Linkin Park: Die Krone, so schwer wiegt sie gar nicht

23. Juni 2025 | 0 Kommentare

Nur scheinbar Gestriges für die Gegenwart: Acht Jahre nach Chester Benningtons Tod überzeugen die Nu-Metal-, Rock- und Pop-Allrounder Linkin Park im ausverkauften Olympiastadion auch mit neuer Sängerin und neuem Album. Mein Nachbericht für den Berliner „Tagesspiegel“.

 

 
 
Der Finger von Max blutet unter dem Verband noch immer nach. Am Nachmittag krachte dem 22-Jährigen aus Erfurt im Hotel eine Deckenlampe auf die Hand. Ein tiefer Riss, ein Notarzteinsatz und Bandagen. Später muss er nochmal ins Krankenhaus. Jetzt gerade aber, unter der Abendsonne Charlottenburgs, ist der Schmerz vergessen.
 
Dieses Konzerterlebnis hier, ihr erstes „richtig großes“, das wollten Max und seine 19-jährige Freundin Lisa sich trotzdem nicht nehmen lassen. 520 Euro pro Person haben sie für VIP-Tickets bezahlt, weil die regulären in Windeseile ausverkauft waren. Linkin Park kennen sie von ihren Eltern, aus dem Radio und aus Streamingdiensten.
 

Linkin Park vereinen Generationen

 
Die seit 1999 aus Nu Metal und Crossover emporgestiegene, seitdem mit Electronica und Pop spielende Rockband aus Kalifornien gehört zu den kommerziell erfolgreichsten Acts des 21. Jahrhunderts. Dass sie heute mehr denn je Generationen vereint, als Reinkarnation vor über 72.000 Fans zwischen sechs und 60 Jahren im Olympiastadion auftritt und ihre seit 2017 klaffende Wunde heilen würde, so wie auch die von Max heilen wird, war vor dem 5. September 2024 trotzdem nicht abzusehen.
 
An jenem Tag, über sieben ungewisse Jahre nach dem Suizid ihres Ausnahme-Sängers, Aushängeschilds und Co-Songwriters Chester Bennington, stellte die bis dahin auf Eis gelegte Band um Kreativ-Kopf Mike Shinoda Dead-Sara-Frontfrau Emily Armstrong als neue Sängerin vor.
 
Plötzlich ging alles ganz schnell: Es folgten Tourankündigung, ein neuer Drummer, vier souveräne Vorab-Singles, das Comeback-Album „From Zero“, dessen Roughness bei der Mainstream-Kompatibilität eines Unternehmens wie Linkin Park als mutig gelten darf – und ein Shitstorm wegen Armstrongs mutmaßlicher Nähe zu Scientology und dem verurteilten Vergewaltiger Danny Masterson. „Ein alter Freund“, von dessen Unterstützung sie sich danach distanzierte und öffentlich um Entschuldigung bat. Die Kritik ebbte bald ab. Und in dem Moment, als Armstrong mit Sonnenbrille, Kapuze und ihren fünf neuen Freunden um 20:20 Uhr die Bühne in Berlin betritt, ist sie für die folgenden 27 Songs in zwei Stunden und zehn Minuten vollends vergessen.
 

 
Das Erbe Benningtons verraten Linkin Park, anders als von dessen Sohn Jaime einst konstatiert, musikalisch keineswegs: Ihre neue Ausnahme-Vokalistin ist gleichsam in Grunge, Metal, Screamo, Punk und sogar Folk zuhause, kopiert ihren Vorgänger nicht und kriegt scheinbar mühelos bei Klassikern wie „Crawling“ und „One Step Closer“ die Kurven. Ihre Screams hallen nach hinten raus.
 
Am selbstbewusstesten agiert sie bei den neuen, eigenen Songs, die auch das Publikum begeistern. „The Emptiness Machine“ ist ein Hit, „Heavy Is The Crown“ eine Ansage, aber kein Eingeständnis. Während „Two Faced“ bilden sich nach Mike Shinodas Aufruf ein Dutzend Circle Pits im Innenraum. Und verkappte Popstücke wie „Good Things Go“ und „Let You Fade“ entfalten erst live ihre Hymnenhaftigkeit.
 
Ihr habt die beste Currywurst. Jetzt fühle ich mich wie ein Berliner. Wie JFK.“
Mike Shinoda von Linkin Park
 

Linkin Park in Berlin: Die späten 90er in die Gegenwart gerettet

 
Klar, vereinzelte Scratch-Einlagen von DJ Joe Hahn, der mit seinen Turntables, Mixern, Pads den Sound seit jeher prägte, wirken mitunter aus der Zeit gefallen. Wie ein Relikt der späten 90er, als Nu-Metal-Recken wie Korn und Limp Bizkit als Instant-Parodien ihrer selbst auftraten.
 
Auch aus Shinoda ist 25 Jahre nach ihrem Durchbruchsdebüt „Hybrid Theory“ kein Ausnahmerapper geworden. Aber anhaltend ein Tausendsassa an Gitarre, Keyboard und Mic, der auch zwischen den Songs für Unterhaltung sorgt. Setzt eine pinkfarbene Einhornkappe mit der Aufschrift „Mike Pinknoda“ auf, signiert andere Mützen in den ersten Reihen, klatscht ab, bedankt sich mithilfe eines Notizzettels auf deutsch für die Unterstützung und buhlt mit sympathischen Phrasen um die Gunst der Locals: „Ihr habt die beste Currywurst. Jetzt fühle ich mich wie ein Berliner. Wie JFK.“
 

 

 
 
 
 
 
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Nach Sonnenuntergang tauchen Laserlichtershow und Leinwand-Visuals das Olympiastadion in ein Finale wie bei einem EDM-Set ein. Die körperlich verausgabte, anfangs ehrfürchtig wortkarge Armstrong wirkt nun vollends gelöst, ruft vor „Numb“ zur Party auf und kann spätestens zum Höhepunkt „In The End“ kein Lachen über die einhellige Erleichterung in allen Gesichtern mehr verbergen: Ja, Bennington, seine lyrische Verzweiflung und seine am Rande ihrer Existenz agierende Kehle fehlen. Das hier ist trotzdem ein würdiges neues Kapitel.
 
Eines, aus dem neben „Wunden heilen“ (siehe oben) zwei weitere Botschaften nachhallen: „Thank you for the second chance“ steht auf einem Plakat im Publikum. Es könnte auch die Band geschrieben haben. Auf einem anderen erklärt eine Teenagerin: „Emily, you are my role model“. Und es stimmt: Dank ihr steht bei sonst so männerlastigen Festivals wie „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ im kommenden Jahr endlich mal wieder eine Band mit weiblicher Beteiligung ganz oben auf dem Plakat.
 

Linkin Park live am 18. Juni 2025 in Berlin – die Setlist:

Linkin Park Setlist Olympiastadion, Berlin, Germany 2025, From Zero World Tour

+++ Dieser Nachbericht erschien am 19. Juni 2025 auf Tagesspiegel.de sowie am 20. Juni 2025 im gedruckten Tagesspiegel. +++
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