„Kauflandcenter Leipzig-Reudnitz, vormittags. Es ist Freitag, ein gewöhnlicher Schultag. In der Eingangshalle, zwischen Lottoannahmestelle, Schuhcenter und Handyshop: Senioren und Passanten mit Einkaufstüten. Warten und gucken, kein Drängeln. Ein rosafarbenes Banner verrät: „Franziska live on tour.“ Vor einem Bühnenpodest sitzt Franziska Katzmarek an einem Tisch. Sie ist 15, die einzige Jugendliche hier. Sie lacht, schreibt Autogramme. Aus zwei Lautsprecherboxen tönt „Sommergefühl“, der Song, mit dem Franziska vor einem Jahr die Schlagermusiksendung „immer wieder sonntags“ gewonnen hat, zwölf Mal in Folge. Tausende rufen für Franziska an, wählen sie zur „Sommerhitkönigin“. Seitdem geht ihre Gesangskarriere vor.“ (mehr…)
Das war Franziska vor zwei Jahren. Für eine Reportage für das Deutschlandradio Kultur und meine Abschlussarbeit an der Uni habe ich das Mädchen auf einer ihrer Promo-Tourneen begleitet. Es war eine Erfahrung, die ich trotz Kirmes- und Scheunenfetenvergangenheit nur im Ungefähren vorher so erwartet hatte.
Franziska will keine eigenen Songs schreiben. Sie sieht sich als Interpretin, wie Helene Fischer, Freundin von Florian Silbereisen und ihr großes Vorbild. Ein Angebot von Dieter Bohlen, sagt sie, hat sie abgelehnt, weil sie lieber deutsch singen will. Die Sprache verstehen ihre Fans. Die Fans, klar, die meisten sind älter, aber alle sind sehr nett, sagt sie. Die Freunde beschweren sich schon manchmal, dass Franzi so selten daheim ist. Mit Vater Olaf startete sie ihre Karriere, stand mit ihm als „Franzi und Wolfgang“, so sein Künstlername, auf der Bühne. Bis Olaf Katzmarek, pünktlich zu Beginn ihrer Pubertät, einsah, dass sich seine Tochter alleine besser vermarkten lässt. Jetzt ist er ihr Manager und fährt sie durch die Republik beziehungsweise ihren ehemaligen Osten. Da kommt Franzi her, da ist sie am beliebtesten.
Diese Popschlager-Mühle, in die Franziska und ihr Vater da vorgestoßen sind und nirgendwo anders hinwollten, ist herrlich anachronistisch. Da geht es noch um Maxi-CD-Verkäufe, um Hitparaden, um Radioshows. Franziskas Zielgruppe ist überwiegend gerade noch so jung, dass sie einen CD-Player bedienen kann, aber vor allem auch so alt, dass sie Downloads kaum noch für sich entdecken wird. Oder schlichtweg so treu, dass ihr Alter nicht mal eine Rolle spielt. Eigentlich befindet sich Franziska und die ganze Schlagerbranche also da, wo die Musikindustrie selbst gerne noch wäre: in einer Zeit, in der man dem Publikum noch vorsetzen kann, was es gut zu finden hat. In der es konsumiert und vergisst. In der aus Scheisse noch regelmäßig Gold gemacht wird. Hach, die goldenen Neunziger (wenn es nur die wären)!
Im Vorfeld meiner kleinen Tour mit Franziska aber sind auch andere denkwürdige Dinge passiert: Nach bereits erfolgter Akkreditierung für „Das große ZDF-Sommer-Open-Air mit Marianne und Michael“ in der Berliner Wuhlheide lud mich das ZDF wieder aus. Ich sei bei dieser Veranstaltung „nicht erwünscht“, weil ich eine Person zu viel gefragt hatte, ob ich eventuell doch O-Töne im Backstagebereich nehmen dürfte. Dürfte ich nicht – und bin natürlich trotzdem hingefahren. Und was soll ich sagen? Ich habe mich selten so außergewöhnlich amüsiert wie an jenem Abend, an dem mir zwei Jungs in meinem Alter eine übrige Karte verkauften und wir gemeinsam zu den Flippers, Bernhard Brink, Achim Petry und DJ Ötzi die bekannten Zeilen erst mitsummten, später fast grölten. Ich habe mich geschämt für mich – und dann habe ich verstanden, warum diese Musik funktioniert. Ich habe mit Leuten gesprochen, die keine 20 sind und dem altbackenden Charme dieser so aalglatten Illusion von Geselligkeit nicht mal wiederstehen wollen. Sie sind Fans. Der Höhepunkt dieser „Live“-Aufzeichnung war ein natürlich vollkommen unkalkuliertes „Ein Stern“, das Nic P, Francine Jordi und Patrick Lindner für Marianne und Michael, als Dank für ihr Lebenswerk, zum Besten gaben. Und das ging so.
Franziska ist dort nicht aufgetreten. Ihren Höhepunkt des Ruhms hatte sie vermutlich, als sie die Zuschauer von Stefan Mross‘ Sendung „immer wieder sonntags“ einen Sommer lang im Sturm nahm. Das hier war der Song, und ich bin immer wieder mit einer Mischung aus Respekt und Unverständnis begeistert, wie verschieden Lebensentwürfe aussehen können. Franziska hat die Schule noch nicht wieder aufgenommen. Dafür ihr zweites Album „Erzähl mir von der Zärtlichkeit“.