„Wer wenn nicht wir“: Vesper vs. Ensslin vs. Baader

Die Männer hatten Schuld: Der Berlinale-Beitrag „Wer wenn nicht wir“ versucht sich an einer privatpolitischen Deutung von Gudrun Ensslins Wandel von der Studentin hin zur Terroristin – und gibt August Diehl und Alexander Fehling eine große Bühne.

Katzen passen nicht zu Menschen. Sie stammen aus dem Orient, sie sind die Juden des Tierreichs. So zumindest erklärt der völkische Dichter und ehemalige NS-Sympathisant Will Vesper seinem zehnjährigen Sohn Bernward, warum er dessen geliebtes, aber Vogelküken fressendes Haustier erschossen hat. Es ist auch Beginn und Schlüsselszene von „Wer wenn nicht wir“, der wahren Geschichte des späteren Vaters von Gudrun Ensslins Sohn.

Tübingen, 1961: An der Universität lernt der herangewachsene Bernward Vesper (August Diehl), heute ein belesener Student und feuriger Verehrer des Schriftstellers Hans Henny Jahnn, die Kommilitoninnen Dörte und Gudrun kennen. Er verguckt sich erst in die eine, gründet dann mit der anderen einen Buchverlag. Sie werden ein Paar, das keines ist: Immer wieder betrügt Vesper die junge Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis) mit anderen Frauen, immer wieder kehrt sie zu ihm zurück. Weltpolitisch spitzt sich indes der Kalte Krieg zu: Die Amerikaner streuen Napalm über Vietnam, die Russen rüsten auf Kuba zum Atomschlag gegen die USA auf. Es muss mehr getan werden als nur Streitschriften publizieren, findet der aktivistische Neuling Andreas Baader (Alexander Fehling), und das gefällt auch Ensslin. Sie heiratet Vesper, bringt den gemeinsamen Sohn Felix zur Welt und sympathisiert doch längst mehr mit dem aggressiven wie tatkräftigen Baader. Also verlässt sie ihren Sohn und den immer noch mit Worten und der NS-Propaganda-Vergangenheit seines Vaters kämpfenden Vesper. Der zerbricht psychisch und finanziell zunehmend, während seine Frau 1968 erst Brandbomben in Kaufhäusern legt und dann zum größeren Schlag ausholen will. Der Rest ist Geschichte, die oft erzählte und nie abschließend aufgeklärte Geschichte des Deutschen Herbst.

Wer wenn nicht wir
Drei sind eben doch einer zuviel: Vesper (Diehl), Baader (Fehling) und Ensslin (Lauzemis)

„Wer wenn nicht wir“ basiert auf Gerd Koenens Biografie „Vesper, Ensslin, Baader“ und der 1977 veröffentlichten Roman-Autobiografie „Die Reise“ von Bernward Vesper selbst. Die schrieb er unter starkem Drogeneinfluss und am Rande der Verzweiflung, schließlich war er sich noch immer das Buch schuldig, das die Welt verändern sollte. Auf diesen Höhepunkt arbeitet nun, 34 Jahre später, auch Regisseur Andres Veiel in seinem Spielfilmdebüt hin, und er lässt sich Zeit dafür.

Die weltpolitischen Ereignisse werden als aus Medienberichten gesammeltes Originalmaterial eingespielt, im Mittelpunkt des Films aber steht die persönliche Familien- und Beziehungsgeschichte von einer persönlich verunsicherten Gudrun Ensslin auf der einen und einem politisch verunsicherten Bernward Vesper auf der anderen Seite. Die eine – und in dieser Emotionalisierung liegt ein möglicher Hauptvorwurf gegenüber dem Film – hat nur Pech mit Männern, gibt also scheinbar denen die Schuld und verbittet sich deshalb am Wendepunkt ihrer eigenen Radikalisierung jeglichen Rückzug ins Private; der andere weiß nicht, ob er zuerst den Glauben an die Liebe, an die friedliche Revolution oder an sich selbst verloren hat. Die tragischen Ereignisse enden trotz zeitlicher und szenischer Überschneidungen dort, wo „Der Baader Meinhof Komplex“ anfängt, und man sollte beide Real-Inszenierungen nicht ohne ihr direktes Gegenüber betrachten. „Wer wenn nicht wir“ ist kein Dokument deutscher Zeitgeschichte (denn das ist nur die Vorlage von Vesper selbst), sondern ein familienpolitisches Beziehungsdrama, das den Deutschen Herbst als ein Ende und nicht als den Anfang von etwas Neuem darstellt. Und das ist immerhin ein Ansatz, der August Diehl („Inglourious Basterds“, „Salt“, „Die Buddenbrocks“) erneut brillieren lässt, ohne Moritz Bleibtreu auskommt und dem Drama eine Wettbewerbsteilnahme bei der diesjährigen Berlinale bescherte. Dort feierte „Wer wenn nicht wir“ am Donnerstagabend Premiere.

Pre-RAF-Drama:

„Wer wenn nicht wir“
(Deutschland, 2011, 124 Minuten)
Regie: Andres Veiel
mit: August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Thomas Thieme, Imogen Kogge, Michael Wittenborn, Susanne Lothar u.a.

seit 10. März 2011 im Kino

www.werwennnichtwir-film.de

(erschienen auf: BRASH.de, 17. Februar 2011)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*