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“Bon Jovi waren die Coolsten”

Dashboard Confessional sind die Grateful Dead des neuen Jahrtausends: Als erste Band ohne Charterfolge trat die US-amerikanische Emopop-Band 2002 in der legendären MTV Unplugged-Serie auf und versammeln auf ihren Konzerten seitdem Pilger, keine Fans. Wir sprachen mit dem 35-jährigen Sänger und Songschreiber Chris Carrabba über Pin-Up-Boys, seine Kollaboration mit Eva Briegel von Juli und Bon Jovis Publikum.

Herr Carrabba, in der Vergangenheit galten Sie nicht nur als veritabler Songwriter, sondern vor allem als Pin-Up-Boy spätpubertierender Emo-Mädchen. Wie lebt es sich mit diesem Image?

Chris Carrabba: Es tut nicht weh! So ein Image ist zwar nicht das, worauf ich in meiner Musikkarriere am stolzesten wäre. Aber es öffnet mir Türen.

Und füllt Konzertsäle. Funktionieren in den USA all Ihre Shows so messianisch wie Ihr MTV Unplugged-Konzert 2002? Eine derart mitsingende Jüngerschaft kennt man in Deutschland so kaum.

Chris Carrabba: Lustig, dass Sie das sagen. Unsere europäischen Shows laufen nämlich genauso ab. Vielleicht deshalb, weil die Fans US-Shows von mir im Netz, auf DVD oder eben auf MTV gesehen haben. Und für unsere Shows in den Staaten ist das allemal typisch.

Wie erklären Sie sich die Faszination, die Ihrer Musik gerade von jungen Menschen entgegen gebracht wird? Sie liefern ja regelmäßig kleine Hymnen zur Adoleszenz ab.

Chris Carrabba: Die kann ich mir nicht erklären. Ich fange an darüber nachzudenken und ärgere mich schnell, weil ich zumindest verstehe, dass es vergänglich ist. Deshalb denke ich nicht weiter darüber nach. Früher oder später wird dieser Ruhm unvermeidlich vorbei sein.

Zehn Jahre hält dieser Erfolg schon an. Spüren Sie schon beim Songschreiben eine große Verantwortung, weil Sie wissen, dass die Fans wieder jede Zeile mitsingen werden?

Chris Carrabba: Es wäre gefährlich, darüber nachzudenken, während ich schreibe. Ich kann nicht vorhersagen, was die Leute mögen werden und was nicht. Gut so, weil ich mich sonst an den Erwartungen entlang hangeln und nichts Neues versuchen würde. ich weiß nicht, welches Puzzleteil welche Reaktion hervorruft.

Sie wissen nicht, warum die Leute es mögen. Aber denken Sie darüber nach, ob sie es mögen werden?

Chris Carrabba: Nicht beim Schreibprozess, aber bei den Aufnahmen. Beim Schreiben erlaube ich mir eine Art willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit. Ich isoliere mich. Bei den Aufnahmen habe ich die Verantwortung für jeden, der dabei ist. Beim Schreiben kann ich anonym sein und nur die Frage berücksichtigen: Mag ich es selbst? Hat das Qualität? Später machst du die Platte und fängst an dich zu fragen: Wird das funktionieren? Ich glaube aber, es ist ganz normal, sich während des Schreibens zu fragen, was man da gerade macht. Jeder Songwriter wünscht sich doch, dass sein Song irgendjemanden auf der Welt findet, der ihn umarmt.

Umarmen ist ein gutes Stichwort. Sie sind ein Erzähler, der es versteht, allgegenwärtige Gefühle und eigene Erlebnisse in ein „Wir-Gefühl“ zu packen. Sie mögen die erste Person Plural.

Chris Carrabba: Interessant, so habe ich das noch nie gesehen. Ja, mir fallen spontan Momente ein, wo ich „wir“ singe, zum Beispiel in „Everbody Learns From Disaster“: „We went rolling up the coast…“

Plus: Der Titel ist so allgemein gehalten, dem muss jeder in irgendeiner Art und Weise zustimmen.

Chris Carrabba: Ich erzähle in erster Linie eine Geschichte, die mir etwas bedeutet. Bleiben wir bei dem Song: Da ging es nicht um einen Einzelfall, aber um etwas, das ich immer wieder erfuhr. Mit drei Mädchen und zwei Jungs auf einem Trip. Das könnte es sein.

Ihr neues Album „Alter The Ending“ beginnt mit „Get Me Right“, einem Song, der mit Ihrem Powerpop herrlich wenig zu tun hat. Und er klingt nach einer Band. Herr Leffler, Sie machen seit acht Jahren mit Chris Carrabba Musik. Warum brauchen Songwriter eine Band?

John Leffler: Wegen der Abwechslung. Wir brauchen uns gegenseitig. Es gibt Shows nur mit Chris, welche mit uns beiden, andere mit kompletter Band. Und als Band sind wir in den vergangenen acht gemeinsamen Jahren zusammengewachsen. Das hört man unseren Platten hoffentlich auch an.

Herr Carrabba, Sie geben den Ton trotzdem alleine an, oder?

Chris Carrabba: Es war so. Ich war nie Dirigent, hatte aber größeren Einfluss. Es lief den ganz normalen Weg: Anfangs spielten die Jungs nur hier und da mit, eben bei Songs, die mehr Instrumentierung benötigten. Zu der Zeit spielten sie das, was ich auf der Platte spielen wollte. Obwohl jeder Musiker einen anderen Instinkt hat, spielten sie es, wie ich es spielte. Bei der nächsten Platte hatte ich alle Songs geschrieben, bevor ich die Band einlud, ich hatte also schon eine Meinung über die Songs und wie sie sein sollten. Nur selten fragte ich später noch, wie es ihrer Meinung nach klingen sollte. Dann kam „Dusk And Summer“ und „The Shade Of Poison Trees“, und heute erzähle ich ihnen nur noch die Geschichte in meinem Kopf und frage: „Wie würdet Ihr das interpretieren?“

Trotzdem behaupten nicht Wenige, Dashboard Confessional schrieben die immergleichen Songs.

Chris Carrabba: Sie sagen, dass jedes Album wie das andere klingt?

Zumindest 90 Prozent der neuen Sachen klingen wie schon mal gehört. Liegen neuen Alben auch neue Ansätze zugrunde?

Chris Carrabba: Ich versuche jedes Album komplett anders als das vorige zu gestalten. Mein Stil bleibt natürlich gleich, die Kritik ist also vermutlich vollkommen berechtigt.

Was muss denn ein Song denn haben, um ein guter Dashboard Confessional-Song zu sein?

Chris Carrabba: Es geht mehr um ein Gefühl, nicht um einen Baustein. Ich weiß nicht was ein Song braucht, ich merke lediglich, wenn einem Song etwas fehlt. Wenn ich also Glück habe, merke ich, wenn etwas nicht funktioniert und nehme es nicht auf das Album.

Als Kontrollfunktion haben Sie auch die Bandmitglieder.

Chris Carrabba: Ja, und für gewöhnlich sehe ich schon an ihrer Reaktion, wenn sie die Demos hören, wie sie meine Ideen finden.

Seit MTV Unplugged sind Sie auch kommerziell erfolgreich, ohne jemals ganz oben in den Charts mitgemischt zu haben. Werden Sie in den USA oft im Radio gespielt?

Chris Carrabba: Nicht oft, nein. Unsere Fanbase rekrutiert sich eher durch Touren, durch Konzerte, durch Mund-zu-Mund-Propaganda.

Und wenn Sie doch einen Song von sich im Radio hören machen Sie was?

John Leffler: Aufdrehen!
Chris Carrabba: Ja, aufdrehen. Es passiert so selten, dass wir uns immer noch freuen, wenn wir uns hören. Wir fahren ja sonst nicht durch die Gegend und hören uns unser Album an. Ich höre unsere Platten beim mixen und mastern, danach in der Regel nicht wieder, nur zufällig.

Zur Jahrtausendwende brachten Sie ein Album und eine EP mit der christlichen Emocore-Band Further Seems Forever raus, seit zehn Jahren sind Sie als Dashboard Confessional unterwegs. Haben Sie schon einmal daran gedacht, etwas komplett Neues zu beginnen?

Chris Carrabba: Ja, schon. Ich frage mich nur, wann ich mich in diese Richtung gezogen fühle. Ich sehe etwas kommen, aber ich weiß noch nicht was es ist.

Das klingt, als blieben uns Dashboard Confessional noch eine Weile erhalten.

John Leffler: Und das klingt, als könnten Sie unser Ende nicht abwarten!

Nein, es ist nur nicht jedermanns Sache, etwas zehn Jahre am Stück zu tun.

Chris Carrabba: Mit Dashboard Confessional ist das auch mein erstes Mal, und wenn ich sage, dass ich mir noch zehn weitere Jahre vorstellen kann, dann, weil die letzten zehn Jahre so schnell vorbeigingen. Hättest du mir damals gesagt, dass ich das für zehn Jahre machen werde, wäre mir das wie ein ganzes musikalisches Leben vorgekommen. In der Musikindustrie macht niemand etwas zehn Jahre lang! Ich beeile mich nicht, das hier zu beenden. Früher oder später aber werden wir alle was Neues finden.

Zu Deutschland haben Sie eine besondere Verbindung: 2007 nahmen Sie Ihren Song „Stolen“ zusammen mit Eva Briegel von Juli auf. Wie konnte das denn passieren?

Chris Carrabba: Das war cool. Wir haben ein paar gemeinsame Freunde. Sie gaben uns Julis Album und umgekehrt. Eine ungeheuer kraftvolle Band. So kamen wir in Kontakt und sprachen immer öfter darüber, mal was gemeinsam zu machen.

Wer war dieser Freund?

Chris Carrabba: Ein US-Musiker, den Sie wahrscheinlich nicht kennen werden. Er heißt Kevin Devine.

Der New Yorker Songwriter, der hier in Deutschland im Winter sein fünftes Soloalbum veröffentlichte. Und dann haben Sie sich also Julis Album angehört.

Chris Carrabba: Ja, und obwohl ich anfangs kein einziges Wort verstand, hat es mich gleich gefesselt. Eigentlich sind es die Texte, die mich bei Musik in ihren Bann ziehen. Dort aber packten mich schon die Songs allein.

Und als Sie dann das Duett mit Eva Briegel aufgenommen hatten: Mochten Sie es?

Chris Carrabba: Ja!

Es spielte für Sie also nie eine Rolle, wer diese Band ist oder wie sie in Deutschland wahrgenommen wird?

Chris Carrabba: Ich wusste es nicht und weiß es immer noch nicht. Sie waren hier sehr bekannt, richtig?

Ja. Sie waren es und sind es immer noch und feiern als Gitarrenpop-Band große Charterfolge. Bei einem Publikum, das eher Indie und Alternative hört – also das Publikum, das Sie mal erreichten – haben Juli einen schwierigeren Stand.

Chris Carrabba: Vielleicht hatte ich also glücklicherweise davon keinen Schimmer?

Juli gehörten immerhin zu den ersten Bands, die auf Deutsch sangen und damit kommerziell sehr erfolgreich wurden.

Chris Carrabba: Und heute singen viele Bands deutsch?

Heute tut das jeder, aber vor zehn oder 15 Jahren war das noch die Ausnahme.

Chris Carrabba: Warum sollten Musiker nicht in ihrer Muttersprache singen?

Oft versteckt man sich hinter der englischen Sprache. Wenn du deutsch singst, ist es viel schwieriger, die richtigen Worte zu finden, weil es viel schneller kitschig klingt. Der Texter kann sich hinter der englischen Sprache leichter verstecken, der Hörer überhört vieles, was er auf Deutsch als seiner Muttersprache unmittelbarer wahrnehmen würde.

Chris Carrabba: Hm. (Schweigen.)

Dieses Jahr spielen Sie im Vorprogramm von Bon Jovi.

Chris Carrabba: Ja, diesen Monat. Bis jetzt nur in den USA.

Wurden Sie von der Band eingeladen?

Chris Carrabba: Ja.

Ein größeres Publikum kann man kaum erreichen.

Chris Carrabba: Vor allem erreichen wir ein anderes Publikum. Groß, weil es Bon Jovi ist, vor allem aber anders als unseres. Wir haben Respekt vor einer Band, die etwas so lange tut und das so gut, dass wir gespannt sind, was wir von ihnen lernen können auf der Bühne.

Wie groß werden die Spielstätten sein?

Chris Carrabba: 20-30000 Gäste werden schon passen.

Hier in Deutschland kennt man Bon Jovi vor allem als Rockband, die in den frühen Neunzigern noch einen Namen hatte.

Chris Carrabba: Und sie verschwanden nie. Sie veränderten sich und erreichen heute sogar ein modernes Country-Publikum.

Und wir haben die Scorpions.

Chris Carrabba: Sind die nicht in Rente?

Nein, die feiern gerade Ihr letztes Comeback mit einem neuen Album. Und hier versteht niemand, warum diese Band in den USA so erfolgreich ist.

Chris Carrabba: Mit den Scorpions aber verbindet jeder nur die europäischen Achtziger, oder? Bon jovi hingegen blieben relevant.

Blieben sie? Als coole Rockband gelten sie doch seit den Achtzigern nicht mehr.

Chris Carrabba: Sie waren mit Abstand die coolsten!

Und was man heute von Bon Jovi so im Radio hört, klingt wie ein lauwarmer Aufguss, ein misslungener Spagat. Es ist für eine Band natürlich trotzdem schwer auszuschlagen, vor einem so großen Publikum zu spielen.

Chris Carrabba: Und ich verrate Ihnen noch was: Sie haben ein verdammt großes Publikum, falls wir darüber noch nicht sprachen.

Ihre jetzige Minitour ist kleiner. Heute spielen Sie im Roten Salon, vorgestern verkauften Sie eine kleine Show in Mailand.

Chris Carrabba: Ja, innerhalb von drei Wochen. 250 passten rein, 500 Fans waren da.

Ihre Platte ist dort ebenfalls noch nicht erschienen.

Chris Carrabba: Nein, und wir hatten noch nie eine Veröffentlichung in Italien. „Alter The Ending“ wird die erste.

Viel Erfolg dort!

Chris Carrabba: Danke, ich bin gespannt!

Songwriter-Pop:
Dashboard Confessional – „Alter The Ending“ (Geffen/Universal), 2. April 2010.

www.dashboardconfessional.com

(erschienen auf: BRASH.de, 9. April 2010)

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