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Flucht in die Lektüre

Wie der deutsche Buchmarkt von der Krise profitieren will

Alle sind sich einig: 2009 wird ein Krisenjahr. Der Buchmarkt aber, sagt dtv-Geschäftsführer Wolfgang Balk, war in der Vergangenheit von Konjunkturschwankungen kaum betroffen, weder positiv noch negativ. Er expandiere aus anderen Gründen nicht mehr: wegen Konzentration auf Spitzentitel, Filialisierung, gesättigter Märkte und starken Wettbewerbs. „Wir haben keinen Grund zum Jubeln“, warnte Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, noch zu Beginn der Frankfurter Buchmesse im Oktober – und revidierte nach der Messe prompt: der hiesigen Branche gehe es gut.

Im Krisenherd, den Vereinigten Staaten, sah es da schon anders aus: Noch im Oktober 2008 ist der amerikanische Buchmarkt um 27 Prozent eingebrochen. Als Len Riggio, Vorstandsvorsitzender des Marktführers Barnes & Noble, im November von einem so noch nie da gewesenen schlechten Klima in seiner Branche sprach, hatte Double Day Publishing bereits zehn Prozent seiner Mitarbeiter entlassen. Wenig später meldete Barnes & Noble einen flächenbereinigten Umsatzrückgang um 7,4 Prozent. Das Betriebsergebnis von HarperCollins fiel von 36 Millionen Dollar im Vorjahr auf drei Millionen Dollar.

Die deutschen Verlage sehen dem Krisenjahr 2009 dennoch mit kalkulierter Gelassenheit entgegen. „Hätte ich in Amerika ein Geschäft, wäre ich pessimistischer“, sagt Peter Kraus vom Cleff, der kaufmännische Rowohlt-Verleger. Der deutsche Immobilienmarkt sei nie so ü̈berhitzt gewesen wie der amerikanische, die Auswirkungen auf den Buchmarkt ebenso wenig vergleichbar. Bei der lesenden Hälfte der Bundesbürger habe die Literatur einen gefestigten Stellenwert im täglichen Leben, kulturinteressierte Menschen stellten eher den Konsum langfristiger Güter wie Autos oder Fernurlaube zurück. Auch Wolfgang Balk weiß, dass Bücher „die preisgü̈nstigste Freizeitbeschäftigung“ darstellen.

Der Buchhandel habe „ja traditionell von Krisen profitiert“, sagt Hartwig Schulte-Loh, Geschäftsfü̈hrer beim Kulturkaufhaus Dussmann an der Berliner Friedrichstraße. Bücher funktionierten gerade in der Krise als Flucht in eine nachhaltigere Form des Denkens. Um die Steigerung macht er sich keine Sorgen, nur könne es sein, „dass die Krise das ein Stück abdämpft“. Das aber gilt nur für die Konsumseite, auf der Finanzierungsseite geht es profaner zu: Gerade mittlere und kleine Buchläden verdanken ihre Existenz oftmals aufgenommenen Krediten. Blieben diese Kredite, ob wegen fehlendem Kapital oder fehlendem Mut der Banken, nun aus, müssten zuallererst Service und Programm der Händler leiden. Ausbleibende Bestellungen fielen so mittelfristig auf die Verlage zurück. Im übrigen ist die Krise durchaus auch im deutschen Verlagswesens angekommen. So steht beispielsweise der breit aufgestellte Weltbild-Verlag seit Juli zum Verkauf, die weiter laufenden Verhandlungen werden „durch die weltweite Finanzkrise erschwert“, sagt Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Donaubauer.

Große belletristische und Publikumsverlage wie S. Fischer, Hanser, Kiepenheuer & Witsch oder Ullstein schreiben ihre schwarzen Zahlen mit einer Spitze von vielleicht zehn Prozent aller Titel, die sie publizieren. Mit anderen Worten:Mehr denn je ist der deutsche Buchmarkt von seinen Bestsellern abhängig. Und gerade die Romane laufen weiterhin gut: Carlos Ruiz Zafón, Christopher Paolini, Uwe Tellkamp.

Diese Entwicklung weist zwei mögliche Wege aus der Krise, falls sie denn doch einschlüge: Konzentration oder Differenzierung. Im wahrscheinlicheren und bereits praktizierten Szenario müssen sich die Verlage zunehmend uüberlegen, ob und wie sie ihre Programme reduzieren. Kochbü̈cher, Reisefü̈hrer und andere Erweiterungsbereiche, deren vergleichbare Inhalte man aus dem Internet beziehen kann, würden eingedämmt.

Schulte-Loh würde diese „Bereinigung des Buchmarktes auf Produzentenseite“ begrü̈ssen. Eine Konsolidierung wü̈rde manchen, eine stärkere Fokussierung auf Qualität im Buchmarkt allen gut tun. Auch eine solche Entwicklung aber enthielte Gefahren: Wenn Breite und Vielfalt zugunsten einiger weniger Titel zurückgehen, werden Nischeninteressen nur noch rudimentär bedient. Wirtschaftlich wäre das vermutlich. Imagebildend nicht. Auch deshalb will Rowohlt diesen Weg nicht mitgehen. „Wir leben davon, ständig Neues zu entdecken und zu entwickeln“, erklärt Kraus vom Cleff. „Verlegen
ist ein innovativer Prozess.“

Aufzuhalten ist der Konzentrationsprozess kaum. Die fünf größten Filialisten sind derzeit für ein Viertel des deutschen Bü̈cherumsatzes verantwortlich. Die Not kleiner Fachhandel aber hat freilich auch andere Ursachen als eine Finanzkrise: So lag der Umsatz von Internet-Buchhändlern, allen voran amazon.de, schon 2007 laut Börsenverein bei 850 Millionen Euro. Das macht 21 Prozent Steigerung und einen Anteil am Buchmarkt von 8,9 Prozent aus. Im Sortimentsbuchhandel lag der Umsatz 2007 bei 9,6 Milliarden Euro.

Das Weihnachtsgeschäft macht durchschnittlich 23 Prozent des Jahresumsatzes im Buchhandel aus und lief 2008 trotz der publizistischen Allgegenwart der Finanzkrise im stationären deutschen Buchhandel gut. Wie unabhängig der deutsche Buchmarkt von der globalen Krise wirklich ist, wird sich erst 2009 zeigen.

(erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 8. Januar 2009, Seite 11, Feuilleton)

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