Die Vorherrscher der Dancefloors

Eine Erfolgsgeschichte, die außerhalb ihrer Nische noch keine ist: Wie der Berliner Instrumentenhersteller Native Instruments die elektronische Musik und den Medienstandort Berlin mit verändert und vom Start-up zu einem internationalen Unternehmen wurde

Für einen Weltmarktführer haben sie sich gut versteckt. Im vierten Stockwerk eines Nebeneingangs im dritten Innenhof eines Kreuzberger Altbau-Komplexes befindet sich der kleine Empfang von Native Instruments, und auch dort oben kann man sich verlaufen. Über lange weiße Flure, dutzende Büroräume, zwischen Computern, Kisten, Kabeln und Testprodukten und hinter Nebentüren, Hausübergängen, Treppen und Aufzügen findet man in insgesamt rund 14 Etagenteilen über 270 Mitarbeiter – und von der Schlesischen Straße aus den Eingang kaum. „Wir fühlen uns hier wohl“, sagt der gut gelaunte Geschäftsführer Daniel Haver in seinem Büro mit Blick auf Universal, MTV und das Musikhotel „nhow“, „wir sind hier schließlich im Medienzentrums Berlins“. Von hier aus schickt seine Firma Native Instruments seit zwölf Jahren DJ- und Produktionstools in die Clubs und Studios dieser Welt. An den verschachtelten Räumlichkeiten des Hauptquartiers ist bloß sein Wachstum schuld.

Native Instruments
Der Visionär und der Geschäftsmann: Mate Galic und Daniel Haver von Native Instruments (Foto: Native Instruments)

Die Geschichte von Native Instruments ist eine dieser Berliner Hinterhof-Geschichten, die längst keine mehr ist. 1996 gründen Stephan Schmitt und Volker Hinz die Firma in Berlin und entwickeln den modularen Software-Synthesizer Generator, ein Jahr später holen sie den Hamburger Grafiker und Webdesigner Daniel Haver mit an Bord. Der erkennt die generationswechselnde Industrie dahinter, übernimmt bald die Unternehmensleitung und rekrutiert den damaligen Techno-DJ und Viva-Moderator Mate Galic. Seitdem führen beide Native Instruments, der eine als CEO, Unternehmer und Macher, der andere als CTO, Tüftler und Vordenker. „Ich war als DJ irgendwann an dem Punkt, wo sich die Musik weiterentwickelte, die Tools aber die gleichen waren“, sagt der 37-jährige Galic. „Dann kam der Computer, der immer schneller wurde und der Anruf von Daniel. Das war ein Wendepunkt bei mir.“ Im Jahre 2000 ziehen sie in die Höfe am Spreeufer, eröffnen zwei Jahre später eine Niederlassung in Los Angeles, beschäftigen 2003 60 Mitarbeiter und bis heute alleine 50 in Kalifornien, insgesamt also über 320. Schmitt und Hinz fungieren beide noch als Gesellschafter, Hinz arbeitet heute in der Entwicklungsabteilung der Firma, die er einst mitbegründete.

Das Kerngeschäft von Native Instruments war und ist die Entwicklung und Herstellung elektronischer Musikinstrumente für Produzenten und DJs. Aus ihrem ersten Produkt Generator entwickelten sie die Produktions-Software Reaktor. Ihr Verkaufsschlager ist seit 2001 Traktor, eine Software, die es DJs erlaubt, zwei und mehr Kanäle über einen Computer zu steuern und somit das Schleppen und Auflegen von CDs und Schallplatten zumindest aus technischem Anspruch heraus überflüssig macht. „Der Gedanke: ‚Scheiße, unsere Ideen können wir ja noch gar nicht umsetzen‘‚ treibt uns seit 15 Jahren an“, sagt Haver. Heute macht das Unternehmen 70 Prozent seines Umsatzes mit so genannten Systemprodukten, also mit Software-unterstützter Hardware wie Controllern, und 30 Prozent mit reiner Software.

Ihre berühmtesten Kunden zählen sie schon lange nicht mehr auf. Klar, Typen wie Madonna-Produzent Timbaland gehen hier ein und aus, David Guetta spielt mit Traktor seine Tour, auch Chicago-House-Legende Felix Da Housecat, Metallica und Ibizas aktueller DJ-Überflieger Luciano nutzen ihre Produkte. „Es gibt aber sowieso keinen professionellen Produzenten, der nicht irgendetwas von unseren Instrumenten einsetzt“, behauptet der 45-jährige Haver.

Tatsächlich gibt es in der High-End-Nische, in der Native Instruments sich bewegt, nicht viel Konkurrenz. Am ehesten nennen DJs da noch Ableton, 1999 von zwei ehemaligen Native Instruments-Mitarbeitern gegründet und neben Native Instruments und Soundcloud die dritte große erfolgreiche Berliner Musikfirma. Sascha Schlegel ist einer dieser DJs. Der 26-jährige Radiomoderator legt seit sieben Jahren in Berliner Clubs auf, im Berghain, NBI und Cookies etwa, regelmäßig im Magnet und im White Trash. Traktor nutzt er wegen der Praktikabilität, des Preis-Leistungs-Verhältnisses, dem Support und dem „Vinyl-Gefühl der Oberflächen-Bedienung“. „Als Indie-DJ, der nur Hits abfeuert, brauchst du es nicht“, sagt Schlegel, unter Elektro-DJs aber seien Soft- und Hardware tatsächlich weit verbreitet. Seine Kritik: Der Support für ältere Produkte würde irgendwann eingestellt werden im „Versuch, Geld rauszuschlagen“. Und hier und da ist ihm das Programm vor lauter Samples und Spielereien bald zu überfüllt.

Die 16-jährige Erfolgsgeschichte von Native Instruments erlebte auch ihre Rückschläge. Mit der Dotcom-Blase hatten Haver und Galic zu ebenso zu kämpfen wie, noch davor, mit der Einstellung ausländischer Mitarbeiter, die heute Berlin erst zu dem Start-up-Hotspot macht, der die Stadt ist. Piraterie war bis Mitte der Nuller Jahre ein Problem, bis sie auch Hardware produzierten und Apples Betriebssystem OSX salonfähig wurde. Und die Rezession sei auch jetzt wieder spürbar, in Südeuropa etwa verkaufen sie wegen der Euro-Krise aktuell halb so viele Produkte wie im Vorjahr. Auch wenn die Einstiegshürden ins digitale Musikmachen heute viel geringer sind als in den Neunzigern, muss das Ziel lauten: Die Öffnung aus der Nische, hin zu Consumer-Produkten, um weiter wachsen zu können.

Ihre Hauptquartierslage in Berlin hat Native Instruments jedoch schon immer geholfen. Gerade in den letzten Jahren hat sich der Kiez rund um das Schlesische Tor dank Clubs wie Lido, Magnet, Watergate, Hallen wie Arena, Postbahnhof und 02-World, Indie- und Majorlabels, PR- und Werbe-Agenturen sowie Bars tatsächlich derart zum Musik- und Medienzentrum Berlins entwickelt, dass auch die Berlin Music Week Anfang September den Großteil ihrer Konzerte, Debatten und Workshops dort zentralisiert. „Wenn wir Sachen testen müssen, gehen wir ins Watergate und hören die auf der großen Anlage ab“, sagt Galic und grinst, „Berlin ist ein geiler Standort, es gibt keinen Grund, hier wegzugehen“, sagt Haver. Aber ein weiteres Büro in Tokio, das sei schon geplant.

(erschienen in: zitty 14/2012, 28. Juni 2012, Seite 70-71)

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