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Der Hölle so nah

Im Kinojahr 2010 führt an Hollywood-Liebling George Clooney kein Weg vorbei. Im März lief „Men Who Stare At Goats“ in den deutschen Kinos an, im Herbst folgt „The American“. Und für seine Rolle als Vielflieger Ryan Bingham in der satirischen Sozialkomödie „Up In The Air“ wurde Clooney für einen Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Sein Dank dafür müsste vor allen Dingen Regisseur Jason Reitman gelten.

Ryan Bingham ist ein sympathisches Arschloch. „To know me is to fly with me“, „Mich zu kennen bedeutet mit mir fliegen“, stellt er gleich zu Anfang fest. Sein Job ist es, im Auftrag großer Arbeitgeber deren Mitarbeitern die Kündigung auszusprechen. Ein krisensicheres Geschäft, möchte man in Zeiten der realen Rezession meinen – bis die aufstrebende Natalie Keener (Anna Kendrick) Binghams Boss überzeugt, durch „Mitarbeiter-Gespräche“ via Internet-Videokonferenz auch in der eigenen Firma effizienter zu arbeiten.

Bingham, der in tausenden Kündigungsgesprächen anderen ein Leben aufzeigt, das er selbst nicht führt, sieht seine eigene Existenz bedroht. Schließlich hat er außer seinem Ziel, als siebter Mensch die Zehn-Millionen-Flugmeilen-Marke zu durchbrechen und einer Affäre mit Alex (bezaubernd: Vera Farmiga), einer anderen Vielfliegerin, nichts. Aber er fühlt sich ja auch wohl in seiner Haut! Also nimmt er die junge Kollegin Keener mit auf Reisen und beweist ihr, dass nicht alles online zu regeln ist. Ehe er sich versieht, steckt Bingham in tatsächlichen zwischenmenschlichen Beziehungen – und hat allen Übels auch noch eine Einladung zur Hochzeit seiner Schwester auf dem Tisch.

Obwohl in „Up In The Air“ als Einspieler real existierende Menschen zu Wort kommen, die nach einem halben oder ganzen Leben in ihrer Firma gerade gekündigt wurden, ist der Film keine bitterböse Satire, wie Regisseur Jason Reitman sie 2004 im grandiosen Gipfeltreffen der Nikotin-, Alkohol- und Waffen-Lobbyisten „Thank You For Smoking“ auf die Leinwand brachte. „Up In The Air“ ist auch kein Liebesfilm, obwohl sich Bingham im weiteren Verlauf zu der Aussage „Wir alle brauchen einen Co-Piloten“ hinreißen lässt und sich in der beginnenden Beziehung zu Alex Bodenkontakt erhofft. „Up In The Air“ ist beides, und genau darin liegt seine größte Stärke.

Jason Reitman, Sohn von „Ghostbusters“-Regisseur Ivan Reitman, gelang zuletzt mit dem Kritiker- und Publikumsliebling „Juno“ die Gratwanderung zwischen Independent-Film und Mainstream-Kino. Natürlich ist „Up In The Air“ schon wegen George Clooney, den Frauen und dem penetranten Product Placement einer großen Hotelkette letzteres, doch in eben dieser Besetzung offenbart sich wieder Reitmans größte Gabe: Er strickt Geschichten rund im Charaktere, die bestenfalls zweifelshaft sind – und dabei so charmant durchs Leben gehen, dass man ihnen kaum böse sein will. „Who the fuck am I?”, “Wer zur Hölle bin ich schon?”, stellt Bingham zu Beginn ebenfalls selbst fest. Und? Spielte George Clooney mit seinem besten Lächeln den Teufel persönlich, man wäre plötzlich der Hölle so nah. Nun, dank Reitman, ist es der Himmel, und für Clooney vielleicht der zweite Oscar.

„Up In The Air“
(USA, 2009)
Regie: Jason Reitman
mit: George Clooney, Vera Farmiga, Anna Kendrick, Jason Bateman u.a.

(erschienen auf: BRASH.de, 3. Februar 2010)

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