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Deutsche Biffy Clyro: Warum Odeville der große Durchbruch bisher verwehrt blieb

„Wir waren wohl nie cool genug“: Odeville-Sänger Hauke Horeis im Interview über Charterfolg vs. eigenen Anspruch, gutes Handwerk, Vergleiche von Revolverheld bis Biffy Clyro, Konzerte mit Johannes Oerding, die deutsche Musikindustrie und die Ignoranz des Major-Mainstreams.

Odeville 2021 (Foto: Franz Schepers)

Vorhang auf für die beste Bands Deutschlands, von der Ihr noch nie gehört habt: Odeville. Ode wer?

Odeville – sprich „Ohdvill“ oder „Odevill“ – ist eine dreiköpfige Rockband aus Hamburg, die seit ihrer Gründung vor 15 Jahren einen beachtlichen Wandel aufs Parkett gelegt hat: Auf ihren ersten drei Alben I AM A TOURIST (2009), HEIMAT (2013) und HELION (2014) spielten Sänger Hauke Horeis, Gitarrist David Bergert, Drummer Sascha Gotthard mit wechselnden Bassisten eine Mischung aus Hardcore, Metal, Alternative Rock und Prog – überwiegend englischsprachig und mit Tool im Geiste. 2016 folgte eine Zäsur: Ihr viertes Album PHOENIX markierte eine beeindruckende Hinwendung zum Pop mit deutschen Texten, ohne dabei die eigene musikalische Versiertheit links liegen zu lassen. Umarmende Songs wie „Leuchtreklamenpoesie“ und „Lichtblick“ waren pathetische Poprockhymnen, die wie bessere Radiohits klangen – aber nie welche wurden. Die Ignoranz des Mainstreams änderte sich auch mit dem noch aktuellen Album ROM (2018) und Songs wie „Funkenwalzer“, „8 mm“ und „Gute Nacht“ nicht.

Wissen wollen Odeville es noch immer: Ihre aktuelle Single „Won’t Forget These Days“ ist ein eingedeutschtes Cover des gleichnamigen Songs der Hannoveraner Rockband Fury In The Slaughterhouse aus dem Jahr 1995 und soll die Leute versöhnen, die auch mit Odevilles kommendem Album JENSEITS DER STILLE nicht genug werden anfangen – „es wird das härteste, dreckigste, sozialkritischste und politischste unserer Trilogie sein.“ Eine weitere neue Radiosingle namens „Der Tag wird kommen“ soll im Mai erscheinen.

Warum wurden Odeville bisher weitgehend übersehen? Weshalb erreichen sie nicht die Hörer*innen, denen auch Revolverheld, Selig, Jupiter Jones und Johannes Oerding gefällt? Was braucht es, um in Deutschland in den Charts zu landen? Wie definiert sich Erfolg? Über Fragen wie diese haben wir mit Sänger und Texter Hauke Horeis (39) gesprochen – und ihn mit Vergleichen wie „Deutsche Biffy Clyro“, „Die Pur des Progrocks“ und „Die Fynn Kliemanns des Alternative Rocks“ konfrontiert, die ihn allesamt freuten. Einer offenbar besonders: Für ein neues Pressebild haben Odeville kurzerhand ein Foto von Biffy Clyro nachgestellt. Mit verblüffender Ähnlichkeit.

Musikexpress.de: Warum seid Ihr nicht längst eine der erfolgreichsten und bekanntesten Bands Deutschlands?

Hauke Horeis: Weil wir alles falsch gemacht haben, was man falsch machen kann.

Zum Beispiel?

Wir haben uns immer abgekapselt. Wir waren früher eine Schülerdorfband aus Stade, die mit anderen Bands nichts zu tun haben wollte. Wir spielten lieber zwölfminütige Songs. Damit sind wir bei einem bescheidenen Indielabel untergekommen, die nicht wussten was sie mit uns anfangen sollten. Wir haben über Jahre lang keine Ahnung vom Business gehabt. Die haben wir immer noch nicht, können aber mitreden. Wirklich an der Band gearbeitet haben wir erst seit 2016, als unser Album PHOENIX rauskam. Wir suchten uns einen richtigen Produzenten und standen vor der Entscheidung: Entweder wir betreiben Odeville wie eine richtige Band auf professioneller Ebene oder lassen das Ganze sein.

Ihr habt Euch für letzteres entschieden. Der Durchbruch blieb aus.

Vielleicht fehlt uns ein bisschen Glück. Uns fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen. Entweder du bedienst diese Pop-Schublade und versuchst dir ein Publikum jenseits der Johannes-Oerding-Grenze zu erspielen. Oder du bleibst indie und cool. Aber wir waren noch nie so cool, dass uns die coolen Kids abgefeiert hätten.

Und noch nie so Mainstream, dass Euch Oerdings Fans abgefeiert hätten. Oder? 

Dafür habe ich eine zu große Fresse. Du kannst uns aufs Deichbrand Festival packen und wir unterhalten die Leute mit einer Rockshow. Als Oerding-Support sind wir zu hart. Haben wir schon mal gemacht, zwischen Party und Pathos ging das sogar halbwegs klar.

Als Vollblutmusiker müsste Johannes Oerding Euch trotz des anderen Sounds mögen, oder?

Johannes und ich haben eine lange Vergangenheit hinter uns. Man kennt sich in Hamburg, unser Tourmanager zum Beispiel macht das Merch für Johannes. Schon 2009 sagte er zu uns: Sorry, Ihr seid gute Musiker, aber ich mache halt Postkartenmusik und ich möchte gerne, dass das klappt.

Warum wolltet Ihr Euch 2016 trennen?

Ich hatte meine Schauspielausbildung abgeschlossen und wollte im Theater weitermachen. Ich hatte ein festes Angebot. Vor ähnlichen Entscheidungen standen auch die anderen beiden. Schließlich haben wir der Band Vorrang gegeben. Wir nahmen einen Kredit über 30.000 Euro auf und bezahlten davon Produzent, Studio, Promotion und so weiter. Verschuldung statt sicherer Weg!

Die Entscheidung hat auch Euren Sound beeinflusst: PHOENIX und ROM klingen stellenweise deutlich poppiger als alles davor. 

Ja, das was eine bewusste Entscheidung. Wir haben mit Arne Neurand einen Produzenten getroffen, der uns diesen sehr glatten Sound gab.

Glatt, aber auch fett.

Die Herangehensweise war: Wie können wir all das Progressive, das, was wir technisch gelernt haben, mitnehmen und unseren eigene Idee von Pop produzieren? Als PHOENIX herauskam, fielen plötzlich Vergleiche mit Revolverheld und Konsorten. Ich verstand das, entgegnete aber stets, dass wir uns nicht von der hiesigen Popszene inspirieren lassen. Unser Drummer spielt Sachen aus dem Hardcore-Bereich, ich hörte damals viel Future Islands und Foals. Wenn die deutsche Sprache dazu kommt, wird es tricky. Aber ich finde das nicht schlimm. Wir mussten uns daran gewöhnen, dass die Indiepolizei ein wachsames Auge auf uns warf.

Zumal Ihr weiterhin Indie im eigentlichen Sinne seid – ohne Majorlabel und mit viel DIY unterwegs. 

Wir waren mit PHOENIX bei Motor. Wir verkrachten uns, schalteten das erste Mal einen Anwalt ein und mussten uns aus dem Vertrag rauskaufen. Das war der Wegzoll, den wir bezahlten.

Seid Ihr deshalb wieder auf einem kleinen Label? Oder einfach, weil es keine Angebote gab?

Wir haben mit ROM unser eigenes Label Panda Panda gegründet und wieder einen Kredit aufgenommen. Unser damals neues Management versuchte uns an ein Majorlabel zu vermitteln. Die hatten kein Interesse: Wir waren ihnen zu alt, zu undifferenziert und zu uninteressant. Das war uns aber egal, an Majorlabels scheitern viele Bands.

Ach komm: Der ausbleibende Durchbruch trotz des neuen Sounds wurmt Euch wirklich nicht? Bisschen mehr Geld verdienen mit der Musik wäre doch schon schön.

Was mich am meisten wurmt, ist, dass unser Team gerade nichts bekommt. Wir sind alle Mitte/Ende 30 und haben wegen unserer anderen Jobs ein gutes Polster. Unser Booker, unser Management, unsere Techniker, unsere Musiker, niemand verdient wegen Corona was. Das nervt. Aber hey: Hätten wir plötzlich einen Mega-Smashhit und müssten ein Jahr nur für die Band existieren, könnten wir das momentan gar nicht leisten.

Zwei Thesen zu Eurer fehlenden Bekanntheit. Erstens: Eure Vergangenheit schreckt viele ab. Wäre PHOENIX Euer Debüt gewesen, und das bei einem Marketing-starken Major, Eure Musik würde längst als Untermalung in jedem Fernsehbeitrag laufen, Ihr würdet beim ECHO auftreten, beim Bundesvisionsongcontest gewinnen und so weiter. Zweitens: Ihr macht es Euch eben wirklich nicht zu einfach. Ihr schreibt keine Radiosingles, jeder Song hat mindestens zwei Ideen und Wendungen mehr als sonst üblich bei Radiopopsongs.

Das stimmt, aber dieser Ansatz wäre auch zu langweilig. Mir fehlt diese Abgeklärtheit, um uns zum Beispiel noch einen Ghostwriter zu holen und jemanden, der das zusammenbügelt. Oder den Produzenten von Tim Bendzko. Es gibt schon genügend langweilige Künstler auf Instagram, die genau das gleiche machen. Wir können diese Band nur schon so lange machen, weil wir komplett dahinterstehen als Musiker. Die Spur unserer künstlerischen Ansicht darf in den Songs nicht fehlen. Dann dauert es halt – und wenn es damit nicht klappt, dann nicht. Unser neues Album wird nicht das letzte sein. Wir machen weiter.

Was macht denn kommerziellen Erfolg in Popdeutschland aus? Wäre schön, wenn man „gute Musik“ sagen könnte – in Wahrheit zählt die Vermarktung und eine gewisse Angepasstheit aber doch viel mehr, oder?

2015 hätte ich vielleicht noch eine intelligente Antwort darauf geben können. Je älter ich werde, desto weniger durchblicke ich, was Menschen wollen. Vielleicht fehlt uns ein süßes Maskottchen in der Band. Ein Hund, der für uns auf TikTok die Followerkurbel anschmeißt. Ich weiß es nicht. Revolverheld sind live noch immer eine Bank. Die funktionieren für 14- bis 16-Jährige aber auch nicht mehr so, wie sie es vor zehn Jahren taten. Darüber will ich gar nicht weiter nachdenken, weil ich jedes Mal an den Punkt komme an dem ich mich frage: ‚Bist Du zu alt? Kannst Du den Zeitgeist noch greifen?‘ Selbst eine Band wie Feine Sahne Fischfilet ist alt für Teenager! Wir müssten außerdem lernen zu funktionieren in der Mark-Forster- und Johannes-Strate-Welt.

Wie weit habt Ihr Euch da bisher vorgewagt?

Bei ROM haben wir bei „X-Factor“ mitgemacht, die erste Single dort promotet und gemerkt: Als Band funktionieren wir im Fernsehen nicht. Das war nicht unser Ding. Besonders unser Drummer und unser Gitarrist fühlten sich sehr unwohl. Ich kann das drehen. Aber wenn es mir scheiße geht, kann ich den Leuten nicht das Gegenteil verkaufen.

Was ja auch für Euch spricht, Stichwort, Achtung, „Authentizität“. 

Aber das ist nicht das, was Menschen wirklich wollen. Nicht das, was als Unterhaltung gilt. Ich kann Dir nicht sagen, was warum funktioniert, weil ich mich aus der Medienwelt komplett raushalte. Ich weiß nicht was im Fernsehen läuft oder in den deutschen Charts steht. Auch wenn mir Capital Bra oder Nura ein Begriff sind.

Was ist Euer Ansatz beim Schreiben neuer Songs? Sollen die zuerst Euch gefallen? Zuerst den Fans? Oder geht es nicht viel mehr darum, Erwartungshaltungen gerade NICHT zu erfüllen? DAS wäre doch ein signifikanter Unterschied zu vielen Chart-Acts.

Jein. Der Song soll eingängig sein, die Hooks sollen stimmen. Ergeben die Lyrics Bilder? Ich schreibe ohne Thema drauf los und um das erste entstehende Bild herum. Das ist Handwerk, das können wir. Vor der Produktion steht immer die Frage, wie der Song klingen wird. Bei „Won’t Forget These Days“ zum Beispiel schlug unser Gitarrist vor, uns ein Beispiel an Sam Fenders Sound zu nehmen. Ohne 1:1 zu klauen. Wir sind drei junge Handwerker aus’m Norden. Ich finde es ganz geil, Musik nicht zu mystifizieren. Mit 20 hätte ich noch gesagt: Das muss aus dem Inneren herauskommen! Da muss viel Leid rein! Viel Projektion! Nein, du musst rein ins Handwerk: Dinge ganz oft machen. Neue Ideen suchen. Dich nicht wiederholen.

Odeville, die Fynn Kliemanns des Alternative Rocks. Apropos: Wie beschreibt Ihr Eure Musik selbst?

Früher schrieben wir, dass wir sozialkritischen, romantischen Mädchenmetal machen. Das hört sich nicht mehr zeitgemäß an. Die Gesellschaft verändert sich, zum Glück, Gendern zum Beispiel finde ich wichtig. Deshalb sage ich heute: Wir spielen romantische sozialkritische Popmusik mit Rockeinschlag. Wir sind live eine Bank. Leute rumkriegen ist auch ein Handwerk, das wir beherrschen. Menschen gehen mit einem guten Gefühl aus unseren Konzerten.

Was man aktuell leider nicht überprüfen kann, ich kann es mir aber vorstellen: Ihr klingt wie ein Missing Link zwischen Biffy Clyro und besagten neuen deutschen Poppoeten. Besonders dank „Königreich“ und „Kinder der Stadt“.

Dankeschön!

Der Musikjournalist Sascha Krüger beschrieb Odeville auf Facebook als „die sehr menschlichen (und auch menschelnden) Kettcar mit mehr Mädchen- und Stadion-Appeal“. Auf ROM klingt Ihr wegen der Synthesizer stellenweise wie Jupiter Jones mit mehr Druck. Deine Stimme erinnert manchmal an Jan Plewka von Selig. Und hier und da klingen Odeville, das soll keine Beleidigung sein, wie Pur auf Progrock.

Das ist keine Beleidigung. ABENTEUERLAND war eine der ersten Platten, die meine Schwester mir damals gab, als ich elf oder zwölf Jahre alt war. Pur war auch eines meiner ersten Konzerte in der Alsterdorfer Sporthalle. Ich war wahnsinnig fasziniert davon, wie gut Hartmut Engler mich als Kind erreicht hat. Pur hatten unglaublich eingängige Songs. Auch ABENTEUERLAND ist eine wirklich progressive und teilweise auch politische Platte gewesen.

Die Songs davor hielt man als Elfjähriger auch für echte Gefühle, „Funkelperlenaugen“ etwa.

Als Engler live diesen Chor einleitete, wo die ein Hälfte dies, die andere das sang und alle zusammen drei Minuten lang aus vollen Kehlen dabei waren, beeindruckte mich das unglaublich.

Und heute habt Ihr einen Song namens „Funkenwalzer“. Da kommt alles zusammen.

(lacht) Auch Pur haben ihre Daseinsberechtigung. Das ist das Schöne am Alter: Mit 25 hätte ich meine Pur-Vergangenheit geleugnet und mich über diesen Vergleich aufgeregt. Heute finde ich das schön. Bands wie Pur machen Menschen glücklich. Und wenn es heißt, dass „die ganzen Krankenschwestern“ zum Pur-Konzert gehen oder wir angeblich nur für solche Leute „Won’t Forget These Days“ covern, wie uns neulich ein Fan schrieb, antworte ich: Na und? Trotzdem helfen sie Deinem Opa durch Corona! Menschen brauchen etwas, wobei sie ihren Kopf ausschalten können und ein schönes Gefühl kriegen. Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, Leute die im Pflegebereich arbeiten herunterzustufen, es seien keine richtigen Konzertgänger?

„Won’t Forget These Days“ ist trotzdem Euer ultimatives Angebot an den Mainstream, oder?

Ja, das ist es. Aber gleichgestellt mit Songs wie „Lichtblick“. „Won’t Forget These Days“ ist ein Türöffner. Die nächste Single wird das auch, die produzieren wir handwerklich fürs Radio – mit unserem Stil. Im Nachgang wird unser neues Album trotzdem das härteste, dreckigste, sozialkritischste und politischste unserer Trilogie sein.

„Won’t Forget These Days“ gibt also kein Stoßrichtung vor?

Nein. Es ist eine Besänftigung für Leute, die mit dem Album nicht klarkommen. Es wirkt erst wie krassester Pop, dann kommt das Gegenteil. Unser Radiosingle dauert fünf Minuten und 26 Sekunden und bildet zeitgeistmäßig alles ab, was gerade so abgeht.

Im Cover singst Du die Zeile: „Und nach all der Zeit weder reich noch berühmt“. Das ist auch Euer Song, oder?

Während Corona haben wir viel gecovert, Bosse, Matze Rossi und a-ha, zum Beispiel. „Won’t Forget These Days“ ist weniger eindeutig. Der Song liegt 30 Jahre zurück und hat mit unserer Vergangenheit zu tun. Ich habe MONO von Fury In The Slaughterhouse mit 15 rauf und runter gehört. Es ist ein Abschiedssong für unseren Bassisten Tim, der wegen Corona ausstieg. Er war Vollzeitkulturtechniker in zwei Theatern, Schauspieler und Musiker. Er brauchte wieder einen 9-5-Job, alles andere hätte ihn fertig gemacht. Er fand ihn. Wir wollten nicht, dass er geht, wir mussten ihn gehen lassen.

Kennst Du die Doku „Wie ein Fremder“ über Roland Meyer de Voltaire?

Nein.

Ihr habt mit dessen einstiger Band Voltaire einiges gemein. In den Nullern wurde ihnen der Durchbruch prophezeit – der kam aber nie. Sie sangen auf deutsch, spielten eine Art Post-Britpop, erinnerten an Radiohead, Muse und Blumfeld. Sehr eigen, sehr stark. Die Doku ist nun auf Netflix zu sehen. Darin sagt Christian Neander von Selig, Roland Meyer De Voltaire besäße zu viel Talent, es habe ihm im Weg gestanden. Mein Kollege Linus Volkmann sagt darin: „Es gibt die Floskel: Im Radio darf Musik nicht beim Bügeln stören. Sobald ein Song kenntlich ist, sobald er wirklich eine Spitze setzt, ist es ein Problem, weil er damit nicht ins Radio kann.“ Dabei denke ich auch an Euch, weil Ihr nicht den einfachen Weg geht. 

Jetzt bin ich sehr gespannt auf die Doku. Danke für den Tipp. Ich finde es gut, Ecken und Kanten zu haben. Wenn die Großen sich auch Ecken und Kanten zulegen würden, hätten wir es nicht so schwer.

Du sagtest im Vorgespräch, dass Ihr von den meisten großen Musikmedien, einschließlich Musikexpress, ignoriert werdet. Warum glaubst Du ist das so?

Wie ich eingangs schon sagte: Wir sind nicht cool genug. Wir sind zu nahbar, um cool zu sein. Vielleicht wollen wir auch zu viel bedienen. Vielleicht haben wir kein Glück. Vielleicht fehlt uns der passende Cue. Vielleicht hat uns die richtige Person noch nicht entdeckt. Vielleicht wirken wir zu beliebig. Bestimmt gab es nie die große Geldspritze: Niemand schaltete für uns bisher große Anzeigen, wodurch auch redaktionelle Platzierung zumindest nicht unwahrscheinlicher geworden wären. Ich weiß es nicht. Diese Frage stellen sich 99,5 Prozent aller Bands in Deutschland: Warum werden sie von Musikmagazinen nicht beachtet? Mit Connections ist das immer einfacher. Die fehlten uns bisher. Vielleicht erwischten wir auch nicht den richtigen Zeitpunkt oder machen nicht die richtige Mucke.

Musiker*innen habe mittlerweile etliche andere Wege, um selbst mit ihren Fans und neuen Hörer*innen in Kontakt zu treten. 

Wenn du vom Musikexpress kommst und interessant findest, was wir tun, ist mir das trotzdem wichtiger, als wenn irgendwelche Influencer irgendwas reposten. Der ME war früher meine Bibel. Ich bin mit Visions und ME aufgewachsen. Ohne Euch wäre ich kein Musiker. Teilweise wegen Euch bin ich so, wie ich bin. Auch anderen geht das so. Ich finde es immer noch wichtig, dass Leute sich mit Musik auseinandersetzen und dafür brennen.

Gibt es Odeville schon so lange, OBWOHL oder WEIL der große Durchbruch bisher ausblieb?

Uns gibt es so lange, weil wir noch keinen Durchbruch hatten.

Weil Ihr Euch wegen Fans und Business-Class-Flügen längst zerkloppt hättet? 

Es gibt ein schönes Zitat vom Tool-Drummer Danny Carey: Er ist froh, dass Tools Durchbruch erst kam, als er Mitte 30 war. Sonst hätte er sich mit Mitte 20 die Birne weggeschossen. Weil er für den Erfolg nicht bereit gewesen wäre. Wir drei sind fragile Menschen, Freaks. Wir brauchen ein Stück Altersweisheit, um uns nicht kaputt zu machen. Um nicht unsere Base zu verlieren. Wir arbeiten mit tollen Menschen zusammen. Ich hätte Angst, dass wir bei einem Mega-Durchbruch Leute auf der Strecke lassen müsste, mit denen wir das Ding aufgebaut haben. Lieber gemeinsam wachsen, ein beständiges Fundament aufbauen, als in einem Haifischbecken keine Bezugspunkte zu haben. Auf dem Reeperbahn Festival zum Beispiel ist es immer total cool. Du musst Dir aber ständig sagen: Das sind nicht alles deine Freunde! Alle wollen hier Geld verdienen! Sobald du nicht mehr interessant bist, werden sie dich alle fallen lassen. Jede ehrliche Bekanntschaft ist mir lieber. Es gibt viele Freunde, aber auch viele falsche. Je älter man ist, desto besser kann man das unterscheiden.

Odevilles sechstes Album JENSEITS DER STILLE sollte ursprünglich im Laufe des Jahres 2021 erscheinen. Am 28. Januar 2022 veröffentlichten Odeville ihre neue Single „Stille“.

+++ Dieses Interview erschien ursprünglich am 25. März 2021 auf musikexpress.de. +++

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