Reise nach Jerusalem

Im September war ich zwölf Tage in Israel und Palästina unterwegs. Hier – statt kilometerlanger Reiseberichte (langweilig) oder politischer oder gar religiöser Kommentare (schwierig) – ein kleiner Auszug der Erfahrungen, die mich am nachhaltigsten beeindruckt haben.

  • Ich habe das noch nicht nachgeprüft, bin mir aber sicher, dass der Staat Israel Familiengründung attraktiv fördert. In Tel Aviv, der dank ihrer Bauhaus-Architektur einst so „Weißen Stadt“, sieht man mehr Kinderwagen als in Prenzlauer Berg; auf der Einkaufsmeile Rehov Dizengoff mehr Brautkleidgeschäfte als am Kottbusser Damm Dönerläden. Und als nächsten Schritt sagten sich Staat und Familien offenbar: jedem Kind sein Hündchen (vielleicht war aber auch alles umgekehrt).
  • Es gewinnt eine ganz andere Bedeutung, im Lonely Planet-Reiseführer „Israel & Palästina“ Hundehaufen munter als Tretminen zu bezeichnen.
  • An Feiertagen haben so gut wie alle Geschäfte geschlossen – eine echte Bewährungsprobe für den Späti-verwöhnten Berliner. Ein Feiertag fängt zum Sonnenuntergang des Vortages an und endet mit dem nächsten Sonnenuntergang. Und es gibt viele Feiertage im jüdischen Kalender.
  • Morgens ein Mord durch einen israelischen Soldaten, nachmittags die Antwort der Palästinenser: Ausschreitungen in Ost-Jerusalem (Zoom durch Klick)

    Suleiman der Prächtige ließ im 16. Jahrhundert die beiden Architekten köpfen, die er mit dem Bau der Mauer um die heutige Altstadt von Jerusalem beauftragt hatte. Grund: Sie hatten den Mt. Zion vor den Toren vergessen. Weil der Rest ihrer Arbeit aber eigentlich ganz okay war, ließ Suleiman die beiden innerhalb der Altstadt begraben. Das schaffte vor ihnen nur Jesus selbst – wenn überhaupt, versteht sich. Und nach ihnen niemand mehr.*

  • Nach dem Sechs-Tage-Krieg kostete ein Grundstück im heutigen Neu-Jerusalemer Stadtteil Mamilla einen symbolischen Dollar. Jetzt, rund 50 Jahre später, gehört das Viertel zu den teuersten Gegenden der Stadt.*
  • Vom Ölberg aus hat man einen erschreckend guten Blick auf den Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan, wie wir dank brennender Autos und Schüssen aus Tränengaspistolen feststellen mussten.
  • Die "Segregation Wall" auf palästinensischer Seite. Anliegende Imbissbuden malen gerne ihre Speisekarten darauf (r.).
  • Wer von Jerusalem aus ins sechs Kilometer entfernte Betlehem möchte, muss einen Grenzposten der entstehenden „Segregation Wall“ (palästinensischer Name) bzw. des „Security Fence“ (israelischer Name) passieren. Selbst wenn der einzige Wachmann dort schläft, strahlen Türen mit der Aufschrift „further investigation room“ nicht gerade Entspannung aus. So geht es weiter: Die wartenden Taxifahrer auf der palästinensischen Seite dieser Mauer versuchen sich nicht nur gerne als Hobbyreiseführer, sie haben auch eine sehr große Familie, denen unbedingt Souvenire abgekauft werden sollen. Beim Feilschen um die Fahrpreise hört ihre vermeintliche Nächstenliebe aber auf – und schlägt in pure Wut um, wenn die Nächstenliebe des gemeinen Touristen auch an ihre Grenzen kommt.
  • Meine Freundin ist 300 Kamele wert und in „a very good condition“.
  • Es gibt in ganz Israel und Palästina keine einzige Starbucks-Filiale, dafür ein Café in Betlehem mit dem Namen „Stars + Bucks“ und grün-weißem Schriftzug.
  • Es gibt eine arabische Version von Nicoles „Ein bisschen Frieden“.
  • Cat Stevens wurde, nachdem er zum Islam konvertierte und sich fortan Yusuf Islam nannte, der Eintritt in den Felsendom auf dem Tempelberg in Alt-Jerusalem verwehrt, weil er die ersten Sätze des Salat nicht auswendig konnte.* Einen lahmen „Father & Son“-Witz verkneife ich mir an dieser Stelle.
Die Klagemauer am Tempelberg. Es dürfen auch schriftliche Botschaften hinterlassen werden - neuerdings sogar per E-Mail.
  • Wenn Alt-Jerusalem die Welt in einer Nussschale ist, dann ist Jesus‘ Grabeskirche das Christentum in einer Nussschale. Der Status quo, also die millimetergenaue Aufteilung, welcher Altar, Aufgang, welche Kuppel oder welche Leiter nun in das Hoheitsgebiet von Armeniern, Griechisch-Orthodoxen oder Römisch-Katholischen gehört, macht auch vor der Notdurft nicht Halt: 1999 wurde beschlossen, dass an einen öffentlichen Ort wie die Grabeskirche auch öffentliche Toiletten hingehören. Und schon elf Jahre später, irgendwann in diesem Sommer, waren zwölf Toiletten fertig – mit für jede Konfession jeweils eigenen Putzkräften, Reinigungsmitteln und Abflüssen.*
  • Arabische Souvenirhändler in Jerusalem sprechen teilweise absurd gutes Deutsch: „Ich bin kein Berliner!“ „Alter Fuchs!“ „Auf Wiedersehen!“ („Ich war mal in München!“)
  • -417 Meter unter Null und sinkend: Der Mineral Beach am Toten Meer oder was davon übrig ist. (Zoom durch Klick)

    Im Islam und Christentum offenbaren sich frappierende Ähnlichkeiten in den Himmelfahrts- und Fußabdruckgeschichten von Jesus und Mohammed. Und nicht nur da. Man möchte sich manchmal fragen, wer in seiner Geschichtsbildung vom wem abgeschrieben hat. Aber das fragt man sich natürlich nicht laut.

  • Das Tote Meer stirbt tatsächlich. Pro Jahr geht der Wasserspiegel um über einen Meter zurück, in den letzten 25 Jahren schrumpfte die Oberfläche um ein Drittel. Grund: Mangelnde Wasserzufuhr, weil der Jordan (über den ich eigentlich einmal gehen wollte) für Trinkwasser und Landwirtschaft angezapft wird. Doch das Tote Meer rächt sich, wie sich die Natur sonst nur in gruseligen Fantasyfilmen rächt: Augenzeugen berichten, dass Schlucklöcher, die angeblich durch den Zufluss von süßem Grundwasser in den trockenen Salzgrund entstehen (oder so), plötzlich Bäume, komplette Straßenstücke und Menschen metertief unter der Erde verschwinden ließen.

Israel alleine ist laut Vergleich des Lonely Planet kleiner als Mecklenburg-Vorpommern. Bis zum See Genezareth haben wir es trotzdem nicht geschafft. Dieser Jesus ist einfach zu viel rumgekommen.

Ich muss da unbedingt wieder hin.

Ein Fall für Monty Python: In Tel Aviv sind sie offenbar säkularisierter unterwegs als in Jerusalem. Noch.

*Quelle: New Jerusalem Tours


2 Kommentare

  1. […] trotz Verspätung sicher hinbringen sollte und die wir, meine Frau und ich, durch eine vorherige Reise nach Israel schon kannten. Wir wussten also, dass es eine entspannte Woche werden dürfte. Auch, wenn man das mit Israel […]

  2. […] großen Cat Stevens denke, fallen mir zuerst zwei Szenen ein. Die eine ist erst ein paar Jahre alt. Wir besuchten damals die Altstadt von Jerusalem, und am Tempelberg erzählte uns der Reiseführer die Anekdote, dass sie Yusuf Islam, wie Stevens […]

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