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Hochzeit auf der Putenfarm

Vor ein paar Tagen bekam ich Post vom Niederrhein. Ein Kollege schrieb: „Wie ich bei einem Blick auf deinen Blog festgestellt habe, kommst du ja aus Nieukerk. Ich bin inzwischen bei der Rheinischen Post und sprang auch schon in deiner alten niederrheinischen Heimat herum.“ Natürlich war schon diese Nachricht eine Sensation. Dass jemand dort hingeht, von wo andere kommen. Dass die Geschichten buchstäblich vor der Türe liegen. Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Ein paar Wochen zuvor aber bekam ich schon einmal Post vom Niederrhein, die mich noch ungleich fröhlicher stimmte – und der ich genau an jenem Tag, da ich besagte E-Mail bekam, nachging: eine Einladung zur Hochzeit auf der Putenfarm in Geldern-Boeckelt.

Während die einen dank Jonathan Safran Foer über den Verzicht von „Tiere Essen“ debattieren, habe ich dem Kollegen dieses kleine Großereignis natürlich noch am selben Tag als Thema vorgeschlagen. Aus der darauffolgenden Wochenendausgabe inklusive Lokalteil „Aus dem Gelderland“ am Samstag aber sind mir nur Agenturmeldungen über 23 Kilogramm schwere Tumore, einen B-Promi, der als Kind nur selten fernsah und ein Tigerbaby, das neben einem Tiger-Stofftier in einem Koffer geschmuggelt wurde, in Erinnerung geblieben. Fragen Sie nicht, warum.

Es gibt mit einer Ausnahme keine Fotos von den Puten und den Hochzeitsgästen/mir. Zum (vorläufigen) Wohle der Tiere.

Die Hochzeit selbst war erwartungsgemäß wie aus dem Bilderbuch: Die Kapelle im Dorf beziehungsweise in der angrenzenden Bauernschaft war bis unter die Decke besucht. Der Pfarrer war gut drauf, die Braut wunderschön, die Nichten streuten Blumen, der Organist verspielte sich nur manchmal. Auf der Putenfarm gab es im Anschluss Sekt, Kaffee, gutes Wetter, ein ausgezeichnetes Buffet, eine Band und unzählige Fotos von und mit alten und neuen Bekannten. Jeder war schonmal miteinander zusammen, vieles war beim Alten. Einer erzählt, wie er nach zehn Jahren als Steuerfachangestellter die Nase voll hat und voller Enthusiasmus eine Ausbildung als Krankenpfleger beginnt. Mein Respekt vor diesem Mut ist ihm sicher. Wieder einer schwingt zu den Foo Fighters, AC/DC und den Toten Hosen eine Maispflanze als Luftgitarre durch die Gegend. Und ein Anderer verschwindet nachts um halb 5 torkelnd, verriet via Handy noch, dass er nicht wisse, wo er ist und ward fortan nicht mehr gesehen, wie er schon die letzten Jahre bei zahlreichen Trinkgelegenheiten immer wieder verschwunden – und immer wieder aufgetaucht – ist. Vorher, als bei der Rede des Brautvaters zum mindestens dritten Mal an diesem Tag der Kinderwunsch an das Brautpaar herangetragen wurde, brachte der später Verschollene die Situation des Bräutigams, der die Putenfarm schmeisst, noch so auf den Punkt: „Jetzt kriegt der arme Jung doch erstma eh keinen mehr hoch!“ Der Vater der Braut verriet indes das Erfolgsrezept seiner eigenen Ehe: „Wir essen gerne gemeinsam und wir gehen regelmäßig tanzen – sie freitags, ich samstags.“

Neulich berichtete Till Krause im SZ Magazin von einer Hochzeit, auf der das Brautpaar Social Media verboten hätte. Krause behauptete steil, dass dies nichts Gutes für die Ehe verheißen würde, weil es von „Angst, Mißtrauen und Kontrollwahn“ zeugen würde. Abgesehen davon, dass so ein Verbot vielleicht auch von weiser Voraussicht und Kenntnis der lieben Bekannten zeugt, stellte sich diese Frage auf der Putenfarm gar nicht. Auf einer Hochzeit in einem Landstrich, in dem DSL-Leitungen bis heute nicht jedes Haus erreicht haben und erstmals gelegt wurden, als die erste Internetblase längst geplatzt war, muss man sich ganz andere Sorgen machen als um eine digitale Bohéme, die sich dorthin nicht verirren wird. Hier waren es Hochzeitsspiele, die nicht erwünscht waren – das Brautpaar wusste, warum. Der Kegelclub des Bräutigams ließ es sich freilich trotzdem nicht nehmen. Und so kamen die Vermählten in die Situation, erraten zu müssen, was die Gäste, die sich nach einem Blick auf die PowerPoint-Präsentation im Rücken des Paars vor ihnen versammelten, wohl gemeinsam hatten: „Diese Gäste haben schon auf Eurem Hof Puten geladen“/“Diese Gäste hatten heute schon Sex“/“Dies Gäste singen unter der Dusche“/“Diese Gäste fanden dieses Spiel scheisse“. Für die Zukunft des Brautpaares, da widerspreche ich Krause, kann die Bitte um Verzicht mancher Verhaltensweisen nur Gutes verheißen.

Hier war sie sich noch nicht zu schade für ein Foto: Pute Nr. XY. Vermutlich hatte sie keine Wahl.

Natürlich war nicht alles beim Alten. Das war eine andere Hochzeit, eine, die ich so nicht gesehen hatte oder sehen wollte. Nicht, weil sie auf einer Putenfarm stattfand, auf der zu jugendlicheren Zeiten unzählige als Silvester- und Geburtstagsparties getarnte Saufgelage stattfanden (inkl. politisch unkorrekter Hitler-Parodien des späteren Trauzeugen, bei denen die Puten mit ihren in die Luft gestreckten Hälsen als Gefolge dienten, aber das nur am Rande). Sondern weil es die eines guten Freundes war und ich plötzlich allen (fast) alles so abgenommen habe, all das, was ich früher für spießige Heuchelei und Beeindruckungsnotwendigkeiten für die Nachbarn abgetan hatte. Es war eine wunderbare Hochzeit und es war und ist schön zu wissen, ein Teil der Geschichte des Brautpaars zu sein. Ich wünsche ihnen viele Kinder und freue mich schon auf die Silberhochzeit. Die wäre dann aber einen Artikel in der Rheinischen Post wert.

(Bei der Hochzeit und für diesen Eintrag wurden keinen Tiere verletzt)


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