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Von Affen, Stolz und Wattenmeer

Man kann es drehen wie man will: Turbostaat demonstrieren auf ihrem vierten Album „Das Island Manöver“ nicht nur einen Hang zu ihren Deutschpunk-Wurzeln. Sondern auch zu menschlichen Abgründen.

Männer, die ihre eigenen Frauen köpfen. Außerehelich geschwängerte Mädchen, die ins friesische Watt geschickt werden und niemals wiederkehren. Jungs, die sich tagsüber auf dem Schulhof prügeln, nachts am Rechner hocken und morgen vielleicht Amok laufen. Frühlingsgefühle, die sich im Wunsch manifestieren, doch bitte im Maisfeld erwürgt zu werden, wenn der Sommer kommt. Man muss kein Psychologe sein, um „Das Island Manöver“, das vierte Album der Flensburger Punkrockband Turbostaat, auf zwei Arten zu lesen beziehungsweise zu hören: Entweder als hinterleuchtenden Querschnitt der KriPo-Highlights vergangener Dekaden im Newsticker, oder als fiktiven Film Noir, als Thriller der erschreckenderen Sorte. Beides läuft auf das Gleiche hinaus: Turbostaat haben einen Hang zu menschlichen Abgründen.

Seit ihrer Gründung 2001 kamen Turbostaat in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ohne ihre mutmaßlichen Ziehväter aus. Erst Jens Rachut (Angeschissen, Dackelblut, Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle, Kommando Sonnenmilch), weil Turbostaats erste beiden Alben „Flamingo“ und „Schwan“ auf Rachuts Label Schiffen erschienen und weil Sänger Jan Windmeier wie Rachut Szenarien und Charaktere entwirft anstatt Slogans zu dreschen. Dann die Beatsteaks, weil deren Drummer Thomas Götz die Flensburger ins Vorprogramm ihrer „Smack Smash“-Tour holte und weil „Vormann Leiss“, Turbostaats großartige Dritte, auf einem Tochterlabel von Warner, wo eben auch die Beatsteaks veröffentlichen, rauskam. Die Musik war von all diesen Nebenschauplätzen nie hörbar beeinflusst. Ihre Wahrnehmung schon.

Turbostaat sind in dieser Zeit bessere Songwriter geworden. Das behaupten sie selbst, schließlich sei „Das Island Manöver“ ihr erstes Album, das sie in zusammenhängenden Stücken geschrieben hätten. Das hört man der immer noch minimal-brachialen Rhythmus- und Gitarrenarbeit, die in ihren besten Momenten wie eine zwingende Konstante klingt, weniger an als den paraphrasierten Schicksalen von Windmeier: Selbst wenn man kein Wort versteht, versteht man sie nun doch. „Diese Affen sprechen von Stolz mein Gott was für ein Thema, jeden Morgen, wird Dir erst schlecht selbst bei mittlerem Seegang“ bellt es gleich im Opener „Kussmaul“ los, und weiter: „Hinter Dir die Enkel der Henker, ersoffen im Glauben und tosender Wut.“

„Pennen bei Gluffke (Wie soll denn so was gehen)“ ist die schwächere erste Single als „Harm Rochel“ vom Vorgänger „Vormann Leiss“, aber schon die restlichen Songtitel (ver)sprechen Bände und für sich: „Surt und Tyrann“, „Fünfwürstchengriff“, „Strandgut“. Der Frühlingshit aus Flensburg heißt „Urlaub auf Fuhwerden (Erwürg mich im Maisfeld)“, und all das hinterlässt nicht weniger als den Eindruck: Gehörten Turbostaat nicht längst zu den besten Punkrockbands des Landes, sie gäben ebenso veritable wie krude Drehbuchschreiber ab. „Das Island Manöver“ ist mindestens so zeitgeistig und politisch wie Muff Potters „Gute Aussicht“. Da wurden Lebensgefühle in Krisen umrissen, hier werden Lebensentwürfe zerissen. Vor allem aber ist „Das Island Manöver“ nicht pure Wut und Agression, sondern der Realität entnommene, in impressionistische Fetzen an die Wand geworfene und wieder abgerissene Fiktion. Und die sieht nun mal auch in Flensburg düster aus.

Turbostaat
„Das Island Manöver“
(Same Same But Different / Warner)
9. April 2010

www.turbostaat.de

(erschienen auf: Motor.de, 6. April 2010)

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