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Ein Marktplatz für Musikbooking

Aus der zitty-Serie “Berliner Internet-Start-ups”: Wie gigmit Künstler, Clubs und Veranstalter an einen virtuellen Booking-Tisch bringen will

Die Begrüßung beginnt mit einer Beleidigung. „Fuck Off Bookingstress“ steht auf den Kärtchen, die Marcus Rüssel mit seinen Visitenkarten verteilt. Rüssel ist Gründer und Geschäftsführer von gigmit, einem Start-up, das „Booking Delight“ für Veranstalter und Clubs verspricht. Und die Ansage ist eine klare, die auch die Motivation hinter gigmit auf den Punkt bringt: Wenn der Livemarkt der einzige ist, an dem Musiker heute noch mitverdienen, dann müssen die Buchungsmechanismen für alle Beteiligten einfacher funktionieren als bisher.

gigmit
Könnten den guten alten Bookingagenten am Ende doch überflüssig machen: Marcus Rüssel (3. v. r.) und das Team von gigmit

Die Idee zu gigmit hatte Rüssel erst letzten Sommer. Als Booker, Künstlerberater (u.a. Clueso), Konzert- und Partyveranstalter arbeitete der 27-jährige Dresdner neben seinem Kulturmanagement-Studium schon länger, aber als ihn Freunde baten, ihnen für ein Festival in Thüringen innerhalb von einem Tag Ersatz für einen abgesprungenen Headliner zu organisieren, stieß er bald an seine Grenzen. 125 Leute habe er angerufen, schließlich eine passende Band aufgetrieben, die Lust und Zeit hatte und ins Festivalbudget passte – und danach viele Gespräche geführt, wie man diesen Prozess nachhaltig optimieren könne und müsse. Gute und spielwillige Bands gibt es schließlich genug da draußen, suchende Veranstalter auch, man muss sie eben bloß an einen Tisch bringen.

Das vielversprechende Ergebnis heißt gigmit, versteht sich als transparenter Marktplatz für Musikbooking im Netz und geht im September mit seiner ersten Alpha-Version online. Es funktioniert im Grunde wie MySpace für Geschäftstreibende und hat von der Statik und Unübersichtlichkeit von Konkurrenten wie Sonicbids.com gelernt: Bands legen standardisierte Profilseiten an, die ihre anderen Social Media-Auftritte in einem geschützten Bereich aggregieren und auf denen sie außer Fotos, Musikrichtung und Hörproben zum Beispiel angeben, zu welcher ungefähren Gage sie wo, wann und unter welchen Voraussetzungen auftreten. Veranstalter, etwa von einem Festival, finden Vorschläge und Suchergebnisse, und für jeden zustande gekommenen Vertrag verdient gigmit acht Prozent Vermittlungsprovision und kümmert sich fortlaufend um Hosting und Verwaltung von Verträgen, EPKs, Rechnungen, technischen „Ridern“ und allem anderen Papierkram. „Wir übernehmen Management-Prozesse, an denen ohnehin nie einer Spaß hatte“, erklärt Rüssel und betont, dass man den Booking-Agenten und dessen Feinarbeit nicht ersetzen wolle: „Kleine Bands sparen durch uns lediglich Mitarbeiter, die sie eh nicht haben.“

In einem Friedrichshainer Hinterhof an der Warschauer Straße arbeiten derzeit eine Handvoll Mitarbeiter und ein paar freie Programmierer an gigmit und befinden sich dort in bester Gesellschaft: Nebenan befindet sich die noisy Musicworld, in deren Proberaum- und Studiokomplex im September auch die Konferenz all2gethernow im Rahmen der Berlin Music Week stattfinden wird. Ein paar Meter weiter, in der Capitol Yard Golf Lounge an der Stralauer Allee, wird auch Marcus Rüssel sprechen. Sein Thema: „Booking und Management von morgen – Wie das Netz die Livemusik verändert“.

(erschienen in: zitty 18/2012, 23. August 2012, Seite 70)

Ein kleines Quäntchen Größenwahn

Ohne Popkomm, aber mit neuem Optimismus will die Berlin Music Week weg vom Messe-Image – und endlich hinein in das musikalische Herz der Stadt

Anfang September soll es soweit sein. Dann wird die dritte Berlin Music Week (BMW) über die Bühnen der Hauptstadt gehen, aber sie wird dann ganz auf sich allein gestellt sein. Die Popkomm nämlich, einst einer der weltweit größten Branchentreffs der Musikindustrie, wird dieses Jahr „nicht im Rahmen der Berlin Music Week stattfinden“. So teilten es im Januar die Kulturprojekte Berlin, Veranstalter der Berlin Music Week, mit. Tatsächlich wird die Popkomm in diesem Jahr gar nicht stattfinden. Man wolle „konzeptionell neue Wege gehen“, sagte eine Popkomm-Sprecherin. Gemunkelt wird aber, dass die Messe gar keine Zukunft mehr hat.

Gewundert hat die Absage deshalb niemanden. Eine radikale Neuausrichtung der BMW, da sind sich alle Akteure einig, war und ist bitter nötig. Denn schon 2003, als die Branchenmesse Popkomm von Köln nach Berlin umzog, ging es der klassischen Musikindustrie schon längst nicht mehr so gut wie in den goldenen 90er-Jahren. 2009 legte sie eine Zwangspause ein, laut Popkomm-Gründer Dieter Gorny wegen den mit Internetpiraterie verbundenen Umsatzausfällen der Branchenteilnehmer. Tatsächlich aber hatten die damals großen Player zu lange versucht, an alten Geschäftsmodellen festzuhalten und so den rechtzeitigen Schritt ins digitale Zeitalter verpasst. Vermarktung im Internet wurde als Fluch, nicht als Chance begriffen; Standortwechsel allein halfen da wenig. Als Antwort auf diesen Ausfall gründeten Macher der hiesigen Musik- und Medienszene, darunter die Veranstalter der Internetkonferenz re:publica, die Konferenz all2gethernow. Die wiederum war 2010 und 2011 wie die Popkomm Teil der Berlin Music Week, die seit 2010 stattfindet, bislang aber Defizite in der öffentlichen Wahrnehmung aushalten musste. Zu zerfasert schienen die Parallelangebote von all2gethernow und Popkomm, zu dezentral das umfassende Programm aus Workshops, Panels und Konzerten. Selbst das Berlin Festival auf dem Tempelhofer Flughafen hatte mit seiner Aufgabe als öffentlichkeitswirksames Aushängeschild der BMW zu kämpfen und produzierte schlechte Presse: 2010 musste die Veranstaltung wegen Sicherheitsbedenken abgebrochen werden, danach wurden Vorwürfe an die Veranstalter laut.

Das Berlin Festival 2010, schon dort im Rahmen der Berlin Music Week und auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof
Das Berlin Festival 2010, schon dort im Rahmen der Berlin Music Week und auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof

Das alles weiß auch Björn Döring, von den Kulturprojekten Berlin als BMW-Projektleiter eingesetzt. Gemeinsam mit der all2gethernow e.V. hatte er Anfang März dieses Jahres ein Dutzend Vertreter der Verbände der Musikwirtschaft, BMW-Vertreter und einige Akteure aus der Musikszene zu einem Workshop ins Michelberger Hotel geladen. Einziger Tagespunkt des Brainstormings: die Neuerfindung der Berlin Music Week und die Beantwortung der Frage, wie man die Chance, dass die Popkomm ausfällt, nutzen kann. Da saßen sie plötzlich alle an einem Tisch, die Entscheider von Berlin Music Commission, Green Music Initiative, CTM Festival, Seedlab, all2gethernow, dem Verband unabhängiger Musikunternehmen und der einstige Universal-Boss Tim Renner. Sie dachten nach, stritten, argumentierten und tauschten gute und schlechte Erfahrungen von anderen Events aus wie etwa der „South By Southwest“ in Austin, Texas (gut) und der MIDEM in Cannes (schlecht). Einige waren sich alle Anwesenden darin, dass die BMW im Idealfall „eine Plattform für das, was in Berlin eh schon das ganze Jahr passiert“ (Döring) werden könnte, dass man die Euphorie, die Clubtouristen in Berlin spüren, aufgreifen müsse, dass das Konzept der Messe sowieso überholt sei, und dass fortan die Künstler im Mittelpunkt stehen sollten. Die Berlin Music Week 2012 sollte anders werden, die Botschaft lautete: hier wird über die Zukunft nachgedacht.

Aus diesem ersten Brainstorming ist nun ein handfestes Konzept geworden. Das Programm, das Mitte Juni auf einer Pressekonferenz im Spreespeicher an der Stralauer Allee, zwischen nhow-Hotel und Universal, vorgestellt wurde, steht zwar immer noch nicht bis in die letzte Clubecke. Die Macher aber waren fleißig – und haben aus der Vergangenheit gelernt. Zur Eröffnung am 5. September spielen das Filmorchester Babelsberg und verschiedene Bands im Tempodrom auf. Es folgen „Word On Sound“-Debatten in Postbahnhof und Spreespeicher, Berlin Festival mit The Killers, Franz Ferdinand, Sigur Ros, Paul Kalkbrenner, Kraftklub u.v.m. am Tempelhofer Flugfeld, New Music Award 2012 im Admiralspalast, Blogger- und Songwritercamps im Michelberger und nhow-Hotel, Clubabende in Lido, Magnet, Watergate und Co: Berlins neues Medienzentrum zwischen Oberbaumbrücke und Schlesischem Tor soll zum Mittelpunkt der neuen BMW werden.

„Die wichtigsten Geschäfte passieren morgens um drei an der Bar“, sagt Döring über die Absage an Messekonzepte und will auf seiner BMW auch keinen Betroffenheitstalk über die kränkelnde Branche: „Ich kann all das Krisengerede nicht mehr hören.“ Die BMW soll Vernetzungsformate bieten für die, „die damit Geld verdienen oder verdienen wollen“, der Künstler solle im Zentrum stehen. Von Auftritten in Kreuzberger Wohnzimmern über Dachkonzerte des Online-Musiksenders tape.tv an der Spree bis hin zur Silent Disco in Tempelhof mit über 10.000 Kopfhörern haben sich die Kooperationspartner und Gastgeber tatsächlich viel Großes und Kleines vorgenommen, dessen Gegensätze und Bandbreite sie einhellig begeistert wie vollmundig als „kleines Quäntchen Größenwahn“ umreißen.

Ob die Zukunft so großartig wird, wie sie scheint, wird man im September sehen. Neben Döring saß auch Christoph von Knobelsdorff auf dem Podium der Pressekonferenz. Knobelsdorff ist Staatssekretär für Wirtschaft, Technologie und Forschung. Außerdem ist er neuerdings Stammgast bei allen öffentlichkeitswirksamen Groß-Veranstaltungen, die vom Berliner Senat gefördert werden. Auch er weiß zu sagen, dass das Konzept Musikmesse nicht mehr funktioniere, es deshalb toll wäre, das weiterzudenken und dass der Senat will, dass hier Geschäfte entstehen. Die Förderung der Berlin Music Week sei mit 500.000 Euro pro Jahr für die nächsten zwei Jahre schon gesichert, nach Fashion Week und Web Week sieht Knobelsdorff die Zukunft der BMW gar als eine Art „Berlinale der Musik“. Scheinbar gute Nachrichten – aber er hat auch Pläne, die eigentlich gar nicht im Interesse der BMW-Veranstalter liegen dürften: Knobelsdorff denkt laut darüber nach, die alljährliche Verleihung des deutschen Musikpreises „Echo“ ebenfalls unter dem BMW-Dach zu organisieren, weil „die Branche dann eh schon in der Stadt ist“. Doch der „Echo“ steht eben nicht für die Zukunft, nicht für Innovation, sondern ist Symbol einer sterbenden Branche, die sich an überkommene Vorstellungen klammert. Bisher scheitert das Vorhaben allerdings an der Terminfindung. Doch eine „Spring Conference“, ein gemeinsam von BMW und „Echo“ organisierter Warm-Up, sei für das nächste Frühjahr immerhin bereits geplant.

(erschienen in: zitty, 15/2012)