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Geh‘ doch nach Berlin

Hadern mit dem Hype: Berlin hat in der deutschen Popmusik den Zenit seiner Beliebtheit überschritten. Nur sagen will das noch nicht jeder.

Berlin war für die Musikszene mal das, was es für Internet-Start-ups heute ist: eine angesagte Stadt. Bärtige Folkhipster aus Williamsburg, schlaue Songschreiber aus Hamburg, erwachsenere Indiekids aus Schwaben oder totgesagte Musiksender und Branchenmessen aus Köln, alle wollten sie hier her ziehen. Viele Kreative wollen es noch immer, weil Berlin – man spricht davon schließlich überall – doch alles hat. So viele Clubs, eine so lebendige Szene, so billige Mieten, so billiges Bier. Und so viel Leerraum! Das ist aber nur noch die halbe Wahrheit: Parallel zum Hype stellt sich ebenso eine Lähmung, eine Antipathie ein, die bestenfalls in müde Ironie verfällt. Weil Berlin sein Versprechen nicht immer einlösen kann, und weil die Reflexe in der Popmusik zwischen Sender und Empfänger die gleichen wie im echten Leben sind: Auf hip folgt Hype, auf Hype folgt Hass, auf Hass folgt Spott und Müdigkeit. Aber von vorne.

Pioniere des Berlin-Hass: Angelika Express in ihrer damaligen Besetzung
Pioniere des Berlin-Hass: Angelika Express in ihrer damaligen Besetzung

Der Verfall des guten Rufs kam schleichend. „Geh doch nach Berlin, wohin Deine Freunde ziehen“ rief das Kölner Trio Angelika Express seinem Umfeld und den Indiekids noch 2003 hinterher. Viva und die Popkomm hatten sich zu dieser Zeit bereits verabschiedet. Auch in Hamburg packten Unternehmen und Künstler die Umzugskisten. Universal zog an die Spree, Bands und Musiker wie Tomte, Olli Schulz, Gisbert zu Knyphausen, Felix Gebhard und Jochen Distelmeyer zogen hinterher, Kettcar und ihr kleines Qualitätslabel Grand Hotel Van Cleef blieben. Vor zwei Jahren erst bezogen die österreichischen Kritikerlieblinge Ja, Panik eine WG in Friedrichshain, „weil sich viel vom Bandalltag bald in Berlin abspielte, wegen banaler Sachen wie der Agentur oder dem Label“, sagte Sänger und Songschreiber Andreas Spechtl damals. Aber sterben wolle er hier nicht. Seine Berliner Labelkollegen Die Türen sangen in ihrem Hit „Indie Stadt“ 2007 gegen elitäre Ausgrenzung an, heute, im Vorab-Video zu ihrer neuen Single „Rentner und Studenten“, protestieren sie im bohémen Prenzlauer Berg immerhin für mehr Freizeit und weniger Stress. Ein Schelm, wer darin Ironie erkennen will. Und letztes Jahr widmeten die einstigen Punkrocker Jupiter Jones, deren aktuelles Album von einem Berlin-Münchner Majorlabel gerade richtig gemolken wird, ihren angeblich nur stellvertretend so betitelten Song „Berlin“ all denen, die ihr Glück in der Ferne suchen und in eine Stadt projizieren, die das nicht erfüllen kann. Das klingt schon fast wieder romantisch.

Der größte Club der Welt

Hatten eigentlich noch nie was gegen Berlin: Kettcar, hier wie im Familienalbum
Hatten eigentlich noch nie was gegen Berlin: Kettcar, hier wie im Familienalbum

„Unser Berlin-Hass ist milder geworden“, gestanden Kettcar der zitty denn auch schon vor vier Jahren. Damals war ein Grund, dass Freund und Labelpartner Thees Uhlmann nach Berlin zog, der Liebe wegen. Sänger Marcus Wiebusch schrieb 2005 eine Ballade über Fernbeziehungen, „48 Stunden“ hieß die, und widmete sie auf Konzerten regelmäßig seinem Kumpel. Heute, in der Single „Im Club“ von Kettcars neuem, viertem Album „Zwischen den Runden“, singt Wiebusch: „Du spürst es, es wird nichts mehr werden, Du fühlst es, in tausenden Scherben, und siehst wie der große Plan zerfällt (…). Kommt zusammen, im allergrößten Club der Welt“. Zeilen, die man ohne Weiteres als Kommentar gegen die Stilisierung von Berlin als Allheilsbringer und Partymetropole lesen kann. „Nein nein nein, damit hat das nichts zu tun, oh je, muss ich den Song doch erklären“, antwortet Wiebusch prompt im Interview und erklärt, dass du und ich und wir alle dieselben Probleme haben. Mit dem Älterwerden, mit den zerplatzenden Träumen, mit dem Arrangieren in der eigenen Bürgerlichkeit. Ein Anti-Vereinzelungs-Song sei das, und nach Berlin gingen ja viele Leute mit ganz verschiedenen Hoffnungen. „Dass das Scheitern dieser Stadt anders innewohnt als Böblingen, liegt in der Natur der Sache“, sagt Wiebusch. Aber nur auf Berlin habe er das niemals gemünzt. Die Völkerwanderung, beobachtet er im Freundeskreis, habe vor drei bis vier Jahren stattgefunden, der Berlin-Hype sei vorbei. Und überhaupt: Gentrifizierung macht er längst auch an der Elbe aus, nachzuhören in „Schrilles buntes Hamburg“.

Dass man mit dem Image von Berlin aber nicht bloß hadern, sondern auch Karriere machen kann, beweisen aktuell Kraftklub aus Chemnitz wie sonst keiner. In ihrem Song „Ich will nicht nach Berlin“ folgen sie der Tradition von Angelika Express und singen gegen Menschen mit kleinen Projekten, großen Brillen, viel Freizeit und wenig Geld, kurz: gegen all das, was man seit ein paar Jahren gemeinhin als Hipster bezeichnet. Witze über den Stereotyp des verhassten Neu-Berliners haben sie damit auf die große Bühne in den Mainstream gebracht: Bei Raabs Bundesvisionsongcontest belegten die fünf Sachsen den fünften Platz und haben, glaubt man dem Erfolg und den seitdem eingefahrenen Vorschusslorbeeren, vielen Zuschauern aus der Seele gesprochen. Vielleicht stimmte aber auch nur die musikalische Mischung aus Indiedisco, zackigem Postpunk, Zitatwahnsinn, Mittelfinger und Augenzwinkern, so genau weiß man das nie, wegen ach so toller Texte rufen die Leute sonst ja nur für Unheilig und Tim Bendzko an. Seitdem werden Kraftklub nicht müde zu betonen, dass sie Berlin gar nicht scheiße fänden, sondern im Gegenteil gerne und oft da wären. Auf ihrem im Januar erschienenen Debüt „Mit K“ machen sie übrigens noch Stimmung gegen die, na klar, „Scheissindiedisko“, Liebeslieder und Liam Gallagher – und für Karl-Marx-Stadt, wie sie ihre Heimat liebevoll nennen.

Berlin bleibt vorerst und im Bestfall eine Hassliebe. Die, die da sind, spielen es runter oder lachen darüber; die, die noch nicht da sind, wollen gar nicht mehr kommen. Exil-Hamburger Olli Schulz, dessen neues Album im März erscheint, beschwerte sich neulich in seiner eigenen Radiosendung auf radioeins, dass wegen so sympathischer Zugezogener wie ihm die Stadt erst so beliebt geworden sei, wie sie ist. „Und was passiert? Jetzt suche ich eine Wohnung und finde keiner mehr!“. Hipsterbashing geht offenbar noch immer. Und Thees Uhlmann, der einstige Vorzeige-Wahl-Berliner, ist übrigens teilweise wieder nach Hamburg gezogen. Mit Berlin und der „Nach mir die Sintflut“-Kultur seiner Bewohner und Touristen, mit all den kaputten Bierflaschen auf der Straße zum Beispiel, sei er einfach nicht warm geworden, sagte er in einem Radio-Interview. Bei Kettcar: kein Grund zur Schadenfreude. „Er hat es der Liebe wegen gemacht – und da verstehe ich erst mal alles“, sagte Wiebusch der zitty schon damals, und heute: „Freuen wir uns einfach, dass er wieder mehr in Hamburg ist.“

(erschienen in: zitty 4/2012)

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