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„Verbraucher wissen nicht, was sie wollen“: Adam Fletcher im Interview

Adam Fletcher verkauft Mystery-Shirts, die er für seine Kunden aussucht – und sieht in Überraschung und Entmündigung ein Geschäftsmodell, das dem Verbraucher sein Leben erleichtern soll

Des Rätsels wegen möchte er, dass man ihn Dr. Willem nennt. Der 27-jährige Brite Adam Fletcher zog 2007 nach Deutschland. Zwei Jahre, eine Reise und verschiedene Jobs in der T-Shirt-Branche später zog er nach Berlin und gründete im August 2009 den T-Shirt-Online-Shop Hipstery.com. Im Mai 2010 launchte er die deutsche Version, im Dezember dieses Jahres eröffnete der dazugehörige Hipstery Store in Neukölln. Unter dem Motto „liberating you from the burden of choice“ hält er ein Plädoyer für ein bisschen mehr Mysterium beim Einkauf – und denkt die Wundertüte aus dem Spielwarenladen weiter.

Dr. Willem und Kollege Mad Dog: Diese T-Shirts würden sie Angela Merkel, Wash Echte und Klaus Wowereit verkaufen (v.l.)

zitty: Herr Fletcher, nein, Dr. Willem, freuen Sie sich auf Weihnachten?

Dr. Willem: Oh, ja. Weil es natürlich auch für unser Geschäft eine gute Zeit ist. Wer bei uns Geschenke kauft, minimiert sein Risiko: Wenn du dir nicht sicher bist, welches T-Shirt zu der zu beschenkenden Person passt, dann lässt du uns entscheiden. Und wenn es schlecht ankommt, schiebst du die Schuld auf uns.

Glaubt man Ihrem Motto „liberating you from the burden of choice“, müsste sich jeder Konsument freuen, dass Sie ihm die Qual der Wahl abnehmen.

Hinter unserer Idee steht keine rationale wirtschaftliche Entscheidung. Wir haben nie versucht, eine Martktlücke zu finden und zu schließen. Die Idee kam auf einer Party. „Wer war doch gleich Fußball-Weltmeister 1990?“, fragte einer. Ein anderer griff zu seinem Smartphone, googelte die Antwort – und schon war das Interesse an der Frage verloren. Wir finden das praktisch und traurig: Es gibt kaum noch Mysterien, fast jedes Wissen ist zu fast jeder Zeit verfügbar. Die Faszination bei Zauberern aber ist auch nicht die Erklärung des Tricks, sondern dessen Vorführung. Also gründeten wir ein Unternehmen, das ein bisschen Mysterium wiederbelebt. „Fight the demise of surprise“ – bekämpfe den Untergang der Überraschung – lautet unser anderes Motto.

Und das funktioniert?

Die Herausforderung ist, Leute davon zu überzeugen, dass Sie Hilfe bei Dingen brauchen, von denen sie gar nicht wussten, dass sie dort Hilfe bräuchten oder bekommen könnten. Es gibt so viele T-Shirt-Anbieter mit so vielen verschiedenen Stilen und Produktionswegen, da braucht es einen, der diese fragmentierte Welt für einen vorsortiert.

Wo dürfen Ihre Kunden noch mitreden?

Sie dürfen die sechs Fragen unseres Psychotests beantworten. Sie bestimmen Größe, Geschlecht und nennen eine Farbe, die sie auf keinen Fall wollen. Wir fragen auch, wo sie in der Regel einkaufen. Wenn das Europa ist, geben wir ihnen ein Shirt aus den USA und umgekehrt. Sie sollen nach Möglichkeit immer was bekommen, das sie und ihr Umfeld vorher noch nicht gesehen haben. Einer unserer deutschen Lieferanten ist Yackfou. Deren Shirts verkaufen wir bewusst nicht an deutsche, mindestens aber nicht an Berliner Kunden. Weil sie die Marke wahrscheinlich kennen.

Sie behaupten auch über T-Shirts hinaus: Der Verbraucher möchte entmündigt werden.

Ob Schokolade, Websites oder T-Shirts, er kommt um individualisierte Massenanfertigung kaum noch herum. Jeder kann sich heute alles selbst gestalten. Nur: Der durchschnittliche Verbraucher weiß nicht, was er will, er ist damit überfordert. Das habe ich bei meinem vorherigen Job gesehen. Sie können ihm ein weißes T-Shirt hinlegen, und er fragt Dinge wie: „Kann ich vielleicht einen Hund oder so drauf haben?“

Ist das Anhören des mündigen Verbrauchers nicht eine der großen Errungenschaften unserer heutigen Konsumgesellschaft?

Nicht überall. Bei meiner Freundin oder bei Politikern zum Beispiel will ich die Wahl haben, klar. Aber nehmen wir Starbucks, den Vergleich verstehen die Leute immer: Dort hast Du soviel Auswahl und musst eine neue Sprache lernen, um all die Kaffeesorten und Größen zu verstehen. Dabei willst Du nur einen verdammten Kaffee! Viele Anbieter brüsten sich damit, Millionen Produkte im Sortiment zu haben. Diese Auswahl will ich nicht. Also brauche ich jemanden, der mir ein paar Vorschläge macht oder mich in die richtige Richtung lenkt. Das ist die Idee von Hipstery: „Du willst ein T-Shirt? Lass uns die Wahl für Dich treffen. Wir sind Experten, wir sichten den ganzen Tag hunderte, wir arbeiten mit zahlreichen Lieferanten. Vertraue uns und entspanne Dich in der Zwischenzeit.“ T-Shirts sind es übrigens geworden, weil welche sammle, seit ich 16 bin, über einen Vertrieb meine Abschlussarbeit schrieb und zuletzt bei einem großen Versandhandel arbeitete.

Bevormunden Sie nicht die Konsumenten, wenn Sie von Vornherein behaupten, dass man Ihnen die Entscheidung abnehmen müsse?

Nein, wir sprechen ja nur die Kunden an, die ein bisschen Mysterium in ihr Leben zurückbringen wollen und uns, den Experten, vertrauen. Das ist nicht jedermanns Sache. Ich persönlich aber fühle den ständigen Druck, ein bewusster Konsument sein zu müssen: Arbeitet diese Firma ethisch korrekt? Ist es umweltfreundlich, wenn ich dieses Waschmittel kaufe? Ist das T-Shirt kohlenstoffneutral? Soll ich in dieses Flugzeug steigen? Die Unternehmen laden all ihre Informationen bei den sogenannten mündigen Verbrauchern ab, die sich dort durchschlagen und irgendwie die richtige Entscheidung treffen müssen. Wir nehmen den Kunden diese Entscheidungslast ab und können sagen: Wir haben genügend Auswahl, unsere Shirts wurden nicht in chinesischen Sweatshops hergestellt, die Designer wurden fair bezahlt.

Der sieht nur aus wie Adam Fletcher: Dr. Willem, Fan von T-Shirts und Rätseln

Mit dieser Idee sind Sie nicht der Erste.

Es gibt ein Buch namens „The Paradox Of Choice – Why More Is Less“ von Barry Schwartz, das war auch unser Anstoß. Für einfache Entscheidungen ist zuviel Auswahl schädlich. Mit der getroffenen Auswahl wirst Du nie zufrieden sein, weil Du ahnst, vielleicht doch die falsche Wahl getroffen zu haben. Einen anderen Anstoß gab uns der Produzent der so erfolgreichen TV-Serie „Lost“, J.J. Abrams. Für das Wired Magazine schrieb er ein Essay über die Wichtigkeit von Mysterie und ihren maßgeblichen Anteil bei „Lost“. Ich selbst war großer Fan und kann mich an keine andere Sendung erinnern, die dem Bewusstsein seiner Zuschauer so sehr zugesetzt hat und dabei so wenig verriet. Wir waren also fasziniert von den Gedankenkomplexen „The Importance Of Mystery“ und „The Burden Of Choice“ und wollten beides zusammenbringen – ohne dass es eine allzu bewusste Entscheidung gewesen wäre.

Und damit wird man reich?

Wir arbeiten momentan mit rund 45 Zulieferern zusammen und haben mittlerweile über 4000 Kunden und ständig über 1000 Shirts auf Lager. Aber wir werden nie ein Mainstream-Angebot wie Amazon oder Zalando werden. Wir alle bei Hipstery haben auch andere Jobs, mit denen wir unser Geld verdienen.

Wo fühlten Sie sich selbst zuletzt zu Unrecht entmündigt?

Wo ich gerne mehr Auswahl gehabt hätte? Gute Frage. Mir fällt gerade nichts ein.

Und zu Recht?

Meine Eltern besuchten mich neulich in Berlin. Ihr Hotel fanden sie über eine Website, auf der man nur eine Preisklasse und die ungefähre Lage angibt. Sie landeten in Tiergarten und waren sehr zufrieden. So funktioniert auch Hipstery: Erst kauft Du es, und dann erfährst Du, was Du gekauft hast. Den Rest erledigt die Mund-zu-Mund-Propaganda im Internet. Heutzutage kann man sich nicht erlauben, schlechte Arbeit zu machen, das weiß sofort jeder. In Zukunft wird es mehr Geschäfte wie unseres geben, die vorher keine Chance gehabt hätten. Weil nun jeder sehen kann, ob einer gute Arbeit macht oder nicht.

Hipstery Store, Hobrechtstr. 18, 12047 Berlin-Neukölln, www.hipstery.com

(erschienen in: zitty 24/2010, 15. Dezember 2010)

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