Kalter Krieg und eiskalte Softdrinks: In der dritten Staffel „Stranger Things“ ziehen neben der im Grunde gleichen Bedrohung und Auflösung wie in Staffel 2 die Russen ein – und unerträglich plumpes Product Placement. Ist das Euer Ernst, liebe Duffer Brothers?
Liebe Duffer Brothers,
wir müssen das so oft Gesagte vorweg noch einmal wiederholen: Mit der ersten Staffel Eurer Mystery-Serie „Stranger Things“, in der drei Jungs in einer US-amerikanischen Kleinstadt ihren verschwundenen Kumpel suchen und Übernatürliches finden, ist Euch 2016 ein echter Geniestreich gelungen. In Bild, Ton, Musik und Handlung glichen die acht Folgen einer einzigen Hommage an die Popkultur der 80er-Jahre, in der die Serie spielt: Im Fernsehen läuft „He-Man“, im Radio „Should I Stay Or Should I Go“, im Abspann Joy Division. An der Wand hängt ein Poster vom „Weißen Hai“. Wie in „E.T.“ jagen nerdige und liebenswürdige Kids auf ihren BMX-Rädern ihrer Intuition hinterher, wie in „Alien“ wird das Unbekannte als schleimig-waberndes Monster inszeniert. Wie in Lynchs „Twin Peaks“ ist eine Stadt in Aufruhr, ein bisschen Teenie-Kram gibt es on top. Mystery- und Sci-Fi-Experte JJ Abrams („Lost“, „Star Wars“) hatte bereits 2011 eine ähnlich nostalgische, nur weniger gruselige Geschichte mit Steven Spielberg fürs Kino verfilmt, „Super 8“, und so lag es nahe, dass US-Kritiker „Stranger Things“ unter anderem attestierten, die Serie sei wie „die Show, die Steven Spielberg und Stephen King niemals gemacht haben“.
Staffel 2 knüpfte ein Jahr später an diesen Überraschungserfolg – auf dem internationalen Serienmarkt wart Ihr bis dahin eher Unbekannte – nahtlos an: Der verschwundene Will ist wieder aufgetaucht, eine neue Freundin haben die Nerds in der mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten, weil in einem Labor „erzogenen“ Eleven ebenfalls gefunden. Die aufgemachte Parallelwelt aber, The Upside Down, die war auch noch da, und eines ihrer daraus emporgestiegenen Wesen namens The Mind Flayer griff um sich. Wills alleinerziehende Mutter Joyce (daueraufgeregt mit dem immer gleichen Wahnsinn im Gesicht: Winona Ryder) hat einen neuen Freund, gemeinsam mit Polizeichef Jim Hopper und den Kids versuchen sie die höheren Mächte auszumachen, die hinter all dem Verschwinden stecken müssen. Nur eine Frage der Zeit (und des Raums) – acht neue Folgen, um genau zu sein – bis die illustre Truppe unter Einsatz ihres Lebens (und ganz besonders, dem von Eleven) Monstern und Mächten in einem Showdown den Garaus macht. Zumindest scheinbar: In der jetzt erschienenen Staffel 3 nämlich geht der Schrecken noch einmal von vorne los.
Die „Stranger Things“-Kids sind selbst zu Kinderstars geworden
Die Hauptdarsteller sind in der Zwischenzeit zu Kinderstars geworden. Finn Wolfhard spielt Indierock mit seiner Band Calpurnia, Gaten Matarazzo hostet bald ein eigenes MTV-Format, Millie Bobby Brown weiß schon mit nunmehr 15 Jahren – angeblich von ihren Eltern forciert – kokett (Kritiker sagen: überheblich) auf den Roten Teppichen der Filmwelt zu posieren. Auch das Leben der Serienfiguren, die sie zu Stars machten, hat sich verändert: Im Sommer 1985 in Hawkins geht Mike mit Eleven, Lucas mit Max und Dustin mit seiner Funkgerät-Freundin – nur Will würde lieber weiter Rollenspiele spielen und nicht erwachsen werden. Die eingekehrte Normalität wird bald ein jähes Ende finden, nachdem Dustin einen russischen Funkspruch abfängt, ihn mit dem nun in einer Eisdiele jobbenden Steve und seiner Kollegin übersetzt und dechiffriert und sie den Feind nicht tausende Kilometer entfernt, sondern inmitten ihrer neuen Starcourt Mall vermuten. Zeitgleich gehen Jim und Joyce magnetischer Großstrahlung nach, Mikes Schwester Nancy als nicht ernstgenommene Schülerpraktikantin in der Lokalredaktion mutierten Ratten, und Eleven, Max, Mike und Lucas den dunklen Kräften, die damals von Wills Körper und Geist Besitz ergriffen und die sich nun unter anderem in Max‘ schmierigem Bademeister-Bruder Billy breitzumachen scheinen. Traue keinem mehr, lautet die Devise. Es sei denn, du hast ihn vorher in der Sauna gebrutzelt.
Im weiteren Verlauf von „Stranger Things 3“ kommt es, wie es kommen muss: Ein Demogorgon zeigt wieder seine Fratze, ein sehr groß gewordenes Monster faucht und greift um sich, ein brodelndes Loch klafft in der Unterwelt. Auch hier sind wieder Elevens Superkräfte und die Feuerwerkskörper der Kids gefragt, um die Welt zu retten. Spannend ist die Story spätestens jetzt nicht mehr, dafür immerhin noch unterhaltsam und schön ekelig. Unser nachtragenderer Kolumnist Linus Volkmann ruft übrigens gerade rüber: „Die Körperfresser kommen, Red Heat, Terminator, der Blob… wie hysterisch ist denn ‚Stranger Things‘ geworden? Plus: Alle Dialoge werden gebrüllt und den Rest der Zeit durch Gänge gerannt.“
Ärgerlicher aber als die Neuauflage der Grundidee „Teenager und Erwachsene bekämpfen ein Monster und weitere Feinde und retten die Welt“, das von Linus gesagte sowie der erwartbare Cliffhanger in der finalen Szene, der für Staffel 4 die gleiche Suppe noch einmal verspricht, ist das omnipräsente Product Placement, gegen das DJ Ötzi mit seinem „Burger Dance“ nahezu subtil wirkt: Es vergeht kaum eine Shopping-Mall-Einstellung, in der ein Schriftzug, ein Becher oder ein Automat des weltweit größten Softdrink-Herstellers oder eine bestimmte Fast-Food-Filiale NICHT im Bild zu sehen wären. Mehr noch: In einer Szene schwärmt Lucas davon, wie gut die (in Wahrheit gefloppte) „New Coke“ wirklich schmecken würde, in einer anderen ext der russische Überläufer, der sich später ein Burger-King-Menü zusammenstellen lassen wird, eine Dose runter. Kalter Krieg mit eiskalten Drinks, sozusagen. Wenn man sich daran erinnert, welchen Umsatz allein ein Pulli nach sich zog, den Dustin in einer Szene in Staffel 2 trug, kann man sich ungefähr ausmalen, wie viele Millionen Dollar hier geflossen sind. Laut „Zündfunk“ vom BR bestreiten Netflix und die Duffer Brothers übrigens, dass Geld geflossen sei. So der so: Zum „Glück“ blendet Netflix zumindest zu Beginn der Folge 7 (die mit dem „New Coke“-Dialog) tatsächlich den Hinweis „unterstützt durch Produktplatzierungen“ ein, sonst wäre dies ein eindeutiger Fall für den Werberat.
https://www.youtube.com/watch?v=vouCPDHbjTI
Warum wir das so ausführlich erzählen? Weil sich der zuvor gewonnene Eindruck dadurch sehr verhärtet: Liebe Duffer Brothers, kann es sein, dass Ihr die dritte Staffel „Stranger Things“ zuerst wegen des Erfolgs und der Kohle gedreht habt? Es sei Euch ja gegönnt – aber macht bitte nicht den gleichen Fehler wie zu viele andere Serienmacher vor Euch und zieht das Ding unnötig in die Länge. Nach spätestens Staffel 5 soll Schluss sein, habt Ihr mal gesagt. Wäre schön, wenn es dabei bliebe. Aus Liebe zu Euren Figuren und der eigentlich ja wirklich tollen Serie.
„Stranger Things“, Staffel 3, seit 4. Juli 2019 auf Netflix verfügbar
Dieser Text erschien zuerst am 8. Juli 2019 auf musikexpress.de.