Startseite » Der Kühlschrank ist halbvoll

Der Kühlschrank ist halbvoll

Sie ließen nichts anbrennen: Vor zwei Jahren noch galten die Kilians mit ihrem schmissigen Garagenrock als vorlaute Wunderkinder des deutschen Indierocks. Überraschend geläutert kommt ihr „Kill The Kilians“-Nachfolger „They Are Calling Your Name“ um die Ecke. Folgen Taten auf Worte? Eine Fährtensuche.

Bahnhof Dinslaken. 13 Uhr, ein wolkenverhangener Samstag. Die Züge fahren halbstündlich und in zwei Richtungen, entweder nach Wesel oder nach Duisburg. Fussballfans steigen ein, keiner aus. Hauptbahnhof steht nirgends geschrieben, es gibt ja nur den einen. Alles wie immer, niemand landet zufällig in dieser durchschnittlichen Kleinstadt im nordöstlichen Speckgürtel des Ruhrpotts. Es sei denn, er oder sie ist zu Besuch oder wurde hier geboren. So wie Simon Den Hartog, Trademarkstimme und Songschreiber des Dinslakener Exportschlagers Kilians. Auf dem Bahnhofsvorplatz steht er, Wollmütze und Jacke ins Gesicht gezogen, den Rucksack umgeschnallt. Er könnte abreisen wollen, ist aber gerade angekommen. Aus Köln, mit der Bahn, er wohnt da jetzt, studiert SoWi oder ist zumindest eingeschrieben. „Zuviel Mathematik“. Einen Sänger einer Rockband stellte man sich in seiner Heimat vermutlich anders vor, ein Rockstarleben nicht: Simon krächzt zur Begrüßung, mehr Ränder als Augen. Die Stimme hat er in der Stadt gelassen, dafür ein paar Kratzer, Rückenschmerzen und eine neue Geschichte im Gepäck: Vor zwei Tagen spielten die Kings Of Leon im Palladium. Die Kilians sind Fans und waren da, Simon berichtet vom Konzert. Und von zuviel Bier und Adrenalin. An mehr erinnert er sich kaum. Die Story, die er sich aus den Fetzen dieser Nacht zusammenreimt und nachher seinen Bandkollegen zum Besten geben wird, erzählt man besser nicht. „Wenn das meine Mama erfährt….“.

Kilians
Stolz auf ihre Heimat. Die Kilians aus Dinslaken
Die Touren, die Parties, das plötzliche Interesse an ihnen, die ihre Band genau wegen diesen Vorzügen und als Flucht aus der heimischen Langeweile gründeten – das ging alles sehr schnell für Simon und die vier anderen Kilians Michael „Mika“ Schürmann (Schlagzeug), Dominic Lorberg (Gitarre), Arne Schult (Gitarre) und Gordian Scholz (Bass). Vor rund vier Jahren gründeten sie, damals nur Schulbekannte, The Rivets und nannten sich noch vor den ersten Schulkonzerten in The Kilians um, nach dem Kilian in Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“. Simon war zu dieser Zeit 16 Jahre alt, die anderen Jungs kaum älter. Nur Gordian war schon 23. Auf der Eierwiese, einem kaputten Stück Rasen gleich neben dem Gustav-Heinemann-Schulzentrum in Dinslaken traf man sich früher. Erst Fussball spielen. Dann rauchen, trinken, abhängen. Simon versuchte sich damals noch am Schlagzeug, schrieb an einem solcher Abende mit einem Kumpel und einer Gitarre „Fight The Start“, den ersten Song der Kilians. Dann türmen sich die Wendepunkte im Leben fünf Heranwachsender: Abitur, Führerschein, vier stürmische, vor abgeklärter Lässigkeit nur so strotzende Songs auf einer Demo-EP namens „Fight The Start“ und ein jubelnder Empfänger namens Thees Uhlmann. Der Tomte-Sänger sorgte für den nötigen Hype, nahm die Kilians unter seine Fittiche und ins Vorprogramm der „Buchstaben Über Der Stadt“-Tour. Von dort an ging alles noch schneller. Uhlmanns Label Grand Hotel Van Cleef sah bei sich nicht die notwendigen Kapazitäten, die Kilians seien für Größeres bestimmt. Milchkannen bespielten sie nur kurz, enterten erst Festivals auf dem Busdach eines Energydrink-Sponsors und unterschrieben dann einen Plattendeal bei Universal. Schnell musste es gehen, der Auftrieb durfte nicht abebben. Ihr juveniles Debüt „Kill The Kilians“ mutete wie ein zusammengezimmerter Schnellschuss aus erprobten Hits und neuen, durch die Bank schmissigen Songs an und fing deshalb diese Sturm und Drang-Phase auf, die in der Band und um sie herum vorherrschte. Das war 2007, die Presse bemühte sich wahlweise an Uhlmanns Hype-Vokabular, an nahe liegenden Verweisen auf The Strokes, Mando Diao, die grassierende Retro- und Garagenrock-Welle und kam besonders um die Herkunft und das Alter der Kilians – das „The“ im Namen hatten sie mittlerweile gestrichen – nicht umhin. Klar, die Vergleiche könnten schlechter sein, die ihnen zukommende Aufmerksamkeit auch. Und Simon relativiert zufrieden: „Die Eigenständigkeit wurde uns trotz aller Strokes-Verweise nie abgesprochen.“ Direkt oder indirekt aber waren sich, uns eingeschlossen, in ihren fragwürdigen Respektsbekundungen alle einig: „Gut – für eine deutsche und so junge Band…“

„I’m so proud of my hometown“ („Hometown“)

Eben darin aber liegt Fluch und Segen für die Kilians. Natürlich wird man einerseits keiner Band gerecht, wenn man sie auf ihre Herkunft und ihr Alter reduziert. Andererseits wäre „Kill The Kilians“, wären seine Urheber Mitte 30 und aus New York, zwar immer noch ein Sammelbecken der Ohrwürmer – aber gleichzeitig nicht mehr als eine Fußnote des Indierocks der Nuller Jahre. Wenn nun aber fünf Jungs aus einem bis dato unbefleckten Ort der Popgeschichte auf Anhieb so ein Debüt raushauen, zwei Jahre später ein lupenreines Radiopop-Album namens „They Are Calling Your Name“ nachlegen und im Opener „I’m so proud of my hometown“ singen, darf und muss man schon mal genauer hinsehen.

Auf dem Gelände des Gasthofs „Zum Grunewald“, an einer Landstraße draußen in Oberlohberg, versteckt sich das Hauptquartier der Kilians. Die Zeche in Lohberg steht schon lange still. Mikas Vater betreibt das alte Hotel und hat ihnen in einer alten Scheune Platz für einen Proberaum verschafft, eine viertel Stunde Autofahrt vom Bahnhof entfernt. „Wenn ein Ort in Dinslaken Bedeutung für uns hat, dann der hier“, kommentieren die Jungs ihr karges Domizil und das Lieblings-Sujet der Journalisten. Mika selbst wohnt noch im Anbau seiner Eltern, will später studieren. Für alle aber gilt: Band first. Dominic wohnt um die Ecke Dominik wohnt drei Kilometer weiter, will vielleicht zum Wintersemester ein Studium beginnen. Gordian schiebt in Bochum seine Diplomarbeit in Psychologie vor sich her, Arne wohnt in Hünxe und ist an der Uni Duisburg-Essen eingeschrieben. Und Simon macht Köln und sich selbst unsicher, wenn gerade mal keine Tour ansteht. Er fasst das so zusammen: „2007 haben wir jeden dritten Tag ein Konzert gespielt. Zu jedem gehört ein Tag Nachbereitung. Macht: Zwei Drittel des Jahres unterwegs, ein Drittel frei.“ „So eine Band ist auch ein Arbeitsverhältnis“, sagt Dominic. „Drei Wochen Spontanurlaub oder mal den Jakobsweg gehen – no way. Wir müssen abrufbar sein.“

Zwei Stunden und eine Currywurst später. Die Kilians flanieren durch ihre Stadt. Fußgängerzone, Marktplatz, Kirche, Einzelhandel, Dorfkneipen. Schon oft sollten sie erzählen, wie sie hier geprägt wurden. Sie spielen das leidige Spiel mit. Besser in Erinnerungen über Proberäume und Besäufnisse schwelgen als gar nichts zu sagen. Mitnehmen was kommt, wie auf Tour. Simon, dieser Johnny Borrell des deutschen Indierocks, gibt auch abseits der Bühne die Rampensau, sprach eben noch zwei türkische Jugendliche an der Ecke an, was sie an ihrer Stadt so geil finden. „Meine Homies“, antwortet einer. In anderen Worten sagen das auch die Kilians. Aber mit der Musik habe das nichts zu tun. Womit denn dann? „In diesem Hamburg-Song von Tomte singt Thees, dass die Stadt ihn zum Mann gemacht hat. Das möchte ich über Dinslaken nicht so sagen!“, sagt Simon. „Aber es hat mich geformt. Meine alten Freunde sind hier, meine Familie. Darum geht es doch nach der Schule: die Leute gehen weg, wollen raus, verabschieden sich. „Hometown“ sagt: Ich bin nicht stolz auf Dinslaken, weil es Dinslaken ist. Ich bin kein Lokalpatriot. Aber ich bin hier groß geworden. Niemand muss stolz auf seine Herkunft sein. Verleugnen aber kann man sie auch nicht.“

Und nach uns U2

„Ficken? Tackern!“ Drei Wochen vorher, Berlin. Promotag. Die Kilians fläzen sich in der sterilen Interviewlounge im achten Stock ihrer Plattenfirma. Gute Aussicht, hier über den Dächern der Stadt. Den spätpubertierenden Schlachtplan, den einer von den fünf Kilians an das Whiteboard gemarkert hat und der an der Kreidetafel im Proberaum auch als Arbeitstitel ihres neuen Albums herhält, müssen Außenstehende nicht verstehen. So läuft das mit gruppeninternen Running Gags, und die Kilians haben einige davon am Start. „Ach, das hat sich irgendwann verselbständigt“, kichert die eine Hälfte der Band, während die anderen sich die erste von unzähligen Zigaretten der kommenden Stunde drehen. Simon ist auch hier Rädelsführer, Interviewanlass ist „They Are Calling Your Name“, das zweite Album der Kilians. Den jetzigen Titel kann die Band selbst nicht eindeutig erklären, auch der habe sich irgendwann verselbständigt. Im Gespräch geht es aber vor allem um das Tourleben und was es mit einer Band anstellt, die in einer vergleichsweise ereignisarmen Kleinstadt aufgewachsen ist. Arne bestätigt: „Auf unserer ersten Tour mit Tomte haben wir jeden Kühlschrank leergemacht“.

Kilians auf der Eierwiese in Dinslaken
Rauchen, saufen, Fußball spielen: Die Kilians auf der Eierwiese. Da traf sich die Dorfjugend.
Simon: „Anfangs haben wir das durchgezogen: 100 Prozent auf der Bühne, 100 Prozent dahinter. Das kommt auch immer noch vor, wenn wir zuviel Zeit haben, zu früh mit dem Trinken anfangen, uns selbst abfeiern und ich Schwachsinn daherrede. Das macht der Körper aber nicht ewig mit. Ich kann mich nicht mehr jeden Tag darüber freuen, dass es umsonst Bier gibt. Die Band ist auch der Job. Man kann das aber Leuten schwer vermitteln, die es nicht selber machen.“

Dominik: „Und mit denen, die es machen, braucht man nicht mehr drüber reden.“

Zum Beispiel mit Thees, Eurem prominenten und mutmaßlichen Entdecker.

Arne: „Ach, Thees hat uns sicher nicht geschadet. Aber er ist ja auch kein Meinungsführer, kein Noel Gallagher oder so.“

Simon: „Abseits unseres Dinslakener Umfelds war er einer der ersten, der uns Selbstvertrauen zugesprochen hat. Wir hatten Glück, dass uns jemand die Türen geöffnet hat. Den Rest aber machen wir selber, in Zukunft auch.“

Vor vier Jahren noch habt Ihr in der Schulaula gespielt, heute als Vorband von Mando Diao oder den Babyshambles. Hebt man da ab?

Simon: „Mir geht’s nicht darum, wer nach uns spielt, sondern um unsere Show. Da könnten auch U2 nach uns kommen. Ich freue mich darüber, denke aber eher: „Geil, dann haben wir ein volles Haus und können abliefern.“ Außerdem sind solche Shows ja nicht die Regel, am nächsten Abend spielen wir dann wieder auf einem Münsteraner Hinterhof. Und das genauso gerne.“

Solche Shows dürften nach „They Are Calling Your Name“ weniger werden. Die neun neuen, zwischen Tour und Studio im vergangenen Herbst geschriebenen Songs klingen so retro, wie es damals zum Debüt immer hieß. Verzerrte Gitarren und Uptempo-Hits wie „Fight The Start“ oder die letzte Single „When Will I Ever Get Home“ sucht man vergebens. Es dominieren von der Akustikgitarre ausgehende Songwriterstücke, die Simon zuletzt mit Simon Frontzek, dem neuen Tomte-Keyboarder, als „Simon & Simon“ ausprobiert hat. Er selbst beschreibt den geläuterten Sound so: „Wir haben die Songs im Proberaum geschrieben. Wenn sie dort funktionieren, dann tun sie es auch im Club und im Stadion. So sollte die Platte klingen. Der Sound ist klarer, der Gesang nimmt einen anderen Wert ein. Es klingt nach Kilians.“ Es müsste schon mit dem Teufel zu gehen, ging die Karriere der Kilians hernach rückwärts Richtung Schuppen. Um als alternative Boygroup positioniert zu werden, sind die Jungs zu verschlafen und zu versoffen. Das Label aber hat trotzdem vorgesorgt: Als Radioversion wurde die fluffige Frühlingssingle „Said And Done“ mit Streichern beladen, das dazugehörige Video wurde in den Bergen Spaniens gedreht und inszeniert die Kilians als pathetische Rockband, die sie nicht sind.

Dominic: „Wir müssen uns eingestehen, dass das Label mehr Ahnung hat, wie Dinge funktionieren. Aber wir sagen sofort nein, wenn uns Entscheidungen komplett wiedersprechen, finden einen Kompromiss oder kippen es. Wir versuchen, uns treu zu bleiben.“

Simon: „Wegen der Streicher gab es Streit. Klar sollte man so etwas einmal aufnehmen, aber dort hörte man uns als Band nicht mehr so raus, fanden wir. An dem Punk hatten wir uns aber bereits eingestanden, „Said And Done“ als Single auskoppeln zu wollen. Deshalb zwei Versionen. Wenn uns über die Radioversion Leute kennenlernen, stelle ich das nicht weiter in Frage, dann ist die Sache abgehakt. Denn involviert waren wir immer. Und Streit ist immer konstruktiv.“

Ein Sprichwort besagt: „Man kann den Jungen aus dem Dorf, niemals aber das Dorf aus dem Jungen bekommen.“ Die Kilians halten als quicklebendiger Beweis dafür her. Simon, Arne, Dominic, Gordian und Mika einigte nicht der unbedingte Wille zur Musik, würden sie ihre gegenwärtigen Chancen nicht nutzen – Nebenschauplätze inklusive. Sie aber nehmen all das mit offenen Armen war, was da kommen mag, finden gemeinsam mit ihrem Publikum zu ihrer ihnen angemessenen musikalischen Spielfläche, kurzum: Die Kilians werden mit sich selbst erwachsen. Aber auch das können die Jungs selbst viel pointierter sagen:

In einem Wort: Was bedeutet für Euch die Kilians 2009?

Gordian: „Die Kilians sind mein Leben im Moment.“

Simon: „Ein Wort!“

Mika: „Alltag.“

Arne: „Ungeschminkt.“

Dominic: „Geile Zeit.“

Simon: „Ehe!“

(erschienen in: unclesally*s 04/2009)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


*

Zurück nach oben