Startseite » Usher twittert fremd

Usher twittert fremd

Die Bild-Zeitung kauft laut eigenen Angaben ja kein Mensch. Wenn einer weiß, was heute oder neulich in Deutschlands größtem Boulevardblatt steht oder stand, dann hat er es zufällig aufgeschnappt, im Vorbeigehen am Kiosk gesehen, auf BILDBlog gelesen oder bei Twitter re-tweeted. Die rückläufigen Verkaufszahlen, die Chefredakteur Kai Diekmann dank dem Trend entgegengesetzter Reichweitensteigerung natürlich zu seinem Vorteil auszulegen wusste, scheinen das nachhaltig zu belegen. Ein Blick in die Warterunde an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen um 6:20 Uhr am Flughafen Tegel aber offenbart ein anderes Bild: Trotz des reichhaltigen Angebots an qualitätsjournalistischen Gratis-Produkten von Tagesspiegel bis Süddeutsche Zeitung blättern zwei Drittel der wartenden Geschäftsreisenden durch die Bild-Zeitung. „Kenne Deinen Feind“, wie sie sicherlich auf Nachfrage erklären oder auf die angeschlagene Aufmerksamkeitspanne um diese Uhrzeit hinweisen würden. Will sagen: Dank des heutigen Knaller-Aufmachers (Udo Lindenberg: „So wurde ich zum Rockstar – Nie nüchtern, immer mit Hut, um DDR kümmern“) habe auch ich beherzt zugegriffen.

Auch wenn Reizthemen wie (bitte füllen Sie aus) zu einer populistischen und um Qualitätsjournalismus bemühten Blattkritik animierten – als ich die Zeitung so durchblättere, bleibe ich besonders auf zwei Seiten hängen: Auf Seite 4 stellt „Deutschlands berühmteste Internet-Mode-Expertin“ ihre Fashiontipps für 2011 vor. Jessica Weiß, Bloggerin bei LesMads.de, frischgebackene Buchautorin („Modestrecke“) – und eine sehr geschätzte Bürokollegin von mir. Die Themensetzung jedenfalls zeigt: Man kann schon jetzt nicht mehr über die offenkundige Online-Kompetenz der Bild-Kollegen hinwegsehen, die am gestrigen Neujahrsempfang der ungleich seriöseren Verlagsschwester Berliner Morgenpost stolz (Bild und Familie berichteten auf zwei Seiten) die neuen iPhone- und iPad-Apps des Hauses vorstellten.

Und dann das. Auf der letzten Seite, die ich in Wahrheit natürlich zuerst gelesen angeschaut habe, steht der R’n’B-Star Usher mit schicker Winterjacke vorm Berliner Hotel De Rome. Und was macht er in der Hauptstadt, wenn sein Konzert doch erst einen Tag darauf stattfinden wird? Richtig, er tippt auf seinem Smartphone herum. Bild weiß natürlich mehr: „Beim Kurznachrichtendienst Twitter.de schrieb er: ‚Berlin, seid ihr bereit?'“

Wer das als großer Fan gleich selbst überprüfen möchte, wird enttäuscht. Auf dem angeblichen Kurznachrichtendienst Twitter.de findet sich leider kein Statement von Usher, ja nicht einmal ein Hinweis auf den Superstar und seine digitale Existenz. Was nur vielleicht daran liegt, dass die Domain Twitter.de einer Firma namens Melbourne IT Digital Brand Services gehört, die ihren Service auch erklärt – „This Internet address is being managed by Melbourne IT DBS for one of the world’s top brands. At the present time there is no active Web Site for the address. It may be under construction, or the owner may have reserved the address for future needs.“ – und der vielleicht nur zufällig genauso heißende Kurznachrichtendienst Twitter auf .com endet und die deutsche Domain bislang offenbar nicht gekauft hat.

So ein Fehler kann freilich mal vorkommen. Die eigentliche Quelle stimmte ja ungefähr doch, und wahrscheinlich wissen Bild und seine unergründlichen Informanten in Wahrheit noch viel viel mehr. Woher sollten sie sonst wissen, dass William Baldwin mit seiner Ehefrau Telefonsex via Skype hat? BILDBlog, übernehmen Sie.

2 Gedanken zu „Usher twittert fremd

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


*

Zurück nach oben