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Das Wunder von San Francisco

Die Hoffnung starb nie: Vier Jahre nach ihrem letzten Lebenszeichen haben Dredg ein in Licht und Dunkel erstrahlendes „The Pariah, The Parrot, The Delusion“ ins Jetzt losgelassen. Endlich. Labelwechsel und der Drang nach Perfektion ließen sie nicht früher. Nur: viel reden wollen sie darüber lieber nicht.

Dredg 2009
Drew Roulette, Dino Campanella, Mark Engles, Gavin Hayes (v.l.)
Wahre Kunst bedarf meist keiner Worte. Sie verliert in dem Moment ihr Gesicht, da sie erklärt werden soll. Im Boulevard und in der Popmusik verkehrt sich dieses ungeschriebene Gesetz gern ins Gegenteil. Kein Wort gelesen, noch keinen Ton gehört: oft reicht die Nachricht selbst zur Sensation. Im Falle der kalifornischen Rockband Dredg, die mit Gossip und Mainstream noch nie groß was am Laufen hatte, reichte allein die Ankündigung eines neuen Albums dieses Frühjahr für Endorphinflashs in der halben rockaffinen Generation U20. Von Erhabenheit, Ehrfurcht, Dunkel, Licht und anderen fast-religiösen Vergleichen ist da die Rede. Die noch nicht gehörte Musik auf „The Pariah, The Parrot, The Delusion“, so scheint der einhellige Tenor, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder über jeden Zweifel erhaben sein. Schließlich ist sie das schon seit über zehn Jahren. Und schließlich haben Dredg – „due to perfectionism“, wie sie auf ihrer kargen Homepage nach der dritten Verschiebung der Veröffentlichung verlautbaren ließen – schlappe vier Jahre am Nachfolger zu „Catch Without Arms“ gearbeitet. „Es hat einfach so lange gedauert“, sagt Sänger Gavin Hayes knapp und teilnahmslos in einem an freundlicher Egalität nicht armen Gespräch bei ihrer neuen alten Berliner Plattenfirma. Neben ihm lümmeln sich auch Dino Campanella (Drums), Mark Engles (Gitarre) und Drew Roulette (Bass) am Konferenztisch. „Wir wollten einfach, dass es gut wird.“ Das ist nur die halbe Wahrheit.

Ein Blick zurück: Ihren kleinen Meisterwerken – man muss das auch mal so sagen dürfen – haben die vier ins Land gezogenen Jahre nicht geschadet. Im Gegenteil: Dredgs Musik legt zu wie ein guter Wein. So funktionierte das schon immer mit Lieblingsalben, so erklärt sich auch das Phänomen Dredg, einer Band als frühe Helden einer Alternative Rock-Szene im Wandel. Wir schreiben das Jahr 1999. Korn befinden sich bereits auf dem absteigenden Ast, die Deftones sollen eine eindrucksvolle Neuauslotung ihrer Grenzen mit „White Pony“ noch beweisen. Die Kids wollen nicht mehr nur frustrierte Typen in dicken Hosen sehen. Tool gelten weiter als unerreichbar. Plötzlich geistert eine Platte namens „Leitmotif“ durch die Plattenläden und frühen Online-Foren. Man weiß nicht viel über diese Band mit dem komischen Namen: Dredg kommen aus der Bay Area, und sie versuchten sich auf ihren ersten EPs noch an progressivem New Metal – einer Musik, die schon dem Namen nach zum Scheitern verurteilt war. Die Etikettierung Alternative Rock löst sich, heute gliche sie einer Beleidigung, wie jeder andere Beschreibungsversuch auch. Den New Metal haben Dredg als schimmernder Sargnagel mitbegraben, ihre Progressivität haben sie behalten.

2002 entdeckt „Interscope“ die Band, nimmt sie unter Vertrag und veröffentlicht Dredgs Major-Debüt „El Cielo“, ein fesselndes Konzeptalbum über Schlafstörungen. Besonders in Deutschland schlagen Dredg durch, mausern sich auch wegen ihrer energetischen Liveshows – Drummertier Campanella verfeuert gerne mal mehrere Sticks und spielt gleichzeitig Piano – zur Lieblingsband unter jungen wie gestandenen Rockfans. Drei Jahre und lange Touren später endlich ein neues Album. Wo andere die Flucht im Experiment suchen, versuchen Dredg sich im Pop. Dino Campanella schüttelt noch heute den Kopf: „Warum empfindet alle Welt „Catch Without Arms“ als konventioneller? Nur, weil wir uns dort gegen Instrumentals und für mehr Energie entschieden hatten?“

Jetzt, vier Jahre später, verkörpert „The Pariah, The Parrot, The Delusion“ die absolute Verschmelzung von Dredgs Trademark-Sound, diesem Höchstmaß an atmosphärischer Dichte und einer rockgewordenen Weltentrücktheit, einem offensiveren Gespür für die Kompaktheit des Pops (trotz Instrumental-Zwischenstücken) sowie zwei Neuheiten in ihrem grenzenlosen Kosmos: Industrial und R’n’B. „Ich hab schon immer R’n’B gehört“, sagt Bandmotor Dino Campanella freundlich distanziert. Das war’s, nächste Frage.

Gibt es irgendwelche Instrumente, die ihr noch nicht ausprobiert habt?

Dino (ungläubig): „Ja, tonnenweise!“

Konkreter?

Dino: „Ich möchte Songs mit einem Barbershop-Quartett versuchen! Hat bisher aber nie geklappt.“

Gavin: „Ich würde gerne so eine traditionelle Barbershop-Band gründen mit vier Sängern aus anderen Bands. Wenn das hier also jemand liest: Schreibt mir eine Mail.“

Dino: „Um zur Frage zurückzukommen, ob es Dinge gibt, die wir wirklich noch ausprobieren wollen? Natürlich. Genau darum geht es in dieser Band. Wir denken über nichts anderes nach.“
Wie könnt Ihr Eurem einmal genügten Anspruch noch eins drauf setzen? Steht ihr Euch da nicht selbst im Weg?

Mark: „Es ist schwer, ja. Du willst dich verändern, gleichzeitig aber gewisse Aspekte beibehalten, die für uns Dredg ausmachen. Du bist ein bisschen ängstlich, Sachen zu schreiben, die sich auf Territorien bewegen, auf denen Du vorher nicht warst. Aber genau das ist das Spannende.“

Und jetzt? Zufrieden?

Mark: „Irgendwas ist immer, das du anders machen möchtest. Gerade bei vier Leuten. Irgendwann kommst du an einen Punkt, an dem du weißt: Okay, das ist das Album. Aber niemand ist jemals 100 Prozent glücklich damit. Maximal 95 Prozent.“

Dredg, © Universal Music 2009
Pressearbeit engt sie ein: Dredg im Kofferraum
Die Aufnahmen zu „The Pariah, The Parrot, The Delusion“ beginnen Ende Juli 2008 und dauern insgesamt neun Wochen. Das Artwork geben Drew, der auf der Bühne mit durchschnittlich anderthalb Sätzen mehr spricht als im Interview, und Gavin, die zusammen das Booklet zu „Catch Without Arms“ selbst gestalteten, diesmal komplett in die Hände eines Freundes. Dredg geht es um ein Maximum an Ambition, Perfektion und Abstimmung, schließlich geht es um ihre Kunst und um vier Jahre ihres Lebens. Während der Aufnahmen trennt sich Interscope nach acht Jahren von Dredg. Das ist der andere Teil der Wahrheit, warum sich die schlussendliche Veröffentlichung verzögert. Dredg gründen ihr eigenes Label Ohlone Records und schließen sich damit der Promotions- und Vertriebsfirma International Label Group an. In Deutschland stehen sie exklusiv bei Universal unter Vertrag, die sich damals schon für Interscope um Dredg kümmerten. „Jetzt sind wir in einer hervorragenden Lage“, findet Gavin. Von den wirtschaftlichen Nebenschauplätzen wollen Dredg sonst nichts wissen beziehungsweise nur das Nötigste wissen lassen. Die Musik ist wegen der Touren natürlich auch ein Fulltime-Job, sagt Dino. Die Band allein reicht nicht zum Überleben, ein paar Teilzeitjobs hatten sie in der Zwischenzeit immer wieder, verrät Gavin gelangweilt. Dino stöhnt:

„Warum fragen uns das die Leute? Warum ist das so interessant?“

Ich kenne Euch nicht. Aber Eure Musik klingt so, als stecke Euer Leben darin.

Dino: „Ah, okay, das ist ein nettes Kompliment, dankeschön.“

Mark: „Wir sind definitiv pleite, das kannst Du aufschreiben.“

In Szenekreisen genießen Dredg Kultstatus, für den kommerziellen Durchbruch hat es bisher nie gereicht. Nicht, weil Dredg sich konsequent verweigert hätten. Sondern weil es ihnen egal ist. Ein bisschen was vom Zauber der vergangenen und immer noch anwesenden Platten hat „The Pariah, The Parrot, The Delusion“ leider eingebüßt, weil seine Musik mehr im Jetzt verankert zu sein scheint. Die Single „Information“ schlägt die Brücke zum hochmelodischen „Catch Without Arms“, schöner flirrt nur „Ireland“ und die stellenweise gar an Ryan Adams erinnernde Ballade „Cartoon Showroom“ durch die Hemisphäre. „I Don’t Know“ und „Savior“ stampfen wie ungewohnte Standortbestimmungen nach vorne. Dredg haben sich selbst gefunden, in dem sie sich aufmachten. Dann dürfen sie außerhalb ihrer wirklich bedeutsamen Geschichten auf den Alben auch gerne erzählen, was sie wollen. Bis zum nächsten, wieder über fast jeden Zweifel erhabenes Album.

Ihr redet nicht gerne über Euch, oder? Solche Interviewtage…

Alle: „Horror! Sterbenslangweilig!“

Es steckt also alles in der Musik.

Dino: „Ja – wie ironisch ist das denn?“

Danke trotzdem!

Dino: „Was für ein Ende! Ein zweckloses Interview, das sich erst in der letzten Zeile als solches herausstellt!“

www.dredg.com

(erschienen in: Westzeit 5/2009)

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