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“Ich möchte keine Stripperin sein”

Ein Blind Date mit Juliette Lewis? Keine Angst, nichts unterhaltsamer als das: „Quentin, Brad, Omar, Dave“ – die singende Schauspielerin, Ex-Tarantino-Göre und, nun ja, bekennende Scientologin kennt sie alle. Da darf Lewis auf „Terra Incognita“, ihrem ersten Album ohne The Licks, gerne wieder eigene Sache machen.

Fantomas – „Cape Fear“

Juliette Lewis (imitiert die Gitarre): Daa daa daa daa… Oh mein Gott, das ist der Cape Fear-Soundtrack! In einer Metalversion, wie ein Rockoper. Wahnsinn, diese Chords sind wirklich sehr metal! Ist das Judas Priest? Ich möchte wissen, wer diesen Sinn für Humor besitzt, den Cape Fear-Soundtrack so zu arrangieren.

ME: Mike Patton mit Fantomas. Vom 2001er-Soundtrack-Cover-Album “Directors Cut”.

Lewis (klatscht in die Hände): Oh shit. Ich bin tief beeindruckt von diesem Menschen. Seit ich denken kann, will ich ihn treffen. Er ist so radikal, fast wie von einem anderen Planeten. Ich mag Patton, weil er all seinen verrückten Ideen nachgeht. Er hat eine ganze Symphonie in seiner Stimme.

Oskar Sima, Willi Fritsch, Paul Kemp – „Ich wollt ich wär ein Huhn“

Lewis: Klingt wie deutsche Musik aus den Dreißigern oder Zwanzigern. Das ist schön. Dieses Horn…

Der Song heißt übersetzt soviel wie „I wish I was a chicken“.

Lewis: DAS hätte ich nie erraten!

Und er ist Teil des neuen Tarantino-Soundtracks. Gestern feierte „Inglourious Basterds“ Premiere, gleich hier vorne am Potsdamer Platz.

Lewis: Ich weiß, das wäre eine schöne Reunion mit Brad und Quentin geworden! Ich bin aber letzte Nacht erst spät angekommen und habe erst dann davon erfahren. Quentin hat die Beziehung von Musik und Dramaturgie im Film verstanden wie kein anderer. Er pusht unbekannte Musik und hat einen ausgezeichneten Geschmack.

Vincent Gallo – „Honey Bunny“

Lewis: Klingt ein bisschen wie Vincent Gallo.

Ist es auch.

Lewis (frenetisch): Ist es? Oh mein Gott! Für gewöhnlich singt er mit einer höheren Stimme. Trotzdem dachte ich intuitiv an ihn: Er hat eine so süße Stimme, weich, wie ein Crooner aus den Fünfzigern. Vincent hat mich längst getoppt: Er hat rund fünf Karrieren, ich nur zwei. Er ist auch ein guter Maler und ein Model. Er ist Avantgarde.

At The Drive-In – „Sleepwalk Capsules“

Lewis: Das sind At The Drive-In, oder? Klingt ein bisschen wie Rage.

Mit dieser Platte hätten sie die Größten werden können.

Lewis: Ich weiß Bescheid! Mit Omar habe ich sehr viel darüber geredet. Er ist einer der seltenen Spezies: Er trifft radikale Entscheidungen, wird für eine Sache bekannt und macht prompt was komplett Neues. Oh, das ist ein guter Breakdown gerade…

Er produzierte Ihr Album „Terra Incognita“. Wie kam es dazu?

Lewis: Ich brauchte für mein neues Album einen besonderen Produzenten, der in mir nicht nur die Rock’n‘Roll-Sängerin sieht. Ich musste ihm meine Vision anvertrauen können, denn du willst niemanden, der dir nur seinen Stempel aufdrückt. Wir beide sehen Sounds visuell, er versteht meine musikalische Sprache. Anfangs dachte ich, er wäre eine Liga zu hoch für mich. Aber uns verbindet etwas.

The Prodigy – „Run With The Wolves (feat. Dave Grohl)“

Lewis (nach zwei Tönen): The Prodigy!? Yeah! Das erkannte ich wegen ihrer Beats. Ist das vom neuen Album?

Ja, und Dave Grohl spielt Drums.

Lewis: Ach ja, Dave erzählte mir, dass er an Tracks für The Prodigy arbeitet. In dieser Musik geht es vor allem um Hooks und Wiederholung, nicht um Verse und Chorus. Ich will dieses Album auf der Stelle haben. Niemand macht Beats wie The Prodigy. Ich will irgendwann mehr elektronische Musik mit fetten Beats machen. Das will ich schon, seit ich auf The Prodigys letztem Album mitgemacht habe.

The Dead Weather – „Treat Me Like Your Mother“

Lewis: Ich kenne diese Echo Drums. Und jetzt klingt das wie Led Zeppelin. Die neue Mars Volta? Oh, ich weiß: The Dead Weather! Dean Fertita ist ein Freund von mir! Und Jack White spielt Drums. „Dananana“, das ist so Lep Zeppelin! Ich mag die Vibes. White folgt seiner Leidenschaft und lässt uns ihm folgen. Er fragt nicht: Kann ich oder kann ich nicht?

Ihr Song, Juliette, „Hard Loving Woman“ erinnert mich an Jack White.

Lewis: Das nehme ich als Kompliment. Neben Omar ist Jack White für mich der Elvis seiner Generation. Er hat Charisma auf der Bühne, und als Gitarrist seinen eigenen Style aus Blues und Rock’n‘Roll. Omar als Gitarrist ist wie ein Gott. Er bricht alle Regeln und kreiert eine neue Sprache. The Dead Weather inspiriert mich auch, weil ich mit Alison Mosshart eine neue weibliche Stimme höre, die ihren eigenen Style kreiert. Da gibt es heute nicht mehr viele von.

Joe Cocker – „With A Little Help From My Friends“

Lewis: Joe Cocker. Ich spielte mal mit ihm auf einem Festival. Das ist… lass uns erstmal zuhören! Ach, so schön. Er singt heute noch genauso.

Sie wissen, warum ich Ihnen das vorspiele?

Lewis: Nein…

In der Serie „Wunderbare Jahre“ haben Sie Anfang der Neunziger Delores, die Freundin von Wayne Arnold, gespielt. Der Song war die Titelmelodie.

Lewis: Oh, stimmt ja! Die meisten Leute wissen nicht, dass ich dort mitspielte. Wissen Sie, warum Delores immer Kaugummi kaute? Weil ich beim Vorsprechen Kaugummi kaute und damit rumgespielt habe. Danach schrieben sie den Kaugummi zu meinem Charakter ins Drehbuch! Ich verbinde mit dem Song aber andere Dinge: Mein Vater führte mich an die Großen heran. Joe Cocker, Janis Joplin oder The Who. In meinem damaligen Traum von Rock’n‘Roll stand ich an der Seite einer Bühne, guckte mir Joe Cocker an und trat dann im selben Line-Up auf. Irgendwann kam es so!

Bruce Springsteen – „The Wrestler“

Lewis: Oh, wow. Manche Texte treffen mich wie ein Schlag. Es gibt Menschen, die schreiben oder malen und das Ergebnis wird spürbar lebendig. Bei anderen sind die Texte völlig egal, wie bei Radiohead. Da geht es um den Sound. „Yesterday I woke up sucking a lemon in my head“ – was soll das bedeuten? Conor Oberst oder Bob Dylan aber erzählen dir Geschichten. Ich schätze beide Ansätze, schreibe selbst aber lieber in Metaphern.

Mochten Sie den Film „The Wrestler“?

Lewis: Oh ja. Ich mag, wie ehrlich alles ist. Aber ich möchte keine Stripperin sein.

Juliette Lewis – „Terra Incognita“ (Roadrunner / RoughTrade), 28. August 2009.

www.juliette-lewis.com

(erschienen in: Musikexpress, 09/2009)

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