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„Der Browser ist die wichtigste App die wir haben“

Sascha Pallenberg über seinen Beruf als Blogger, die Erfolgsaussichten einer deutschen WIRED und die Gegenwart und Zukunft der Printbranche. Das Gespräch führten wir Anfang August anlässlich des heutigen Deutschlandstarts des WIRED-Magazins für die Berliner zitty.

Sascha, Du bist Tech-Blogger. Ein Nerdthema, sagen viele. Stimmt das?

Sascha Pallenberg: Ich sehe es nicht als negativ an, eine Nische zu besetzen. Wenn du dich darin vernünftig positionierst, kannst du sehr erfolgreich sein. Der Großteil unserer Mainstreammedien beackert den Massenmarkt. Wir fokussieren uns auf einen immer noch großen Markt, nämlich auf alles was man nutzen kann um mobil ins Internet zu kommen. Ob man das noch nerdig nennen mag? Mittlerweile leben wir in einer Zeit, wo Geeks und Nerds cool sind und nicht mehr die verpickelten Käsegesichter, die den ganzen Tag im Keller vor ihrem Rechner hocken und sonst nichts im Leben auf die Reihe bekommen.

Du arbeitest in Taipeh und sagst über Dich und Deine Blogs, mittlerweile selbst Quelle für News zu sein. Was waren früher, bevor es Blogs gab, Deine Quellen?

Im Internet waren US-amerikanische Seiten meine wichtigsten Quellen.  Meine erste Computerzeitschrift, die ich 1982 gekauft habe, war die Byte, die gerade online gerelauncht wurde. Das war ein riesiger Zwei-Kilo-Schinken, den man am Bahnhof kaufen konnte. In Deutschland war es ganz klar die c’t. Es gibt wenige IT-Magazine weltweit, die einen ähnlichen Qualitätsstandard halten wie die c’t.

Woran bemerkst Du das?

Sie sind professionell, es ist kein boulevardesker Journalismus, wie ihn Chip oder Computer Bild oder PC Welt machen, die uns im Turnus von drei Monaten mit Titelblättern namens „Die 100 besten Downloadadressen“ oder „So tunen Sie Ihren Windows-PC richtig“ kommen. Die c’t hingegen hat sich über 30 Jahre ihre Leserschaft selbst erzogen. Du wirst mit der Terminologie und ihrem sehr technischen Anspruch vor den Kopf gehauen. Aber es bewirkt, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Wenn ich auf meinem Blog mit Begriffen um mich schmeiße, gehe ich davon aus, dass die Leute auch eine Google-Suche anwerfen können. Man muss nicht alles erklären.

Das sagte auch schon Jeff Jarvis: „Do what you do best, and link to the rest.“

Genau. Dazu noch eine Anekdote: Mit einer amerikanischen Kollegin bin ich mal in ein deutsches Kiosk rein. Sie sah die deutsche IT-Magazin-Landschaft und fragte erstaunt, was denn hier los sei. Der Wettbewerb auf dem deutschen Markt ist unvergleichlich. Du kriegst hier deutlich mehr deutsche IT-Magazine als zum Beispiel us-amerikanische, und der Markt dort ist viereinhalb mal so groß. Die krebsen hier alle zwischen gut und böse rum.

Sascha Pallenberg

Du plädierst also für weniger Alleskönner und mehr Spezialisten?

Die Besetzung der Nischen ist wichtig. Absolute Fachmagazine können, wenn sie entsprechend mit ihrer Infrastruktur haushalten, sehr profitabel arbeiten. Magazine wie Chip, PC Welt und wie sie alle heißen werden sich nicht ewig über Wasser halten können. Darin ist alles so austauschbar. Wir haben ein Überangebot von ihnen in Deutschland. Die kämpfen um den letzten Leser. Ihre so genannten News sind Sachen, die aus dem Netz zusammenaggregiert und dann durch die Druckmaschinen gehauen werden. Die Leute, die sowieso IT-affin sind, haben alle einen Rechner, und ich gehe davon aus, dass auch 99,9 Prozent davon einen Internetanschluss haben.

Auf diesen Markt tritt nun WIRED. Ist das nötig?

Dazu zwei Sachen: Ich liebe die WIRED und kenne viel Leute von der us- und Onlineausgabe. Die WIRED ist ein sehr wichtiges globales Medium, um Trends im Netz, aber auch Hardwaretrends einzufangen. Ich will nicht unbedingt Lifestyle für Geeks sagen, aber sie hat viel dafür getan, dass dieses Geeksein eine Art von Lifestyle ist und nicht mehr etwas, für das man sich schämen muss. Und dafür, dass Technologie cool ist und es interessant ist sich damit zu beschäftigen. Das kann die WIRED sich auf die Fahnen schreiben. Funktioniert das in Deutschland? (zögert) Ich kann es mir so nicht vorstellen. Die haben gute Leute in der Redaktion, die sich mit dem Medium Netz sehr gut auskennen, die wunderbar schreiben können, die sich mit der Diskussionskultur im Netz über Jahre auseinandergesetzt haben und in Deutschland zum Teil auch mitbestimmt haben für ihre spezielle Nische. Die Frage aber ist: Wer ist das Zielpublikum, und ist dieses Publikum in irgendeiner Art und Weise noch printaffin? Da sage ich ganz klar nein, zumal der Chefredakteur mit Thomas Knüwer einer ist, der seit Jahren kräftig gegen printmediale Publikationen schießt und sagt, das sei sowas von gestern. Und jetzt wird er auf einmal Chefredakteur eines Printmagazins.

Leitender Entwicklungsredakteur.

Ich mag ihn wirklich gerne, er ist eigentlich der ideale Chefredakteur für eine deutsche Ausgabe von WIRED. Muss ich aber deswegen davon ausgehen, dass es ein Erfolg wird? Absolut nicht. Ich glaube, dass sie ein bisschen zu blauäugig sind, um für die WIRED in Deutschland einen Markt zu sehen. Das Zielpublikum was sie erreichen wollen ist online und liest online. Ich wüsste nicht, wie sich die eine WIRED derart von anderen Magazinen und Onlineangeboten absetzen kann, so dass ich sage: Die kauf ich jetzt. Und ob das als Beilage der GQ gut geht? Als ich das gelesen habe, stellten sich bei mir alle Fußnägel auf.

Wired
So sieht die erste deutsche WIRED also aus. Konnten wir im August ja nicht wissen.

Das kritisieren auch andere Blogger. Aber ist die Zielgruppe so unterschiedlich?

Nein, überhaupt nicht. Da sind wir aber schon wieder im Stereotyp einer von Männern bestimmten Nerdwelt unterwegs, und auch das ist nicht mehr so. Es sind genug Frauen unterwegs. Und es geht mir mittlerweile ehrlich gesagt auf den Sack, auf der re:publica andauernd irgendwelche feministischen Bloggerpanels zu sehen. Hört mal auf mit diesem Ding, die achtziger Jahre sind vorbei und nachher holt Ihr mir noch die Alice Schwarzer her! Die haben sich alle emanzipiert, sind integriert in die Bloggerszene, ich kenne es gar nicht anders. Meine Business-Partnerin ist ein Mädel. Da ist kein Genderding mehr im Kopf. Zur WIRED selbst: Es ist und bleibt paradox für mich, den New Media-Markt bedienen zu wollen und dann ein altes Medium dafür zu nutzen. Vielleicht wäre der bessere Weg gewesen, sie hätten sich die Erfahrung der us-amerikanischen WIRED in Bezug auf deren elektronische Ausgabe geschnappt – die mit viel Euphorie gelauncht wurde und auch hübsch anzusehen war, subscribertechnisch aber ganz schwer nach unten ging – und gesagt: Wir versuchen jetzt nicht das Printmedium neu zu erfinden in dem wir ein Branchoffice von einer erfolgreichen us-amerikanischen Publikation aufmachen. Sondern wir sind wirklich innovativ, progressiv und modern und machen es nur online, nur über Apps, und die gehen wir richtig an. Nicht wie ein 1:1-Abklatsch eines Printmagazins mit ein paar lustigen Animationen und Links und Videos. Das kann ich mir auch auf einem Blog angucken. Das ist übrigens auch der Grund, warum all diese Apps da draußen nicht so erfolgreich sind wie uns die Döpfners dieser Welt erzählen wollten und sagten, „die holen uns aus dem Tal der sinkenden Abonnentenzahlen raus“. Da hätten sie richtig was machen können mit einer deutschen WIRED. Einen vernünftigen Youtube-Videokanal aufbauen, Livestreams und was weiß ich nicht was machen, über Apps auf iPad, Android Tablets und Smartphones, mit einer sehr interessant gestalteten Webseite.

Das wird eine Verlags-, keine Redaktionsentscheidung gewesen sein. Wenn Blogs und Apps aber wirklich den Magazinen das Wasser abgegraben haben: Warum hat denn das gedruckte US-Magazin so einen Erfolg? Oder wird es als einstige Stammmarke etwa zunehmend dahinsiechen?

Ich glaube, dass Leute, die sich die deutsche WIRED kaufen würden, sich genauso die us-amerikanische Ausgabe kaufen könnten. Da also wieder die Frage, wie ich mich als deutsches Magazin explizit genug platzieren kann? Welcher Content ist in Deutschland da? Ich kenne den Umfang nicht der Wired. Vielleicht sind es ja nur zehn Seiten. Dann kann das ja alles funktionieren! Sie haben das richtige Team, sind aber nicht auf dem richtigen Markt. Werden sie US-Content übersetzen und Themen durch den Mixwolf drehen? Das werden wir alle wissen bei der ersten Ausgabe.

Du glaubst also nicht, darin Themen in einer Tiefe zu erfahren, wie Du sie online nicht findest.

Das wäre ein Argument für den Kauf, ja. Aber wann lese ich denn mal Printmagazine? Wenn ich im Flieger sitze. Selbst die c’t kann ich wunderbar übers iPad abonnieren. Ich halte den Browser für die wichtigste App die wir haben. Er ist mein Fenster zu jeglicher Information und eine Wissensdatenbank der gesamten Menschheitsgeschichte. Warum begreifen wir nicht, dass diese oft herabwürdigend titulierte Kostenloskultur, die es im Netz ja angeblich gibt, so kostenlos gar nicht ist? Meine Leser bekommen vielleicht kostenlosen Content auf meiner Seite. Ich mache aber mit ihnen Geld, da ist also ein Mehrwert in beide Richtungen. Nein, ich kann mir nicht mehr vorstellen, ein Printmagazin zu abonnieren.

Und wenn Du gefragt worden wärst, ob Du bei einem Magazin wie WIRED mitmachen möchtest – würdest Du?

Nein, da kannst Du nur verlieren. Gerade ich würde damit auf die Schnauze fallen. Publikationstechnisch bin ich ein absolutes Embryo im Vergleich zu einem printmedialen Verlag. Ich publiziere „just in time“, da würde mich ein Printmagazin an emotionale Grenzen stoßen lassen. Wenn ich einen neuen Artikel auf meinem Blog raushaue, ist er schon wieder alt. Er fängt dann aber auch erst an zu leben, in dem du Diskussionen erzeugst, indem er in sozialen Netzwerken geteilt wird und andere Leute darauf Bezug nehmen. Das fehlt mir im printmedialen Bereich völlig. Außerdem halte ich es für Quatsch, dass wir nach wie vor Informationen auf Papier drucken. Vor 3000 Jahren gab es auch Steintafeln, da hätten sie dir auch gesagt: „Bezüglich Haltbarkeit gibt’s nicht besseres.“ Wir fahren auch nicht mehr mit Kutschen durch die Gegend, außer in Wien.

Guter Journalismus ist und bleibt aber auch eine Frage des Geldes, und das liegt dafür noch bei den Verlagen und den dortigen Entscheidungsträgern.

Richtig, das liegt aber daran, dass wir dort Infrastrukturen haben, die sich über 100 Jahre aufgebaut haben. Im Hauptquartier der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung arbeiten vielleicht 20 Prozent Journalisten und 80 Prozent Verwalter. Das ist der riesige Kropf, den Du da hängen hast, der dieses Geld auffrisst. Wenn die Verlage nicht begreifen, dass sich diese Infrastruktur nicht mehr tragen lässt, wird das über kurz oder lang kollabieren, egal wie lange sie auf irgendwelche Tagesschau-Apps schimpfen. Eine peinliche Diskussion, die Einblicke in die Denke der deutschen Verlage gibt. Was schade ist, weil es genug kluge Köpfe gibt, die was tun könnten. Ob es die WIRED wird, wage ich zu bezweifeln.

Condé Nast-Herausgeber Moritz von Laffert ist da in vielen Punkten anderer Meinung. Und ich gehe nach so vielen Spekulationen und Tweets jetzt endlich zum Kiosk. Heute Morgen vor der U-Bahn hatte ich noch keinen Erfolg beim Finden des GQ/WIRED-Doppelpacks.


2 Gedanken zu „„Der Browser ist die wichtigste App die wir haben“

  1. Ich musste bei „Vor 3000 Jahren gab es auch Steintafeln, da hätten sie dir auch gesagt: Bezüglich Haltbarkeit gibt’s nicht besseres.“ herzlich lachen. Ein echter „Pallenberg“ :-)

    Aber recht hat er. Das Badezimmer Argument ist seit iPad auch gestorben! ;-)

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