„Das hier ist das größte Beatsteaks-Konzert ever“, sagte Arnim Teutoburg-Weiß zu Beginn eines geschichtsträchtigen Abends. Er sollte in mehrfacher Hinsicht Recht behalten.
Am Samstag, den 9. Juni 2018, spielten die Beatsteaks ein ausverkauftes Konzert in der Berliner Waldbühne. Vor 22.000 Zuschauern würde es, so viel stand vorher fest, die größte Soloshow der Beatsteaks aller (bisherigen) Zeiten werden. Dass der Abend aber auch darüber hinaus legendär werden würde – das wussten bis zuletzt nur die Protagonisten selbst: Neben den Beatsteaks in Bestform traten als Überraschungsgäste Dirk von Lowtzow (erwartbar), Deichkind (bedingt erwartbar) und, Achtung, Die Ärzte auf. Bela, Farin und Rod eröffneten den Zugabenblock mit „Hurra“ und „Schrei nach Liebe“, verschwanden wieder, hinterließen offene Münder und ein eindeutiges Medienecho: Ja, Die Ärzte sind endgültig wieder da.
Es waren aber nicht nur Die Ärzte, die aus einem guten Abend einen unvergesslichen machten. Es waren vor allem die Gastgeber selbst und zum Beispiel die folgenden Momente:
Die Vorband
Tocotronic eröffneten den Abend gegen 19:40 Uhr mit dem einzig richtigen Song für diese Gelegenheit: „Let There Be Rock“. Die in der 1999 erschienenen K.O.O.K.-Single so typischen Fanfaren gingen leider unter, weil Rick McPhail sie auf seiner Lego-Gitarre nachspielte, der anfangs schmuddelige Sound sie aber kaum hörbar machte. Der Rest ihres rund dreiviertelstündigen Sets umfasste mit „Kapitulation“, „This Boy Is Tocotronic“ und „Aber hier leben, nein danke“ zwar die Art von Best-Of, mit der man auch Rockfans begeistern kann, zumal Dirk von Lowtzow um Rockansagen und -Gesten nicht verlegen war. Es zeigte sich dennoch: Die Kritikerlieblinge Tocotronic sind eine Kopfband, die Beatsteaks eine Bauchband. Für ein angenehmen Warm-up hat es gereicht.
Der DJ
Wenn eine Band keinen Einheizer braucht, dann die Beatsteaks. Trotz offener Türen macht der DJ Illvibe seinen Job fantastisch: „Noch drei Minuten, dann sind die Beatsteaks da!“, ruft er ins Mikrofon, legt ein Mash-up aus Hits von unter anderem den Beastie Boys, James Brown, Refused und Seeed hin, ruft „noch eine Minute!“ – und zeitgleich mit der Hauptband auf der Bühne ist die Stimmung auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen.
Die Fans vom ersten Song an
Die Beatsteaks eröffnen ihren Abend vergleichsweise harmlos mit „Yours“, dem Titelsong ihres aktuellen Albums. Die Fans (überwiegend zwischen 20 und 45, aber auch bis 60 gehend), kennen schon da kein Halten mehr: Sie jubeln, grölen, bilden Moshpits, später werden sie sogar – friedlich – Bengalos anzünden. Sänger Arnim Teutoburg-Weiß bittet freundlich darum, aufeinander aufzupassen – aber bitteschön auch abzugehen. Das lässt sich das ihm aus der Hand fressende Publikum nicht zweimal sagen. Und überhaupt:
Arnim Teutoburg-Weiß
„Wir sind die Beatsteaks aus der Wuhlheide!“, stellt er seine Band vor und kokettiert damit, dass ihr heutiger Auftritt in der Waldbühne ein Heim- und Gastspiel gleichermaßen markiert: Sämtliche zurückliegenden Berliner Open-Air-Konzerte gaben die Beatsteaks in der Kindl-Bühne Wuhlheide im Osten der Stadt, dort werden sie auch im August wieder auftreten.
Die Rampensau trägt, oldschool wie immer, „Yours“-Shorts, rotes Hawaiihemd, Basecap, Sonnenbrille, Schweißbänder, Sneaker, kühlt die ersten Reihen mit einem Wasserschlauch ab, badet selbst in der Menge. Später tauscht er das Outfit gegen ein schwarzes Shirt mit Hut, macht sich sozusagen schick für die Gäste: „Das wird ein spezieller Abend, ich verspreche Euch spezielle Dinge“, sagt er zu Beginn, konkretisiert dann, dass es „Special Guests“ geben wird und es toll sei, wenn man Lieblingsbands einladen könne, die dann auch kämen. Er sollte nicht untertrieben haben – und mit seinen auffällig häufigen Ansagen, in denen er die Beatsteaks als „beste Band des Universums“ bezeichnete, mit dem Zaunpfahl gewunken haben.
Gastauftritt 1: Dirk von Lowtzow
Man kennt und schätzt sich: Arnim Teutoburg-Weiß nahm mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow 2016 einen Song für den Soundtrack von Fatih Akins „Tschick“-Verfilmung auf. Eben den, das Stereolab-Cover „French Disko“, performen sie naheliegenderweise heute zusammen mit Band. Und verpassen dem Abend erneut eine politische Note: Im Vorprogramm mit Tocotronic animierte von Lowtzow das Publikum „Aber hier leben, nein danke“ mitzurufen und die Fäuste gegen rechts zu recken, jetzt singen sie von Widerstand: „Spontane Rebellion und Solidarität sind Akte, die jetzt wertvoll sind, es ist nie zu spät! La résistance!“
Peter Baumanns „Hey Du“
Darf bei keinem Beatsteaks-Konzert fehlen: Gitarrist und Songschreiber Peter Baumanns Version von „Hey Du!“, der inoffiziellen Berlin-Hymne aus dem Grips-Theater-Musical „Linie 1“. „Den Song hab ick inna S-Bahn hier her geschrieben“, berlinert er trocken und gibt vor Tausenden von Feuerzeugen und Handylichtern Beatsteaks‘ einzige Quasi-Ballade zum Besten. Und die ist jedes Mal ergreifend.
Gastauftritt 2: Deichkind
Für YOURS haben Deichkind und die Beatsteaks die gemeinsame Single „L auf der Stirn“ aufgenommen. Den Song performen Porky („Wir sind Eins, Zwo!“) und Kryptik Joe heute mit den Beatsteaks, die lassen ihre Gäste damit aber nicht davon kommen: Deichkind hauen danach noch ihren NIVEAU WESHALB WARUM-Opener „Sone Musik“ raus und legen somit einen dreieinhalbminütigen HipHop-Banger hin, den man sonst nur live erlebt, wenn Deichkind selbst Festivals headlinen. Geiler Scheiß.
Die Setlist
Wie gesagt: Die Beatsteaks können spielen, was sie wollen. Wer aber neben eigenen, zwischen Punkrock, Pop, Soul und HipHop angedockten Hits wie „Demons Galore“, „Cut Off The Top“ (mit Johnny-Cash-Einlage), „Hello Joe“, „Gentleman Of The Year“ und vor allem „Summer“ Coversongs von Fu Manchu („Frieda und die Bomben“) und den Beastie Boys („Sabotage“) im Programm hat, kann gar nicht verlieren. Die gesamte Setlist:
Ihr Tribut an Seeeds Demba Nabé
Gastauftritt 3: Die Ärzte und das Ablenkungsmanöver der Beatsteaks
Arnims Ansagen über kommende Special Guests und seine „beste Band des Universums“. Ein zwischenzeitlicher Einspieler, auf dem man Bela Bs Stimme zu erkennen glaubt. Etwas Hohes Verhülltes, was nach „I Don’t Care As Long As You Sing“ auf die Bühne geschoben wird und verdächtig nach einem Standschlagzeug aussieht: Den Überraschungsauftritt von Die Ärzte hätte man kommen sehen können, aber nicht müssen. Grandios und geschichtsträchtig, wie die Beatsteaks sich backstage quatschmachend im Selfiemodus filmen, 22.000 eh schon euphorische, auf die Zugabe wartende Zuschauer auf die Leinwände starren lassen und somit davon ablenken, was gerade auf der Bühne passiert: Bela, Farin und Rod nehmen ihre Plätze ein. Die Scheinwerfer gehen an, die ersten Akkorde von „Hurra“ erklingen. Es dauert ein paar Sekunden, bis jeder checkt, was hier gerade passiert – und dann gibt es so gar kein Halten mehr, jeder hier singt jede Zeile lauthals mit.
Danach sagt Farin, höflich wie er ist, die Beatsteaks wieder an. Die hauen noch ihren Live-Überhit „Let Me In“ und ihr obligatorisches Beastie-Boys-Cover raus, machen auflagenbedingt um Punkt 23 Uhr Schluss und wissen wohl das, was ihre immer noch geflashten Fans als Gefühl mit in die S-Bahn und nach Hause nehmen: Größer und spektakulärer werden zukünftige Beatsteaks-Konzerte vielleicht nicht mehr. Aber hoffentlich noch lange ähnlich gut und fucking entertaining bleiben.
Im Spätsommer geben die Beatsteaks ihr nächstes Open-Air-Heimspiel in ihrer Stammlocation: Am 25. August treten sie in der Berliner Wuhlheide auf. Dort feierten sie 2015 auch ihr 20-jähriges Bandjubiläum und stimmten während des Konzerts unter anderem „Zu spät“ von Die Ärzte an. Damals wünschten wir uns einen Gastauftritt von Bela, Farin und Rod. Wir wurden erhört!
Dieser Konzertbericht erschien zuerst am 11. Juni 2018 auf musikexpress.de.