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„What/If“ mit Reneé Zellweger: Ein unmoralisches Angebot

Seifenoper und Erotikthriller: Die neue Netflix-Serie „What / If“ mit Reneé Zellweger und ein paar Unbekannten verkleidet sich als Psychospielchen, verhandelt aber melodramatisch Zwischenmenschliches, Abhängigkeiten und die Frage nach der Liebe, als ob es ein Disney-Märchen für Erwachsene wäre.

Renée Zellweger und Jane Levy in „What/If“
Renée Zellweger und Jane Levy in „What/If“

Ein protziges Loft in einem futuristischen Wolkenkratzer. Über der Skyline San Franciscos Donner und grelle Blitze in dunkler Nacht. „Everything happens for a reason. Think about that for a moment”, spricht eine offenbar sehr toughe Geschäftsfrau mit einer manischen Bestimmtheit in ihr Diktiergerät, die dem Zuschauer Angst und Bange machen soll. „All your efforts – personal, professional, carnal – utter and absolute slaves to some cosmically predetermined set out of outcomes”, sagt sie, blickt aus ihrer Fensterfassade und wiederholt, dass nur Erfolg haben könne, wer Opfer bringt und auf „Belastendes“ wie Hochzeit, Kinder und jedwede zwischenmenschliche Beziehungen, die über das Geschäftliche hinausgehen, verzichte. Zeilen, die später in ihrem neuen Bestseller „At Any Cost – Um jeden Preis“ stehen werden.

Die neue Netflix-Serie „What/If“ lässt von der ersten Sekunde an keinen Zweifel daran, wer hier die böse Disney-Hexe ist: Die steinreiche Anne Montgomery, stoisch gespielt von Renée Zellweger, genießt einen Ruf als knallharte Venture Capitalist, die sich mit dem Hubschrauber auf ihr Weingut fliegen lässt, in ihrem Loft mit Pfeil und Bogen schießt (Zaunpfahl!), von Geschäftspartnern hundertprozentigen Einsatz bis zur Selbstaufgabe erwartet und niemals lächelt. Und wenn doch, dann nur gequält. Es kann kein Zufall sein, dass diese Frau eines Abends an der Hotelbar sitzt, in der sich Rettungssanitäter und Ex-Baseballprofi Sean Donovan ein Zubrot als Barkeeper verdient. Seine Frau Jane hat ein Start-up gegründet, das einen Wirkstoff gegen Leukämie entwickeln will (ihre Schwester starb als Kind daran), findet aber zum Teufel nochmal keine Investoren. Es ist wie verhext, bis – genau! – Anne Montgomery ins Leben des bildhübschen Vorzeige-Liebespaars tritt und SEHR großzügige finanzielle Unterstützung anbietet. Angeblich glaubt sie an Jane und ihre Idee, die wahren Motive bleiben aber auch unklar, nachdem sie ihr unmoralisches Angebot detailliert: Im Gegenzug für eine Investition über 80 Millionen US-Dollar will sie eine Nacht mit Sean verbringen, über die er vertraglich Stillschweigen bewahren muss. Mit allen daraus entstehenden Folgen.

„Ein unmoralisches Angebot“ lässt grüßen

Wem all das irgendwie bekannt vorkommt: Ja, die inhaltlichen Parallelen zu „Ein unmoralisches Angebot“ mit Robert Redford (1993) liegen auf der Hand beziehungsweise dem Bett, die pseudodramatischen leider auch. Den Machern ist das bewusst, Jane darf sogar den Satz sagen: „This whole idea was ripped right out of a bad 90s movie“, LOL, Anne antwortet: „That film was quite decent“, Doppel-LOL. Von jetzt an nimmt der Unfug seinen Lauf: Mit dem Brecheisen werden Momente konstruiert, in denen sich erstens die Protagonisten titelgemäß fragen sollen, was wohl wäre, wenn sie diese oder jene Entscheidung anders getroffen hätten und zweitens die Zuschauer sich fragen sollen, wie sie selbst handeln würden.

Würde ich meinen Partner eine Nacht mit einer anderen Person verbringen lassen, wenn ich im Gegenzug mein Karriereziel verwirklichen und Menschenleben retten kann? Würde ich ihm/ihr von eventuellen Leichen im Keller erzählen? Zu wem gehe ich, wenn ich von meiner Affäre schwanger werde? Würde ich eine dritte Person ins Bett unserer Beziehung lassen, weil mein Partner Bock drauf hat? Wie stark kann und muss Vertrauen sein, und wie viel Kontrolle wäre besser oder schlechter? Legitime Fragen, die in einem Film oder einer Serie verhandelbar sind. Im oft sogar kitschigen und nur stellenweise spannenden „What/If“ aber bleiben die Figuren leider zu oberflächlich und egal, als dass man wirklich tief in deren Psychen und die eigene einsteigen wollte.

Vielleicht hätte die von Mike Kelley erdachte Serie anders besser funktioniert: mit Emma Stone statt „Scream Queen“ Jane Levy, mit Channing Tatum oder Mark Wahlberg statt Blake Jenner („Glee“) und Meryl Streep statt Reneé Zellweger, die hier immerhin einen witzigen Seitenhieb auf ihre frühere Karriere unterbringen darf. Und Thrillerexperten wie David Fincher oder Cary Fukunaga auf dem Regiestuhl statt jede Folge jemand anderes. „What/If“ ist übrigens als Anthologie angelegt, jede Staffel „will tackle a different morality tale inspired by culturally consequential source material, and the power of a single fateful decision to change the trajectory of an entire life“. Dazu müsste eine zweite Staffel aber erstmal bestellt werden.

„What/If“: Staffel 1 (10 Folgen) mit Renée Zellweger, Blake Jenner und Jane Levy ist seit dem 24. Mai 2019 auf Netflix verfügbar.

Diese Serienkritik erschien zuerst am 27. Mai 2019 auf musikexpress.de. 

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