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40 Jahre Wanderfreunde

Aus Stefan Niggemeiers gerne bespielter Rubrik „Original und Kopie“, oder: „Pressemitteilungen und Lokaljournalismus. Eine Symbiose.“ Obwohl ich in Wahrheit noch gar nicht weiß, ob es sich bei der Grundlage der bis auf die letzten zwei Sätze fast identischen Texte wirklich um eine Pressemitteilung der Wanderfreunde Nieukerk handelt oder ob die Rheinische Post und das Anzeigenblatt Niederrhein Nachrichten längst eine Mantelredaktion gebildet haben, möchte ich sagen: Die faulen Redakteure machen nicht mal mehr vor meiner Oma halt.

"Freude an der Geselligkeit": Niederrhein Nachrichten, 8. Dezember 2011 (Klick zur Vergrößerung)

Auf einer Lokalseite namens "Heimatreporter": Rheinische Post, 13. Dezember 2011 (Klick zur Vergrößerung)

Nachtrag: Der Vereinsvorsitzende klärt auf Nachfrage per E-Mail hier in der Kommentarspalte auf.

Zwölf zu Null

Sportplatz „Am Aermen Düwel“, Kerken-Nieukerk, irgendwann in den frühen Neunzigern. Vielleicht waren es auch die späten Achtziger, ich weiß es nicht, ich war ja noch klein. Und bis dahin ein besonders hoffnungsloser Fall innerhalb der Vereinsjugend des TSV Nieukerk. Aber heute sollte alles anders werden, denn heute war das Schlusslicht der E-Jugend zu Gast: SV Lüllingen. Ein Kellerduell der Sonderklasse.

Es war Sommer, es war heiß, ich hatte das gelbe Trikot a.k.a. Leibchen und das blaue Höschen angezogen und die Schuhe geschnürt. Locken und Schnute saßen, ich saß auf der Bank. Alles wie immer. Wir hatten uns Chancen ausgerechnet, und das taten wir nur noch selten. Anpfiff, es ging los, zwei Minuten später: Tor für uns. Von dort an ging alles ganz schnell. Nach dem 3:0 wusste mein Trainer: „Das Ding klaut uns heute keiner“. „Fabian drauf!“, rief er plötzlich, ich traute meinen Ohren kaum. Ich? Fliegender Wechsel? Mit meiner Kondition wie ein Haribobär? Bei diesem Wetter? In meiner Lieblingsposition als Vorstopper (man stört keinen und hat trotzdem das Gefühl, dazu zu gehören) wurde ich eingesetzt, aber die Position war egal. Erstens lief ich eh nicht immer dahin, wo ich sollte, und zweitens hat selbst das dem Gegner keine Chancen eröffnet, Talent spielte keine Rolle. Wenn wir den Ball nur zufällig getroffen haben, trafen sie ihn konsequent nicht. Ich weiß noch, dass ich während dieses Spiels ungefähr sechs Mal im Abseits stand, weil ich die Regel auch nach der dritten Erklärung nicht kapieren wollte. Ich weiß aber auch noch, dass ich im Laufe der nächsten, sagen wir, 20 Minuten Einsatzzeit, TROMMELWIRBEL, drei (in Zahlen: 3) Tore schoß. Ich weiß nicht mehr, wie das passieren konnte. Aber man kann sich anhand allein meiner Abseitsstellungen und Tore ausrechnen, wie viele Chancen wir insgesamt gehabt haben müssen. Viele. Ich erinnere mich auch nicht mehr an Spielminuten, Regelverstöße oder Rufe der aus familiären Gründen treuen Fans am Spielfeldrand. Ich erinnere mich nur noch an den Endstand: 12:0.

So oder so ähnlich muss es gewesen sein, damals. Ich hätte an diesem Höhepunkt meine Karriere beenden sollen. Stattdessen machte ich noch ein paar Monate als Bankdrücker weiter. Mein erster Trainer „Popo“ Prellwitz meinte es immer gut mit mir, sein Nachfolger Detlef Baumeister auch. Mein Talent konnten sie aber leider nicht schönreden. Ich versuchte es mit Tischtennis. Aber das ist ein anderes Kapitel meiner Dorfjugend. Auch Fotobeweise gibt es von diesem Spiel keine. Hätte mir ja eh niemand geglaubt.


Kerken sollte man sich merken

Dörfer kennt man in der Regel nur, wenn man in ihnen oder ihrer Umgebung aufgewachsen ist. Mit Kerken aber ist das anders, „Kerken sollte man sich merken“. Nur: Warum eigentlich?

Eyller Straße, Ecke Flieder
In Kerken-Nieukerk ist die Welt noch in Ordnung. Am linken Niederrhein, näher an Holland als am Ruhrpott, lebt und stirbt dieses Dorf vor sich hin, in Kerken-Nieukerk sind alle miteinander verwandt. Und diejenigen, die es aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht sind, die sorgen wahrscheinlich gerade dafür. In Nieukerk nämlich wird Geselligkeit noch groß geschrieben. Taufe, Kommunion, Firmung, Ferienlager, Landjugend, Lehre – Bauer oder Banker -, Ehe, Eigenheim, Partei, Verbeamtung, Riesterrente, Tod – der Lebenslauf eines durchschnittlichen Nieukerkers wäre schnell erzählt, kämen nicht noch unzählige als Verpflichtungen, Hobbies und Lebensaufgaben getarnte Balzrituale dazwischen: Schützenfeste, Rosen kränzen, Frühschoppen, Scheunenfeten, Babypinkeln, Kegelclub, Freiwillige Feuerwehr, Karnevalsumzüge oder Sonntags die erste Mannschaft aufm Platz. Man lebt fürs Wochenende, man genügt sich selbst. Zeit zum Denken bleibt da wenig, aber wozu auch, man hat doch alles, man kennt doch jeden!

Diese familiäre Geselligkeit, dieses Streben nach Ringelpiez ist nicht nur gesellschaftlich anerkannt, sondern strengstens erwünscht. Freiwillige Abstinenz von Dorf- oder Nachbarschaftsfesten wird mit sozialer Ächtung bestraft, vom Fernbleiben katholischer Feierlichkeiten der Pfarrgemeinde St. Dionysius mal ganz zu schweigen. Ein Dorfgespräch beginnt unter der älteren Generation meist mit der wertfreien Frage „Hässe all gehüert?“, wahlweise an der Kasse oder nach der Messe. Es geht dann um die Trennung von Teuwens Willi und dem seine Erika , „Wat die all häät metgemaacht!“. Ja, „dä Will, dä kaan enne Stierwel uuet!“. Bei der Dorfjugend dreht sich anfangs alles um den Suff am Samstag auf der Parkbank, später darum, wer schon mit wem welche Körperflüssigkeiten und wer gern würde oder sollte und wer doch lieber Fussballspielen geht. Die Auswahl bleibt begrenzt, da ist es nur eine Frage der Zeit, bis man bei seiner Cousine zweiten Grades angekommen ist.

Asylantencontainer und Zeugen Jehovas

Manchmal ziehen auch Leute zu, meist aus den umliegenden Gemeinden Hartefeld, Sevelen, Vernum, Wachtendonk oder gar Issum, Geldern oder Straelen. Denn das Einzugsgebiet Nieukerk hat neben seiner verkehrsfreundlichen Lage gleich an der B9 zwischen Kleve und Krefeld allerhand zu bieten: eine Grundschule, einen Park, ein Altersheim, einen Friedhof, einen Bahnhof, vier Kindergärten, zwei Marktplätze, fünf Supermärkte (!), fünf Kneipen und eben eine Kirche. Nein, sogar zwei, aber die evangelische fristet ein nettes Nischendasein in der rund 5000 Einwohner-starken CDU-Hochburg. Doch als Außenstehender hat man es nicht leicht, Teil dieser eingeschworenen Gemeinde zu werden. Dafür kennen sich die Nieukerker untereinander zu gut. Und wenn sie es selbst schon nicht tun sollten, ist das noch ein Grund mehr, dem gemeinen Städter besser nicht über den Weg zu trauen. Womöglich hat der noch studiert, wer weiß! Die ständig wachsende Zahl der Neubausiedlungen in und um Nieukerk kann also nur drei Gründe haben: Entweder ist die Toleranz gegenüber Fremden gestiegen – am Asylantencontainer neben dem Sportplatz stört sich nach 15 Jahren schließlich auch keiner mehr -, oder die Emigranten rotten sich zusammen. Oder die Kinder wohnen nicht mehr bis 40 bei Mama und Papa.

Ein dunkler Punkt (außer den Zeugen Jehovas) sollte dennoch nicht verschwiegen werden: Wer Nieukerk sagt, der sagt auch Aldekerk. Eine lang gehegte symbiotische Feindschaft. Beide Dörfer gehören zur insgesamt über 13000 Anwohner zählenden Gemeinde Kerken und leiten sich aus der plattdeutschen, der holländischen Nachbarsprache entlehnten Bezeichnung für alte Kirche und neue Kirche ab – natürlich ist Nieukerk trotzdem zuerst dagewesen. Der Legende nach wurde Aldekerk auf einer Müllkippe erbaut – so zumindest erzählt man sich in Nieukerk. In den kleineren Bauernschaften, hier: Ortsteilen, namens Eyll, Winternam, Baersdonk, Stenden („die längste Dorfstraße Nordrhein-Westfalens!“), Poelyck, Kengen oder Rahm schert man sich einen Dreck darum und fröhnt seinem ureigenem Lokalpatriotismus: „Eyller sind geiler!“

Man sollte die Kirche im Dorf lassen, heißt es im Volksmund. Der durchschnittliche reisemüde Nieukerker findet seinen Seelenfrieden, wenn dem wahrhaftig so geschieht: „Ich fahr nur so weit weg, wie ich den Zwiebelturm noch sehen kann!“ In Nieukerk ist die Kirche das Dorf, und weil die Gemeinde Kerken um ihre Alleinstellungsmerkmale weiß, ziert ihr Logo neben dem Abbild zweier Kirchen eine invitatio ad offerendum: „Kerken – sollte man sich merken.“