Wissenschaft im Teufelskreis

Wenn der Steuerzahler zweimal zahlt: Wollen Berliner Universitätsbibliotheken mit öffentlichen Geldern finanzierte Forschungsergebnisse bereitstellen, müssen sie die Publikationen von Fachverlagen zurückkaufen – mit öffentlichen Geldern. Open Access könnte eine Lösung des Problems sein.

Martin Grötschel hat nichts gegen Wissenschaftsverlage. Warum sollte er auch, schließlich sind sie es, die ihn erst zu der Mathematik-Ikone gemacht haben, die er ist. Grötschel ist Professor an der Technischen Universität Berlin, Präsident des Konrad-Zuse-Zentrums, Vorsitzender der Einstein-Stiftung und Generalsekretär der Weltmathematiker-Vereinigung. Seine Forschungsergebnisse und Artikel veröffentlichten er und seine Kollegen jahrelang in renommierten Fachzeitschriften, die wiederum bei großen Fachverlagen erscheinen, Elsevier, Wiley und Springer, zum Beispiel. Damit soll nun aber Schluss sein. „Sollen die Verlage doch ihre Arbeit machen“, sagt Grötschel. „Ich bin aber dagegen, dass Wissenschaftler sich noch länger von ihnen ausbeuten lassen“.

Open Access
Ein Problem, das seit Jahren diskutiert und doch nie gelöst wird: Open Access und Verlagsoligopolismus, hier Thema bei einer Podiumsdiskussion in der HU Berlin. Martin Grötschel (3. v. l.) darf natürlich nicht fehlen. (Foto: Fabian Soethof)

Bis vor rund 15 Jahren gab es ein legitimes Geschäftsmodell für die Verleger wissenschaftlicher Fachzeitschriften. Forscher aller Richtungen schrieben Artikel, die Verlage druckten sie und machten sie so einer Öffentlichkeit zugänglich. Schon damals lag die Qualitätskontrolle bei den Wissenschaftlern, die unentgeltlich an sogenannten Peer-Review-Verfahren teilnahmen, und die Aufsätze und Ergebnisse der Kollegen beurteilten. Auch damals schon verkauften die Verlage „ihre“ Publikationen an die Universitäts-Bibliotheken, die ihrem Informationsauftrag und den Bestellungen der Lehrstühle nachkommen mussten. An Beidem, der für Verlage nahezu kostenfreien Qualitätskontrolle und dem Verkauf, hat sich bis heute nichts geändert, auch das Nutzungsrecht für die Texte müssen Autoren dauerhaft abtreten.

Neu ist aber, dass die Verlage Jahr für Jahr an der Preisschraube drehen. Neu sind auch Digitalisierung und Internet, die die Publikationskosten eigentlich senken und die Forschungsergebnisse leichter zugänglich machen sollten. Die Volkswagen-Bibliothek der TU etwa muss von einem jährlichen Budget von rund 2,5 Millionen Euro, das rund zwei Prozent des TU-Etats entspricht, wegen undurchsichtiger Bündel-Abonnements immer größere Zeitschriftenpakete statt nur der tatsächlich für sie wichtigen Titel bestellen – und hat so plötzlich Medizinpublikationen im Regal, die in der TU kaum einer sucht. „Früher gab es mal Verlage mit Ethos“, sagt Bibliotheksdirektor Wolfgang Zick, „heute sind die großen alle in der Hand von Heuschrecken“.

Die Lösung könnte Open Access heißen. Grob übersetzt: Freier Zugang zu Informationen. 2003 wurde die Berliner Erklärung „über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ veröffentlicht, bis heute von fast 400 wissenschaftlichen Institutionen weltweit unterzeichnet. Darauf aufbauend formuliert die Bundestags-Enquete-Kommission „Internet und Gesellschaft“ ihre Empfehlungen, mit Open Access Wissen zu vermehren und Fortschritt voranzutreiben. „Fachzeitschriften sind heute ein kommerzielles, gewinnbringendes Produkt. Das war nicht immer so – und ganz sicher nicht so vorgesehen“, sagt Dr. Jeanette Hofmann, Direktorin des im April dieses Jahres gegründeten Alexander von Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG) und von den Grünen berufene Sachverständige in der Enquete-Kommission. „Mein Wunschszenario ist, dass mit öffentlichen Mitteln erstellte Publikationen frei zirkulieren können und die Zeitschriftenherausgabe nicht als kommerzielles Unternehmen organisiert wird.“ An Plattformen, vom eigenen Uni-Server über Wikis bis hin zu neuartigen Verlagsangeboten, mangelt es nicht – Open Access-Publikationen werden meist nicht gedruckt sondern im Netz veröffentlicht -, auch nicht an nationalen und internationalen Vorbildmodellen oder Förderern wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der EU und der Unesco. Bis Hofmanns Wunsch Wirklichkeit wird, ist es trotzdem noch ein langer Weg. Nicht nur, weil auch Open Access zur Verwaltung der Informationen und der Qualitätskontrolle Geld braucht. Sondern wegen der Egos der Forscher. Sich einen Namen zu machen, ist für sie ebenso wichtig wie die eigentliche Arbeit, gerade Nachwuchskräfte legen deshalb Wert darauf, in etablierten Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Einen Text auf einer Open-Access-Plattform zu veröffentlichen, bringt derzeit noch nicht allzu viel Renommee.

TU Volkswagen Bibliothek
Kann so ganz ohne die Verlage, auf die ihr Direktor schimpft, leider auch nicht leben: Volkswagen-Bibliothek der TU Berlin. Vom Namensgeber gibt es wohl übrigens seit Jahren kein Geld mehr, aber das nur am Rande. (Foto: Fabian Soethof)

Den hausgemachten Teufelskreis erkennt auch Prof. Dr. Grötschel. Er selbst veröffentlicht dank seines Namens längst wo und wie er will, den öffentlichen Kampf im Namen seines Berufsstandes kann er sich also erlauben. Auf der Anfang des Jahres begründeten internationalen Webseite thecostofknowledge.com unterstützt und fordert er mit seiner Unterschrift, den Fachverlags-Marktführer Elsevier zu boykottieren, solange der sein Geschäftsmodell nicht grundlegend ändert. Unterstützer können öffentlich erklären, dass sie für Elsevier wahlweise nicht mehr publizieren, nicht mehr als Redakteur arbeiten oder keine Gutachten mehr erstellen. Tausende Wissenschaftler machen schon mit. Die Verlage geraten unter Druck.

„Wir haben wohl nicht gut kommuniziert, welchen Zusatzwert wir leisten“, sagt Angelika Lex und fühlt sich und ihren Verlag missverstanden. Lex ist Vizepräsidentin bei Elsevier für die akademischen Beziehungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Ost-Europa. Die Preissteigerungen seien ein branchenweites Phänomen und resultierten zum Beispiel aus weltweit gestiegenen Investitionen in Wissenschaft und daraus folgenden gestiegenen Forschungsergebnissen, die begutachtet und publiziert werden müssten. Die Bündelabos seien auch nur ein Angebot von vielen, der Zusammenschluss der Unis, um höhere Rabatte zu bekommen, deren Entscheidung. Natürlich seien Fehler gemacht worden, aber auch eigene Open Access-Anstrengungen. Thecostofknowledge.com nehmen Lex und ihr Arbeitgeber sehr ernst. Sie suchen den intensiveren Austausch und glauben daran, dass alle Parteien das gleiche Grundbestreben haben, nämlich den einfachen Zugang zu Wissen. Argumente, die bei einem angeblichen jährlichen Gewinn von 36 Prozent auf den Umsatz, den Kritiker wie Grötschel bei Elsevier allein in Deutschland auf 40-60 Millionen Euro jährlich schätzen, kaum erhört werden.

Einen ersten Kompromiss glauben die Open Access-Befürworter im Dilemma mit den Verlagen dennoch gefunden zu haben: In Zukunft sollen nicht mehr wie bisher die Leser zahlen, sondern der Autor für seine Veröffentlichung. Bloß: Der Steuerzahler zahlte dann immer noch zweimal. Und die Verlage könnten immer noch die Preise setzen, wie sie wollten.

(erschienen in: zitty 23/2012, S. 75-76, 1. November 2012)

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1 Kommentar

  1. […] jedem Einzelfall verhandelt werden. Ganze Semesterapparate wären so bedroht – und somit auch ein Open-Access-Modell, von dem bisher Schulen, Studenten, publizierende Wissenschaftler und die akademische Lehre […]

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