Ob U2, Fler, Die Böhsen Onkelz oder die „Let’s Play“-Gemeinde: Wie sogenannte Trolle Fallbeispiele liefern, um das Für und Wider digitaler Kommentarspalten zu diskutieren.
Trolle und Gepöbel im World Wide Web sind so alt wie das Internet selbst. Um deren Auswüchse weiß man ausführlich nach der Lektüre des Texts „Die dunklen Seiten: Zu Besuch bei Trollen, Hetzern und Forennazis“ von Jamie Bartlett, Nikolaus Röttger und Anja Rützel in der aktuellen Ausgabe der deutschen „Wired“. Die Fratze dieses Phänomens zeigt sich gegenwärtig aber auch im Popjournalismus. Was vor ein paar Tagen auf Welt Online abging, entpuppte sich als eine Hetzjagd, deren naheliegenden Vergleich ich hier lieber nicht äußere. Journalist Frédéric Schwilden hat dort unter dem Titel „Gangsta-Rap schützt nicht vor Altersarmut“ eine Glosse zur Veröffentlichung gebracht, die sich, der satirischen Form nach naturgemäß ironisch, mit dem Rapper Fler und der deutschen Rapszene beschäftigt. Anlass für Schwilden und die Redaktion von Welt.de war die Tatsache, dass Fler „anstelle eines neuen Albums sein polizeiliches Führungszeugnis“ veröffentlicht hat, und das aus den verdonnerten Tagessätzen errrechnete monatliche Einkommen von Fler ist offenbar nicht so hoch, wie man es sich als Gangstagröße mutmaßlich wünschen würde.
In der Kommentarspalte und via Twitter drohen Schwilden nicht nur Fans, sondern sogar Fler selbst vollkommen humorbefreit mit Gewalt, wenn besagte Glosse nicht wieder verschwinde. Einige User haben bereits die Adresse des Autors ausfindig gemacht und, schlimmer noch, Fotos seiner Haustür im Netz gepostet. Schwilden selbst hat die Geschehnisse selbst dokumentiert, Welt Online geht zum Glück in die Gegenoffensive. Und Szeneexperte Marcus Staiger hat den Vorfall auf ZEIT Online kommentiert.
Mit digitalen Pöbeleien und Hasstiraden, um nicht Shitstorm zu sagen, habe ich selbst vor ein paar Monaten einschlägige Erfahrungen machen dürfen müssen. Auf der Homepage des Musikexpress, für die ich als Redakteur arbeite, erschien im Februar dieses Jahres ein Text mit der Überschrift „Danke für Nichts – Die Wahrheit über Die Böhsen Onkelz“. Der Text war von mir und natürlich als Polemik verfasst, eine derart polarisierende Band als öffentliche Person sowie ihre Fans sollten sowas aushalten (wenn schon nicht drüber lachen) können. Die erwartbaren Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Neben im- sowie expliziten Gewaltandrohungen war da von „Herrenmensch“, „Klassismus“ und „Schmierfink“ die Rede, von „Milchbubi-Warmduscher-Weichei“, „intolerantem linksfaschistoiden geschmiere“ und „dumm, dümmer, Fabian Soethof“, dem „dümmsten Autoren, den es gibt“. Per Mail oder Facebook-Nachricht drohte man mir indirekt mit dem Hinweis, man wisse ja, wo ich arbeite; ein Onkelz-Fan bot mir hingegen gar ein Ticket für ihr Comeback-Konzert am Hockenheimring an, damit ich mir mal selbst ein Bild machen könne. Ich verzichte darauf, die diversen Anschuldigungen hier zu versammeln, so wie auch hier keine Rechtfertigung oder Erklärung folgt. Weitere, teilweise sogar differenzierte Reaktionen sind öffentlich in der Kommentarspalte oder in diversen Onkelz-Fanforen nachzulesen – passiert ist aber, zum Glück, weiter nichts.
Die Reaktionen der Fans von Fler und den Böhsen Onkelz sind nur zwei Beispiele von vielen, um das Für und Wider digitaler Kommentarspalten zu diskutieren. Allgegenwärtig ist das Thema seit Jahren allemal: Der Journalist und Autor Sebastian Leber etwa dokumentierte im „Tagesspiegel“ vor ein paar Monaten seinen ersten Shitstorm, Comedian Oliver Polak wurde nach einem Facebook-Posting über ein Tierbordell mit Hunde aus Polen unter anderem mit Kastration gedroht. Die FAZ porträtierte den Troll Uwe Ostertag, deutschlandweit treffen sich unter dem Veranstaltungstitel „Hate Poetry“ regelmäßig Journalisten mit Migrationshintergrund, um auf einer Bühne hasserfüllte Leserbriefe vorzulesen. Unterhaltung und Selbsthilfe zugleich.
Auch beim Musikexpress bringen wir in loser Regelmäßigkeit und ohne die entsprechende Absicht Fanscharen gegen uns auf, etwa bei Verrissen zu Rapplatten von Cro, Casper und Co., der Abwesenheit von Madonna-Liedern in den „700 besten Songs aller Zeiten“, Meinungstexten im Allgemeinen sowie zuletzt ganz besonders bei U2. Deren neues Album „Songs Of Innocence“ gefiel Autor Reiner Reitsamer nicht so dolle, den U2-Jüngern seine Kritik noch weniger. Arno Frank erklärte deren Reaktion so: „Pointierte Urteile, mit Verve geschrieben, die liest man dagegen nicht so gerne. Da fühlt sich die Herde gekränkt und herausgefordert. Dann wird sie böse. Und wer böse wird, argumentiert „ad hominem“, zielt also auf den Menschen.“ Nach ein paar Tagen war wieder Ruhe, nur manchmal, beim nächsten Aufreger, fällt ein paar Usern wieder ein, dass sie sich neulich schonmal aufregten. Bleibt zu hoffen, dass sich auch die Fans von Fler und Fler selbst wieder beruhigen – Frédéric will doch nur spielen! – und die Sache in ein paar Tagen endgültig vergessen ist. Schon wegen so Lappalien wie Pressefreiheit, „freiheitlicher Grundordnung“ (Staiger) und dergleichen. Und weil es manchmal, wie auch die „Wired“ im eingangs zitierten Text feststellte, herrlich profan sein kann: Manche Kommentatoren haben wahrscheinlich schlichtweg Langeweile.
Nostalgie als Marketingkonzept: Warum die Neuauflage der „YPS“ kaum das halten kann, was sie verspricht
Diese verdammten Urzeitkrebse. Wasser zu kalt, Wasser zu warm, Futter zu wenig, Futter zu viel. Irgendwas war immer, das dieses Gimmick nie zu mehr als einem Gimmick wachsen ließ. Die Krebse, unterm Mikroskop schwammen sie tatsächlich, einmal, vielleicht einen Tag, damals, in meinem Kinderzimmer. Sie lagen der YPS, dem damals so cleveren Magazin für Jungs und ein paar Mädchen, bevor die sich für die Bravo und sich selbst interessierten, schließlich 21-mal in kleinen Tütchen bei, irgendwann musste das ja funktionieren. Und wenn nicht, dann züchtete ich eben Ostereierbäume, schlug das Abenteuer-Zelt, weil es nicht mehr als eine bedruckter Plastikschlauch war, neben meinem Bett auf, wies mich als YPS-Agent aus (siehe Foto) und testete all die anderen Gimmicks, die der YPS Woche für Woche so beilagen und das Heft zur Micky Maus meiner Generation machten. Bei Licht betrachtet waren die Gimmicks natürlich nichts als gut verpackter „Knoff Hoff“-Schrott, aber darum ging es nicht: Einmal schickte ich sogar ein Foto an die Redaktion, auf dem ich stolz vor meinen gesammelten Ausgaben posiere. Abgedruckt wurde das nie, die anderen Kinder waren mir schon in der Menge ihrer Hefte einfach voraus. Warum ich all das erzähle? Weil von heute an die YPS wieder am Kiosk liegt, und ich, glaubt man dem Verlag und meiner Kinderzeit, auch heute noch beziehungsweise wieder genau der Zielgruppe entspreche.
„Das Magazin richtet sich an die Kinder von früher, die heute 30- bis 45-jährigen“, verkündete der Verlag Egmont Ehapa gestern und bereits im April dieses Jahres, als der Remake-Plan öffentlich wurde. Beide Male stellte sich neben viel reflexartiger Euphorie besonders im Internet (als überholtes Synonym für Blogs, Twitter, Facebook) sofort der Reflex ein, das kommende Produkt schon jetzt scheiße finden zu müssen*. Wegen der Zielgruppenansage, wegen der Macher, wegen der bloßen Tatsache, sich an diesen grünkarierten Gral der Kindercomics zu wagen. Und schon das neue Cover scheint die Kritiker nun zu bestätigen: Themen wie „Jetzt noch Spion werden“, „Dinosaurier finden“ und „12 Zaubertricks für die nächste langweilige Party“ wären ohne das Zusatz-Motto „Eigentlich sind wir doch schon erwachsen!“ ganz schön nah dran am Original – wodurch sich die Frage aufdrängt: Warum nicht gleich ein YPS für die tatsächlichen Kinder von heute machen? Aus Angst vor zuviel Konkurrenz durch verlagsinterne und -externe Gimmickblättchen wie Spongebob, Pokémon, Wendy und so weiter? Weil Nostalgie als stärkstes Kaufargument im Businessplan steht? Weil der Werbemarkt und potentielle Umsätze zu klein sind, da Kinder nicht viel Geld haben (nur deren Eltern)? Andererseits steht wohl auch fest: Hätten Egmont Ehapa und ihr ehemaliger FHM-Chefredakteur Christian Kallenberg die damalige zwischen den Zeilen als solche verstandene Drohung wahrgemacht und aus der YPS ein ähnlich Klischee-beladenes Anzeigen-Männermagazin gemacht, wie sie es vor rund einem Jahr mit „Donald“ versuchten, dann wäre das Geschrei der Ablehnung garantiert noch größer geworden. Na, immerhin bestand nie die Gefahr, nach Condé Nast-Vorbild (die erste deutschsprachige WIRED lag Anfang des Jahres der GQ bei) die YPS gleich zur FHM zu packen – Egmont Ehapa stieß die deutsche Lizenz daran schon 2010 ab.
Die Überraschungen auf den 100 Seiten hinter dem YPS-Titelblatt, das dank seiner wirren Typographie, seiner fehlenden Linie und dem pechschwarzen Hintergrund auf jeden Fall ein Hingucker am Kiosk ist, halten sich im Guten wie im Schlechten in Grenzen. Das Inhaltsverzeichnis provoziert ein Flashback, es ist so hässlich gelayoutet wie damals – und kommt deswegen angenehm unaufgeregt daher. Auf der letzten Seite stehen maue Kinderwitze aus alten Ausgaben. Dazwischen: Promis, Alt-Leser und -Redakteure erinnern sich. Die Preisung achso neuer Gimmicks, die „leider nicht dem Heft beiliegen können“, zum Beispiel USB-Tassenwärmer, Pizzasägen und selbstumrührende Becher (!). Früher/Heute-Vergleiche anderer Produkte (Fahrräder, Schuhe, Kettcars, Cola-Dosen). Porträts und Interviews von und mit Comiczeichner Heinz Körner, Abenteurer Rüdiger Nehberg, Komiker Maddin Schneider und Achtziger-Schwimmstar Michael Groß. Die Geschichte der Videospiele (Konsole vs. Computer). YPS-Spionagetools in echten Geheimdiensten, Papas Autos. Die alten Bekannten YPS, Kaspar, Patsch und Willy, Yinni und Yan und ein paar neue Comics. Und noch ein bisschen mehr. Die größeren Themen könnten teilweise keine so schlechten Magazinthemen sein, wenn sie nur nicht in ein derart lauwarmes Umfeld eines Heftes gebettet wären, das seine Leser weder als Kinder noch als Erwachsene ernst nimmt, sondern wegen seines naiven Duktus als, pardon, irgendwie zurückgeblieben. Man merkt an den besten Stellen, dass bei der neuen YPS Journalisten arbeiten, die aus Konzeptgründen kaum welche sein dürfen. Und die Werbekunden? Mercedes-Benz, Sony, RTL, DMAX, Sport1 und eine Modestrecke mit Produktempfehlungen, mehr nicht. Zumindest nicht auf den ersten und zweiten Blick.
Zielgruppen sind in der Regel bloß Erfindungen von Marktforschungsinstituten und Anzeigenabteilungen. So auch hier: Die YPS-Leser von damals lesen heute bestenfalls die WIRED, schlimmstenfalls gar nichts. Sie erinnern sich gerne an früher (siehe oben), und sie wollen bestimmt auch einen Blick in die Neuauflage ihres alten Lieblingshefts werfen. Schnell werden sie aber sehen, dass außer alter Lizenz und entsprechender CI, um Werbesprech zu bemühen, viel nicht geblieben ist, weil die Erinnerung allein eben doch kein neues Heft trägt. Nicht jedes Comeback muss forciert werden, das dürfen sich Hollywood und eben die Verlage auch gerne mal genauer überlegen, obgleich sie das natürlich tun: Wenn die YPS von ihren 120.000 Exemplaren auch bloß die Hälfte für je 5,90 Euro verkauft, dürften dank fleißiger Anzeigen- und PR-Abteilung die Personal-, Bild- und Produktionskosten wahrscheinlich wieder drin sein (oder so, für die Milchmädchen-Rechnung gibt’s bestimmt auf den Deckel). Und Verlag und Vertrieb haben bis zur nächsten Ausgabe, die für März 2013 angekündigt ist, genug Zeit, noch ein paar mehr Werbekunden davon zu überzeugen, was für ein Erfolg diese Neuauflage der YPS doch ist und bleiben wird. Gerade bei dieser ach so gebildeten, einflussreichen und gut verdienenden Zielgruppe (nennt mir eine Anzeigenabteilung, die anderes über ihre Leser behauptet), die heute so alt ist wie Ralf, der Urzeitkrebs, aus der zugegeben ziemlich guten Fernsehwerbung zur neuen YPS:
(Geschenkt, dass das gelogen ist, denn dass die Urzeitkrebse nie erwachsen wurden, weiß jeder, der sie einmal züchten wollte – siehe oben)
Was kommt als nächstes? Die Bravo für die heute über 18-Jährigen? Ach nein, die gibt es ja schon. Sie heißt noch immer FHM.
P.S.: Es gab vor sieben Jahren schon einmal drei neue Ausgaben der YPS. Die erste hatte aber schon damals wegen ihrer lieblosen Mickrigkeit und ihren Druck- und Rechtschreibfehlern nicht mehr als ein müdes Durchblättern am Kiosk verdient.
Sascha Pallenberg über seinen Beruf als Blogger, die Erfolgsaussichten einer deutschen WIRED und die Gegenwart und Zukunft der Printbranche. Das Gespräch führten wir Anfang August anlässlich des heutigen Deutschlandstarts des WIRED-Magazins für die Berliner zitty.
Sascha, Du bist Tech-Blogger. Ein Nerdthema, sagen viele. Stimmt das?
Sascha Pallenberg: Ich sehe es nicht als negativ an, eine Nische zu besetzen. Wenn du dich darin vernünftig positionierst, kannst du sehr erfolgreich sein. Der Großteil unserer Mainstreammedien beackert den Massenmarkt. Wir fokussieren uns auf einen immer noch großen Markt, nämlich auf alles was man nutzen kann um mobil ins Internet zu kommen. Ob man das noch nerdig nennen mag? Mittlerweile leben wir in einer Zeit, wo Geeks und Nerds cool sind und nicht mehr die verpickelten Käsegesichter, die den ganzen Tag im Keller vor ihrem Rechner hocken und sonst nichts im Leben auf die Reihe bekommen.
Du arbeitest in Taipeh und sagst über Dich und Deine Blogs, mittlerweile selbst Quelle für News zu sein. Was waren früher, bevor es Blogs gab, Deine Quellen?
Im Internet waren US-amerikanische Seiten meine wichtigsten Quellen. Meine erste Computerzeitschrift, die ich 1982 gekauft habe, war die Byte, die gerade online gerelauncht wurde. Das war ein riesiger Zwei-Kilo-Schinken, den man am Bahnhof kaufen konnte. In Deutschland war es ganz klar die c’t. Es gibt wenige IT-Magazine weltweit, die einen ähnlichen Qualitätsstandard halten wie die c’t.
Woran bemerkst Du das?
Sie sind professionell, es ist kein boulevardesker Journalismus, wie ihn Chip oder Computer Bild oder PC Welt machen, die uns im Turnus von drei Monaten mit Titelblättern namens „Die 100 besten Downloadadressen“ oder „So tunen Sie Ihren Windows-PC richtig“ kommen. Die c’t hingegen hat sich über 30 Jahre ihre Leserschaft selbst erzogen. Du wirst mit der Terminologie und ihrem sehr technischen Anspruch vor den Kopf gehauen. Aber es bewirkt, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Wenn ich auf meinem Blog mit Begriffen um mich schmeiße, gehe ich davon aus, dass die Leute auch eine Google-Suche anwerfen können. Man muss nicht alles erklären.
Das sagte auch schon Jeff Jarvis: „Do what you do best, and link to the rest.“
Genau. Dazu noch eine Anekdote: Mit einer amerikanischen Kollegin bin ich mal in ein deutsches Kiosk rein. Sie sah die deutsche IT-Magazin-Landschaft und fragte erstaunt, was denn hier los sei. Der Wettbewerb auf dem deutschen Markt ist unvergleichlich. Du kriegst hier deutlich mehr deutsche IT-Magazine als zum Beispiel us-amerikanische, und der Markt dort ist viereinhalb mal so groß. Die krebsen hier alle zwischen gut und böse rum.
Du plädierst also für weniger Alleskönner und mehr Spezialisten?
Die Besetzung der Nischen ist wichtig. Absolute Fachmagazine können, wenn sie entsprechend mit ihrer Infrastruktur haushalten, sehr profitabel arbeiten. Magazine wie Chip, PC Welt und wie sie alle heißen werden sich nicht ewig über Wasser halten können. Darin ist alles so austauschbar. Wir haben ein Überangebot von ihnen in Deutschland. Die kämpfen um den letzten Leser. Ihre so genannten News sind Sachen, die aus dem Netz zusammenaggregiert und dann durch die Druckmaschinen gehauen werden. Die Leute, die sowieso IT-affin sind, haben alle einen Rechner, und ich gehe davon aus, dass auch 99,9 Prozent davon einen Internetanschluss haben.
Auf diesen Markt tritt nun WIRED. Ist das nötig?
Dazu zwei Sachen: Ich liebe die WIRED und kenne viel Leute von der us- und Onlineausgabe. Die WIRED ist ein sehr wichtiges globales Medium, um Trends im Netz, aber auch Hardwaretrends einzufangen. Ich will nicht unbedingt Lifestyle für Geeks sagen, aber sie hat viel dafür getan, dass dieses Geeksein eine Art von Lifestyle ist und nicht mehr etwas, für das man sich schämen muss. Und dafür, dass Technologie cool ist und es interessant ist sich damit zu beschäftigen. Das kann die WIRED sich auf die Fahnen schreiben. Funktioniert das in Deutschland? (zögert) Ich kann es mir so nicht vorstellen. Die haben gute Leute in der Redaktion, die sich mit dem Medium Netz sehr gut auskennen, die wunderbar schreiben können, die sich mit der Diskussionskultur im Netz über Jahre auseinandergesetzt haben und in Deutschland zum Teil auch mitbestimmt haben für ihre spezielle Nische. Die Frage aber ist: Wer ist das Zielpublikum, und ist dieses Publikum in irgendeiner Art und Weise noch printaffin? Da sage ich ganz klar nein, zumal der Chefredakteur mit Thomas Knüwer einer ist, der seit Jahren kräftig gegen printmediale Publikationen schießt und sagt, das sei sowas von gestern. Und jetzt wird er auf einmal Chefredakteur eines Printmagazins.
Leitender Entwicklungsredakteur.
Ich mag ihn wirklich gerne, er ist eigentlich der ideale Chefredakteur für eine deutsche Ausgabe von WIRED. Muss ich aber deswegen davon ausgehen, dass es ein Erfolg wird? Absolut nicht. Ich glaube, dass sie ein bisschen zu blauäugig sind, um für die WIRED in Deutschland einen Markt zu sehen. Das Zielpublikum was sie erreichen wollen ist online und liest online. Ich wüsste nicht, wie sich die eine WIRED derart von anderen Magazinen und Onlineangeboten absetzen kann, so dass ich sage: Die kauf ich jetzt. Und ob das als Beilage der GQ gut geht? Als ich das gelesen habe, stellten sich bei mir alle Fußnägel auf.
Das kritisieren auch andere Blogger. Aber ist die Zielgruppe so unterschiedlich?
Nein, überhaupt nicht. Da sind wir aber schon wieder im Stereotyp einer von Männern bestimmten Nerdwelt unterwegs, und auch das ist nicht mehr so. Es sind genug Frauen unterwegs. Und es geht mir mittlerweile ehrlich gesagt auf den Sack, auf der re:publica andauernd irgendwelche feministischen Bloggerpanels zu sehen. Hört mal auf mit diesem Ding, die achtziger Jahre sind vorbei und nachher holt Ihr mir noch die Alice Schwarzer her! Die haben sich alle emanzipiert, sind integriert in die Bloggerszene, ich kenne es gar nicht anders. Meine Business-Partnerin ist ein Mädel. Da ist kein Genderding mehr im Kopf. Zur WIRED selbst: Es ist und bleibt paradox für mich, den New Media-Markt bedienen zu wollen und dann ein altes Medium dafür zu nutzen. Vielleicht wäre der bessere Weg gewesen, sie hätten sich die Erfahrung der us-amerikanischen WIRED in Bezug auf deren elektronische Ausgabe geschnappt – die mit viel Euphorie gelauncht wurde und auch hübsch anzusehen war, subscribertechnisch aber ganz schwer nach unten ging – und gesagt: Wir versuchen jetzt nicht das Printmedium neu zu erfinden in dem wir ein Branchoffice von einer erfolgreichen us-amerikanischen Publikation aufmachen. Sondern wir sind wirklich innovativ, progressiv und modern und machen es nur online, nur über Apps, und die gehen wir richtig an. Nicht wie ein 1:1-Abklatsch eines Printmagazins mit ein paar lustigen Animationen und Links und Videos. Das kann ich mir auch auf einem Blog angucken. Das ist übrigens auch der Grund, warum all diese Apps da draußen nicht so erfolgreich sind wie uns die Döpfners dieser Welt erzählen wollten und sagten, „die holen uns aus dem Tal der sinkenden Abonnentenzahlen raus“. Da hätten sie richtig was machen können mit einer deutschen WIRED. Einen vernünftigen Youtube-Videokanal aufbauen, Livestreams und was weiß ich nicht was machen, über Apps auf iPad, Android Tablets und Smartphones, mit einer sehr interessant gestalteten Webseite.
Das wird eine Verlags-, keine Redaktionsentscheidung gewesen sein. Wenn Blogs und Apps aber wirklich den Magazinen das Wasser abgegraben haben: Warum hat denn das gedruckte US-Magazin so einen Erfolg? Oder wird es als einstige Stammmarke etwa zunehmend dahinsiechen?
Ich glaube, dass Leute, die sich die deutsche WIRED kaufen würden, sich genauso die us-amerikanische Ausgabe kaufen könnten. Da also wieder die Frage, wie ich mich als deutsches Magazin explizit genug platzieren kann? Welcher Content ist in Deutschland da? Ich kenne den Umfang nicht der Wired. Vielleicht sind es ja nur zehn Seiten. Dann kann das ja alles funktionieren! Sie haben das richtige Team, sind aber nicht auf dem richtigen Markt. Werden sie US-Content übersetzen und Themen durch den Mixwolf drehen? Das werden wir alle wissen bei der ersten Ausgabe.
Du glaubst also nicht, darin Themen in einer Tiefe zu erfahren, wie Du sie online nicht findest.
Das wäre ein Argument für den Kauf, ja. Aber wann lese ich denn mal Printmagazine? Wenn ich im Flieger sitze. Selbst die c’t kann ich wunderbar übers iPad abonnieren. Ich halte den Browser für die wichtigste App die wir haben. Er ist mein Fenster zu jeglicher Information und eine Wissensdatenbank der gesamten Menschheitsgeschichte. Warum begreifen wir nicht, dass diese oft herabwürdigend titulierte Kostenloskultur, die es im Netz ja angeblich gibt, so kostenlos gar nicht ist? Meine Leser bekommen vielleicht kostenlosen Content auf meiner Seite. Ich mache aber mit ihnen Geld, da ist also ein Mehrwert in beide Richtungen. Nein, ich kann mir nicht mehr vorstellen, ein Printmagazin zu abonnieren.
Und wenn Du gefragt worden wärst, ob Du bei einem Magazin wie WIRED mitmachen möchtest – würdest Du?
Nein, da kannst Du nur verlieren. Gerade ich würde damit auf die Schnauze fallen. Publikationstechnisch bin ich ein absolutes Embryo im Vergleich zu einem printmedialen Verlag. Ich publiziere „just in time“, da würde mich ein Printmagazin an emotionale Grenzen stoßen lassen. Wenn ich einen neuen Artikel auf meinem Blog raushaue, ist er schon wieder alt. Er fängt dann aber auch erst an zu leben, in dem du Diskussionen erzeugst, indem er in sozialen Netzwerken geteilt wird und andere Leute darauf Bezug nehmen. Das fehlt mir im printmedialen Bereich völlig. Außerdem halte ich es für Quatsch, dass wir nach wie vor Informationen auf Papier drucken. Vor 3000 Jahren gab es auch Steintafeln, da hätten sie dir auch gesagt: „Bezüglich Haltbarkeit gibt’s nicht besseres.“ Wir fahren auch nicht mehr mit Kutschen durch die Gegend, außer in Wien.
Guter Journalismus ist und bleibt aber auch eine Frage des Geldes, und das liegt dafür noch bei den Verlagen und den dortigen Entscheidungsträgern.
Richtig, das liegt aber daran, dass wir dort Infrastrukturen haben, die sich über 100 Jahre aufgebaut haben. Im Hauptquartier der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung arbeiten vielleicht 20 Prozent Journalisten und 80 Prozent Verwalter. Das ist der riesige Kropf, den Du da hängen hast, der dieses Geld auffrisst. Wenn die Verlage nicht begreifen, dass sich diese Infrastruktur nicht mehr tragen lässt, wird das über kurz oder lang kollabieren, egal wie lange sie auf irgendwelche Tagesschau-Apps schimpfen. Eine peinliche Diskussion, die Einblicke in die Denke der deutschen Verlage gibt. Was schade ist, weil es genug kluge Köpfe gibt, die was tun könnten. Ob es die WIRED wird, wage ich zu bezweifeln.
Condé Nast-Herausgeber Moritz von Laffert ist da in vielen Punkten anderer Meinung. Und ich gehe nach so vielen Spekulationen und Tweets jetzt endlich zum Kiosk. Heute Morgen vor der U-Bahn hatte ich noch keinen Erfolg beim Finden des GQ/WIRED-Doppelpacks.
Zum Deutschland-Start des US-Magazins WIRED: Condé Nast-Herausgeber Moritz von Laffert über budgetäre Freiheiten, männliche Zielgruppen und den Kultstatus der WIRED als Erfolgsmodell.
Für das Berliner Stadtmagazin zitty habe ich zum Deutschland-Start der WIRED unter anderem mit Entwicklungsredakteur Thomas Knüwer, Condé Nast-Herausgeber Moritz von Laffert und Techblogger Sascha Pallenberg sprechen wollen. Knüwer wollte oder durfte als „temporärer Dienstleister“ keine Interviews geben (später offenbar doch), mein Hintergrundgespräch mit Pallenberg folgt an dieser Stelle, von Laffert war bis Mitte August nur per Mail über seine Pressestelle erreichbar, stellte sich dafür später auf dem hauseigenen Magazinblog den Fragen der eventuellen Leserschaft. Hier seine von mir unkommentierten, naturgemäß PR-lastigen Antworten auf meine Fragen – schließlich muss ich das Doppelpack GQ/WIRED morgen erstmal am Kiosk finden, kaufen und mir ein eigenes Bild machen. Ich freue mich darauf.
Herr von Laffert, warum bringt Condé Nast WIRED in Deutschland heraus?
Moritz von Laffert: Die US-Ausgabe von WIRED hat weit über das Silicon Valley hinaus Kultstatus, und auch in Deutschland hat die Marke zahlreiche Anhänger. Wir glauben aber, dass es ein deutlich größeres Potential für die Marke in Deutschland gibt. Technik und Wissenschaft haben unser Leben in den vergangenen 15 Jahren dramatisch verändert. Dies wirft neue Fragestellungen für unsere Gesellschaft auf. Viel wichtiger als die Frage, wie Technologien im Detail funktionieren, ist heute die Reflexion darüber, wie sie unsere Welt verändern und wie wir sie in unser Leben integrieren. Genau das sind Themen mit denen WIRED sich auseinandersetzt. Es ist ein guter Zeitpunkt, um der Marke ein Entrée auf dem deutschen Markt zu ermöglichen.
Warum bringen Sie WIRED zumindest vorerst nur als einmalige Beilage heraus?
Diese Neu-Entwicklung ist ein Pilotprojekt, bei dem es nicht allein darum geht, die Erfolgsaussichten für den Titel in Deutschland abzustecken. Die vorerst einmalige Ausgabe ist für uns eine Art Case Study, durch die wir die Marktchancen des Titels besser einordnen und zugleich die flexible, konvergente Arbeitsweise unseres Hauses – sowohl von der redaktionellen und technologischen Seite, als auch aus der Vermarktungsperspektive – ausspielen können.
(keine Frage)
Wir haben ein hervorragendes Team zusammengestellt, das ausgestattet mit budgetären und kreativen Freiheiten, großem Enthusiasmus und dem Rückenwind der internationalen Marke ein tolles, ganz eigenständiges Produkt entwickelt hat. Die deutsche WIRED hält das Versprechen der internationalen Marke – aber mit einem klar erkennbar deutschen thematischen Fokus.
GQ und WIRED, wie passen deren Zielgruppen zusammen?
Wir wissen, dass sich viele der naturgemäß vorwiegend männlichen Leser von GQ für Technologie- und Wissenschaftsthemen interessierten, folglich gehen wir davon aus, dass auch WIRED hier auf Interesse stößt. WIRED wird vor allem von gebildeten, vielseitig interessierten Männern gelesen. Unter den Lesern der US WIRED sind überdurchschnittlich viele Akademiker (82%) und beruflich erfolgreiche Männer mit entsprechend gutem Einkommen. Von einer ähnlichen Leserschaftsstruktur kann perspektivisch auch für Deutschland ausgegangen werden.
Kaufen die potentiellen deutschen WIRED-Leser nicht ohnehin schon das Original?
Ja, wir wissen, dass WIRED eine echte Fangemeinde in Deutschland hat und, dass Heft und die iPad-App auch hier gelesen werden. Das war ja einer der Gründe für diese deutsche WIRED-Ausgabe. Die bisherigen deutschen Leser sind Kenner der Marke, die in der digitalen Szene zu Hause sind. Wir glauben aber, dass es ein deutlich größeres Potential für die Marke in Deutschland gibt – das Interesse an solche Themen ist vorhanden.
Was wird oder soll eine deutsche Version bringen, was die internationalen Ausgaben nicht können?
Es geht nicht um können oder nicht können. Es geht darum – wie übrigens bei allen unseren Magazinen, die in mehreren internationalen Märkten erscheinen – die richtige Tonalität zu treffen. Eine Zeitschrift muss das Lebensgefühl der Menschen in dem jeweiligen Land wiedergeben. Sicher sind die großen technologischen Trends globale Phänomene von internationaler Relevanz – wie Menschen damit umgehen und wie eine Redaktion sie interpretiert und einordnet ist von der Mentalität und anderen gesellschaftlichen Faktoren abhängig. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass selbst internationalsten Themen eine länderspezifische Aufbereitung und Schwerpunktlegung brauchen, um das Interesse der jeweiligen Leser voll zu treffen. Zudem gibt es natürlich auch in Deutschland – und das wird die erste Ausgabe zeigen – viele, spannende Themen. Themen, die in anderen deutschen Medien so gut wie gar keine Beachtung finden.
Wen wollen Sie erreichen?
Siehe oben. Und: In den ersten vier Wochen nach dem Start haben sich bereits 700.000 Deutsche bei Google+ angemeldet. Diese Menschen, die offen und neugierig auf digitale Innovationen reagieren, gehören definitiv in unsere Zielgruppe.
Wie will man sich inhaltlich von all den Tech-Blogs da draußen einerseits, andererseits von der etwaigen Heftkonkurrenz (c’t, ComputerBild, PC Welt, CHIP und so weiter) absetzen?
Wer die Marke WIRED kennt, weiß, dass sie eine Alleinstellung hat. Ein Techblog ist ein nicht vergleichbares, vollkommen anderes Medium und innerhalb des Zeitschriftengenres bildet WIRED einen direkten Gegenentwurf zu klassischen Computerzeitschriften, weil sie sich technologisch-wissenschaftlichen Fragestellungen aus einer ganz eigenen Perspektive nähert.
Warum keine App statt einem gedruckten Magazin?
WIRED Deutschland erscheint parallel mit einer iPad-App, die das Magazin um zusätzliche Inhalte anreichert. Wer glaubt, dass Internet-Vielnutzer grundsätzlich nur digitale Medien wollen, versteht diese Zielgruppe nicht.
Wonach werden Sie entscheiden, ob WIRED weiter erscheint, vielleicht sogar als eigenständiges Magazin?
Es gibt verschiedene Faktoren, die bei so einer Entscheidung berücksichtigt werden – angefangen bei den Verkäufen auf verschiedenen Medienkanälen, die entsprechende Rückschlüsse und Prognosen ermöglichen, bis hin zur Resonanz bei Anzeigenkunden und Media-Agenturen. Die Aussagekraft dieser Daten ist bei einer einmaligen Ausgabe natürlich begrenzt. Bei Condé Nast werden Medienmarken aber nicht allein nach marktwirtschaftlichen Kriterien bewertet – es wird auch auf das verlegerische Gespür vertraut, das bei so einer Entscheidung mit einfließt.