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Kellerkarrieren aus einer Hand

Ein Co-Working-Space für Musiker: Wie die noisy Musicworld seit über zehn Jahren Berliner Bands und deren Bedürfnisse unter ein Dach bringt.

Keine Proberäume, kein Equipment, kein funktionierendes Netzwerk. Die Probleme, auf die Christian Rüsenberg im Jahre 2001 stieß, als er nach Berlin zog, waren die gleichen wie im Ruhrgebiet. Jobben wollte er hier, der Ex-Punk, Hobbymusiker und Konzertveranstalter, und lernte immer wieder Bands kennen, die ihn von den immer gleichen Schwierigkeiten erzählten. Bis ihn ein Freund anrief, er habe da ein paar Proberäume in einem Hinterhof-Keller in der Warschauer Straße, ob Rüsenberg die nicht verwalten wolle für 200 DM im Monat. Der sagte zu, renovierte im Alleingang, baute aus und hatte schon damals die Vision, dass mittellose Bands noch mehr Infrastruktur als bloß ein paar trockene Räume gebrauchen könnten.

Heute, fast zwölf Jahre später, ist noisy Musicworld das Unternehmen, das sein Chef immer schon so haben wollte. „Das hat sich nicht organisch entwickelt, ich bin das direkt strategisch angegangen“, sagt der heute 46-jährige Christian Rüsenberg in seinem kleinen Büroraum, unter dessen Decke sich iMac-Kartons, ausrangierte Synthesizer und palettenweise Dosen eines Energy-Drink-Sponsors stapeln. Im Grunde funktioniert noisy Rooms, das Herzstück des Geschäfts, so, wie heute jeder Co-Working-Space funktioniert: Bands mieten sich aus 20 Proberäumen ab drei Euro pro Stunde den für sie passenden, wahlweise auch mit Instrumenten, und zwischendurch treffen sie sich an der kleinen Kellerbar und kaufen Softdrinks oder Gitarrensaiten. Das Equipment, von Schlagzeug über Keyboards bis zu Verstärkern und Mikrofonen, bezieht Rüsenberg zu Vorzugspreisen von den Herstellern und verkauft es je nach ein paar Monaten Einsatz an seine Kundschaft. So garantiert er eine stets hochwertige Ausstattung zu niedrigen Preisen, Versicherung inklusive. Die Hauptzielgruppe sind schließlich die maximal semiprofessionellen Bands, die sich kein teures Zeug leisten können und sich keinen Mietvertrag ans Bein hängen wollen, und die bei konkurrierenden und teilweise noch eingesesseneren Proberaum-Komplexen wie In My Street in Schöneberg, im Rockhaus in Lichtenberg oder im Orwo-Haus in Marzahn nicht das finden, was sie suchen.

Früher, in den Anfangstagen, kamen die Musiker aus Friedrichshain und Umgebung, heute kommt etwa die Hälfte  – rund 500 Bands pro Woche von 11 – 24 Uhr – als Zugezogene aus Skandinavien und Spanien, zum Beispiel. Aber auch bekannte Namen gingen und gehen ein und aus. Campino, Bob Geldof und Peaches sangen schon für ein paar Stunden im hauseigenen Studio ein, Tocotronic, Jennifer Rostock und Wir Sind Helden auch. Kool Savas hat im Bühnenraum im ersten Stock seine Tour vorbereitet. Der einstige Tokio Hotel-Abklatsch Cinema Bizarre ist von Proberaum über Workshops und Tourbus bis zu Endorsement sogar „die ganze Wertschöpfungskette durch ein noisy-Act gewesen“, sagt Rüsenberg, während er durch die umgebauten Katakomben führt, „und Madrugada haben hier früher ihre Lines gezogen“. Die Geschichte seiner Firma erzählt parallel auch die des Wandels der Musikindustrie: Früher hat Rüsenberg nachts um 3 Uhr Anrufe bekommen, ob man denn spontan noch rein könnte für ein paar Stunden, er hat aufgeschlossen, sagt er. Heute wird in den noisy Rooms nicht mal mehr geraucht, man setzt auf ein cleanes, aber nicht zu steriles Image – und auf ein Rundumangebot.

Rund 40 Mitarbeiter beschäftigt die noisy Musicworld heute. Auf 1500 Quadratmetern und drei Stockwerken verteilen sich die Einheiten, die nach den Proberäumen kamen: noisy Academy, noisy Store, noisy Careers. Das Ladengeschäft hat Rüsenberg im Laufe der Jahre wieder verkleinert, „zuviel gebundenes Kapital“, in der Musikschule sind rund 390 Schülerinnen und Schüler für den traditionellen Musikunterricht (Gitarre, Bass, Drums, Gesang, Piano, DJing) angemeldet, die Aus- und Weiterbildung in Seminaren, Kursen und Workshops aus den Bereichen Musikbusiness, Musikwissen und Musikproduktion existiert seit September dieses Jahres, die Gastdozenten und Betreuer des Bandcoachings kommen aus der freien Wirtschaft, der Musikindustrie und der –szene selbst. Die Soft- und Hardware-Ausstattung – ein Klassenraum voller iMacs und Synthesizer etwa – existiert dank Unterstützung von Roland und Berliner Unternehmen wie Ableton und Native Instruments. Bloß staatlich anerkannt sind die Ausbildungen für Musiker nicht, davon habe man „Abstand genommen“ nach Ärger mit dem Senat, sagt Rüsenberg. Klar, noisy Rooms trage weiterhin das ganze Haus, sagt er weiter, aber die Community funktioniere. Die 200.000 DM, die ihm der befreundete Peter Ackermann von der Kreuzberger Kinderstiftung damals als Starthilfe lieh, hat er in der Zwischenzeit immerhin zurückzahlen können. Sein eigentliches Ziel hat er trotzdem nicht erreicht: „Bis 2013 wollte ich eigentlich Standorte in allen großen deutschen, vielleicht sogar europäischen Städten haben“, sagt Rüsenberg, der gelernte Tischler. Dass aber selbst funktionierende Geschäftsmodelle in der Musikbranche kaum noch Gewinn erwirtschaften, weiß er aus eigener Erfahrung: Nebenbei arbeitet er noch immer in einer Werbeagentur.

noisy Musicworld, Warschauer Str. 70a, Berlin-Friedrichshain, www.noisy-musicworld.com

(erschienen in der zitty im Frühjahr 2013)

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