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Was wir uns vom ECHO-Nachfolger wünschen, lieber BVMI

Wie aus der Asche des ECHO ein besserer, vielleicht sogar guter Musikpreis für Deutschland erwachsen könnte? Haben wir leider keine Patentlösung für im Ärmel, aber ein paar Ideen.

Der Echo ist tot – mindestens in seiner bisherigen Form und unter dem bisherigen Namen. Dies gab der Bundesverband Musikindustrie in einem Statement bekannt und kündigte gleichzeitig an, dass nun ein „Neuanfang für den deutschen Musikpreis“ bevorstehe: „Das um den diesjährigen ECHO herum Geschehene, wofür der Vorstand sich entschuldigt habe, könne zwar nicht mehr rückgängig gemacht werden, man werde aber dafür sorgen, dass sich ein solcher Fehler in Zukunft nicht wiederhole“, hieß es darin. „Die Kriterien der Nominierung und Preisvergabe werden vollständig verändert.“ Wir finden: Nach all dem kritikresistenten Rumgeeiere in den vergangenen Jahren ist dies die konsequenteste Entscheidung des BVMI seit viel zu langer Zeit.

Nachdem wir uns vor dieser Verkündung noch überlegten, was bei einem ECHO 2019 alles anders werden müsse, wenn er denn schon nicht totzukriegen ist, überarbeiten wir nun unsere Ideen und Vorschläge: Das hier ist, was wir uns vom ECHO-Nachfolger unter anderem wünschen.

Werft das ECHO-Regelwerk wirklich weit über Bord!

Vor ein paar Tagen und nach den lauwarmen Ankündigungen von Erneuerungen dachten wir noch: Okay, das ist natürlich viel zu viel verlangt vom BVMI, sein für sich selbst so schön durchsichtiges Regelwerk komplett über den Haufen zu werfen. Dass aber die gesamte Anlage des ECHO falsch ist, wie etwa Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen Zeitung erklärte, hat nun auch der Letzte kapiert. Es ging bis zuletzt um Kommerz, um die Auszeichnung von monetär bereits Ausgezeichnetem, um gegenseitiges Schulterklopfen. Und weil das so war, war der ECHO eben so berechenbar, selbstgefällig und trostlos. Als Freigeist galt dort schon, wer einen Mittelfinger in die laufende Kamera hielt oder es schaffte, auch nur irgendwas Gehaltvolles oder gar Kritisches zu sagen.

Nehmt Kritik endlich wirklich ernst!

Es war ja nicht so, dass die ECHO-Verantwortlichen die ständige Kritik an ihrem Preis nicht hörten: Die Entscheidung, 2017 eine Fachjury einzuführen, war ganz offensichtlich eine Reaktion auf die berechtigten Vorwürfe, der ECHO sei zu durchsichtig. Geändert hatte es leider nichts, siehe etwa „Warum wir Teil der Jury beim ECHO 2017 wurden – und uns jetzt verarscht fühlen“ und die immergleichen Gewinner und Gesichter in „Echo 2017: Vox, wir müssen reden!“. Anfang dieses Jahres wurden gar Pressevertreter zu einem Roundtable geladen, um Kritik, Wünsche und Vorstellungen zu äußern, im unmittelbaren Vorfeld der diesjährigen Preisverleihung 2018 gab sich das ECHO-Team zudem auf seinen Social-Media-Kanälen offen für Kritik. Nachdem wir unter anderem feststellten, dass die angeblichen Newcomer DJ Khaled und French Montana seit Jahren im Geschäft sind und deshalb nur in der auf, you know it, Chartentries und Verkaufszahlen fußenden ECHO-Logik als Newcomer durchgehen, antworteten sie auf Facebook: „Das mag richtig oder falsch sein, there’s always room for improvement, wir sehen uns das an!“ Nur wann, in welchem Jahr und mit welcher wirklichen Verbesserungsabsicht, das wusste seit Jahr und Tag keiner.

Warum wir Teil der Jury beim ECHO 2017 wurden – und uns jetzt verarscht fühlen

Dass die jetzige Abschaffung des ECHO doch ein eindeutiges Zeichen von Kritikfähigkeit sei, ist nur die halbe Wahrheit. Der öffentliche Druck wurde schlichtweg zu groß, wie der BVMI selbst zugab: Man wolle „keinesfalls, dass dieser Musikpreis als Plattform für Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie oder Gewaltverharmlosung wahrgenommen wird.“ Die Marke ECHO sei „so stark beschädigt worden, dass ein vollständiger Neuanfang notwendig sei, der auch eine Neuaufstellung bei ECHO KLASSIK und ECHO JAZZ nach sich ziehe.“ Entschuldigung hin oder her: Wahre Erkenntnis sieht anders aus.

Protagonisten müssen Haltung zeigen und zeigen dürfen!

Auch hier wurde sich bis zuletzt mit dem eigenen Regelwerk herausgeredet und ausschließlich reagiert: Hätten Kraftklub und Co. 2013 keinen Wind gemacht, hätten Frei.Wild vielleicht schon damals einen ECHO gewonnen. Hätte die Öffentlichkeit nicht Kollegahs und Farid Bangs verbale Entgleisungen kritisiert, hätten auch die ECHO-Verantwortlichen den zwei Rappern ihr Geschäft mit der Provokation unkommentiert durchgehen lassen. Und hätte Campino in diesem Jahr nichts gesagt, hätte sich der Rest der anwesenden Musiker und Branchenvertreter wohl nicht mal zu ihren dezenten Buhrufen durchgerungen. Der in beiden Fällen einberufene Ethik-Beirat war leider nichts als Augenwischerei und wurde für die ECHO-Verantwortlichen ärgerlicherweise ebenso wahrgenommen. „Aber wir haben doch…“ – eine Ausrede, die 2018 keinen interessierte oder gar überzeugte.

Auch bei einem deutschen Musikpreis dürfen und sollten die Augen vor Problemen der eigenen Branche nicht verschlossen bleiben: Themen wie die #MeToo-Debatte, Rassismus-Diskussionen (#OscarsSoWhite) oder Gender-Topics, die von Moderatoren, Laudatoren oder Gewinnern bei Grammys, Emmys oder Oscars durchaus besprochen werden – unvorstellbar, dass sie jemals beim ECHO vor laufender Kamera diskutiert worden wären. Hauptsache Freigetränke!

Interessiert Euch wirklich für gute Musik!

Okay, in der deutschen Popbranche ist offenbar kein Platz für Politik oder offenem Umgang mit Problemen. Wie schön wäre es, wenn es denn wenigstens um gute Musik ginge! Geht es nicht, wie zuletzt nach der Motto-Farce „Von Musikern für Musiker“ auch der Letzte mitbekommen haben dürfte. Aus gesicherten Quellen wissen wir, was ohnehin offensichtlich ist: Nicht wenige der Nominierten oder sonst wie teilnehmenden Musikerinnen und Musiker finden den ECHO in seiner jetzigen Form ebenso, nun ja, dürftig. Die Denkweise „Wer mitspielen will, muss mitspielen“ stimmt nicht unbedingt: Kraftklub oder AnnenMayKantereit haben ihre ECHO-Absagen nicht geschadet. Dass aber selbst eine sonst immer mitspielende Band wie The Boss Hoss dieses Jahr, angeblich aus Protest, nicht vor Ort mitgesoffen haben, hat tatsächlich keiner gemerkt.

Lasst nicht nur die Majors zahlen!

Hier biss sich die Katze in den Schwanz: Hätten Acts von mehreren Labels als bloß von Universal, Warner und Sony bei den ECHOs eine Rolle gespielt, wäre auch die Vielfalt der Preisverleihung größer und das gegenseitige Arschgekrieche kleiner geworden. Beim ECHO ging es aber – Ihr wisst schon – um Verkaufszahlen, deshalb konnte das nie passieren: Schließlich sind es die Majorlabels, die ihren Acts die besten Songwriter, die gefragtesten Produzenten und das größte Marketing-Budget verschaffen können. Und Acts, die von all dem profitieren können, sind in der Regel eben die, deren Musik gespielt, gekauft und am Ende beim ECHO ausgezeichnet wurden.

Setzt ganz zentral auf eine Fachjury!

Es wäre die einfachste, naheliegendste und effektivste Änderung überhaupt: Scheißt endlich auf die Verkaufszahlen und Umsätze als Basis der Nominierung und setzt eine Jury ein, lieber BVMI. So ähnlich, wie Ihr es beim ECHO Jazz und ECHO Klassik gemacht habt und so ähnlich, wie es die großen Vorbilder Grammy und Co. ebenfalls machen. Deren Verantwortliche schaffen es jedes Jahr aufs Neue, international hoch angesehene Preise zu vergeben, deren Gewinner mitunter auch kommerziell sehr erfolgreich sind, aber nicht deshalb zu Gewinnern gekürt werden. Sondern weil sich eine Fachjury für sie entschieden hat.

Warum wir das so mantraartig wiederholen? In der Ankündigung zum ECHO-Aus hieß es lediglich: „Wie beim ECHO KLASSIK und ECHO JAZZ, die von Anfang an reine Jury-Preise waren, soll beim neuen Musikpreis auch für den Pop-Bereich die Jury stärker in den Vordergrund rücken.“ Stärker in den Vordergrund rücken? Und im Hintergrund agieren und regieren noch immer Majors und Abverkäufe, oder was? Dann wäre der ECHO-Nachfolger lediglich alter Wein in neuen Schläuchen, dann könnt Ihr das Ding auch einfach „EHCO“ oder „ECHO FRESH” nennen.

Nutzt die deutsche Popindustrie!

Ja, ein neuer deutscher Musikpreis darf nicht nur die Majorlabel-Megaseller abbilden. Aber: Lasst Euch nach Möglichkeit gerne von denen mitfinanzieren! An der Spitze der Majorlabels arbeiten zwar naturgemäß Geschäftsleute und keine Philanthropen, rechnen könnte es sich für sie dennoch: Mit kleinen Teilen des Geldes, das sie mit der Musik von Helene Fischer, Kollegah, The Kelly Family und so weiter verdienen, könnten die Entdeckung, Auszeichnung und Förderung herausragender Künstler, um die es in Zukunft gehen sollte, querfinanziert werden. Und die, liebe Warners, Universals und Sonys, könnt Ihr dann unter Vertrag nehmen und, in einer idealen Welt, Euer Geld wieder reinholen und nebenbei was für Euer Karma-Konto tun.

Bleibt national!

Der ECHO brüstete sich stets damit, Deutschlands wichtigster Musikpreis gewesen zu sein. Im Ausland hat sich aber kein Mensch dafür interessiert. Nicht eimal die Preisträger, wie man zuletzt an der lustlosen Dankes-Videobotschaft von Ed Sheeran ablesen konnte. Es gilt als wahrscheinlich, dass selbst ein wie auch immer gearteter Nachfolgepreis nicht den deutschen Glamour und die internationale Klasse ins Ausland tragen wird (weil es schlichtweg beides kaum gibt). Also, lieber BVMI: Verzichtet auf Nominierungen von so egalen Acts wie Jason Derulo, damit wenigstens ein US-Amerikaner bei Euch auftritt, und verzichtet auch auf Nominierungen von Weltstars wie Depeche Mode und Ed Sheeran – die kommen eh nicht persönlich rum!

Konzentriert Euch lieber auf das, was in Eurem neuen Konstrukt hoffentlich eh angelegt sein wird: auf die Auszeichnung von qualitativ hervorragender Musik deutscher Künstlerinnen und Künstler, die spürbar mehr wollen und können als bloß Platten, Boxsets, Downloads und Streams zu verkaufen. Mit einer großen Fachjury aus Musikern, Journalisten, Veranstaltern, Bookern, Plattenfirmenmitarbeitern großer und kleiner Labels und so weiter. Damit würdet Ihr nicht größer als der Grammy werden. Aber vielleicht ja doch „Deutschlands wichtigster Musikpreis“ – und mittelfristig sogar ein internationales Aushängeschild dafür, dass deutsche Popmusik mehr als Rammstein, Scorpions und Tokio Hotel zu bieten hat. Davon hätte wiederum wirklich jeder was, und die großen Acts Deutschlands lasst Ihr einfach live auftreten oder Laudatoren werden, damit die Quote bleibt.

Beobachtet die Konkurrenz!

Seit 2016 gibt es den „Preis für Popkultur“, der sich explizit nicht als ECHO-Konkurrenz verstand und versteht, aber natürlich stets als solche wahrgenommen wurde. Der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) verleiht zudem jährlich auf dem Reeperbahn Festival die VIA! Awards und ehrt dadurch ausschließlich Musiker abseits von Majorabels und Mainstream. Wo könnte in Zukunft das Alleinstellungsmerkmal eines neuen deutschen Musikpreis der ehemaligen ECHO-Macher liegen? An der öffentlichen Wahrnehmung und Breitenwirkung: Ihr könntet im größeren Stil einen Unterschied für hervorragende deutsche „Acts“ machen und eine Öffentlichkeit schaffen, die ihnen sonst zu unrecht verwehrt bliebe. Und so, siehe oben, ein Aushängeschild werden.

Viel Erfolg!

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P.S.: Auf Radio Bremen 2 hat der Autor dieses Textes ein kurzes Liveinterview zum Thema gegeben.

Dieser Text erschien zuerst am 26. April 2018 auf musikexpress.de.

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