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„Big Little Lies“, Staffel 2: Am Ende sind wir alle krank

Die HBO-Produktion „Big Little Lies“ ist nicht nur eine der bestbesetzten, sondern auch eine der besten Serien unserer Zeit. So ästhetisch, dass man sich in ihr Herbststrandsetting wie in einen Hoodie kuscheln will. Wenn der einem nicht dramatisch die Kehle zuschnüren würde.

Die Monterrey Five: Shailene Woodley, Zoe Kravitz, Reese Witherspoon, Nicole Kidman und Laura Dern in „Big Little Lies“ (HBO)

Das Grundsetting erinnert an „Desperate Housewives“: Eine Handvoll Frauen mit viel Geld und viel Zeit vertreibt sich den Alltag mit der möglichst perfekten Erziehung ihrer Kinder, dem Schmeißen von maßlos übertriebenen Geburtstagsfeiern und gemeinsamen Kaffees in der Stadt oder im Strandcafé. Mit dem Vergleichs-Verdacht könnte man aber falscher kaum liegen: „Big Little Lies“ ist vordergründig ein Drama, in dem ein Mord passieren wird (Staffel 1) beziehungsweise passiert ist (Staffel 2) – und hintergründig eines, das von der Kaputtheit selbst privilegierter Menschen erzählt und von den Lastern, die unsere Seelen aus unserer Kindheit mitschleppen müssen. Von einem der Serie so oft attestierten schwarzen Humor fehlt jede Spur.

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Fassungslosigkeiten hinter Fassaden (Achtung, Spoiler zur 1. Staffel „Big Little Lies“ folgen)

Der sechsjährige Ziggy und seine Mutter Jane (Shailene Woodley) sind neu in Monterrey, einer bildschönen Kleinstadt an der Küste Kaliforniens. Sie wollen einen Neuanfang – Ziggy wurde durch eine Vergewaltigung gezeugt, die Jane nie zur Anzeige brachte – und finden sich in einem Schmelztiegel aus reichen Schnöseln, Helikopter-Eltern und Surfern wieder. Die Mütter Madeline (Reese Witherspoon) und Celeste (Nicole Kidman) nehmen sich den neuen an, haben aber ihre eigenen Probleme: Madelines Teenagertochter will zu ihrem Vater ziehen, während ihre neue Ehe mit Ed (Adam Scott) eine nur zweckmäßige zu sein scheint. Celeste lebt mit ihren Zwillingen Max und Josh, wie überhaupt fast jede Figur in „Big Little Lies“, nach außen hin ein Bilderbuchleben – hinter der Fassade aber wird sie von ihrem Mann Perry (Alexander Skarsgård) geschlagen, gedemütigt und, auf eine abhängige Art und Weise einvernehmlich, zum Sex genötigt. So sehr, wie es fast jeder Figur in „Big Little Lies“ darum geht, ihre perfekten Fassaden durch Partys, Klatsch und Selbstoptimierung aufrecht zu erhalten, so sehr beginnen diese Fassaden zu bröckeln.

Zu Beginn der 1. Staffel „Big Little Lies“ geschieht ein Mord auf einem Maskenball. Der Zuschauer erfährt nichts über Opfer, Täter und Motiv und rätselt somit sieben Folgen lang mit, wer zu Hölle dieser gebeutelten Charaktere wen warum auf dem Gewissen hat. Oder war der Sturz von der Treppe wirklich nur ein Unfall, wie die sog. Monterrey Five, die Hauptverdächtigen Madeline, Celeste, Jane, Renata (Laura Dern) und Bonnie (Zoë Kravitz), behaupten? Im packenden Finale von Staffel 1 wird aufgelöst, wer starb und wie es dazu kam. SPOILER: Bonnie sah, wie Perry erneut Celeste schlagen wollte, während Madeline, Jane und Renate einzugreifen versuchten, rannte hin und schubste ihn die Stufen hinab. Offenbart wird aber noch mehr: In diesem Moment trifft Jane das erste Mal persönlich auf Perry, den sie vorher nur von Celestes Erzählungen kannte – und erkennt ihn auf der Stelle als ihren Vergewaltiger wieder. Ein Twist, der sich im Nachhinein so schlüssig und naheliegend anfühlt, dass man sich als Zuschauer wundert, diese Wendung nicht selbst habe kommen sehen.

Der Mensch, das geschundene Wesen

Staffel 2, die am Wochenende auf HBO und in Deutschland auf Sky zu Ende ging, setzt ebenda an: Die Monterrey Five werden von der Polizei zwar verdächtigt, sich selbst durch Falschaussagen zu schützen, nachgewiesen werden kann ihnen aber nichts. Sie agieren fortan als Zweck- und Deckgemeinschaft, deren Einzelschicksale nicht unbedingt leichter werden: Ziggy ist nun offiziell der Halbbruder von Max und Josh, in der Schule sprechen sich die Taten ihres Vaters rum. Ed erfährt von einer Affäre, die seine Frau vor einem Jahr hatte. Die auf Geld und Wohlstand besonders erpichte Renata („I CANNOT NOT BE RICH!“) muss mit einem durch ihren Mann verschuldeten Bankrott umgehen, Bonnies Mutter besucht sie und erleidet einen Schlaganfall, dadurch lernen wir auch mehr über die Motivation Bonnies, Perry im Affekt geschubst zu haben. Der Kernplot aber ist der, dass Perrys Mutter Mary-Louise (grandios wie immer: Meryl Streep) aus San Francisco nach Monterrey reist, um das Erbe ihres Sohnes zu verteidigen und mit perfiden Mitteln Celeste das Sorgerecht für ihre Enkel entziehen will.

In Staffel 2 von „Big Little Lies“ geht es mehr noch als in Staffel 1 um Liebe und ihr Fehlen, um toxische Beziehungen, um Enden und um Neuanfänge. Ihre vermeintliche Schwäche, der dünnere Handlungsstrang, ist dabei ihre größte Stärke: Ja, die sieben neuen Folgen muten tatsächlich wie ein Epilog zu Staffel 1 an, sorgt durch ihre noch tieferen Einblicke in die Psyche ihrer Protagonisten aber dafür, dass es dem Zuschauer an die Galle geht. Nach Szenen wie der, als Bonnie ihrer im Koma liegenden Mutter zum ersten Mal in ihrem Leben sagt, wie sehr sie sie hasst für ihre physischen und psychischen Schläge in der Kindheit, nach den Sprüchen, die Ziggy ertragen muss oder nach der verstörenden Tatsache, dass Max und Josh Celestes Misshandlungen durch ihren Vater beobachtet haben, zwingt sich nur die eine Frage auf: Wie viel kann und muss eine kindliche Seele ertragen, bevor sie ganz zugrunde geht?

„Big Little Lies“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Liane Moriarty. Die Inszenierung der oberflächlichen Coffeetable-Herbstschönheit Monterreys durch die Regisseure Jean-Marc Vallée (Staffel 1) und Andrea Arnold (Staffel 2) sorgt in Verbindung mit der Titelmusik von Michael Kiwanuka, den tonlosen Szenen, den starken Dialogen und dem pessimistischen Grundgefühl für ein in der internationalen Serienlandschaft so nie dagewesenes beklemmendes Setting fertigmachender Schönheit: „Big Little Lies“ ist so schrecklich ästhetisch, dass man sich wie in einen Hoodie in sie kuscheln wollen würde. Würde der doch nur die Kehle nicht derart zuschnüren!

Eine 3. Staffel von „Big Little Lies“ gilt leider als unwahrscheinlich

Nach zwei Staffeln fühlt man sich so depressiv und kaputt, wie die Serienprotagonisten allesamt sind. Das ist hart, ihr einziger wirklicher Minuspunkt aber ist ein anderer: Die Sätze voller Weisheit und Weitsicht, die die siebenjährigen Kinder da so sagen, sagen in Wahrheit nichtmal sehr aufgeklärte Jugendliche oder Erwachsene, die noch miteinander sprechen. Die Kids in „Big Little Lies“ sind teilweise reifer als ihre Eltern, und auch wenn genau das wohl hier und da die Botschaft sein soll, bleibt ihre Darstellung unglaubwürdig. Aber eben auch nur diese.

Das Finale von Staffel 2 hat schließlich doch etwas Reinigendes. Es geht wieder um Aufbruch und Neuanfang und darum, reinen Tisch zu machen. Nicht unwahrscheinlich, dass diese angedeutete große Katharsis das Ende der Serie markiert, zumal Erfinder David E. Kelley im Februar eine dritte Staffel nahezu ausschloß. Aber schade um dieses zurecht mit Emmys, Golden Globes und weiteren Preisen ausgezeichnetem Meisterwerk wäre es schon.

„Big Little Lies“, Staffel 2, alle sieben Folgen auf Sky im Stream verfügbar

Dieser Text erschien zuerst am 23. Juli 2019 auf musikexpress.de.

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