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5 Missverständnisse im Fall Till Lindemann, über die wir (immer wieder) sprechen müssen

Im Zweifel für die Angeklagten: Die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann spalten das von ihm besungene Deutschland. Die Debatte offenbart derweil Grundsätzlicheres: Machtmissbrauch ist fast nie ein Einzelfall. Er wird bagatellisiert und mutmaßliche Opfer werden zu Täter*innen gemacht. Ein Einordnungsversuch für Femtastics.com.

Provokation bis zum Schluss: Rammstein im Jahr 2019 (Foto: Jes Larsen)
Provokation bis zum Schluss: Rammstein im Jahr 2019 (Foto: Jes Larsen)

Nein, das ist leider kein Sommerlochthema: Seit Wochen diskutiert Deutschland den Fall Till Lindemann. Mit seiner Industrial-Rock-Band „Rammstein“ ist er der größte Exportschlager dieses Landes seit den „Scorpions“. Lindemann sieht sich mit schweren Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der sexuellen Übergriffigkeit konfrontiert. Was war passiert, was soll geschehen sein?

Am 24. Mai ging eine 24-jährige Nordirin namens Shelby Lynn an die Öffentlichkeit: Auf „Twitter“ teilte sie Erfahrungen, die sie während eines „Rammstein“-Konzerts im litauischen Vilnius laut ihrer Erzählung gemacht habe. Nach dem Besuch einer Backstage-Party sei sie mit blauen Flecken und Hämatomen aufgewacht. Sie spekuliert, dass ihr K.O.-Tropfen verabreicht worden sein müssen. Sie erinnere sich lediglich daran, wie sie benebelt in einen kleinen schwarzen Raum unter der Bühne geführt worden sei, in dem Till Lindemann erschien und sie entgegnete, dass sie keinen Sex haben wolle. Er habe wütend reagiert und geschrien.

Tage darauf meldete sich die deutsche Influencerin Kayla Shyx zu Wort. In einem Video schilderte sie ausführlich und sehr konkret eigene Erfahrungen und behauptet, dass sie mit zahlreichen anderen jungen Frauen* in Kontakt stünde, die ähnliches erlebt hätten. Es geht um Backstage-Partys, auf denen sie viele Prominente gesehen habe, sie und andere Mädchen aber unmittelbar in einen anderen Raum geführt worden seien. Hier mussten sie ihr Smartphone abgeben und es seien ihnen immer wieder Alkohol und andere Drogen angeboten worden.

Trotz Unbehagen habe es Überredungsversuche gegeben, doch bitte bloß zu bleiben. Immer wieder nannte sie den Namen Alena Makeeva. Makeeva soll als eine Art Casting-Direktorin dafür verantwortlich gewesen sein, für Lindemann junge Mädchen zu rekrutieren – vor Ort auf den jeweiligen Konzertgeländen, aber auch im Vorfeld via „Instagram“. Das Bild, das sich dadurch sowie durch intensive Recherchen von der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Spiegel“ zeichnete: Der 60-Jährige soll sich ein perfides System aufgebaut haben, um sehr junge Frauen* nach ganz bestimmten Vorstellungen und „Fuckability“ in die sogenannte Row Zero, also die vorderste Publikumsreihe gleich vorm Bühnengraben und zweitens auf fragwürdige Hinterzimmertreffen „einzuladen“.

In den ersten Tagen nach den Anschuldigungen schwieg die Band. Vier Tage nach Shelby Lynns Postings schrieb „Rammstein“ auf „Twitter“: „Zu den im Netz kursierenden Vorwürfen zu Vilnius können wir ausschliessen, dass sich was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt.“ Es folgte das Gerücht, „Rammstein“ habe Alena Makeeva entlassen – na klar, als ob sie – obwohl sie in dem Falle, dass sich die Vorwürfe bewahrheiten, gewiss eine Mittäterin wäre – daran Schuld trüge, was ihr Arbeitgeber verlange!

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Eine grundsätzlichere Ansage folgte am 8. Juni: Die Kanzlei Schertz & Bergmann erklärte in einem Pressestatement, dass sie fortan Till Lindemann vertreten werde und drohte sogleich der Presse: Die habe sich der unzulässigen Verdachtsberichterstattung schuldig gemacht, man werde dagegen vorgehen.

Interessant darin war der folgende Passus: „Es wurde wiederholt behauptet, Frauen* seien bei Konzerten von „Rammstein“ mithilfe von K.O.-Tropfen bzw. Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können. Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr.“ Was die Kanzlei damit auf den zweiten Blick nämlich auch gesagt hat: Die Vorwürfe, Lindemann habe sich eine Art Sex-System mit Machtgefälle aufgebaut, gezielt nach jungen Frauen* suchen und sie zu möglichen sexuellen Handlungen in Räume unter oder hinter Konzertbühnen führen lassen, sind möglicherweise nicht ausnahmslos unwahr.

That being said: Selbst wenn an sämtlichen Vorwürfen nichts dran sein sollte, offenbaren doch zahlreiche bisherige Reaktionen darauf, was in unserer patriarchalen Gesellschaft trotzdem falsch läuft. Zum Beispiel die hier.

1. „Groupies gab es doch schon immer!“

2. „Die Opfer sind Täter und selbst schuld!“

3. „Vorverurteilung! Es gibt keine Beweise!“

4. „Kunst und Künstler sind zu trennen!“

5. „Das ist ein Einzelfall!“

(…)

Weiterlesen? Auf Femtastics.com habe ich die fünf zitierten Aussagen unter die Lupe genommen.

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