Männer schreiben und sprechen zunehmend über Vaterschaft und Familie – wahrgenommen werden sie aber vor allem von Frauen. Als bloggender Vater fragte ich mich 2023 im Auftrag von ZEIT Online: Warum?

Für ZEIT Online schrieb ich 2023 über Väter- und Mütterblogs
Es muss irgendwann im Jahr 2016 gewesen sein, als mir ein kinderloser Kollege vom Nachbarschreibtisch im Büro zuraunte: „Boah, Soethof, dein Blog zu lesen ist echt die beste Verhütungsmethode, die ich mir vorstellen kann!“ Ich empfand dies als ein ehrliches Kompliment. Unser zweiter Sohn kam ein paar Monate zuvor auf die Welt, und spätestens mit seiner Anwesenheit bemerkte ich, dass meine Abwesenheit als Vater nicht das Wahre ist. Ich begann, kritisch über Vereinbarkeit zu schreiben, nannte sie Verkeinbarkeit, protokollierte exemplarisch meinen Tagesablauf zwischen Büro, Kita-Fahrten, Schlafversuchen des Babys und schlaflosen Nächten seiner Eltern. Die damalige Gemengelage in der Familie erschien mir als Lose-lose-lose-lose-Situation. Und die Elternblase im Internet noch als ein Ort, an dem dies niemand so recht benannte. Schon gar nicht Väter.
Jener Kollege war damals einer der wenigen Männer, die ich mit Familienthemen erreichte. Seitdem hat sich nicht nur bei uns als Eltern einiges verändert – ich ging dauerhaft in Teilzeit und meine Frau mit mehr Stunden als der traurige Durchschnitt an ihre eigene Arbeit –, sondern auch in der Gesellschaft, möchte man meinen. Sogenannte neue Väter werden seit Jahren schon zu role models hochgejazzt. Männer also, die man nicht nur am Wochenende auf dem Spielplatz sieht, die sich neben der Erwerbsarbeit auch für jene Dinge interessieren, die in der Generation ihrer Eltern noch als „Frauensache“ abgestempelt wurden. Klingt gut, nur wo sind sie, all die neuen Väter?
Die Universität Braunschweig hat im Februar 2022 einen Bericht zu Vaterschaft in Deutschland veröffentlicht: „You don’t need to be Superheroes“: Einblicke in die vielfältigen Lebenslagen von Vätern. Abgefragt wurde unter anderem, welche medialen Angebote Väter in ihrer Rolle als Elternteil wahrnehmen. Väter fänden, so das Fazit, trotz zunehmender Angebote ihre Vorbilder nur selten in den sozialen oder allgemeinen Medien. Unter Väterbloggern herrsche das Ideal des zumeist weißen, aktiven Vaters. Vaterschaft in Armut oder Vatersein mit Migrationserfahrung würden hingegen kaum thematisiert. Zudem seien es vor allem Frauen, die sogenannten Dadfluencern folgen.
Mein Blog www.newkidandtheblog.de war 2013 eines der ersten von Vätern betriebenen. Heute gibt es vielleicht 80 deutschsprachige Väterblogs, während die Zahl der Mütterblogs in die Tausende gehen dürfte. Letztere haben oft Reichweiten, mit denen ich nicht ansatzweise mithalten kann. Weil ich kein shiny happy family life mit Hochglanzfotos strahlender Kinder und Wohnungen vorgaukle, wie es einige der reichweitenstärksten Elternaccounts tun – und weil ich ein Mann unter Frauen bin, die sich stärker für die Erfahrungen und Tipps anderer Frauen interessieren.
Männer interessieren sich nicht, solange sie profitieren
Weil die Community von Väterbloggern überschaubar ist, weiß ich, dass es den anderen in puncto erreichter Zielgruppe genauso geht. Es sind vor allem Frauen. Unter den 3.689 Followern auf meiner Instagram-Seite liegt die Frauenquote bei 83,5 Prozent. Das ist sehr viel, und trotzdem vergleichsweise gut, wie mir andere Väterblogger versicherten. Warum reden Männer nicht mit, sobald es über Kinderwagentestvergleiche hinausgeht? Wieso bringen sie sich kaum in Debatten ein, die sich um toxische Männlichkeit drehen, Eltern-Diskriminierung am Arbeitsplatz oder Mental Load? Weshalb folgen so wenige den Blogs und Instagram-Accounts anderer Väter?
Der Männerforscher Christoph May hat dafür eine so grundsätzliche wie traurige Erklärung. Männer nähmen deshalb kaum am Diskurs teil, sagte er in einem YouTube-Interview, weil sie meinten, von der jetzigen Situation zu profitieren – und weil sie glaubten, sie seien „doch schon so weit“. Wenn Männer nur erkennen würden, was sie die patriarchale Struktur unserer Gesellschaft und der damit verbundene Leistungsdruck kostet. Ihre psychische Gesundheit leidet, die Familienbindung fehlt und selbst wirtschaftlich macht das alles keinen Sinn, wie etwa Boris von Heesen in seinem Buch Was Männer kosten herausstellt. Doch wie erreicht man die Väter? Diese Frage stelle nicht nur ich mir – sie ist gesellschaftlich relevant.
Einige Gründe dafür, dass Väter im Internet als solche nicht allzu präsent sind, lieferten die Befragten der Braunschweiger Studie selbst. Sie antworteten etwa, dass sie Informationen aus den sozialen Medien nicht trauten. Oder dass sie für ihre eigene Vaterschaft Vorbilder eher im Bekannten- und Familienkreis suchten. Als ob Onkel Walter besser wüsste, wie das mit den Kindern so geht, als nach Veränderung strebende Vertreter der eigenen Generation, die deshalb so fremd ja eigentlich gar nicht sein können. Woher soll der Wandel kommen, wenn Väter eher zurück schauen als nach vorn?
Männliches Desinteresse an analoger und digitaler Partizipation
Mütter werden genauso wenig wie Väter mit einer Bedienungsanleitung fürs Elternsein geboren. Aber wenn Papa über Monate hinweg keine Windeln wechselt und nie die Gutenachtgeschichte vorliest, hat Mama eines Tages wirklich einen Wissensvorsprung – auf dem sich Verfechter alter Rollenbilder dann erst recht ausruhen. Dass ich seit 2017 in Teilzeit arbeite und am Alltag meiner Kinder genauso teilhabe wie meine Frau, verdanke ich ihr. Alltagsgestresst und dauermüde waren wir beide, ihr Leid als diejenige, die mit Stillbaby zu Hause täglich körperlich über- und geistig unterfordert war, war aber noch größer. Sie nahm mich in die Pflicht. Durch sie, aber auch durch progressive Väter auf Instagram, wurde mir bewusst, wie überholt meine Vorstellungen vom Vatersein zum Teil waren.
Einen anderen Grund für das männliche Desinteresse an analoger und digitaler Partizipation sehe ich in einem Klischee, das nur teilweise eines ist: Väter wollen durchaus gerne mit anpacken, umsetzen, To-do-Listen abarbeiten, wieder was geschafft haben. Zeit mit Kindern zu verbringen, funktioniert allerdings nicht nach dem Prinzip abhaken. Ein Tag mit Baby oder Kleinkind ist schon dann ein guter, wenn man es geschafft hat, dass abends alles wieder auf null steht. Das muss man aushalten lernen, gerade wenn einem niemand die Fürsorge dankt. Im Büro findet Mann zwar schneller eine Bestätigung, dadurch aber langfristig in der Familie nicht. Wer also ist es, der mit Baby durchschnittlich viel öfter allein zu Hause sitzt und wenn nicht gleich einen Nebenjob, aber mindestens ein Hobby, eine Ablenkung, eine Bestätigung oder Austausch sucht? Richtig, Mütter. Und je mehr Frauen sich deshalb mit Smartphone in der freien Hand über Elternthemen austauschen, desto öfter denken Männer: Was soll ich da? Nicht meine Welt.
Ich habe trotzdem das Gefühl, dass sich, mindestens in den sozialen Medien, etwas getan hat: Waren vor ein paar Jahren noch die sogenannten Dadfluencer die quantitativ erfolgreichsten, die sich als lässige Superdaddys und Spielplatzhelden inszenierten, werden solche Accounts zunehmend kritisch betrachtet. Weil sie anderen Eltern Druck machen und weite Teile der Lebensrealitäten ausblenden. Heutzutage gilt es als anschlussfähiger, den Alltag mit Kindern und das System, in dem dieser funktionieren soll, nicht nur schönzureden.
Wir brauchen keine „neuen Väter“, wir brauchen eine neue Normalität
Es bleibt die Frage, wie Männer zunehmend dafür gewonnen werden, dass sie nicht nur im Berufs- und Privatleben ihre bisherige Rolle überdenken, sondern auch öffentlich – ob auf der Straße oder im Internet – für sie einstehen und erkennen, dass sie, ihre Familien und die Gesellschaft dadurch nur gewinnen könnten. Zahlen besagen, dass Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen: Die meisten Väter wollen sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen, die wenigsten tun es wirklich. Ich finde, dass wir diese Mammutaufgabe nicht wieder nur den Frauen überlassen dürfen.
Wie ich als Blogger dazu beitragen könnte, mehr Männer zu erreichen? Ich könnte vermehrt über Themen außerhalb meiner eigenen Blase und Lebensrealität schreiben. Über Alleinerziehende. Über Väter, die nach einer Trennung ihre Kinder nicht sehen dürfen (oder gar wollen). Über mehrfach Marginalisierte. Über Familien, die mit nur einem Vollzeitgehalt oder zwei Teilzeitgehältern wirklich nicht über die Runden kommen. Bewerben müsste ich diese Texte und Posts aber ebenfalls außerhalb meiner Instagram-Welt. In Väter-Facebook-Gruppen. Im Bekanntenkreis. In Väterzentren. Und, ja, bei Müttern, die sich wünschen, dass der Vater ihrer Kinder seine Rolle überdenkt, er die Notwendigkeit und Vorbilder dafür bisher aber nicht sehen will oder sieht.
Bloß: Dem privaten Willen nach Veränderung werden bislang Grenzen gesetzt, die aufgeweicht und verschoben werden müssen. Es bedarf deshalb familienfreundlicherer Unternehmen, in denen Elternzeit und Teilzeit auch unter männlichen Arbeitnehmern aktiv unterstützt wird. Gleichstellungsbeauftragte müssen auch Männer in den Blick nehmen. Die Politik sollte sich verstärkt an skandinavischen Modellen orientieren – in Schweden etwa nehmen Väter wegen finanzieller Anreize sechs bis neun Monate Elternzeit. Der Anfang in Deutschland könnte mit einer von der EU längst verordneten Vaterschaftsfreistellung gemacht werden, deren Umsetzung Familienministerin Lisa Paus jüngst auf 2024 verschob. Dadurch hätten Väter auch einen finanziellen Anreiz, von Anfang an aktiver mit dabei zu sein – und könnten die Vorteile dessen erkennen und dadurch ihre Rollenaufteilungen überdenken.
Es braucht nicht „neue Väter“, es braucht eine „neue Normalität“ – und dafür Vorbilder außerhalb der eigenen Familie. Erst wenn Väter sich aktiv mit ihrer Rolle beschäftigen, werden sie sich reflektiert darüber austauschen können. So entsteht Wissen, von dem alle profitieren, nicht nur sie selbst.
Dieser Text erschien zuerst am 21. März 2023 bei ZEIT Online. Weitere Texte sowie Blogposts über Elternthemen veröffentliche ich in loser Regelmäßigkeit auf www.newkidandtheblog.de.
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