Startseite » Vom richtigen Leben im falschen

Vom richtigen Leben im falschen

Eine zwiespältige Angelegenheit: BoySetsFire im Berliner Velodrom

„The evil that you feed improves economy for the rich that run your campaign“
(„Eviction Article“, 2003)

Eine richtige Punkrockband oder eine, die sich so schimpfen will, sollte mindestens einmal in ihrer Karriere Sell-Out-Vorwürfen trotzen müssen. Was sich zum Beispiel einstige Szenegrößen wie Bad Religion, The Offspring, Green Day, Rise Against oder Against Me! nicht alles anhören mussten, als sie von ihren Indie-Plattenfirmchen zu den bösen Majorlabels wechselten, Musikvideos für MTV drehten, für ihre T-Shirts ein paar Dollar mehr als nur die Druck- und Materialkosten verlangten oder mal einen Popsong schrieben! Die Cribs-Villa kann so schnell gar nicht angezahlt werden wie die Szenepolizei „Ausverkauf!“ ruft. Und nun? Machen sich endlich auch die stets das ungeschriebene Regelwerk des Hardcore* („Lebe enthaltsam! Biete jeder Form von Kapitalismus und anderen Ungerechtigkeiten die Stirn oder die Faust!“) befolgenden BoySetsFire aus Newark, Delaware, USA auf, in diese Klasse aufzusteigen: Ihr Reunion-Konzert nach vierjähriger Trennung spielten sie am Sonntagabend im Berliner Velodrom – im Rahmen der Telekom Extreme Playgrounds und flankiert von zahlreichen anderen Sponsoren.

Boysetsfire

„We were never a normal band. We never did the right things. We never looked cool. We did everything exactly the way we wanted. Trends weren’t important. Being hip wasn’t important“, erklärten Nathan Gray, Josh Latshaw, Matt Krupanski, Chad Istvan und Robert Ehrenbrand Anfang Oktober auf der Bandseite Boysetsfire.org und meinten damit eigentlich ihre halbwegs überraschende Wiedervereinigung. Es liest sich aber auch wie eine Erklärung der Umstände im Velodrom: Seit dem Erfolg von Action-Karawanen namens Vans Warped Tour, Eastpak Antidote Tour oder Red Bull-Events sind Punkrockbands, die ihrem Publikum entwachsen sind und während durchgesponserten BMX- und Skateboard-Wettbewerben aufspielen, eigentlich längst nicht weiter der Rede wert. Haben doch schließlich alle was von: Die Kids ihre Lieblingsbands, die Bands ihr Publikum, der Sponsor sein Image. Mit BoySetsFire aber steht dort eine Band auf der Bühne, der Haltung stets wichtiger als Hedonismus war. Eine, die aufbegehrte. 2010 sieht das so aus: Die Einlaufmusik ertönt, der Vorhang fällt, und während Sänger Nathan Gray in altbekannter Manier „Where’s your anger, where’s your fucking rage“ keift, wedeln Kids mit Justin Bieber-Frisuren und erwachsene Emos mit rosafarbenen aufblasbaren Händen des Hauptsponsors durch die Luft. Eine (Gegen-)Haltung, so scheint es, wird zum Freizeitvergnügen.

Der Musik selbst tat das indes kaum einen Abbruch: Gray, der, wie er selbst erkennt, sonst soviel zu sagen hat, ist sprachlos ob der Stimmung, die ihm aus dem Publikum entgegenschlägt. Damit habe er nicht gerechnet, nach über dreieinhalb Jahren Hiatus. Das ist natürlich nah an der Kokettiere, wie sie bei richtigen Rockstars zum Standardrepertoire gehört („Ihr seid die besten Fans von allen!“). Aber man glaubt es ihm. Am besten sind BoySetsFire ohnehin im Pathos, in auch live packenden Songs wie „Empire“, „Handful Of Redemption“ oder „My Life In The Knife Trade“. Immer dann also, wenn Melodie und Geste dominieren; wenn Wehmut die Wut übersteigt. Sie haben – zur Feier des Tages oder zur Zufriedenstellung der laut Veranstalterangaben hochgegriffenen 4000 zahlenden Zuschauer – sogar mit einer anderen eigenen Tradition gebrochen: sie kommen für eine Zugabe zurück auf die Bühne.

„So save your wishes for the sky, diluted and disguised, as a perfect fuel that won’t ignite – but hope will heal us all“ („Last Year’s Nest“, 2003)

Man darf so eine Reunion auch ungeachtet der Beweggründe überflüssig finden. Vielleicht aber haben die neuen alten BoySetsFire erkannt, wogegen sie all die Jahre ansangen: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. In ihrer Erklärung im Oktober hieß es schließlich auch weiter: „There were only two things that were important and sancrosanct; the friendship between the five members of this band, and people who we touched with our music. (…) I think we underestimated how much we would miss it. The communion, the intensity, the genuine outpouring of emotion- it just doesn’t exist for us without BoySetsFire.“ Auch das nämlich liest sich wie eine Erklärung der Umstände im Velodrom, weil neben all den Werbebannern und rosa Fingern auch eine andere Message eindeutig rüber kam: die, dass Boysetsfire tatsächlich wegen ihrer Musik sowie den alten und potentiellen neuen Fans da waren und der Zweck die Mittel, die Nebenschauplätze, heiligen mag. Welches Publikum wäre schließlich empfänglicher für Worte der Aufbegehrung als ein Haufen Skateboard fahrender Teenager, die im Erscheinungsjahr von BoySetsFires bestem Album „After The Eulogy“ (1999) gerade laufen konnten? Dafür nimmt eine Band, die aufbegehrte, offenbar gerne rosafarbene Hauptsponsoren und Sell-Out-Vorwürfe in Kauf – in der Hoffnung, dass da eine Subkultur nicht vom Mainstream vereinnahmt wird, sondern ihn sich zu eigen macht.

*Der Blogger Wash Echte schreibt in seinem Buch „Ich werde ein Berliner“: „Als Faustregel gilt: Je öfter Sie Leute darüber reden hören, wie freigeistig, laissez-faire und gesetzlos ihre Gruppe sei, desto härter geht es im dazugehörigen Regelwerk zu“. Und: „Um sich von der Menge abzuheben und wirklich alternativ zu werden, müssen Sie gewissen bindende Richtlinien befolgen, was Lifestyle, Mode, Ansichten und Einstellungen angeht.“ Er meint damit in erster Linie sogenannte Hipster, aber das gleiche lässt sich 1:1 auch auf Gabbaheads, Kleingärtner oder eben Hardcore-Aktivisten übertragen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


*

Zurück nach oben