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Ego auf vier Rädern

Die Wirtschaftskrise und ihre Opfer: Geht mit General Motors auch die Ära des Hummers zu Ende? Eine kleine Kulturgeschichte.

Der Kalte Krieg lag noch in seinen letzten Zügen, aus dem Irak rückten die US-Truppen ab, der amerikanische Drang nach Wettrüsten verlagerte sich ins Landesinnere – das Jahr 1991 markierte auch militärisch den Beginn einer neuen Dekade. Die Popmusik ließ da nicht auf sich warten: Als pazifistische Protestform nutzten HipHop-Bands wie Public Enemy schon seit den Achtzigern Worte statt Waffen, das rhetorische „Battlen“ wurde gesellschaftsfähig. Ihre Gegner aber, die Bürger des amerikanisches Establishments, schlossen die aufklaffende Lücke in ihren rivalisierenden Seelen durch den Erwerb von Luxusgütern auf vier Rädern: Als wahrer Nachlass amerikanischer Expansionsindustrie und Symbol der Aufrüstung des Wohlstands wurde der „Humvee“ auf den Garagenstellplatz der aufblühenden „gated communities“ vorgefahren.

Arnold Schwarzenegger, bekanntlich weder Musiker noch Soldat, läutete dieses Machtspiel ein: Nach dem zweiten Golfkrieg kaufte der ehemalige „Mr. Universum“ als erster Zivilist zwei Hummer. Diese überdimensionalen, 1983 von AM General für Kriegseinsätze entwickelten Geländefahrzeuge hatten ihre Schuldigkeit getan. Jeder gewöhnliche Jeep mutete daneben wie ein Spielzeugauto an. Das Militär gab deshalb seine „High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle“ als H1 zur Massenproduktion frei – und zum Spielen. Ironischerweise nämlich war Schwarzenegger nicht nur der einzige Mann, der kein weiteres Muskelpaket an seiner Seite gebraucht hätte. Er war auch einer der wenigen Menschen, deren physische Erscheinung der eines Hummers gerecht wurde.

Vom Golfkrieg zum Gangsta Rap

Der Bodybuilder und Schauspieler ging Jahre später als „Gouvernator“ in die republikanische Politik, der Hummer als Statussymbol in den schwarzen HipHop. Dessen ursprüngliche Motivation, den Kapitalismus und eine konservative Politik anzuklagen, hatte sich in seiner Mainstreambewegung schon Mitte der Neunziger ins Gegenteil verkehrt. Der „Gangsta Rap“ zog als muskelbepackte Spielart des HipHops von den Straßen in die Charts – und nahm die Knarren als Sinnbild wieder sehr physischen Kräftemessens gleich mit. Das Geld floss. Der Hummer überlebte den erschossenen Tupac Shakur und die Karrieren anderer zeigefreudiger Fans, vom Boxer Mike Tyson bis zum Basketballer Shaquille O’Neal. Größer, breiter, glänzender und argwöhnischer konkurrierte der Wettbewerb auch außerhalb ihrer vom echten Leben mitunter abgeschotteten Villen. Goldbehangene Rapper wie Snoop Dogg, Xzibit oder 50 Cent schmückten ihre HipHop-Videos mit fast barbusigen Bikini-Mädchen, die sich auf Motorhaube oder Rückbank eines Hummers H2 rekeln durften. So etablierten sie den Hummer im Musikfernsehen als mobile Gartenmauer, Ort der Geborgenheit, Phallussymbol und ironischen Seitenhieb auf die Kollegen – ganz eindeutig zu interpretieren war das nie. Wer früher in den Slums auf der Straße kämpfen musste, so schien es, zelebrierte auch in den Bergen Hollywoods noch ein Leben in Angst – obwohl die Nachbarn keine schwer bewaffneten Verbrecher waren, sondern Meg Ryan oder Kevin Costner hießen.

Im Jahre 2002 erleichterte die Steuerpolitik der Bush-Regierung den Kauf der so genannten „gas guzzler“, der Spritschleudern. Der H1 kostete immer noch rund 40 000 US-Dollar und verbrauchte durchschnittlich stolze 30 Liter pro hundert Kilometer. Längst waren es nicht mehr nur Sportler und Musiker, die ihren ultimativen Starstatus mit dem Besitz titanischer Geländefahrzeuge beweisen wollten: Playboy-Gründer Hugh Hefner oder Hotelerbin Paris Hilton gehörten zu den „celebrities“, deren Karrieren durch Amerikas Hinwendung zum Hedonismus erst möglich wurden. Die Industrie erkannte den Trend und baute, als eine Art fahrer- und stadtfreundlicheren Hummer „light“, so genannte SUVs (Sport Utility Vehicles), die fortan die Familienkarosse gehobener Mittelstandsfamilien werden sollten.

Doch das Klima drehte sich. Die Ölpreise stiegen. Ein globales Bewusstsein gegen Ressourcenverschwendung und die Bush-Administration machte sich breit. Im Sommer 2003 zerstörten Vandalen mehrere Autohandlungen in Kalifornien und sprühen Aphorismen wie „fette, faule Amerikaner“ an Wände und Fahrzeuge. Andere Kritiker forderten General Motors auf, spritökonomische Standards einzuhalten. Der Detroiter Konzern reagierte auf sinkende Verkaufszahlen, brachte 2005 den noch kleineren H3 auf den Markt und stoppte ein Jahr später die Produktion des ersten Zivil-Hummers H1, von dem insgesamt 12 000 Stück verkauft wurden. Der H3 verkaufte sich bis dahin 50 000-mal, der H2 doppelt so oft. Seit General Motors Anfang 2008 den Produktionsstop des H2 ankündigte, jubeln seine Feinde auf ihrer Homepage www.fuh2.com („Fuck You And Your H2“): „Mission accomplished – Mission erfüllt“.

Nur in Russland steigen die Absätze

Zuletzt ging alles rasend schnell. Renault traute sich unter dem Slogan „Mehr Sein als Schein“ 2007 eine Werbespot, in dem Celebrities in Beverly Hills ihre protzigen Karren nur so lange vor ihren Villen parkten, bis die Touristenbusse weiterfuhren und fuhren dann ihre Kleinwagen vor. Schwarzenegger ließ einen seiner mittlerweile sieben Humvees auf Wasserstoffbetrieb umbauen und die anderen in der Garage stehen. Zum Frühjahr 2008 brachen die Verkäufe bei General Motors um die Hälfte ein, seitdem taumelte der Konzern. Die bis heute unbezahlten „McMansion“-Vorstadtvillen fielen der Finanzkrise vom Fleck weg zum Opfer, die Häuser in den Hollywood Hills stehen noch. Mit dem Ende der Ära des Kriegers George W. Bush stirbt nun auch das Wettrüsten der verschwenderischen neunziger Jahre und seine letzten Symbole – trotz wieder sinkender Ölpreise. Der Hummer ist die metallgewordene und anachronistische Antithese zu Barack Obamas Klimapolitik. Ein Exportschlager war er noch nie – nur im neureichen Russland steigen die Absätze.

Der Niedergang des im ersten Irakkrieg geborenen Hummers begann schon vor sechs Jahren, als er kollaterales Opfer des zweiten Irakkrieges wurde. Sein Erbe lebt freilich weiter: ein SUV gehört trotz oder gerade wegen Smarts und Elektroautos auch in Europa bei jedem namhaften Automobilhersteller noch zum Programm. Der nun insolvente General Motors-Konzern verkaufte seine Geländewagenmarke Hummer Anfang Juni 2009 an den chinesischen Spezialmaschinen-Hersteller „Sichuan Tengzhong Heavy Industrial Machinery Co“. Ob die Produktion des längst überholten amerikanischen Traums also einen neuen Boom erfährt oder nicht: seit Aufstieg und Fall der Regierung Bushs repolitisiert sich auch der „Gangsta Rap“ und stellt wieder Inhalte über imponierendes Machogehabe. Der geschiedende Präsident hat den Hummer vorerst mit in die politischen Annalen genommen. Public Enemy gehen wieder auf Tour. Der HipHop erlebt also eine materielle Gesundschrumpfung durch die Autoindustrie – und umgekehrt.

(erschienen auf: BRASH.de, Juni 2009)