. Die Dialoge, die Charaktere, die Fälle, die Gegenspieler, der Humor: so temporeich, geistesgegenwärtig, trocken und auf Zack wie Sherlock Holmes eh und je. Britischer als in dieser BBC-Miniserie gehts indes ebenfalls kaum noch.

8. „The Big Bang Theory“

Please don’t try this auf Deutsch. Pro7 strahlt diese Sitcom immer wieder aus, selten hatte ich etwas Unlustigeres im Fernsehen gesehen. Im Original funktionieren die Zoten um Dr. Sheldon Cooper und seine Nerd-WG nach gewisser Eingewöhnung aber durchaus. Zumal ich Physiker-Witze auch in meiner Muttersprache nicht verstehe.

9. „The Wire“

Von Kritikern und etlichen Fans maßlos gelobte Krimiserie über Polizei und Verbrechen in Baltimore, in der es weniger um die Auflösung bestimmter Fälle geht, sondern um die Dokumentation einer einzigen, großen, korrupten, hamsterradartigen Szenerie über mehrere, bisweilen mühsam anzusehende Staffeln. Don’t try this auf englisch, man versteht vom Straßenslang kaum ein Wort.

10. „Touch“

Kiefer Sutherland als nach 9/11 alleinerziehender Vater eines wohl autistischen Kindes, das dafür übernatürliche Fähigkeiten zu haben scheint und „Butterfly Effect“-mäßig die Schicksale von Menschen auf der ganzen Welt zum Guten zu verbinden weiß. Schön und schlau und rund erzählt, es fehlt aber jeder Cliffhanger und ein unbedingter „Mehr davon“-Effekt.

Abgesehen von seinem Set war ich von der zweiten Staffel von „Boardwalk Empire“ leider nicht mehr allzu beeindruckt – wenngleich Michael Shannon ziemlich groß- und bösartig spielt darin und Steve Buscemi eigentlich immer geht. Meine Frau guckte 2012 weiterhin liebend gerne „Downton Abbey“, ich hingegen habe es auch mal mit JJ Abrams‘ „Revolution“ versucht: naheliegende Grundidee (unserer Welt plötzlich und langfristig ohne Strom), schrecklich langweilige Hochglanz-Umsetzung. Wie „Lost“ mit Soap-Darstellern.

Lobende Erwähnung hingegen für zwei outstanding tv dramas:

„The Sopranos“

Ein getriebener Mann, zwei Familien. Tony Soprano zwischen Mafia und Dr. Melfi. Und James Gandolfini in der Rolle seines Lebens. Es wurde seine letzte große.

„Six Feet Under“

Michael C. Hall war schon vor „Dexter“ in Leichenhallen zu sehen – hier als Erbe des Bestattungsunternehmens seines Vaters. Und wie das zwischen Leben und Tod so ist, erzählt auch „Six Feet Under“ nahbar, komisch und dramatisch von der Hin- und Hergerissenheit zwischen den Erwartungen anderer zu funktionieren und dem Ausbruch daraus – exemplarisch an dem Schicksal jedes Mitglieds der Familie Fisher.

Das waren auch die beiden Serien, die mich 2012 mit Abstand am meisten begeistert und gebannt haben. Weil ich sie erst dieses Jahr sah: „Sopranos“ lief von 1999-2007, „Six Feet Under“ von 2003-2008.

Oh, war jetzt doch mit Texten.

„Wir bauen kein Fernsehen nach“

Aus der zitty-Serie „Berliner Internet-Start-ups“, Folge 9: Wie Tweek Fernsehen wieder zum Erlebnis machen will

Die Gründer von Tweek.tv: Koerbitz, Hartl, Düe (v.l.)

Das Fernsehen hat Marcel Düe irgendwann nur noch gelangweilt. Seit ein paar Jahren, seit der rasenden Verbreitung von Breitbandinternet, Social Media und Tablet-Computern, frustriert es ihn, sich nach der Arbeit in der einzigen Hoffnung auf die Couch zu knallen und die Glotze anzuschalten, irgendein Programm zu finden, das ihm gefällt. Wäre doch toll, dachte Düe, wenn Fernsehen wieder ein Erlebnis werden würde. Wenn er als Zuschauer das „Was“, „Wann“ und „Wo“ selber so bestimmen und sich Tipps von Freunden holen könnte, wie es Anbieter wie Spotify und Last.fm für das Radio längst vorgemacht hatten. Fertig war die Geschäftsidee, aufgrund derer Düe gemeinsam mit Klaus Hartl und Sven Koerbitz vor rund einem Jahr Tweek gründete.

Tweek.tv will kein eigener Online-Sender werden. „Wir bauen kein Fernsehen nach, wir verhandeln keine eigenen Lizenzen“, sagt der 31-jährige Düe heute im Tweek-Quartier, einem verglasten Erdgeschoss-Büroraum in einem Hinterhof in der Münzstraße in Mitte. Das heißt konkret: Tweek.tv hostet keine eigenen Inhalte, es bündelt das Angebot der kostenpflichtigen Video-On-Demand-Anbieter iTunes, Amazon VoD, Netflix, Lovefilm, Crackle und Vudu unter einem Dach und verrät, welche Filme meinen Freunden gefallen – der Login funktioniert ausschließlich über den eigenen Facebook-Account. So sieht der Nutzer auf Tweek.tv zwar, welche seiner digitalen Bekanntschaften „The Big Lebowski“ mögen oder „Dr. House“ gesehen haben und erfährt, wo er sich diese Empfehlungen zu welchem Preis anschauen kann. Beliebte US-amerikanische Serien etwa werden aber vor ihrer deutschen Erstausstrahlung auch bei Tweek nicht zu finden sein. Düe, der seit zehn Jahren in der Berliner Internetbranche, zuletzt als Plattformmanager bei einem Mobilfunkunternehmen, arbeitet, ist dennoch optimistisch: „Ich lehne mich zurück und entdecke für mich spannende Inhalte – zusammengestellt von Kuratoren, deren Interessen und Geschmack ich teile. Das können Freunde, Celebrities oder andere interessante Menschen sein“, so sein Szenario.

Tweek.tv befindet sich noch in der geschlossenen Beta-Phase und wird vorerst nur auf dem iPad funktionieren, ein Launchtermin steht noch nicht fest. Auch andere Anbieter machen sich in ihren Sparten auf, Fernsehen einem veränderten Nutzerverhalten anzupassen, tape.tv oder TunedIn, zum Beispiel. Grund zur Eile sieht Düe nicht und versucht, den Erfolg realistisch einzuschätzen: „Fernsehen ist stark habitualisiert. Das wird noch dauern, bis wir oder irgendwer den Service hin bekommt, der so richtig cool ist. Das ist aktuell noch kein Rennen gegen die Zeit.“

(erschienen in: zitty, 5/2012, S. 63)

Update: Tweek.tv launchte seine iPad-App am 19. März 2012

Listenwahn 2011: Die Serien des Jahres

Bevor auch 2012 Geschichte ist: Hier, nach den Filmen des Jahres, meine Serien des Jahres 2011. Nehmt das, Deadlines!

1. „Dexter“

Ein Vater, der bei der Mordkommission Miami Mordschauplätze analysiert und in seiner Freizeit selbst ein Serienmörder ist – Hölle, ja! In der sechsten Staffel holten die Macher zum biblischen Rundumschlag aus: Dexter Morgan, seine ewig fluchende und zur Abteilungsleiterin aufgestiegene Schwester Deborah und der Rest des Teams jagen den oder die Doomsday Killer, der/die seine/ihre Taten durch Gott rechtfertigt/-en und mit Bibelstellen belegt/-en – während Dexter auf persönliche Rachefeldzüge geht und sich mit seiner Manie arrangiert. Blut, Präzision, Humor, eine Sympathie für das Gute im Bösen und vice versa – und ein Cliffhanger, der Dexter sein bisheriges Leben kosten könnte.

2. „Breaking Bad“

Der krebskranke Chemielehrer und Familienvater Walter White steigt in der vierten Staffel endgültig zum Drogenbaron auf und geht über Leichen. Ähnliche Charakteridee wie bei „Dexter“: ein Mann führt ein Doppelleben zwischen Gut und Böse. White ist ein tragischer Held. Ein Held, der erst nicht anders kann – und irgendwann nicht anders will. Großartiges Kino in Serienform.

3. „Modern Family“

Ed O’Neill als Sitcom-Patriarch. Da war doch was? Statt sich eierkraulend auf der Couch von seinem Job als Schuhverkäufer zu erholen, spielt der ewige Al Bundy zwölf Jahre nach dem Ende von „Eine schrecklich nette Familie“ Jay Pritchett, zurückgenommenes Oberhaupt und Bindeglied einer liebenswürdigen Patchworkfamilie, wie sie im ach so modernen Drehbuche steht. Da wären zum Beispiel seine Tochter aus erster Ehe, Claire, deren Mann Phil Dunphy seinen drei Kindern Haley, Alex und Luke der coole Dad sein will, der er nicht ist. Oder Claires Bruder Mitchell, der mit seinem Freund Cameron die kleine Lily aus Vietnam adoptiert hat. Oder Pritchetts zweite Frau, die leidenschaftliche Kolumbianerin Gloria (Sofia Vergara), deren 13-jähriger Sohn Manny aus erster Ehe sehr altklug und in seine zwei Jahre ältere Stiefnichte Haley verliebt ist. Alles im Mockumentary-Stil gedreht, man bekommt also alle Selbst- und Fremdwahrnehmungen der Charaktere ungeniert mit. Einerseits ein Heidenspaß, der andererseits oft leider noch viel zu brav bleibt – und auf ABC letztes Jahr in die dritte Staffel ging.

4. „Sherlock“

Messerscharfe BBC-Kurzserie, die Arthur Conan Doyles Klassiker mehr noch in die Gadget-Gegenwart holt, als es Steampunk Guy Ritchie tat. Mit einem Benedict Cumberbatch, der an der Seite von Martin Freeman als Dr. Watson den arschcoolsten und neben der Spur stehendsten Sherlock Holmes seit… naja, seit Robert Downey Jr. spielt.

5. „The Big Bang Theory“

Vier Nerds und ein Mädchen. Ein blondes Dummchen und vier schlecht angezogene Uni-Wissenschaftler mit Vorlieben für Comics und Star Wars und entsprechenden Schwächen im Sozialen. Eigentlich Stoff für flachen Stereotypen-Humor und für eine Kalauer-Sitcom. Aber wie clever die geschrieben ist! Und was für ein arroganter, überzogener und untragbarer Soziopath dieser Dr. Sheldon Cooper (Jim Parsons) sein kann! Nur als Kommentar auf die klägliche Geek-Debatte unter deutschen (Interims-)Chefredakteuren funktionieren die fünf Staffeln, ihr Erfolg und ihre Beliebtheit freilich nicht, „The Big Bang Theory“ war schließlich vorher da. Bazinga.

6. „Stromberg“

Deutschlands angeblich fiesester Chef war zurück und bekam die Schadensregulierung in der Capitol-Versicherung trotz Frauen- und Ausländerquoten sowie dem üblichen Mobbing noch immer nicht in den Griff. Ulf kann keine Kinder machen, Stromberg will keine haben und der Charakter von Ernie ist leider diesmal ein so maßlos Überzogener, dass bei ihm kaum noch das bisherige „Stromberg“-Erfolgsargument gelten kann, dass es in deutschen Büros und unter deutschen Beamten tatsächlich ähnlich zuginge. Trotzdem und obwohl es immer noch nur eine Kopie des britischen Originals „The Office“ ist, ist „Stromberg“ immer noch ein Leuchtturm in der irrlichternden deutschen Comedy.

7. „Walking Dead“

Bisher sechsteilige Serienadaption der legendären Comicvorlage. Beginnt unspektakulärer als ihr Ruf: Bei einem Routine-Einsatz geraten die befreundeten Cops Rick Grimes und Shane Walsh in einen Schusswechsel. Als Grimes (Andrew Lincoln) Tage später im Krankenhaus aufwacht, findet er nichts als verwelkte Blumen und Untote, die nach ihm lechzen. Der einsame Cowboy macht sich auf die Suche nach seiner Familie und anderen Überlebenden und reitet bei seinem Streifzug durch die Gegend um Atlanta über Leichen (wenn sie nicht schon welche wären). „The Walking Dead“ ist bis dahin nicht viel mehr als eine weitere, wenn auch toll gedrehte „Zombies im Kaufhaus“-Version, gewinnt aber an Tiefe und Fahrt durch das soziale Gefüge derer, die noch nicht gebissen wurden – einem kleinen Panoptikum der Klischees und Legenden einer us-amerikanischen Gesellschaft.

8. „Der Tatortreiniger“

Strombergs Ernie-Darsteller Bjarne Mädel als grundsolider Malocher von der „SpuBe“, der Spurenbeseitigung. Trifft bei Tatortreinigungen Hinterbliebene der Opfer und führt mit ihnen zwischen Blut und unfreiwilliger Bekanntschaft philosophische Gespräche über den Sinn des Lebens, ohne es zu wissen. Intelligent, kurzweilig und Grimme-Preis-verdächtig. Müsste wegen des NDR-Programmfiaskos eigentlich erst nächstes Jahr auf dieser Liste stehen. Steht aber alles drüben bei Stefan Niggemeier.

9. „True Blood“

Ach, bitte, liebe „True Blood“-Macher: Kommt wieder runter auf den Boden der fantastischen Kerngeschichten, für die man Euren Serienquatsch immer so gerne sah. Eine Vampir-Opposition, die sich im fiktiven Örtchen Bon Temps in Louisiana wider ihrer Natur und dank des Blutersatz „True Blood““ eine friedliche Koexistenz mit den Menschen aufbauen will; ein sogenannter White Trash, der das Vampirblut „V“ als Kultdroge entdeckt; Barbesitzer, die sich in Hunde und andere Tiere aus der Umgebung verwandeln können; eine blonde Kellner-Zicke, die von dem anfangs so noblen Bill Compton (Stephen Moyer) und dem so eiskalten Eric Northman (Alexander Skarsgård) mindestens sexuell umgarnt wird und selbst unbekannte Kräfte in sich trägt; ihr Bruder, der erst nur ficken und dann Läuterung in einer reaktionären Sekte finden will; Hexen, Medien, Homosexuelle und Politiker – die Serienadaption der Sookie Stackhouse-Romane funktionierte hervorragend als Gesellschaftskommentar („Alle sind gierig, alle sind anders“) auf der zweiten und als Out Of The Box-Vampir-Action voller Sex und Blut auf der ersten Ebene. In der vierten Staffel aber wird dem gemeinen Zuschauer vor lauter unlogischer Wendungen, Wiederkehren, Endzeitalbernheiten und Gefühlsduseleien schwindelig und lässt am Ende nur noch hoffen, dass die kommende fünfte Staffel sich besinnt oder die letzte sein wird.

10. „V – Die Besucher“

Das 2009-Remake des Serienklassikers von 1983 lief im Sommer auf Pro7, zwei Jahre davor auf ABC und wurde nach nur zwei Staffeln vorzeitig abgesetzt – gerade dann, als es endlich spannend wurde. Die Moral nämlich, dass Diktaturen immer wieder passieren können, dass das Fremde in Wahrheit unter und in uns lebt und dass Rassismus an jeder Ecke herrscht sowie der schrecklich stumpfe Charakter von Agentin Erica Evans in der Hauptrolle („Lost“-Star Elizabeth Mitchell) kam mit dem Weltraumhammer, Logik- und Handlungslücken inklusive. Immerhin war die spätere „Homeland“-Darstellerin Morena Baccarin als Anna schon eine ziemlich attraktive Aliendiktatorin, während ihre Metamorphosen sowie ein angeheuerter Auftragskiller und ein ballernder Priester mit Gewissensbissen für Popcorn-Action sorgten – so fern die denn im Produktionsbudget drin war. Und so komme ich auf zehn Serien. Bis zum nächsten Jahr.

Wenn das Netz stumm bleibt

Für Gehörlose ist das Internet längst nicht so zugänglich, wie es sein könnte. In Videos fehlen Untertitel und Gebärden. Die Bloggerin Julia Probst will das ändern.

Julia Probst hatte nie ein Schrifttelefon. Wenn sie sich im Teenageralter mit hörenden Freunden verabreden wollte, rief ihre Mutter für sie an. Probst ist eine von 80.000 Gehörlosen in Deutschland und doch nicht wie die anderen. Die 29-Jährige ging auf eine Grundschule für Hörende, ist lautsprachig aufgewachsen, Deutsch in Wort und Schrift ist für sie nicht Fremd-, sondern Muttersprache. Die Gebärdensprache hat sie erst mit 17 gelernt.

Trotzdem hatte sie Mühe, die Technik zu nutzen, die Hörenden so selbstverständlich ist. Dann, 1997, kam der heimische AOL-Anschluss und Probst ins Internet.

Heute bloggt sie über ihren Alltag als Gehörlose und twittert, was sie bei Fußballturnieren den Spielern auf dem Platz von den Lippen abgelesen hat. Sie lebt vor, dass das Internet für Gehörlose so wichtig ist, wie es die Einführung des Telefons für Hörende gewesen sein muss. Und gleichzeitig ist sie ein prominentes Beispiel dafür, wie Gehörlose in eben diesem Internet benachteiligt werden.

(…)

Weiterlesen auf ZEIT ONLINE:„Wenn das Netz stumm bleibt“

(erschienen auf ZEIT.de am 18. Juli 2011)

tape.tv-CEO Conrad Fritzsch im Interview: „Als MTV zu Ende ging, bin ich in die Luft gesprungen“

Conrad Fritzsch (41), Gründer und Geschäftsführer des Internetsenders tape.tv, über Musikfernsehen im Netz, nervige Werbung und Günther Jauch als Vorbild.

Herr Fritzsch, welches ist Ihr Lieblingsmusikvideo?

Conrad Fritzsch: Mein Evergreen ist „Drop“ von The Pharcyde. Aktuell und vom Style her ist es „Sekundenschlaf“ von Marteria, ich finde auch die visuelle Idee von Mike Skinners „Going Through Hell“ schön, diese Schablonen… Der ganze Film ist eine simple Idee, aber so variiert, dass sie nicht langweilig wird.

Wer schaut sich heute überhaupt noch Musikvideos an: Die Generation Justin Bieber, hartgesottene Fans also – oder etwa doch derjenige, der früher MTV als Begleitmedium flimmern ließ?

Im Allgemeinen gibt es drei Zielgruppen. Die Generation der unter 30-Jährigen kennt Kai Böcking, Formel 1, Ronny’s Popshow oder Ray Cokes nicht mehr, guckt aber trotzdem Musikvideos. Die 30-40-Jährigen kennen das von früher noch, schauen auch ältere Sachen und freuen sich, wenn Depeche Mode ein neues Video machen. Und die über 40-Jährigen sind selektive Gucker. Wir kategorisieren aber am liebsten nach Zuschauern, Kennern und Experten.

Für viele Zuschauer hört die musikalische Welt immer noch hinter den „Bravo Hits“ auf.

Denen wollen wir helfen, sie brauchen Empfehlungen. YouTube stellt die Videos hin und sagt: mach doch. Dann tippen die Leute ihre Bravo-Charts ein. Unsere Redaktion stellt dir Sachen vor. Wenn du die magst, dann findet schnell etwas Ähnliches zu dir. Wir wollen dich besser kennenlernen. Die Leute haben keinen Bock auf Neues, weil zum Beispiel die Nutzungssituation falsch ist – im Auto willst du verdammt nochmal mitsingen! Abends ab 18 Uhr willst du aber unterhalten werden. Entertainment bedeutet überrascht zu werden – aber bitte mit Dingen, die mir gefallen.

Foto:Marijan Murat
Conrad Fritzsch ist Gründer, Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter von tape.tv und guckt gerne Musikvideos

Bei tape.tv beschäftigen Sie 50 Mitarbeiter und konnten bei der Gründung 2008 nicht ahnen, ob Ihre Idee funktionieren würde. War das Mut oder Harakiri?

Ich habe lange Werbung gemacht, das hat auch gut funktioniert. Irgendwann saß ich in einer Präsentation bei einem Kunden, für die ich ein Jahr gearbeitet hatte. Und der sagte: Können wir das nicht alles anders machen? Ich dachte: Entweder bringe ich die alle um oder mich. Du arbeitest intensiv für einzelne Kunden und hast immer das Gefühl, dich nicht verwirklichen zu können. Dazu kam: ich hatte wenig mit Musik und Bewegtbild zu tun, bin aber Filmfan. Die Idee zu tape.tv war damals zehn Prozent von dem, was es heute ist. Es gibt einen Satz bei uns: Keiner hat uns verboten heute schlauer zu sein als gestern. Ich bin jetzt 41 und also in einem Alter, in dem viele andere es lieber belassen, wie es ist. Ich finde Veränderung spannend, diskutiere gerne und habe kein Problem damit, wenn ich mich geirrt habe.

Als MTV, die ja mit Musik schon lange nur noch peripher beschäftigt waren, im Oktober 2010 ankündigten, die Bezahlschranken fürs TV-Programm ab 1. Januar 2011 herunterzulassen, sind Sie da vor Freude in die Luft gesprungen? Oder war das längst egal?

Doch, ich bin in die Luft gesprungen – und habe dankbar den Sendeauftrag von MTV übernommen (lacht). Ich hatte ursprünglich vor, erst im Sommer 2011 sehr stark redaktionell zu arbeiten. Aber mir war klar, dass jetzt die Aufmerksamkeit für Alternativen zu MTV besonders groß ist. Anfang 2010 schon hatten wir mit dem Relaunch gemerkt, dass die Verweildauer immer dann steigt, wenn wir eigene redaktionelle Produkte machen. Ein Dachkonzert von Marteria zum Beispiel finden die User sonst nicht im Netz. Als MTV beschloss aufzuhören, wussten wir, dass wir Vollgas geben müssen und haben bislang zehn Formate geschrieben.

Sie finanzieren sich wie andere Bewegtbildanbieter durch Werbung.

Weil ich aus der Werbung komme, weiß ich, wie genervt die Leute von Pre-Rolls, von vorgeschalteten Werbeclips, sind. Bewegtbild ist weit mehr als ein Pre-Roll. Ein Pre-Roll ist ungefähr so eine Denkleistung wie damals, als die ersten Fernsehspots gemacht wurden, da wurde der Radiotext vor der Kamera vorgelesen. Bis heute ist da eine große Entwicklung passiert, und eine ähnliche Entwicklung passiert gerade im Internet. Ich habe damals mein ganzes Geld dort hinein gesteckt, die Werbeagentur verkauft und gesagt: Das mache ich jetzt, und seit drei Jahren mache ich im Grunde nichts anderes. Es ist ein Prozess, den Leuten beizubringen, dass wenn man über das Internet nachdenkt, mit dem Internet und dem User nachdenken muss. Der User ist nämlich der Boss, und wenn er keinen Bock mehr auf den Scheiß hat, macht er ihn aus. Und das geht relativ schnell.

Dafür muss der Nutzer zuerst auf tape.tv geholt werden. Der Erfolg von zum Beispiel Google oder Facebook aber beweist doch: Man muss zu den Nutzern hingehen.

„Im Internet surfen“ ist ein schwieriger Begriff, weil ein Großteil der Nutzer lediglich zu seinen fünf gleichen Seiten geht. Wenn ich morgens aufstehe, checke ich Facebook und E-Mails. Warum sollen wir die sechste Seite werden, die es schafft, so eine Relevanz zu bekommen? Du hast drei Möglichkeiten: Der Fernseher hat es durch Sendeformate und Personen geschafft. Durch Günther Jauch zum Beispiel, durch Identifikationsfiguren. Auch wir wollen Köpfe etablieren und schreiben gerade an Konzepten, bei denen Musiker Interviews mit anderen führen, Roadtrips machen und so weiter. Zweitens: Multi-Access, mehr Touchpoints, mehr Zugang zum Produkt schaffen, auch über unterschiedliche Geräte und unterschiedliche Websites. Drittens: die Ausweitung des Produkts. Warum muss es 25 Services geben, wenn ich mich im Internet mit Musik beschäftigen will? Shazam, wenn ich’s erkennen will. Soundcloud, wenn ich es tauschen will. Spotify, wenn ich es hören will. Wir bauen unseren Service mit dem Ziel aus, die erste Anlaufstelle im Netz zu werden, wenn du irgendwas mit Musik zu tun haben willst. Das ist zumindest unsere in die Zukunft gedachte Vision. Es ist nämlich richtig, dass es ein Irrglaube ist, dass die Leute auf deine Webseite kommen. Die Integration bei Facebook ist auch für uns eine wichtige, um unser Produkt da stattfinden zu lassen. Mit einem großen Autohersteller haben wir einen Channel zur Fashion Week gemacht und dabei haben wir 40 Prozent des Traffics von außen eingesammelt, von Blogs zum Beispiel oder von den Homepages der Bands. Wir könnten aber für andere Seiten ein tape.tv mit anderer Musik machen. Auf tape.tv direkt muss eine Marianne Rosenberg nicht stattfinden.

Sie kommen aus der Werbung, haben vorher Regie studiert, sind nun Unternehmer. Wenn es mit Musikvideos mal nicht mehr laufen sollte, wohin geht Ihre Reise dann? Was ist das nächste große Ding im Internet?

Ich würde in Security investieren. Ist zwar nicht wirklich sexy, aber wichtig. Wenn ich dir sage, pass mal auf, deine Daten sind total sicher und du hast jederzeit völlige Kontrolle darüber, ich würde sofort zehn Euro dafür zahlen. Einen richtigen Plan habe ich aber nicht. tape.tv bietet noch so viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Ich kann auch sofort in der Branche bleiben. In den letzten zwei Jahren habe ich gefühlt 3000 Vorträge gehalten, ich kann sofort als Bewegtbildexperte irgendwo anfangen. Ich habe nie gedacht, dass ich noch so viel lernen würde in meinem Leben. Ich habe auch noch nie so viel gearbeitet wie in den letzten drei Jahren, vielleicht würde ich also danach auch einfach mal nichts tun. Aber wenn ich dann müsste und total pleite wäre, dann fiele mir schon was ein.

Zur Person:
Conrad Fritzsch studierte Regie an der HFF Babelsberg. 1993-2007 leitete er die Werbeagentur Fritzsch & Mackat. 2008 gründete er gemeinsam mit Stephanie Renner und Lars Diettrich tape.tv. Das Unternehmen zählt aktuell 50 Mitarbeiter und hat Büroflächen und ein eigenes Sendestudio in der Langhansstraße in Berlin-Weißensee. Ein neues interaktives Format heißt ontape, läuft seit dem 12. Mai geplanterweise einmal im Monat live um 21 Uhr und wird einen Tag später im ZDF Kultur ausgestrahlt.

(erschienen bei: BRASH.de, 10. Mai 2011)

Dieses Video ist in Deinem Land verfügbar

Das Prinzip Youtube ist erfolgreich. Das Internet kann aber mehr als wackelige Filmchen zu verbreiten, um sich berieseln zu lassen.

Als das ZDF den Datenschutzkrimi „Wer rettet Dina Foxx?“ ausstrahlte, sollten die Zuschauer ein kleines Stück Netzgeschichte erleben: Gesendet wurden nur 50 Minuten der Low-Budget-Produktion, seitdem kann jeder mithelfen, im Internet den Mord aufzuklären. Zur Verfügung stehen dazu 300 Minuten Videos, Chatrooms und Drittplattformen. Bislang beschränkte sich Interaktion in öffentlich-rechtlichen Programmen vor allem auf Telefon- oder Onlinevotings. Der SWR traute sich zumindest an ein trimediales Projekt namens Alpha 0.7, das Fernsehen, Radio und Internet verschmolz. Die erzählte Geschichte über futuristische Szenarien im Cyberspace war der von Dina Foxx ähnlich – interaktiv aber war sie nicht…

weiterlesen auf ZEIT Online: „Der Weg zur Interaktion ist noch lang“

(erschienen auf ZEIT.de am 20. April 2011)

Banksy bei den Simpsons

Viel besser als ein Gastauftritt: Der mutmaßlich größte Held von Bart „El Barto“ Simpson und Undercover-Street-Artist Banksy, dessen erster Film „Exit Through The Gift Shop“ diesen Monat in die deutschen Kinos kommt, hat das gestrige Intro zur 3. Folge der 22. Staffel der Simpsons auf FOX gedreht. Inklusive Graffiti, Ratten, Einhörnern und Souveniren. Es ist: einfach (und) deprimierend.

via

Nachtrag:
War ja nur eine Frage der Zeit: „Dieses Video ist aufgrund des Urheberrechtsanspruchs von Twentieth Century Fox nicht mehr verfügbar.“ Hier ist es noch nicht gesperrt.


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Was von der Insel bleibt

Achtung, Spoiler!

Es waren nicht die verschwendetesten Stunden meines Lebens. Es hätte schlimmer kommen können, und alles auch ganz anders. Sechs Staffeln „Lost“, 121 Folgen, jeweils rund 42 Minuten lang, macht 5082 Minuten oder 84,7 Stunden Rätselraten und kein Ende. Anfangs wollte ich verstehen, was den Hype um diese Serie ausmachte. Ich wurde bald unterhalten und verwirrt. Und habe alles gesehen: Rauch, der Menschen zerfleischt. Eisbären auf einer Pazifikinsel. Tote, die auferstehen. Rollstuhlfahrer laufen. Kinder mit mysteriösen Fähigkeiten. Männer nicht altern. Schwangere Frauen ihre Ungeborenen verlieren. Verfluchte Lottozahlen. Heroin in Maria-Statuen. Zeitreisen wie springende Schallplatten. Bibelreferenzen und Religionssymbolik. Elektromagnetismus, Licht und Dunkel. Und bekam selbst eine Ahnung davon, wie weit die immer fantastischere Geschichte aus Geschichten von Gestrandeten ein Spiegelbild der Gesellschaft seines Publikums, oder, noch größer, der Menschheit ist und sein soll: Es gibt keine eindeutigen Antworten. Was natürlich sehr schade ist, weil ich doch, wie ein paar Millionen anderer Zuschauer, noch die ein oder andere kleine Frage hätte. Zum Beispiel:

Ist die Menschheit gut oder böse? Herrscht in ihrem Grundzustand Krieg oder Frieden? Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Warum sind wir hier? Glaube oder Wissenschaft? Ist das überhaupt ein Widerspruch? Gibt es einen Gott? Und wenn ja, sollen wir ihm folgen?

Von Hirten und Jüngern, von Anfang und Ende: TV-Hype "Lost" und seine Charaktere. Amen.

Kann, was einmal geschehen, nicht mehr verändert werden? Würde ich den Lauf der Zeit ändern, wenn ich es denn könnte? Regiert Schicksal oder Zufall? Gibt es einen freien Willen? Haben oder Sein? Ist Macht der Ursprung allen Übels? Gibt es eine objektive Realität? Sterben wir alle allein? Sind wir in Wahrheit längst tot? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Und was ist mit Wiedergeburt? Bekommt jeder eine zweite Chance? Bleibt die Erinnerung? Kann, was einmal gedacht und erlebt, nicht mehr zurückgenommen werden? Gibt es Himmel und Hölle und einen gemeinsamen Vorort? Hat das Böse keinen Namen? Ist Liebe alles was wir brauchen? Ist (die Darstellung von) Zeitreisen ohne Paradoxon möglich (bei „Zurück in die Zukunft“, „Day Of The Tentacle“ oder „Bill und Teds verrückte Reise durch die Zeit“ war das alles ein bisschen einfacher)? Sind die „Lost“-Produzenten Damon Lindelof, Carlton Cuse und J.J. Abrams und ihr Team Genies oder auch nur Blender?

Solche Sachen.


I’m totally Lost

Ein Mann liegt auf seinem Rücken. Blutverschmiert, im Anzug. Er schlägt die Augen auf, orientierungslos. Wald. Ein Golden Retriever streunt vorbei. Idylle? Über einem Baum hängt ein Schuh. Geräusche. Aufstehen. Umherirren. Plötzlich: weißer Sandstrand. Meer. Und schreiende Menschen. Flugzeugwrackteile. Rotierende Turbinen. Ein anderer Mann unter Trümmern. Eine schwangere Blondine. Ein angeblich ausgebildeter Rettungsschwimmer, der einen Luftröhrenschnitt mit einem, wie heißt es doch gleich, genau, Kugelschreiber vorschlägt. Keiner zur Hand. Herunterbrechende Tragflächen, Explosionen. Es sind noch soviele Menschen zu retten, unter diesem blauen Urlaubshimmel. „Hier, ich wusste nicht, welchen Sie brauchen“, sagt der Rettungsschwimmer, als er mit mehreren Stiften von seinem Trümmerstreifzug zurückkehrt und dem noch unbekannten, gutaussehenden Gentleman aus dem Wald mehrere Stifte hinhält.

Screenshot Lost
"Wo bitte geht's zum Strand?" Dr. Jack Shepard, noch ganz am Anfang einer Odyssee (Screenshot)

Was in seiner nach Aufmerksamkeit gellenden Gratwanderung aus Galgenhumor, Situationskomik und Mystery-Drama schon jetzt wie ein Assoziations-Mash-Up aus „Airplane“, „Cast Away“, „Giant Shark vs. Mega Octopus“, „Braindead“ und unzähligen B-Katastrophenmovies aussieht, waren die ersten acht Minuten von „Lost“. Der Sendung, deren Pilotfolge am 22. September 2004 dem Sender ABC mit über 18 Millionen Zuschauern die beste Einschaltquote seit dem Start von „Who Wants To Be A Millionaire?“ bescherte; die in sechs Staffeln und 121 Folgen einer bis dato nicht dagewesenen Fangemeinde aus Bloggern, Verschwörungstheoretikern, Philosophen und Kulturkritikern rund um den Globus schlaflose Nächte und Rätsel bereiten und als Golden Globe- und achtfacher Emmy-Gewinner in die Geschichte des Fernsehens als gehyptester Mystery-Dauerbrenner seit „Twin Peaks“ (gefühlt) eingehen würde. Genug Grund zur Skepsis. Die beschriebene Anfangsszene dürfte für Fans im Rückblick wie ein nostalgisches Kinderfoto aussehen, das Dazwischen konnte keiner eindeutig einordnen, nur Vermutungen anstellen und Deutungsmuster bemühen. „Mit die beste Serie, die es je gab“, sagt auch Tanja vollkommen unironisch. „Das Ende hätte schlechter sein können“, sagt Malcolm. Einig sind sich alle Befragten anscheinend in einer Sache: Zum Kapieren ist „Lost“ tatsächlich nicht gemacht.

Der Typ, ein Kerl namens Jack Shephard (Matthew Fox), entpuppt sich im weiteren Verlauf dieser ersten aller Folgen als Arzt mit einem Alkoholproblem. Er trifft die hübsche Kate Austen (Evangeline Lilly), und das Mysterium beginnt. Nach dem flammenden Inferno kehrt Stille ein, die Gestrandeten sammeln und beraten sich und ihre Rettung am Lagerfeuer – und beobachten plötzlich ein unsichtbares Etwas, das die Palmen plattmacht und wie Godzilla röhrt. „Was immer es auch ist, es ist nichts Natürliches“, stellt einer prophetisch fest – der Bruchpilot, den Jack, Kate und ein anderer Kerl während ihrer ersten Inselerkundung samt Cockpit finden, wird das am Ende dieser Episode am eigenen Leib erfahren. Ich stelle fest: Wer oder was immer es auch ist, das dieser Truppe noch widerfahren wird – falls ich dranbleibe (und ich mochte schließlich früher auch „Gilligans Insel“ und „Herr der Fliegen“), bin ich als Spätzünder klar im Vorteil. Schließlich wurde die allerletzte Folge, der die „Lost“-Jünger der ersten Stunde ob einer etwaigen Auflösung noch sechs Jahre lang entgegenfiebern mussten, am 23. Mai dieses Jahres in den USA ausgestrahlt. Ich könnte mir also die werbefreie Breitseite geben – wenn ich mir nicht lieber die achte Staffel von „24“, die bereits in den USA und auf einem deutschen Pay-TV-Sender läuft, gebe. Deren sieben Vorgänger habe ich mal mit mehr, mal mit weniger Leidenschaft verfolgt, in Jack Bauers Leben ist dafür noch kein Ende in Sicht. Spoiler sind hier in beiden Fällen nicht willkommen. Und ich habe immerhin neben ein paar anderen wackeligen Bildern ein besonders wackeliges Bild als Aufhänger für mein erstes Blogposting bemühen können: Ich kram dann mal meine Stifte zusammen und bin jetzt auch verloren. Hier.

Screenshot Lost
Ein Pilot, ein Baum: "Lost" (1. Staffel, 1. Episode, Screenshot)

Der Wendler und sein Clan

Das Fernsehjahr 2010 meint es mal wieder gut mit Voyeuren und Geltungssüchtigen: Dieter Bohlen wirbt mit dem Spruch „So singet recht, sonst wird mir schlecht“ für die achte Staffel der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), Köln-Hürth beherbergt für „Big Brother“ zum zehnten Mal eingesperrte Containerbewohner (Start: 11. Januar, 19 Uhr, RTL 2), bei „Bauer sucht Frau“ wird jetzt geheiratet. Und dann ist da noch eine so genannte Dokumentation über einen Kerl, von dem die Nation wirklich schon lange einmal wissen wollte, wie er hinter verschlossenen Türen so abgeht: Michael Wendler, der egozentrischste Schlagersänger seit der Erfindung des 3/4-Takts, führt in „Der Wendler-Clan“ vor laufenden Kameras den Bau seiner Prachtranch im heimischen Dinslaken, seine ebenso unglaubliche Familie und somit sich selbst vor. Eine Paraderolle.

Der König des Popschlagers

Erst die Dorfdiskos, dann die Aprés Ski-Hallen der Republik – der aufhaltsame Aufstieg des Michael Wendler (37) liest sich wie ein Drehbuch für ein Format, das wie eine Parodie auf „MTV Cribs“ anmutet und in erster Linie unterhalten will: Vor ein paar Jahren noch ist in Dinslaken, einer sonst so tristen Kleinstadt zwischen Ruhrpott und Niederrhein, auf Michael Wendler, diesen Möchtegern-Popstar, niemand gut zu sprechen. Wendler, so heißt es, beauftrage lokale Baufirmen und zahle die Rechnungen nicht. Dann kommen die Kredite und sein größter Hit. „Sie liebt den DJ“, ein Song wie ein Spiegelbild seines Urhebers.

„Der Wendler“, wie er sich selbst liebevoll in der dritten Person nennt, inszeniert sich selbst als sympathischen Self-Made-Man, dem die Frauen und das Glück zu Füßen liegen. Als einer, der es aus eigenem Antrieb geschafft hat. „Der Wendler-Clan“, erklärt Michael Wendler selbst gegenüber Bunte Online, „wird mich von einer persönlichen Seite zeigen, so dass die Menschen zum Beispiel sehen können, dass ich ein großer Familienmensch und bodenständig bin“. In der Sendung sieht man dann seine sehr blonde Ehefrau Claudia, seine Mutter (der Vater wollte nicht), seine Schwiegereltern – und seine Tochter, die wegen maßlosen Ärgers, den sie wegen eines verschütteten Kakao einstecken muss, schon mal in Frage stellt, warum ihre Eltern sie überhaupt bekommen haben. Sie kann einem leidtun.

Heute, so ist sich Wendler sicher, sind die Leute neidisch, „weil ich Sachen mache, die in unserer Gesellschaft verpönt sind, nämlich das zu zeigen, was ich mir erarbeitet habe. “ Vor der Baustelle seines zukünftigen Anwesens prangt ein Schild mit der Aufschrift: „Hier baut Michael Wendler – Der ,König des Popschlagers‘ – sein Märchenschloss.” Seinen Drang nach Öffentlichkeit und seine Selbstdarstellung in einer Stadt, die mit Monaco oder Beverly Hills so gar nichts gemein haben will, erklärt der Wendler im Bunte-Interview so: „Gerade in so einer Kleinstadt sollen die Leute sehen, dass man Träume verwirklichen kann.“

„Der Wendler-Clan“ lief seit 3. Januar 2010 jeden Sonntag um 19 Uhr auf SAT.1 und wurde mittlerweile abgesetzt.

(erschienen auf: BRASH.de, 4. Januar 2010)