Lichtkünstler Christopher Bauder im Gespräch: „EDM-Shows sind oft lächerlich“

Lichtkünstler Christopher Bauder über Live-Installationen für Bon Iver und andere Weltstars, David Guettas Rumgehüpfe und seine aktuelle Dauerausstellung „Dark Matter“ in Berlin.

Christopher Bauder vor seiner Kunst

Wer es vor Beginn der Pandemie im Herbst 2019 zu einer US-Show von Bon Iver schaffte (oder Videos davon sah), hat seine Kunst bereits erlebt: Lichtkünstler, Beleuchtungssystem-Entwickler und Designagentur-Inhaber Christopher Bauder aus Berlin hat für die „i, i“-Tour die Live-Installation mit kinetischen Elementen, Lichtreflexionen und Spiegeln maßgeblich entworfen. In Europa könnte sie ebenfalls bald / endlich zu sehen sein: Wenn Corona nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht, treten Justin Vernon und seine Band am 31. Oktober 2022 in der Mercedes-Benz Arena in Berlin auf. Wer sich schon vorher – Achtung, lahmer Wortwitz – erleuchten lassen mag, kann dies in Berlin-Lichtenberg tun: In der Dauerausstellung „Dark Matter“ präsentieren Bauder und sein Team ein beeindruckendes Zusammenspiel von Licht und Sound.

Ich sprach für den Musikexpress mit Bauder über sein berühmtestes Projekt „Lichtgrenze“ zum 25. Jubiläum des Mauerfalls in Berlin, über Kunst und Kommerz, über seine Zusammenarbeit mit Bon Iver, über Musikvideos, über „lächerliche“ EDM-Shows mit David Guetta und über mögliche Konzert-Tourneen mit Stars der Größenordnung eines Kanye West oder Daft Punk im Falle eines Comebacks – „mit Leuten, die die Kraft des Visuellen verstehen“.

„DARK MATTER“-LICHTKÜNSTLER CHRISTOPHER BAUDER: „MICH LIMITIEREN NUR NOCH RAUM UND GELD“

Christopher, durch Corona sind auch Euch maßgebliche Einnahmequellen weggebrochen…

Christopher Bauder: Geld verdienen wir zum Glück mit allem, was wir tun. Mit Lichtkunst, Touren und unseren Produkten. Durch Corona verlagerten sich die Schwerpunkte. Es gibt keine Events. Mit Vermietung verdienen wir aktuell keinen Cent. Dafür läuft der Ticketverkauf für „Dark Matter“ momentan besser. Dort können wir unsere Kunst auch zeigen.

Bei Kunst geht es nicht zuerst um Geld, aber irgendwann ja schon. Du hast an der Universität der Künste studiert. Wie erschafft man als junger Künstler seine ersten Werke? Lichtinstallationen kosten vermutlich sehr viel Geld und Du musst vor allem Investoren ranschaffen?

Digitalkunst. Meta, 3D, Real-Time-Umgebungen: Alles, was ich an der Uni machte und lernte, ist gerade angesagt. Damals waren wir am Bildschirm und der Projektion gefangen. Ich wollte diese Kunst in den realen Raum übertragen. Du hast recht: Das wird schnell kompliziert, teuer und technisch aufwändig. Finanzierung war also immer eine meiner Herausforderungen. Meine erste, noch überschaubare Installation „Tonleiter“ ist heute, 23 Jahre später, Teil von „Dark Matter“. Die ersten kinetischen Installationen wurden teurer, zum Beispiel die Balloninstallation ATOM, mit der ich gemeinsam mit Ableton-Live-Gründer Robert Henke, auch bekannt als Monolake, weltweit tourte. Wenn sie auf Festivals gut ankam, habe ich das Geld reinvestiert. Immer wieder, so wuchs es langsam. Ich habe mir nie selbst etwas geleistet, komme nicht aus einem reichen Elternhaus.

Dazu kamen eines Tages Werbedeals.

Meine Kunstinstallationen haben immer wieder Interesse in der Industrie geweckt. Da hat zum Beispiel Mercedes angerufen. Sie wollten ihre neue S-Klasse mit einer großen kinetischen Installation mit Lasern bewerben. Also habe ich eine Installation von mir dafür adaptiert – mit sofortiger Finanzierung. Eine strenge Trennung zwischen Kunst und Kommerz gab es bei mir nie. Ich sehe solche Kooperationen lediglich als eine andere Form der Finanzierung. Der Inhalt kann immer Kunst sein. Und über kommerzielle, industrielle Aufträge finanziere ich neue Installationen quer.

Eher untypisch für Kunst: Du musst das Publikum also am Anfang mitdenken, nicht am Ende.

Jein. Ich hatte Glück, dass die Kunst, die ich machen wollte, auch gut beim Publikum ankam. Heute nennt man das Experimental Art oder Immersive Art nennt man das jetzt. Menschen wollen gerne eine Erfahrung machen, die wir dort schaffen. Ich denke bei keiner Installation vorher darüber nach, wie ich sie gestalten muss, damit die Leute sie gut finden. Klar, wenn ich das für adidas adaptiere, bin ich Dienstleister und passe es auf ihre Bedürfnisse an. Ich verbiege mich nicht, erkenne nur ihren anderen Hintergrund. Sie wollen zum Beispiel, dass ihr Produkt gut aussieht, dass sie ihre Kunden unterhalten.

Dein bisher bekanntestes Kunstwerk ist die kilometerlange Installation „Lichtgrenze“ 2014, entlang der 25 Jahre zuvor gefallenen Berliner Mauer. War das auch Dein für Dich wichtigstes Projekt bisher?

Auf jeden Fall. Von der Dimension her, der Öffentlichkeit und der Zusammenarbeit mit der Stadt und der Politik. Ich habe sehr viel darüber gelernt, wie Städte unter der Haube funktionieren. Und überhaupt: 8000 Elemente auf 15 Kilometern haben mich an die Grenzen des Machbaren gebracht. Als ich mit dem Rad da langfuhr, hat das auf mich nachhaltig Eindruck hinterlassen.

Mit diversen Installationen bist Du um die Welt getourt. Bleibt „Dark Matter“ ein Berliner Ding?

Keine Ahnung. Es macht uns Spaß. Ob wir daraus ein Franchise machen, das um die Welt geht, ist mir nicht so wichtig. Ich finde es gut, wenn Kunst an einem Ort ist und die Leute dorthin kommen müssen, um sie zu sehen und zu erleben. Dass sie nicht überall verfügbar ist.

Was heißt „Dauerausstellung“ im Kunstbetrieb? Zwei Jahre und dann mal gucken?

Die Location gehört uns. Die jetzige Ausstellung werden wir im Laufe der Zeit verändern. Wir haben noch andere Installationen, werden also immer wieder mal austauschen und anbauen, Produkte testen, Shows machen. „Dark Matter“ ist ein lebendes organisches Ding, das sich entwickelt. Unsere Spielwiese.

Der Plan sah auch Live-Events vor. Die fielen wegen Corona bisher komplett aus, oder?

Ja. In anderen Ausstellungen von mir gab es stets feste Bestandteile sowie eine rund einstündige Liveperformance. Das ist im Moment nicht möglich. Für diesen Aufwand müssten wir den Raum komplett voll machen. Mit 50 verkauften Tickets lässt sich dies unmöglich finanzieren.

Der Fluch aller Clubs dieser Tage und Monate.

Wir teilen einerseits das gleiche Schicksal. Andererseits wird bei uns nicht getanzt, was den Vorteil hat, dass wir nur deshalb überhaupt noch Leute reinlassen dürfen. Es ist trotzdem nicht alles möglich von dem, was wir uns vorstellten. Wir müssen Abstände halten, Lüftungssysteme einbauen, Regelungen checken und einhalten, mehr Personal beschäftigen zur Kontrolle…

… und könnt wie alle anderen nicht safe damit planen, im Sommer wieder groß auffahren zu können.

Wir planen von Tag zu Tag, verkaufen Tickets immer nur für die nächsten zwei Wochen, weil die Regeln ja immer wieder geändert werden. Damit wir sie nicht rückerstatten müssen. Aber ich will mich nicht beschweren, bin froh, dass überhaupt was geht. Unsere weltweiten Shows und Touren wurden alle abgesagt.

Die Musik in „Dark Matter“ wurde teilweise von Dir komponiert.

Eigentlich nur die in einem Raum. Ich arbeite mit bekannten und unbekannten Komponisten zusammen. Zum Beispiel mit Robert Henke. Mit Boris Acket aus Amsterdam. Mit den Leuten vom „Kling Klang Klong“-Studio.

Wie bezeichnest Du die zu hörenden Sounds?

Es ist elektronische Musik von Ambient-Flächen bis hin zu technoartigen Beats. Stellenweise könnte man sogar tanzen.

Komponieren ist Dir also nicht so wichtig, dass Du mal ein eigenes Album aufnehmen wollen würdest?

Lustig, dass Du es erwähnst. Ich fange gerade an, selbst Musik zu machen, weil ich die Verzahnung von Sounds und Visuals für eine Liveshow und die räumliche Positionierung von Sounds stärker voranbringen möchte. Ich arbeite dreidimensional, auch unser Soundsystem kann das. Ich habe ein paar Ideen, bei denen ich es schwierig gefunden hätte, sie wem anderes zu erklären, damit er sie in meinem Sinne komponiert. Ich probiere mich aus und hole mir gegebenenfalls Hilfe, ich bin ja kein gelernter Musiker. Mit den heutigen Tools kommt man trotzdem relativ weit.

Der erste Musiker, über dessen Zusammenarbeit mit Dir ich von Dir hörte, war Justin Vernon aka Bon Iver. Für die gerade pausierende Tour hast Du seine Lichtshow gestaltet. Wie kam diese Koop zustande?

Bon Ivers Lichtdesigner Michael Brown kannte meine Arbeit. Wir standen bereits wegen einer anderen Band in Kontakt. Er fragte mich, ob ich hierauf Lust hätte. Ich habe basierend auf einer anderen Idee von mir spezielle kinetische Spiegel für die Tour angefertigt und wir haben sie gemeinsam weiterentwickelt. Das generelle Lichtdesign kam von ihm, von mir das Showdesign für die kinetischen Teile.

Warst Du dafür öfter in den USA oder geht selbst sowas digital?

Wir haben viel vorproduziert. das geht dank 3D-Visualisierungen und einer Software, die wir selbst entwickelt haben. Darin kann vorab alles miteinander verbunden werden, der Showablauf ist visualisierbar. Die Generalprobe fand aber in den USA statt.

Hattest Du auch mit Vernon direkt Kontakt?

Beim Briefing hin und wieder. Er ist ein ziemlich cooler Künstler, weil er sehr großes Vertrauen in sein Team hat und den Teil der Verantwortung stark abgibt. Michael und er kennen sich schon sehr lange. Wir konnten frei agieren. Die Show ist auch supergeil geworden, wie ich finde.

Wenn Corona es wieder zulässt, könnten Vernon und Du auch hier in Berlin zusammenarbeiten. Er ist der Stadt ja unter anderem durch das Michelberger Music Festival verbunden.

Ich bin ständig mit Michael Brown in Kontakt, wir haben Ideen, aber Corona kommt ständig dazwischen!

Wären Musikvideos nicht auch was für Dich?

Eigentlich schon. Aber ganz ehrlich: Deren Budgets stimmen einfach nicht. Ich kriege haufenweise Anfragen, auch für „Dark Matter“ als Kulisse, „ist doch schon alles da!“. Nur Hintergrund zu sein, interessiert mich nicht sehr. Es muss eine Verbindung bestehen. Man will relativ günstig bei uns drehen, unsere Installationen sind aber sehr aufwändig. Kleine Ausnahmen haben wir mal gemacht, auch eine große DVD-Produktion für einen brasilianischen Superstar, den hier kein Schwein kennt. In der Regel fehlen aber die Budgets. Zumal wir auf live spezialisiert sind.

Und dafür gibt es noch Budget.

Ja. Wir kriegen Anfragen für Welttourneen von A-Listern. Mal schauen, was da passiert.

Kannst Du Namen nennen?

Noch ist nichts konkret genug. Die wissen ja auch alle nicht, ob und wann sie ihre Touren starten und durchziehen können. Meine Kunst live zu zeigen ist mir aber wichtig, und das möglichst gleichberechtigt mit der Musik. Klar, bei einem Superstar ist zuerst er der Star. Aber selbst oder gerade da ist die Lichtshow ja fast wichtiger als der eigentliche Performer. Nimm diese DJ-Sets: David Guetta spielte neulich eine Neujahrsshow in Abu Dhabi. Wozu brauchte man den dort? Das war eine gigantische, richtig geile Lichtshow. Ich kenne auch die Leute, die ´sie gemacht haben. Die wurden nicht mal namentlich genannt. Dafür steht dort David Guetta und hüpft auf und ab. Das ist nur noch lächerlich. Es muss gleichberechtigter werden. Licht, Sound und Musik sollten auf Augenhöhe genannt werden – und dann läuft die Show ohne dass da einer noch so tut als würde er was machen.

„Meine einzige Beschränkung ist Raum und Geld“

Gibt es trotzdem Namen, mit denen Du gerne mal arbeiten würdet?

Ich fände es toll, mit Yello was zu machen. Daft Punk ist zumindest erstmal keine Option mehr. Ich glaube, die machen irgendwann ein Comeback. Das sind Leute, die die Kraft des Visuellen verstehen. Kanye West ist gerade groß in dieser Richtung. Er ist auch Fan von James Turrell, von Lichtkunst im Allgemeinen. Es gibt viele Künstler, bei denen ich denke, dass es gut passen könnte.

Über Bon Iver müsste eine Connection zu West zu machen sein…

Wie gesagt, es kommen Anfragen. Ich darf nur leider keine Namen nennen. Es gibt einige in der Pipeline. Mal schauen, was daraus wird. Superstars haben halt entsprechende Budgets und die Größe passt: Sie treten in Stadien oder großen Arenen auf. Wir brauchen Platz, damit eine Installation wirkt. Wenn du sie zu klein herunterschrumpfst, ist die Faszination nicht gegeben.

Klingt, also würde es mindestens nach Corona an Aufträgen nicht mangeln. Zumal sich Deine Kunst durch Technik bedingt und verändert: Heute kannst Du andere Dinge realisieren als während Deines Studiums. Und weiß nicht, was in zehn Jahren machbar sein wird.

Richtig. ich habe heutzutage nicht mehr das Problem, dass mir Technik fehlt, um eine Idee umzusetzen. Alles ist möglich, die Computer-Prozessor-Power geht gegen unendlich. Meine einzige Beschränkung ist Raum und Geld. Nichts anderes limitiert mich. Zumal wir selbst Technik entwickeln, die es noch gar nicht gibt.

+++ Dieses Interview erschien zuerst am 2. Februar 2022 auf musikexpress.de.+++

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