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Die Essenschecker

Über Leckeres schreiben: Wie Berliner Foodblogger die Gastrokultur der Hauptstadt für sich und Andere entdecken.

So oft war sie schon im Nazuna, schreibt Sylee Gore am 12. Oktober 2011, und bis jetzt habe sie es nie geschafft, darüber zu bloggen. Gleich bei ihr um die Ecke in Prenzlauer Berg sei das japanische Restaurant, sie erinnert sich an die Auslage knusprig-scharfer Salate, den hausgemachten Mochi, den Käsekuchen mit schwarzen Bohnen. Die Bedienung aus Kyoto erklärte ihr mal in Ruhe, wie man die Onigiri-Reisbällchen aus ihren Verpackungen befreit. Ihre dreijährige Tochter, schreibt Sylee weiter, sei bei einem Besuch mürrisch gewesen, da habe ihr der Koch kurzerhand einen Obstteller angerichtet. Unter berlinreified.com (frei übersetzt: Berlin greifbar gemacht) bloggt Sylee Gore in Wort und Bild leidenschaftlich über solche und andere kulinarische Streifzüge durch Berlin und Brandenburg – und nimmt ihre Leser dadurch mit auf Entdeckungsreise.

„Damals gab es noch wenig im Internet über Berlin“, erinnert sich die 33-jährige Gore an die Anfänge ihres Blogs im Oktober 2006, „und über Essen schon gar nicht“. Seit über zehn Jahren wohnt die gebürtige Amerikanerin in der Hauptstadt, arbeitet in einem Verlag und schreibt freiberuflich für Reiseführer. In ihrem Blog suchte und fand sie einen Ort, um ihre Eindrücke zu sammeln. Eindrücke von kleine unabhängigen Orten, an denen die Leute mit Leidenschaft tun, was sie da tun; Orte, an denen ihre Betreiber auch mit ihren Freunden abhängen würden. Gore will diesen lokalen Stimmen einen Platz schaffen. Das können dann ihr Lieblingscafé Sgaminegg in Prenzlauer Berg, eine kleine Konditorkette in Schöneberg, Farmen in Brandenburg oder ihr eigener Balkon sein, Hauptsache, es entspannt sie. Schließlich sei Essen nicht nur ein Experiment. Aus ihrer amerikanischen Heimat vermisst Gore nichts, hat aber in Deutschland zum Beispiel Quitte und Schwarzwurzel für sich entdeckt. Und was Berlin nicht mehr braucht, weiß sie umso genauer: „Viel zu viel Bubble Tea gibt es hier!“

Die Genießerin Gore ist heute längst nicht mehr allein mit ihrem Hobby in der Stadt: Über ihre und andere Blogrolls entdeckt man von „Nimmersatt in Berlin“ über „Veggie Love“ bis „Wurstsack“ schnell dutzende Blogs, die sich mit der Berliner Gastronomie, Einkaufstipps oder Essen im Allgemeineren beschäftigen. Die einen empfehlen ausschließlich Frühstücks- und Brunchrestaurants, die anderen Wurst aus der Region oder vegetarische Imbisse. Sie alle sind ein bisschen das, was man an Restaurantführern und Bewertungsseiten wie Qype.com vermisst: persönlich, ehrlich, unkommerzieller, selten diffamierend, leidenschaftlicher. Und spezialisierter.

Patrick Bolk
Bio-Blogger Patrick Bolk (© Kristin Philippson)

Einer dieser Spezialisten ist Patrick Bolk. Seit 2008 bloggt er unter Berlinisstbio.de über Bio-Food, Nachhaltigkeit, fair gehandelte und regionale Produkte und ökologischen Lebensstil. Bolk zog vor vier Jahren vom Niederrhein nach Berlin. Auch er wunderte sich bald, dass er niemand fand, der sich über Einkaufsführer und Adresslisten hinaus mit dem Thema beschäftigte. Gerne hätte er so ein Angebot gelesen, wie er es dann selbst gemacht hat, „und ein Blog aufsetzen war am einfachsten und am billigsten“.  Anders als Flaneurin Sylee Gore wollte der 38-jährige Diplom-Pädagoge unter dem Motto „Mach Gutes bekannter“ einen geografischen und inhaltlichen Überblick über Bio-Berlin erschaffen – mit Erfolg: 2009 erschien sein Blog als Buch, diesen Sommer soll zum Blog „Deutschland isst vegan“, den Bolk parallel zu „Berlin isst bio“ mit einer befreundeten Bloggerin betreibt, ein Gastro-Führer für Deutschland auf den Markt kommen. Klar, sagt Bolk, von den öffentlichen Debatten um Massentierhaltung und Ernährungsphilosophie seit dem Erfolg von Jonathan Safran Foers Sachbuch „Tiere Essen“ und „Anständig essen“ von Karen Duwe hat auch er profitiert, überhaupt sei sein Freundeskreis und eine breitere Masse viel offener für seine Themen als noch vor ein paar Jahren. Bolk will positive Alternativen anbieten, „mit Dogmatismus kommst du nicht weiter“, sagt er. Bio- und Neuland-Fleisch aus der Region hat er übrigens immer gegessen, bis er sich im vergangenen Jahr für Veganismus entschied. „Das war die beste Entscheidung meines letzten Jahres“, sagt er, „das ist gerade in Berlin auch nicht schwer“.

Ambitionen nach mehr Öffentlichkeit oder eine Ernährung mit Einschränkungen pflegen die Blogger von BerlinerFresse.de nicht. Wie Gore und Bolk bloggen sie in ihrer Freizeit, dabei soll es aber auch bleiben. Seit zehn Jahren gehen sie mit einem Kern von vier, manchmal aber auch bis zu acht Freunden – übrigens allesamt gebürtige Berliner – regelmäßig essen, früher einmal die Woche, heute einmal im Monat. Seit 2006 bloggen sie darüber, um anderen Freunden und Bekannten Tipps zu geben. „Wir wurden immer wieder mal gefragt, wo man denn gut essen gehen könnte, und nie fiel uns was ein“, erinnert sich Nadja Nickl an den Anstoß zur Gründung des Blogs, „da dachten wir: das können wir auch mal aufschreiben.“ 200-300 Erfahrungsberichte sind da bislang zusammen gekommen, schätzt Nickl, die unter dem Pseudonym OrgaQueen bloggt, die meisten stammen von ihr selbst. Die Kriterien zur Restaurantauswahl sind überschaubar: Nicht zu teuer soll es sein, „weil wir ein Stammtisch sind“, und „irgendwie in der Nähe“, im Falle von Nickl aus Friedrichshain also Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Mitte. „Und wir bloggen nur noch darüber, was uns gefallen hat“, sagt Nickl, die wie ihre Freunde der „Berliner Fresse“ auch bei Qype bewertet und kommentiert, „vorher kam zu viel negative Kritik an unserer Kritik“. Ihr Lieblingsessen: der Fisch in „Englers Unikat“ in Friedrichshain.

Gore, Bolk, Nickl und Co.: Foodblogger in Berlin sind so vielfältig wie ihr Sujet. Einig sind sich alle darin, dass die Stadt Schuld an ihrem Hobby ist. „Hier will dich keiner beeindrucken, man lässt dir alle Zeit der Welt“, schwärmt Gore, auch Bolk findet in Berlin Umstände wie nirgends sonst in Deutschland: „In Berlin ist die Spanne größer: mehr Fast Food und Imbiss, weniger qualitativ hochwertige Bio-Restaurants“. Nickl mag die Vielfalt und Lockerheit, „hier bist du in allen Klamotten überall willkommen“, sagt sie. Und dann geht Gore sogar noch weiter und bricht mit einem Vorurteil: „Ich weiß, dass die Leute anderes behaupten,“ sagt sie in breitestem Amerikanisch und lacht, „aber sogar die Dienstleistungskultur finde ich in Berlin sehr entspannt und freundlich“.

(erschienen in: zitty 02/2012, 11. Januar 2012)

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