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Von „UtzUtzUtz“ zu „DrDrDr“

20 Jahre nach der ersten „Loveparade“ feiert ein anderes ehemaliges Underground-Phänomen seinen Höhepunkt im Mainstream: Ist Indie das neue Techno?

Techno ist die größte Untergrundbewegung der letzten 40 Jahre deutscher Musikgeschichte. Technomusik hat nicht nur eine bis heute existente Clubkultur hervorgebracht, Techno markiert auch den Höhepunkt (manche sprechen auch von Tiefpunkt) der letzten von genau drei wirklichen Revolutionen in der Popmusik: Erst kamen die verstärkten Gitarren, dann kamen DJs und Hip-Hop, dann die elektronische Computermusik. Seitdem ist, argumentieren Kulturpessimisten, nichts mehr passiert. Ob das heute so inflationär bemühte Genre namens Indie deshalb Techno verdrängt? Natürlich nicht. Indie hat den Mainstream längst so erobert, wie es Techno niemals tat. Zum Glück.

Schuld ist der Mauerfall

Alles fing ganz harmlos an: In England schmiss eine feierwütige Subkultur in leeren Fabrikhallen seit den späten Siebzigern illegal Partys und Drogen. Es ging um freie Liebe und ihre technische Errungenschaft: Livemusik aus der Konserve. Nach dem Fall der Berliner Mauer nahm das Unheil seinen Lauf: Die “Loveparade” zog durch die vereinte Stadt und von dort aus in die Großraumdiskotheken. Marusha, Westbam oder Mark’Oh, einstmals anerkannte Club-DJs, nutzten die Gunst der Stunde und produzierten Chartfutter für die Massen. Selbst in den Dorfdiscos bouncte man sich Mitte der Neunziger zu Bass und englischsprachigen Einzeilern, einer trashigen Spielart namens “Eurodance”, in simpelste Ekstase: “UtzUtzUtz”, da kann ja jeder mitmachen!

Und Indie? Bezeichnet ja eigentlich nur die Bands und Künstler, von denen noch keine breitere Masse jemals einen Ton gehört hat. “Independent” soll für unabhängig und keine bösen Majorlabels stehen. Mit einer Musikrichtung hat das eigentlich nichts zu tun, auch Techno existiert wegen Indielabels. Verbreiteter ist aber folgendes Verständnis: Schlecht aufgenommene Gitarrenmusik aus der Garage, die nur Loser, wie die Bands nach eigener Auffassung selber welche sind, hören wollen. Diese Begrifflichkeit aber hatte sich spätestens in dem Moment ins Gegenteil verkehrt, als The Strokes aus New York 2001 mit “Is This It” debütierten. Plötzlich beeilten sich die Majors, mehr zu entdecken, die Klone und Nutznießer stürmten Bühnen, Charts und das Establishment. Seitdem brüht sich dieses Nicht-Genre selber auf, weil es per Etikett ein Selbstläufer ist: New Wave, Postpunk, Garage Rock, Gitarrenpop, was auch immer – nenn es Indie und es läuft. Selbst in den Dorfdiscos tanzen sie seit Beginn der Nullerjahre wieder: zu den White Stripes, den Arctic Monkeys oder Maximo Park – und johlen: “DrDrDr”!

Techno war nie Mainstream

Ob Indie Techno verdrängt hat? Natürlich nicht. Das MP3 ersetzt nicht das Vinyl, man muss das Neue annehmen, um das Alte wertzuschätzen. Der Unterschied der beiden Musikrichtungen: Indie war selbst in seiner anerkannten Form schnell Mainstream und ist es bis heute, Techno war es nie. Beide beschreiben ein Lebensgefühl: Techno muss gelebt und eingeworfen werden. Indie ist einfach da, wenn man sich für sonst nichts interessiert.

Doch selbst bei so verschiedenen Ansätzen: Am anhaltenden Indierock-Revival sind nicht The Strokes schuld (deren Debüt vom britischen Hype-Blatt NME jüngst zum “größten Album der Dekade” erkoren wurde). Schuld ist Techno und die durch ihn begründete Hochphase des Hedonismus in den späten Neunzigern: Nach The Prodigy, “Smack My Bitch Up” und all dem Exzess kam der Fall, das Nichts, die Langeweile, die Geldknappheit. Kurzum: die Rückkehr des Garagen-DIY. Und bald, wenn es gar keine Majorlabels im Sinne der goldenen Neunziger mehr gibt, ist ohnehin alles Indie. Und deshalb nichts. Zeit für eine neue Revolution.

(erschienen auf: TheEuropean.de, 21. November 2009)

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