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Eingeschränkte Lehre

Streit um den freien Zugang zu wissenschaftlichen Inhalten im Internet: Verlage wollen digitale Semesterapparate verhindern, in denen Studierende die wichtigsten Materialen für ihre Seminare finden. Noch schützt ein eigener „E-Learning-Paragraf“ diese Onlinesammlungen. (mehr …)

Die Grande Dame des Bombast-Pop

Mode-Ikone Florence Welch bestätigt mit Orchester in der Berliner C-Halle im April dieses Jahres ihren Ruf als Dämonen bekämpfende Engelserscheinung und Lieblingsmädchen von nebenan.

Florence Welch
Die nahbare Königin: Florence Welch, hier ganz casual bei einem Berliner Dachkonzert im Herbst 2011, aber nicht weniger beeindruckend (Foto: tape.tv/Universal)

Seit Karl Lagerfeld Florence Welch zu seiner Muse erklärt hat, liegt die Modewelt der 25-Jährigen zu Füßen. Entsprechend stilbewusst steht das Publikum des seit fünf Monaten ausverkauften Konzerts vor der Berliner C-Halle Schlange: Stylomädchen, Fashionblogger, Hipsterpärchen, die Checker aus der letzten Reihe. Da kann man sich schon mal kurz Sorgen machen: Geht es hier auch noch um Musik oder interessieren sich diese Menschen nur für die Abendgarderobe der Londonerin?

Das erste Mal kommt Welch (Klamotten: casual) auf die Bühne, nachdem die Vorband Spector sich durch eine anbiedernde Version von „Shake It Out“ polterte. Die Gecoverte bedankt sich und verschwindet. Eine Stunde später und unter frenetischem Jubel erscheint sie wieder, die Grande Dame des Bombast-Pop, mit nichts als ihrem Stimmwunder und einem weißen Engelskleid. Hinter ihr und vor einem Kirchenglas-Imitat baut sich eine siebenköpfige Band an Gitarre, Harfe, Orgel, Pauken und Percussion, Bass, Schlagzeug, Tasten und Backgroundmikrofon auf. Und so sehr diese Band den Sound zu dem Theater macht, das er ist, so sehr bleibt Welch der magnetisierende Mittelpunkt der folgenden 80 Minuten.

Mit „Only If For A Night“, dem programmatischen Opener ihres zweitens Albums Ceremonials und des Abends, gibt sie dessen Takt vor. Sie zelebriert den Song, als ob es bereits der letzte wäre. Sie tanzt, hüpft herum, wirft die ausladenden Arme ihres Kostüms wie Flügel durch die Gegend – und verfängt sich im menschlichsten Moment darin –, erhebt und verneigt sich, steht dann wieder still da, breitet die Arme aus wie eine Prophetin vorm Jüngsten Gericht, umarmt die Welt, wendet sich von ihr ab, singt voller Inbrunst düstere Zeilen wie „Looking for heaven, found the devil in me“, sucht Katharsis. Dann lacht sie wieder derb, erzählt Geschichten davon, dass sie ein bisschen Deutsch könne: „Ich habe eine Katze“, etwa, oder: „Ich habe ein Haus.“ „Das stimmt beides, ich lüge nicht“, sagt sie hinterher und lacht so laut und herzlich, dass man selbst hier an Hall und Dopplung glauben will. Kurzum: Sie ist eine nahbare Königin, ist Diva und das süße Mädchen von nebenan zugleich.

Manchmal kommt nicht jedes Wort und nicht jeder Ton in seiner eigentlichen Reinform an, „Shake It Out“ etwa klingt beinahe blechern. Der Stimmung tut das keinen Abbruch: Die Mädchen lächeln, ihre Freunde auch, sogar die Checker am Tresen haben ein Funkeln in den Augen. „Dog Days Are Over“ geht im Mitgeklatsche auf und unter, eine britische Frauenfußballgruppe pfeift und johlt, als seien sie im Stadion auf der Tribüne. Nein, der Abend ließ keinen kalt. Weil er von Florence inszeniert wurde, als ob es der letzte wäre. Und das macht Bühnenwunder schließlich aus.

(erschienen in: Musikexpress 6/2012, S. 106)

Florence Welch im Interview, hier und da

Die Hauptstadt des Internet

Amen, Gidsy, Tweek und Co.: Über zehn Jahre nach Platzen der Dotcom-Blase entwickelt sich Berlin für Kreative, Programmierer und Investoren zum Knotenpunkt der neuen Gründerszene. Eine Bestandsaufnahme.

Sie heißen 6Wunderkinder, Readmill oder Mag10.my und sie wollen die neuen Aushängeschilder von Berlin werden. Wer eine Internetfirma gründen will, den zieht es seit einiger Zeit fast automatisch in die Hauptstadt. Mathias Fiedler kam aus Leipzig. „Es war cool und familiär dort“, sagt er. „Aber man lernte irgendwann keine neuen Leute mehr kennen. In Berlin herrscht einfach viel mehr Dynamik und Austausch.“ Fiedler ist Chief Technology Officer (CTO) bei Artflakes.com und einer der vier Organisatoren des „Webmontags“.

In der mobilesuite, einem Co-Working-Space neben dem Suhrkamp-Gebäude in Berlin-Prenzlauer Berg, trifft sich die Start-up-Szene seit über einem Jahr an jedem zweiten Montag im Monat. Das Treffen geht zurück auf die re:publica-Mitbegründer Markus Beckedahl und Andreas Gebhard. Nun, am 60. Berliner Webmontag, erzählen sie von den Anfängen. Netzwerken, Ideen präsentieren, Feedback einholen, darum ging es damals wie heute.

SoundCloud und barcoo zum Beispiel waren da, bevor sie groß wurden, erinnert sich Gebhard. Und Anwesende der ersten Stunde erinnern sich daran, dass vor sechs Jahren zwei Typen eine Seite namens Studiverzeichnis.de vorstellten – und ausgelacht wurden. „Wie Facebook in rot, vergesst es!“, so lautete das damalige Feedback des Publikums.

Heute sprechen alle vom Feuer, von Synergieeffekten und davon, dass Berlin zu einer Standortmarke geworden ist. „Woanders bist Du fast schon verloren“, glaubt Fiedler, „wirklich, es brennt hier“. Diese Euphorie erweckt den Eindruck, das neue Silicon Valley liege am Alexanderplatz. Mit der Plattform Siliconallee.com hat der Hype auch schon einen angemessen albernen Namen.

(…)

Weiterlesen auf ZEIT Online: „Berlin euphorisiert die Gründerszene“

(erschienen bei: ZEIT Online, 13. Januar 2012)

Tee wie Teenager

Blubbert so bunt: Warum Bubble Tea das neue Kultgetränk unter Berliner Jugendlichen ist

Klassiker, aber kein Renner: Tapioka-Perlen für den Bubble Tea

Samstagmittag, Marburger Straße, Ecke Ku‘damm. Ein paar Mädchen stehen auf dem Bürgersteig vor einem Teeladen, mit Handys und Bechern in der Hand. Sie kichern. Und schlürfen. Die eine erzählt ihrer Freundin aufgeregt, sie habe ihm gerade eine SMS geschickt, dass sie wieder hier seien, „aah, er antwortet!“, kreischt sie auf und kichert weiter. Auch Vico und Anton aus Lichtenrade treffen sich hier. Shoppen, bummeln, Leute treffen. Zum Ku‘damm kommen die 13-jährigen Schüler schon länger, aber der Treffpunkt ist ein neuer: „BoboQ“, Berlins erster Bubble Tea Shop. Freunde haben ihnen vor ein paar Wochen davon erzählt. Vicco und Anton, bis dahin keine großen Teetrinker, probierten es aus, fanden es „für Tee extrem lecker“ und sind seit einem Monat jeden Samstag in dem Laden, der mit seinen quietschorangenen Couches und der weißen Theke wie eine Cocktailbar aussieht. Erfrischend findet Vico seinen kalten Mango Green Tea, den bestellt er immer, nur die platzenden Kugeln, die sogenannten Poppings, davon probiert er immer neue. Anton mag es umgekehrt und am liebsten mit Lychee. Warum sie hierher kommen? In Lichtenrade gibt es keinen Bubble Tea. Noch nicht.

„BoboQ“ ist laut eigener Aussage Berlins erster Bubble Tea Shop von mittlerweile über 20. Im Februar 2010 eröffnete Ming Lai den Laden, Idee und Rezept brachte er aus Taiwan mit. Dort wurde Bubble Tea in den Achtzigern erfunden. Damit die Kinder mehr Tee tranken, versetzten die Erwachsenen ihn mit Tapiokakugeln. Die werden aus der Mehlstärke der Maniokwurzel, einer Art Kartoffel des Ostens, gewonnen, mit Ahornsirup oder Karamell gekocht, schmecken süß und glitschig und sind deshalb ein Erlebnis. Zum US-Exportschlager wurde der Tee in den Neunzigern, als statt der geschmacksarmen Tapiokakugeln auch „popping bobas“ gereicht wurden, saftgefüllte Kugeln mit verschiedenen Geschmäckern, die im Mund platzen. Auch der schwarze oder grüne Tee kann mit Fruchtsäften variiert und statt mit Kugeln mit Kokosnussfleischstücken getrunken werden. In der Marburger Straße gehen täglich ungefähr 800 Becher des „Fun-Drinks aus Fernost“ (Selbstbeschreibung) über die Theke. „BoboQ“ hat innerhalb des letzten Jahres 13 Filialen in Berlin und neun weitere in anderen deutschen Städten eröffnet, weiter sollen folgen. Die Konkurrenz ließ nicht lange auf sich warten: „Babbel T“ oder „Buddha Bubble Tea“ heißen die Läden in Prenzlauer Berg und Charlottenburg, in der Rosenthaler Straße in Mitte macht im Oktober der Flagship Store von „Come Buy Bubble Tea“ auf, eine der größten Ketten Taiwans.

Warum der Trend über 20 Jahre brauchte, um Deutschland zu erreichen, weiß keiner. Auch nicht Tarkan Beyhaz. Aber er freut sich, noch einer der ersten zu sein, der das Geschäft mit Bubble Tea entdeckt hat. „Schneidest Du denn wenigstens noch gegenüber, Tarkan?“, fragt ihn ein ehemaliger Stammkunde, Beyhaz entschuldigt sich. 15 Jahre lang war er Friseur, hatte den Laden seines Vaters in der Oranienstraße in Kreuzberg übernommen. Bis er vor ein paar Monaten keinen Bock mehr auf Haare schneiden hatte. Aus dem Friseurgeschäft hat Beyhaz „Bubble O“ gemacht und verkauft dort seit Juni dieses Jahres Frozen Yoghurt und Bubble Tea. Die Zutaten bezieht er wie „BoboQ“ von Possmei, dem größten taiwanesischen Lieferanten, dessen deutscher Vertrieb auch von den „BoboQ“-Gründern geschmissen wird. Kinder sieht Beyhaz aber nicht als die Hauptzielgruppe. „Bubble Tea ist ein Lifestyle-Getränk für körperbewusste Menschen“, findet der 35-Jährige, Tee sei schließlich gesund, und in allen anderen Zutaten sei kaum Chemie drin. Nur Fructose, essbare Farbstoffe und pflanzliche Gelatine, wie er auch seinen muslimischen Kunden immer wieder erklärt. „Das ist wie Molekularküche“, sagt Beyhaz. Die Topseller hier sind Yoghurt mit Erdbeer und Passionsfrucht mit grünem Tee, sagen seine Angestellten.

War mal ein Friseursalon: "Bubble O" in der Kreuzberger Oranienstraße

Auch bei „BoboQ“ in der Marburger Straße gehen nicht nur Kids ein und aus. Marcel, Nadine und drei ihrer Freunde kommen aus Bonn, kannten von dort und aus dem Fernsehen schon Bubble Tea und suchten jetzt gezielt nach einem Laden während ihres Hauptstadtbesuchs. „Schmeckt wie Cocktails ohne Alkohol“, finden die 25-Jährigen, „mit Schuss, das würde boomen!“. Kalle und Malin aus Stockholm sind mit ihrer fünfmonatigen Tochter auf dem Weg zum KaDeWe zufällig vorbeigeschlendert. Von Bubble Tea hatten sie noch nie gehört, auf dieses Experiment ließen sie sich ein, so was hätten sie schließlich in ganz Schweden noch nicht gesehen. Sie probieren Peach Tea. Schmeckt das? „Gibt einen Energieschub und fühlt sich gesund an“, findet Kalle.

Am gesündesten ist wahrscheinlich noch die ungesüßteste und vergleichsweise geschmacksneutrale Variante mit Tapioka und Milchtee. Aber die mögen in Berlin bisher noch die Wenigsten, auch Vico und Anton nicht. Die anhaltende Beliebtheit des Bubble Teas kann das aber kaum bremsen, „BoboQ“ beschäftigt sogar einen Sicherheitsmitarbeiter, der vor dem Laden Wache schiebt. Grund: In Kombination mit den dicken Strohhalmen eignen sich die Poppings zum Ärgernis der Nachbarn auch ganz wunderbar als Spuckgeschosse.

(erschienen in: zitty, Oktober 2011)

Dieses Video ist in Deinem Land verfügbar

Das Prinzip Youtube ist erfolgreich. Das Internet kann aber mehr als wackelige Filmchen zu verbreiten, um sich berieseln zu lassen.

Als das ZDF den Datenschutzkrimi „Wer rettet Dina Foxx?“ ausstrahlte, sollten die Zuschauer ein kleines Stück Netzgeschichte erleben: Gesendet wurden nur 50 Minuten der Low-Budget-Produktion, seitdem kann jeder mithelfen, im Internet den Mord aufzuklären. Zur Verfügung stehen dazu 300 Minuten Videos, Chatrooms und Drittplattformen. Bislang beschränkte sich Interaktion in öffentlich-rechtlichen Programmen vor allem auf Telefon- oder Onlinevotings. Der SWR traute sich zumindest an ein trimediales Projekt namens Alpha 0.7, das Fernsehen, Radio und Internet verschmolz. Die erzählte Geschichte über futuristische Szenarien im Cyberspace war der von Dina Foxx ähnlich – interaktiv aber war sie nicht…

weiterlesen auf ZEIT Online: „Der Weg zur Interaktion ist noch lang“

(erschienen auf ZEIT.de am 20. April 2011)

Sich dem Absurden unterwerfen*

Melodie und Anarchie: Mit „DMD KIU LIDT“ liefert die nach Berlin ausgewanderte österreichische Band Ja, Panik eines der besten, nun ja, deutschsprachigen Alben der letzten Jahre ab. Vielleicht auch, weil ihnen das alles so egal ist.

Es ist ruhig an diesem sonnigen Frühlingsnachmittag in der Markthalle in Berlin-Kreuzberg. Andreas Spechtl hat mal gegenüber gelebt, als er aus Wien vor anderthalb Jahren herzog. Nebenan wohnt Christiane Rösinger, mit der er ihr aktuelles Soloalbum „Songs Of L. And Hate“ einspielte. Er sitzt da, um über seine aufstrebende Band Ja, Panik und erstmals über ihr viertes, komplett in Berlin entstandenes Album „DMD KIU LIDT“ zu sprechen. Es geht um Konstruktion und Destruktion, um Wegnehmen und Räume schaffen, um Erwartung und Versagung. „Nichts ist schlimmer als Selbsterklärung“, sagt Spechtl, während er genau das tut. Schließlich sei so eine Bandkarriere, mit der man zumindest sein Faulenzerleben finanzieren wolle, gepflastert mit Kompromissen; man müsse also ein bisschen darüber reden, wenn man Platten verkaufen will. Und Spechtl will das, „da brauchen wir uns nichts vormachen“.

Andreas Spechtl (2. v.l.) und seine Jungs. Fotos müssen eben sein.

Er, der Songschreiber, Sänger und Gitarrist von Ja, Panik und Bohéme einer gefallenen Indierock-Generation, ist im normalen Leben nicht der Dandy, den er auf seinen Tonträgern bisweilen mimt. Fuchtelt nicht mit den Händen, schleudert weder Parolen noch Gläser gegen die Wand, sitzt da mit seinem Parka über Cardigan und Polohemd, rotem Halstuch und wuscheligem Kopf und sucht nach Worten. „Die Gruppe Ja, Panik hat sich noch nie hingesetzt und auf der Gitarre einfach einen Song gespielt. Bis jetzt“, sagt er und nippt verstohlen an seiner Apfelschorle. „Und dann fragten wir uns: Wie können wir das wieder zerstören?“ Bei Ja, Panik sei alles immer so wild und aufbrausend gewesen, dem wollten Spechtl, Sebastian Janata (Schlagzeug, Gesang), Stefan Pabst (Bass, Gesang), Christian Treppo (Klavier, Gesang) und Thomas Schleicher (Gitarre) radikal entgegenwirken. „Es ist gewissermaßen die entspannteste und reduzierteste unserer Platten“, sagt Spechtl weiter. Vor allem aber ist „DMD KIU LIDT“ eine Platte, die mit ihrem ausgelassenen Situationismus, ihrem dadaistischen Gestus, ihrer Referentialität und ihrer Reduktion bald zu einem der besten deutschsprachigen Popalben der letzten Jahre avancieren dürfte.

„Der Referenzen sind wir uns zwar bewusst. Dieser ganze Zitatwahnsinn, der uns immer arg auf die Fahnen geschrieben wurde, hat aber abgenommen“, relativiert Spechtl, bleibt im Ungefähren und lässt ein bisschen vom mangelnden Selbstbewusstsein durchscheinen, das angeblich alle österreichischen Bands teilen, bevor sie international Erfolge feiern. „Wir haben uns wieder fremder Ideen bemächtigt, die aber viel vager bearbeitet. Früher ist es ja praktisch bis zum Plagiat gegangen.“ Der sperrige Titel bedeutet in voller Länge übrigens „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“, was Spechtl selbst aber nicht verrät. „Das wird sich noch von selbst erklären“, prophezeit er und will es dabei belassen. Das Gute daran: Ja, Panik funktionieren trotz aller eventuellen Verkopftheit seit jeher genau über dieses Gefühl von Erkenntnis. Auch wenn man von dem, was Spechtl sich da als Flaneur zwischen den Sprachen und aus Impressionsfetzen von Walter Benjamin über Bryan Ferry bis Bob Dylan („Klar bin ich Fan von Roxy Music“) so zusammenreimt, nichts versteht, versteht man dank seines Habitus doch alles. Wo „The Taste and The Money“ (2007) von der SPEX zum wichtigsten deutschsprachigen Album seit Blumfelds „L’Etat Et Moi“ gekürt wurde und der Nachfolger „The Angst And The Money“ (2009) sich noch an der finalen Destruktion von Indierock versuchte und dabei Hits wie „Alles Hin, Hin, Hin“ oder „Pardon“ abwarf, schmeißt „DMD KIU LIDT“, für dessen Aufnahme Ja, Panik dem Rockproduzenten Moses Schneider „Wummsverbot“ erteilten, nun sämtliche Altlast über Bord – und baut sich aus Versatzstücken und einem Entertainer, dessen gesangliches Spektrum die Qualitäten von zum Beispiel Mick Jagger, Dirk Von Lowtzow, Pete Doherty oder Robert Smith nur beiläufig vereint, ein Denkmal seiner eigenen Sozialisation. Von der Hand weisen will Spechtl all das nicht, „am Ende kann ich eh mit allem leben“. Aber auch nicht ausführen oder gar bestätigen. Weil ja nichts schlimmer als Selbsterklärung ist.

* Zitat aus dem Song „Time Is On My Side“ von Ja, Panik. Ihr viertes Album „DMD KIU LIDT“ erscheint am 15. April bei Staatsakt.

(erschienen in: OPAK #8, 24.März 2011)

Ein Indiana im Frühstücksfernsehen

Vom Abendprogramm ins Frühstücksfernsehen: Für die mediensatirische Liebeskomödie „Morning Glory“ wechselt Hollywoodstar Harrison Ford das Fach. Im Interview erklären er, Hauptdarstellerin Rachel McAdams und Regisseur Roger Michell den Spaß daran.

Popcornkino: Patrick Wilson, Rachel McAdams und Harrison Ford bei der Premiere in New York
Als Harrison Ford, der den Einspielergebnissen seiner 33 Filme zufolge einer der reichsten Schauspieler der Welt sein dürfte, am vergangenen Wochenende zu Werbezwecken in Deutschland war, hätte man schon ahnen können: „Morning Glory“, die neue Komödie von „Notting Hill“-Regisseur Roger Michell, kann jede PR gebrauchen. Zum vierten Mal in seinem Leben war Weltstar Ford in Berlin, und jedes Mal geht es „vom Flughafen ins Hotel, von Termin zu Termin, zurück ins Hotel und wieder in den Flieger“, wie der 68-Jährige im Interview-Marathon im Ritz Carlton mit professioneller Bedacht (oder Langeweile?) berichtet. Zum Reichstag hatte er es noch geschafft, an Seite von Berlinale-Chef Dieter Kosslick, beim Frühstücksfernsehen war er auch. Eine Art außerordentlicher Pflichttermin, schließlich geht es im mit alten und kommenden Stars besetzten „Morning Glory“ um genau dieses Sujet. Ums Frühstücksfernsehen.

Erfolg vs. Liebe, Unterhaltung vs. Information

Die Lokalsender-Produzentin Becky Fuller (Rachel McAdams) kann ihr Glück kaum glauben: Nach ihrem überraschendem Rausschmiss bekommt sie einen neuen Job bei „Daybreak“, der Morning Show im New Yorker Sender IBS. Was sie nicht ahnt: Programmchef Jerry Barnes (Jeff Goldblum) hat die Aufgabe, den heruntergewirtschafteten Laden zu schließen. Will sie ihren Job und ihr Gesicht bewahren, muss die scheinbar überforderte Becky also alles tun, um die Einschaltquoten innerhalb weniger Wochen in die Höhe zu treiben. Sie kündigt dem neurotischen Anchorman und versucht fortan alles Erdenkliche, ihren alten Helden Mike Pomeroy (Harrison Ford), den grimmigen Dinosaurier des Senders, für den Job zu gewinnen – der als erfahrener Nachrichtenjournalist von der Idee genauso wenig begeistert ist wie die nicht minder narzisstische Co-Moderatorin Colleen Peck (Diane Keaton). Und nebenbei trifft die naive wie süße Becky, natürlich, einen äußerst smarten jungen Mann aus der Nachbarabteilung (Patrick Wilson). Das Chaos der Leidenschaften kann beginnen.

„Ob Becky wegen ihrer Unwiderstehlichkeit oder wegen ihrer fachlichen Kompetenz am Ende Erfolg hat? Gute Frage“, findet Rachel McAdams, deren eigene Karriere nach frühen Teenie-Komödien über „Wie ein einziger Tag“ und „Sherlock Holmes“ nun steil nach oben geht und die privat auf greenissexy.org über Dildo-Recycling und andere ökologische Spielereien bloggt. „Mit Honig fängt man mehr Fliegen“, sagt sie schließlich und lächelt ihr unwiderstehlichstes Lächeln. Und ob Erfolg die Liebe nach sich zieht? „Schön wär’s!“.

„Morning Glory“, mit der 32-jährigen McAdams in ihrer ersten großen Hauptrolle, arbeitet sich oft unterhaltsam an den großen und kleinen Fragen der Medienbranche im Besonderen und des Berufsleben im Allgemeinen ab: Liebe oder Erfolg? Unterhaltung oder Information? Für eine Mediensatire sind die Seitenhiebe nicht bissig genug, für eine romantische Liebeskomödie ist der Cast eigentlich zu stark: Harrison Ford glänzt zwar als misanthroper Journalisten-Opa, der plötzlich vor der Kamera Omelett brutzelt und auch privat nach dem Aufstehen zuerst den Fernseher einschaltet, bleibt aber drehbuchgemäß unter seinen Möglichkeiten.

Vom Anchorman zum Frühstückskasper: Mike Pomeroy (Harrison Ford)

Ford macht den Pomeroy

„Mag ja sein, dass ich zu den erfolgreichsten Schauspielern gehöre“, räuspert sich Ford, „aber ich nehme Erfolg oder Misserfolg nicht persönlich. Ich mag einfach meinen Job.“ Glück habe er natürlich auch gehabt, weil er in den Heydays der Industrie zum Film kam, wie er sagt. Nach seinem Durchbruch als Han Solo in „Star Wars“ und seiner Paraderolle als „Indiana Jones“ glänzte Ford vor allem in Politthrillern wie „Air Force One“ oder „Das Kartell“. Mit „Morning Glory“ wechselt er nun ins seichtere Fach – ganz wie seine Rolle Mike Pomeroy. Das von Aline Brosh McKenna („Der Teufel trägt Prada“) geschriebene Drehbuch mochte er besonders, er war als erster an Bord. Mit Regisseur Roger Michell („Notting Hill“) und dem Rest des Cast besuchte er Frühstücksfernseh-Redaktionen, die in Wahrheit ja noch viel chaotischer seien als im Film porträtiert. Und Michell selbst, der gerne absurde Hintergründe beobachtet und porträtiert, wusste mit seinem britischem Humor im letzten der drei Gruppen-Interviews die Geschichte und Zukunft von „Morning Glory“ und seiner Schauspieler-Wunschliste wie folgt auf den Punkt zu bringen: „Harrison war von Anfang an scharf darauf, mit zu machen. Rachel ist klinisch entscheidungsunfreudig, bei Ihr dauerte es länger. Patrick ist das eigentliche Mädchen im Film, und die einzige wirkliche Panne bei den Dreharbeiten war der Sturz auf den Hinterkopf von Diane beim Sumo-Ringen – am zweiten Dreh-Tag! Und wie ich für mich entscheide, ob ‚Morning Glory’ ein erfolgreicher Film ist oder nicht? Gute Frage“, sagt er und zögert das erste Mal kurz. „Fragen Sie mich in drei Jahren nochmal. Wenn ich mir meine Filme mit solchem Abstand angucke und mich nicht in Grund und Boden schäme, dann habe ich schon viel gewonnen!“

Frühstückskomödie:

„Morning Glory“ (USA, 2010)
Regie: Roger Michell
Drehbuch: Aline Brosh McKenna
mit: Harrison Ford, Diane Keaton, Rachel McAdams, Jeff Goldblum, Patrick Wilson u.a.

Kinostart: 13. Januar 2011

www.morninggloryfilm.de

(erschienen auf: BRASH.de, 13. Januar 2011)

Reise nach Jerusalem

Im September war ich zwölf Tage in Israel und Palästina unterwegs. Hier – statt kilometerlanger Reiseberichte (langweilig) oder politischer oder gar religiöser Kommentare (schwierig) – ein kleiner Auszug der Erfahrungen, die mich am nachhaltigsten beeindruckt haben.

  • Ich habe das noch nicht nachgeprüft, bin mir aber sicher, dass der Staat Israel Familiengründung attraktiv fördert. In Tel Aviv, der dank ihrer Bauhaus-Architektur einst so „Weißen Stadt“, sieht man mehr Kinderwagen als in Prenzlauer Berg; auf der Einkaufsmeile Rehov Dizengoff mehr Brautkleidgeschäfte als am Kottbusser Damm Dönerläden. Und als nächsten Schritt sagten sich Staat und Familien offenbar: jedem Kind sein Hündchen (vielleicht war aber auch alles umgekehrt).
  • Es gewinnt eine ganz andere Bedeutung, im Lonely Planet-Reiseführer „Israel & Palästina“ Hundehaufen munter als Tretminen zu bezeichnen.
  • An Feiertagen haben so gut wie alle Geschäfte geschlossen – eine echte Bewährungsprobe für den Späti-verwöhnten Berliner. Ein Feiertag fängt zum Sonnenuntergang des Vortages an und endet mit dem nächsten Sonnenuntergang. Und es gibt viele Feiertage im jüdischen Kalender.
  • Morgens ein Mord durch einen israelischen Soldaten, nachmittags die Antwort der Palästinenser: Ausschreitungen in Ost-Jerusalem (Zoom durch Klick)

    Suleiman der Prächtige ließ im 16. Jahrhundert die beiden Architekten köpfen, die er mit dem Bau der Mauer um die heutige Altstadt von Jerusalem beauftragt hatte. Grund: Sie hatten den Mt. Zion vor den Toren vergessen. Weil der Rest ihrer Arbeit aber eigentlich ganz okay war, ließ Suleiman die beiden innerhalb der Altstadt begraben. Das schaffte vor ihnen nur Jesus selbst – wenn überhaupt, versteht sich. Und nach ihnen niemand mehr.*

  • Nach dem Sechs-Tage-Krieg kostete ein Grundstück im heutigen Neu-Jerusalemer Stadtteil Mamilla einen symbolischen Dollar. Jetzt, rund 50 Jahre später, gehört das Viertel zu den teuersten Gegenden der Stadt.*
  • Vom Ölberg aus hat man einen erschreckend guten Blick auf den Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan, wie wir dank brennender Autos und Schüssen aus Tränengaspistolen feststellen mussten.
  • Die "Segregation Wall" auf palästinensischer Seite. Anliegende Imbissbuden malen gerne ihre Speisekarten darauf (r.).
  • Wer von Jerusalem aus ins sechs Kilometer entfernte Betlehem möchte, muss einen Grenzposten der entstehenden „Segregation Wall“ (palästinensischer Name) bzw. des „Security Fence“ (israelischer Name) passieren. Selbst wenn der einzige Wachmann dort schläft, strahlen Türen mit der Aufschrift „further investigation room“ nicht gerade Entspannung aus. So geht es weiter: Die wartenden Taxifahrer auf der palästinensischen Seite dieser Mauer versuchen sich nicht nur gerne als Hobbyreiseführer, sie haben auch eine sehr große Familie, denen unbedingt Souvenire abgekauft werden sollen. Beim Feilschen um die Fahrpreise hört ihre vermeintliche Nächstenliebe aber auf – und schlägt in pure Wut um, wenn die Nächstenliebe des gemeinen Touristen auch an ihre Grenzen kommt.
  • Meine Freundin ist 300 Kamele wert und in „a very good condition“.
  • Es gibt in ganz Israel und Palästina keine einzige Starbucks-Filiale, dafür ein Café in Betlehem mit dem Namen „Stars + Bucks“ und grün-weißem Schriftzug.
  • Es gibt eine arabische Version von Nicoles „Ein bisschen Frieden“.
  • Cat Stevens wurde, nachdem er zum Islam konvertierte und sich fortan Yusuf Islam nannte, der Eintritt in den Felsendom auf dem Tempelberg in Alt-Jerusalem verwehrt, weil er die ersten Sätze des Salat nicht auswendig konnte.* Einen lahmen „Father & Son“-Witz verkneife ich mir an dieser Stelle.
Die Klagemauer am Tempelberg. Es dürfen auch schriftliche Botschaften hinterlassen werden - neuerdings sogar per E-Mail.
  • Wenn Alt-Jerusalem die Welt in einer Nussschale ist, dann ist Jesus‘ Grabeskirche das Christentum in einer Nussschale. Der Status quo, also die millimetergenaue Aufteilung, welcher Altar, Aufgang, welche Kuppel oder welche Leiter nun in das Hoheitsgebiet von Armeniern, Griechisch-Orthodoxen oder Römisch-Katholischen gehört, macht auch vor der Notdurft nicht Halt: 1999 wurde beschlossen, dass an einen öffentlichen Ort wie die Grabeskirche auch öffentliche Toiletten hingehören. Und schon elf Jahre später, irgendwann in diesem Sommer, waren zwölf Toiletten fertig – mit für jede Konfession jeweils eigenen Putzkräften, Reinigungsmitteln und Abflüssen.*
  • Arabische Souvenirhändler in Jerusalem sprechen teilweise absurd gutes Deutsch: „Ich bin kein Berliner!“ „Alter Fuchs!“ „Auf Wiedersehen!“ („Ich war mal in München!“)
  • -417 Meter unter Null und sinkend: Der Mineral Beach am Toten Meer oder was davon übrig ist. (Zoom durch Klick)

    Im Islam und Christentum offenbaren sich frappierende Ähnlichkeiten in den Himmelfahrts- und Fußabdruckgeschichten von Jesus und Mohammed. Und nicht nur da. Man möchte sich manchmal fragen, wer in seiner Geschichtsbildung vom wem abgeschrieben hat. Aber das fragt man sich natürlich nicht laut.

  • Das Tote Meer stirbt tatsächlich. Pro Jahr geht der Wasserspiegel um über einen Meter zurück, in den letzten 25 Jahren schrumpfte die Oberfläche um ein Drittel. Grund: Mangelnde Wasserzufuhr, weil der Jordan (über den ich eigentlich einmal gehen wollte) für Trinkwasser und Landwirtschaft angezapft wird. Doch das Tote Meer rächt sich, wie sich die Natur sonst nur in gruseligen Fantasyfilmen rächt: Augenzeugen berichten, dass Schlucklöcher, die angeblich durch den Zufluss von süßem Grundwasser in den trockenen Salzgrund entstehen (oder so), plötzlich Bäume, komplette Straßenstücke und Menschen metertief unter der Erde verschwinden ließen.

Israel alleine ist laut Vergleich des Lonely Planet kleiner als Mecklenburg-Vorpommern. Bis zum See Genezareth haben wir es trotzdem nicht geschafft. Dieser Jesus ist einfach zu viel rumgekommen.

Ich muss da unbedingt wieder hin.

Ein Fall für Monty Python: In Tel Aviv sind sie offenbar säkularisierter unterwegs als in Jerusalem. Noch.

*Quelle: New Jerusalem Tours