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Ralf, Du darfst jetzt ein Mann sein

Nostalgie als Marketingkonzept: Warum die Neuauflage der „YPS“ kaum das halten kann, was sie verspricht

Diese verdammten Urzeitkrebse. Wasser zu kalt, Wasser zu warm, Futter zu wenig, Futter zu viel. Irgendwas war immer, das dieses Gimmick nie zu mehr als einem Gimmick wachsen ließ. Die Krebse, unterm Mikroskop schwammen sie tatsächlich, einmal, vielleicht einen Tag, damals, in meinem Kinderzimmer. Sie lagen der YPS, dem damals so cleveren Magazin für Jungs und ein paar Mädchen, bevor die sich für die Bravo und sich selbst interessierten, schließlich 21-mal in kleinen Tütchen bei, irgendwann musste das ja funktionieren. Und wenn nicht, dann züchtete ich eben Ostereierbäume, schlug das Abenteuer-Zelt, weil es nicht mehr als eine bedruckter Plastikschlauch war, neben meinem Bett auf, wies mich als YPS-Agent aus (siehe Foto) und testete all die anderen Gimmicks, die der YPS Woche für Woche so beilagen und das Heft zur Micky Maus meiner Generation machten. Bei Licht betrachtet waren die Gimmicks natürlich nichts als gut verpackter „Knoff Hoff“-Schrott, aber darum ging es nicht: Einmal schickte ich sogar ein Foto an die Redaktion, auf dem ich stolz vor meinen gesammelten Ausgaben posiere. Abgedruckt wurde das nie, die anderen Kinder waren mir schon in der Menge ihrer Hefte einfach voraus. Warum ich all das erzähle? Weil von heute an die YPS wieder am Kiosk liegt, und ich, glaubt man dem Verlag und meiner Kinderzeit, auch heute noch beziehungsweise wieder genau der Zielgruppe entspreche.

YPS-Agentenausweis
Eat this, Jack Bauer: Mein YPS-Agentenausweis, Ausstellungsjahr unbekannt

„Das Magazin richtet sich an die Kinder von früher, die heute 30- bis 45-jährigen“, verkündete der Verlag Egmont Ehapa gestern und bereits im April dieses Jahres, als der Remake-Plan öffentlich wurde. Beide Male stellte sich neben viel reflexartiger Euphorie besonders im Internet (als überholtes Synonym für Blogs, Twitter, Facebook) sofort der Reflex ein, das kommende Produkt schon jetzt scheiße finden zu müssen*. Wegen der Zielgruppenansage, wegen der Macher, wegen der bloßen Tatsache, sich an diesen grünkarierten Gral der Kindercomics zu wagen. Und schon das neue Cover scheint die Kritiker nun zu bestätigen: Themen wie „Jetzt noch Spion werden“, „Dinosaurier finden“ und „12 Zaubertricks für die nächste langweilige Party“ wären ohne das Zusatz-Motto „Eigentlich sind wir doch schon erwachsen!“ ganz schön nah dran am Original – wodurch sich die Frage aufdrängt: Warum nicht gleich ein YPS für die tatsächlichen Kinder von heute machen? Aus Angst vor zuviel Konkurrenz durch verlagsinterne und -externe Gimmickblättchen wie Spongebob, Pokémon, Wendy und so weiter? Weil Nostalgie als stärkstes Kaufargument im Businessplan steht? Weil der Werbemarkt und potentielle Umsätze zu klein sind, da Kinder nicht viel Geld haben (nur deren Eltern)? Andererseits steht wohl auch fest: Hätten Egmont Ehapa und ihr ehemaliger FHM-Chefredakteur Christian Kallenberg die damalige zwischen den Zeilen als solche verstandene Drohung wahrgemacht und aus der YPS ein ähnlich Klischee-beladenes Anzeigen-Männermagazin gemacht, wie sie es vor rund einem Jahr mit „Donald“ versuchten, dann wäre das Geschrei der Ablehnung garantiert noch größer geworden. Na, immerhin bestand nie die Gefahr, nach Condé Nast-Vorbild (die erste deutschsprachige WIRED lag Anfang des Jahres der GQ bei) die YPS gleich zur FHM zu packen – Egmont Ehapa stieß die deutsche Lizenz daran schon 2010 ab.

YPS
Ganz in schwarz: Das neue YPS-Cover, mit dem die Kinder von damals wiedergewonnen werden sollen

Die Überraschungen auf den 100 Seiten hinter dem YPS-Titelblatt, das dank seiner wirren Typographie, seiner fehlenden Linie und dem pechschwarzen Hintergrund auf jeden Fall ein Hingucker am Kiosk ist, halten sich im Guten wie im Schlechten in Grenzen. Das Inhaltsverzeichnis provoziert ein Flashback, es ist so hässlich gelayoutet wie damals – und kommt deswegen angenehm unaufgeregt daher. Auf der letzten Seite stehen maue Kinderwitze aus alten Ausgaben. Dazwischen: Promis, Alt-Leser und -Redakteure erinnern sich. Die Preisung achso neuer Gimmicks, die „leider nicht dem Heft beiliegen können“, zum Beispiel USB-Tassenwärmer, Pizzasägen und selbstumrührende Becher (!). Früher/Heute-Vergleiche anderer Produkte (Fahrräder, Schuhe, Kettcars, Cola-Dosen). Porträts und Interviews von und mit Comiczeichner Heinz Körner, Abenteurer Rüdiger Nehberg, Komiker Maddin Schneider und Achtziger-Schwimmstar Michael Groß. Die Geschichte der Videospiele (Konsole vs. Computer). YPS-Spionagetools in echten Geheimdiensten, Papas Autos. Die alten Bekannten YPS, Kaspar, Patsch und Willy, Yinni und Yan und ein paar neue Comics. Und noch ein bisschen mehr. Die größeren Themen könnten teilweise keine so schlechten Magazinthemen sein, wenn sie nur nicht in ein derart lauwarmes Umfeld eines Heftes gebettet wären, das seine Leser weder als Kinder noch als Erwachsene ernst nimmt, sondern wegen seines naiven Duktus als, pardon, irgendwie zurückgeblieben. Man merkt an den besten Stellen, dass bei der neuen YPS Journalisten arbeiten, die aus Konzeptgründen kaum welche sein dürfen. Und die Werbekunden? Mercedes-Benz, Sony, RTL, DMAX, Sport1 und eine Modestrecke mit Produktempfehlungen, mehr nicht. Zumindest nicht auf den ersten und zweiten Blick.

Zielgruppen sind in der Regel bloß Erfindungen von Marktforschungsinstituten und Anzeigenabteilungen. So auch hier: Die YPS-Leser von damals lesen heute bestenfalls die WIRED, schlimmstenfalls gar nichts. Sie erinnern sich gerne an früher (siehe oben), und sie wollen bestimmt auch einen Blick in die Neuauflage ihres alten Lieblingshefts werfen. Schnell werden sie aber sehen, dass außer alter Lizenz und entsprechender CI, um Werbesprech zu bemühen, viel nicht geblieben ist, weil die Erinnerung allein eben doch kein neues Heft trägt. Nicht jedes Comeback muss forciert werden, das dürfen sich Hollywood und eben die Verlage auch gerne mal genauer überlegen, obgleich sie das natürlich tun: Wenn die YPS von ihren 120.000 Exemplaren auch bloß die Hälfte für je 5,90 Euro verkauft, dürften dank fleißiger Anzeigen- und PR-Abteilung die Personal-, Bild- und Produktionskosten wahrscheinlich wieder drin sein (oder so, für die Milchmädchen-Rechnung gibt’s bestimmt auf den Deckel). Und Verlag und Vertrieb haben bis zur nächsten Ausgabe, die für März 2013 angekündigt ist, genug Zeit, noch ein paar mehr Werbekunden davon zu überzeugen, was für ein Erfolg diese Neuauflage der YPS doch ist und bleiben wird. Gerade bei dieser ach so gebildeten, einflussreichen und gut verdienenden Zielgruppe (nennt mir eine Anzeigenabteilung, die anderes über ihre Leser behauptet), die heute so alt ist wie Ralf, der Urzeitkrebs, aus der zugegeben ziemlich guten Fernsehwerbung zur neuen YPS:

(Geschenkt, dass das gelogen ist, denn dass die Urzeitkrebse nie erwachsen wurden, weiß jeder, der sie einmal züchten wollte – siehe oben)

Was kommt als nächstes? Die Bravo für die heute über 18-Jährigen? Ach nein, die gibt es ja schon. Sie heißt noch immer FHM.

P.S.: Es gab vor sieben Jahren schon einmal drei neue Ausgaben der YPS. Die erste hatte aber schon damals wegen ihrer lieblosen Mickrigkeit und ihren Druck- und Rechtschreibfehlern nicht mehr als ein müdes Durchblättern am Kiosk verdient.

*Nilz Bokelberg und René Walter zum Beispiel haben sich die neue YPS nun noch genauer angesehen.

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