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Das dreckige Dutzend: Pssst!

Minimal Folk mit Cher-Effekt: Neues von traurigen Amerikanern

Ein Popstar, der vor 30 Jahren noch undenkbar gewesen wäre, wurde in Amerika gerade inthronisiert. Ein Hauch von change aber weht nicht erst seit der Präsidentenwahl auch über das popmusikalische Amerika. Eine Repolitisierung des Hip-Hop war zu beobachten. Und jüngere linksorientierte Songwriter, allen voran Ryan Adams oder Conor Oberst, berufen sich auf den Country.

Ben Kweller, gebürtiger Texaner und mit 28 Jahren einer der jüngsten dieser Generation, treibt die Sache auf seinem neuen Album „Changing Horses“ (ATO, 2009) auf die Spitze. Vom rumpelnden Nachwuchs-Slacker des New Yorker Anti-Folk ist nur noch die schrullige Lausbübigkeit geblieben. Seine pubertierende Punkband Radish wurde noch – zu Unrecht – unterschätzt; erfolgreicher waren seine Experimente mit Radiopop. Nun also Country. Er jault, tänzelt wie ein Däumling auf der Pedal Steel-Gitarre, stolpert über den Kontrabass und streicht die Snares mit Besen. Country eben. Den Musiknomaden rettet, dass er trotz aller musikalischer Expertise den Eindruck macht, er erfülle sich vor allem einen Kindheitstraum. Demnächst vielleicht mit einem Metal-Album?

Von Krach oder Euphorie nicht weiter entfernt sein könnte hingegen J. Tillman. Warum sein europäisches Debüt und eigentlich fünftes Soloalbum „Vacilando Territory Blues“ (Cooperative, 2009) dennoch ein hoffnungsvolles ist, weiß nur, wer vor rund drei Jahren die Moll-Ode „Minor Works“ (Fargo Records, 2006) in dunklen Nächten lieben lernte. Josh Tillman ist hauptberuflich Schlagzeuger der zuletzt ausgiebig gefeierten amerikanischen Band Fleet Foxes. Er stammt also aus Seattle, der, 15 Jahre nach Grunge, neuen heimlichen Indierock-Hauptstadt. Tillman aber spielt leise, entschlackt den Folk seiner Band von jeder Leichtigkeit. Es bleiben allein seine Gitarre, ein Tamburin und seine glühwarme Schlafzimmer-Stimme. Maximale Nahbarkeit mit minimalen Mitteln – eine (in der Wirtschaft unmögliche) Erfolgsformel im Folkpop?

Noch besser macht es derzeit vielleicht nur Justin Vernon. Das große stille Debüt „For Emma, Forever Ago“ (4AD / Beggars, 2008) seines Projektes Bon Iver war wahrscheinlich der populärste Geheimtipp aller Jahresbestenlisten 2008. Jetzt legt Vernon mit der EP „Blood Bank“ nach und spielt darauf immerhin so gefasst, dass er, der selbst von Amor so Angeschlagene, das Anschlagen der Saiten seiner Akustischen nicht vergisst. Die Finger kratzen übers Griffbrett, der Gesang hallt aus dem Jenseits, als sei Vernon eine multiple Persönlichkeit. So schön wäre Minimal Folk, wenn Vernon mit Bon Iver dem Genre nicht noch einen zweischneidigen Gefallen täte: Er etabliert den von Kanye West wieder salonfähig gemachten Cher-Effekt, also seltsam flatternden, elektronisch manipulierten Gesang, in einem fast rein akustischen Genre.

Nur dem Gutmenschen Ben Lee ist all das immer noch zu traurig. Kein Wunder, er hat als Großstadt-Australier naturgemäß mit amerikanischer Befindlichkeit und der von Ben Folds besungenen „Redneck Past“ nur weit am Rande etwas am Hut. Gemeinsam mit Kweller und Folds tourte er als The Bens durch die Lande. Zuletzt coverte er Punkrockalben und schlug mit dem Song „What Would Jay-Z Do?“ die Brücke zwischen Hip-Hop und Singer/Songwriter-Musik so elegant wie kein zweiter. Seinem Image als braver Junge schadete es nicht, deshalb polarisiert er mit „The Rebirth Of Venus“ (New West, 2009) auf seine Art erst Recht: „I love pop music“ singt er und lässt in eben dieser Single auch prompt umweltpolitische Ansagen vom Stapel, die man von Popsängern nicht unbedingt hören möchte. Der Rest bleibt erwartungsgemäß gefällig und Lee ein heimlicher Exot unter den 2009 gar nicht mehr so traurigen Songwritern. Es liegt natürlich auch an seiner Herkunft, wenn er die charmante Nichtigkeit seiner Lieder auf den Punkt bringt: „What’s so bad about feeling good?“ So weit wird es bei seinen amerikanischen Kollegen hoffentlich nie kommen.

(erschienen in: Süddeutsche Zeitung, Seite 12, Feuilleton, 13. März 2009)

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