Von Tocotronic über den Sommerhit des Jahres bis hin zu Investments: Die Goldenen Zwanziger kehrten 2025 zurück. Auch wenn nicht alles Gold ist und bleibt, was glänzt.
+++ Der folgende Text ist als Aufmacher des Jahresrückblicks-Specials 2025 in der Musikexpress-Ausgabe 01/2026 erschienen, in der ich auch über den Labubu-Hype, die „neuen Zartmänner“ und zwei der 50 besten Platten des Jahres schrieb. Das Magazin ist seit dem 5. Dezember 2025 am Kiosk oder online erhältlich. +++
In puncto Voraussagen sind sie die deutschen „Simpsons“: Dass Tocotronic uns drei Jahre nach NIE WIEDER KRIEG – jene Platte erschien Anfang 2022 knapp einen Monat vor Putins Überfall auf die Ukraine – mit einem Albumtitel erneut das Motto unseres Jahresrückblicks diktieren, haben wir uns vor genau einem Jahr bloß milde träumen lassen. Damals, im Auftakt zu unserem Jahresrückblick 2024, behaupteten wir, dass Donald Trumps elefantöse Rückkehr uns die letzten Hoffnungen auf neue Goldene Zwanziger geraubt habe. Gleichzeitig schürten wir die, dass Tocotronics bereits angekündigter Nachfolger GOLDEN YEARS, seinerseits eine Referenz an David Bowies gleichnamigen Song, der 50 Jahre zuvor als funkige Leadsingle von „Station To Station“ erschien, uns umarme und „die kommenden Jahre trotz allem auch ein wenig golden sein werden“. Nun: Das beruhigende Album bot tatsächlich Halt. Und den brauchten wir 2025, einem auf seine sehr eigene Art goldenen Jahr, mehr denn je. Ein Jahr, in dem wir mit Sicherheit nur noch wussten, dass es keine Sicherheiten mehr gibt.
Die Goldenen Zwanziger
Die Goldenen Zwanziger Jahre, wie sie in die Geschichte eingingen, liegen exakt 100 Jahre zurück. Sechs Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs blühten Kunst und Kultur in der Weimarer Republik auf. Eine Hyperinflation war gerade überstanden. Weltweit war von Roaring Twenties die Rede, anschaulich rekonstruiert etwa in der deutschen Serie „Babylon Berlin“. Diese Phase relativer Stabilisierung endete mit Beginn der Weltwirtschaftskrise jäh.
Stabil fühlt sich auch ein Jahrhundert später wieder wenig an. Steigende Lebenshaltungskosten, unter anderem wegen realer und gefühlter Inflation, Kriege, Klimawandel und KI bedrohen unseren Status quo. Auf die Goldenen Zwanziger im 20. Jahrhundert folgte das Jahrzehnt von Hitlers demokratisch begonnener Machtübernahme und der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Über diesen im Holocaust gipfelnden Faschismus wurden wir seit jeher nicht müde, mit der Mahnung „nie wieder“ an ihn zu erinnern. Und sehen ihn trotzdem wie eine böse Fratze aus der eigenen Asche heraus am Horizont emporsteigen. Für manche näher, für manche weiter weg. POV: Wir sind der Hund aus dem berühmten „This is fine“-Meme, der am Küchentisch Kaffee trinkt. Sein Haus brennt lichterloh. Er wähnt weiterhin die Welt in Ordnung. In der Comic-Strip-Vorlage des Memes von Künstler KC Green übrigens bis zu seinem Tod. Dabei hören wir GOLDEN YEARS, während R.E.M.s „It’s the end of the world as we know it – and I feel fine“ wie eine Frequenzüberlappung durch den Äther rauscht.
Goldenes Oval Office, goldener Kreml
US-Präsident Donald Trump personifiziert unsere Unsicherheit, Angst und „Wird schon“-Gegenreaktion wie kein anderer: Die seit eh und je für Demokratie, Redefreiheit und Popkultur sowie seit dem Ende des Kalten Krieges als unipolare Weltmacht auch für europäische Sicherheit stehenden Vereinigten Staaten von Amerika bauen er und seine „Make America Great Again“-Schergen unter den Augen der Weltöffentlichkeit zu einer waschechten Autokratie um. Vorbei die unschuldig wirkenden Zeiten, in denen Trump nicht mehr als ein stinkreicher Geschäftsmann mit Cameo-Auftritt in „Kevin Allein zu Haus“ oder eigener Reality-TV-Show war. Dystopische Szenarien werden zu Schlagzeilen unserer Gegenwart. Aber noch geht es uns ja gut.
Heute will Trump um jeden Preis ein König sein: Seinen Teint vergoldet er sich mit einer zu dick aufgetragenen Schicht orange-schimmerndem Bronzer. Das Oval Office verkleidet er in einen sammelsurischen Protzversuch aus Gold, Goldfarben, Brokat und Ornamentik. Ob er sich damit auf ein innenarchitektonisches Art-Deco-Revival bezieht, darf bezweifelt werden. Eher auf die vergoldeten Domkuppeln des Kremls in Moskau, dessen historischer Anblick uns auf fanale Art und Weise daran erinnert, dass der von dort aus regierende und mordende Diktator nicht weniger will, als den Wiederaufbau eines Weltreichs mindestens in der Größe des russischen Kaiserreichs, Zarengold inklusive.
Trumps auf Disruption angelegten Worte ziehen auch hierzulande antidemokratisches Handeln nach sich: Vizepräsident JD Vance behauptete bei der Münchner Sicherheitskonferenz medienwirksam, freie Rede sei auch in Deutschland in Gefahr und bescherte damit so absurderweise wie kalkuliert der AfD weiteren Aufwind. Derart populistische Brandredner eint, dass in ihrer ach so glänzenden Zukunftsvision in Wahrheit nur noch das gesagt werden dürfen soll, was in die eigene Agenda passt. Schwarz-Weiß-Rot sticht Schwarz-Rot-Gold. Kein völlig abwegiges Gedankenspiel im Vorfeld der Fußball-WM der Herren 2026 in den USA, Kanada und Mexiko, dass Trump auch mit dem korrupten Verantwortlichen des Goldenen Siegerpokals, FIFA-Boss Gianni Infantino, einen „Deal“ aushandelt, der die USA zum alleinigen Gastgeber macht – um sich dann wie Hitler bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin international siegreich zu inszenieren. Damals kam es zu erfolglosen Boykott-Aufrufen aus den USA und anderen Ländern gegenüber der Spiele in Deutschland. 2026 kommt es vielleicht umgekehrt.
„Golden“ heißt der Hit des Jahres 2025
Was bedeuten diese Tendenzen für die Popkultur as we know it? Nicht nur Spielzeug-Trends wie Labubus (siehe Info-Box), sondern auch musikalische zeigen, dass eine Abkehr von westlicher US-Dominanz hin zu wachsendem Einfluss aus Fernost möglich ist und längst geschieht: Der laut GfK Entertainment offizielle Sommerhit des Jahres „Golden“ stammt weder von Acts aus den USA oder Deutschland, auch nicht vom ursprünglichen Titel-Anwärter Alex Warren („Ordinary“), sondern von der fiktiven K-Pop-Girlgroup Huntr/x. Deren Mitglieder führen im Animationsfilm „KPop Demon Hunters“ ein Doppelleben als Dämonenjägerinnen. In der koreanisch-amerikanischen Co-Produktion singt die Figur Rumi mit ihrer von der real existierenden Sängerin Ejae synchronisierten Stimme davon, sich nicht länger zu verstecken, während sie vor ihren Freundinnen und den Fans verheimlicht, selbst dämonische Vorfahren zu haben und ein Halbdämon zu sein.
Die „Be yourself“-Message ist eigentlich eine überschaubare. In Zeiten aufkommender Autokratien, Remigrations-Treffen und Ausweisungen der US-Behörde ICE aber eine wieder weniger selbstverständliche und gefährlicher werdende. „KPop Demon Hunters“ wurde zum meistgestreamten Netflix-Original aller bisherigen Zeiten. Und „Golden“ ein bis auf seine teilweise koreanischen Textzeilen sehr us-amerikanisch klingender Ohrwurm, wie noch nie ein K-Pop-Song ein derartiger Ohrwurm im Westen gewesen ist.
Gold, Diggers
Was war musikalisch ebenfalls Gold, das glänzte? Die von uns gewählten 50 besten Platten des Jahres 2025 stellen wir Euch auf diesen Seiten vor. Erwartungsgemäß: Superstar Taylor Swifts zwölftes Album THE LIFE OF A SHOWGIRL wurde das am schnellsten verkaufte in der Geschichte der US-Charts. Die Wiederwahl Trumps 2024 konnten sie und Millionen Swifties trotz öffentlicher Unterstützung der Demokraten nicht verhindern. Ihrem kommerziellen Erfolg taten weder die Verprellung republikanischer Lager noch durchwachsene Kritiken oder anhaltende Plagiatsverdachtsmomente einen Abbruch. In den deutschen Single-Charts standen zwei Wochen nach Album-Release am 3. Oktober acht ihrer Songs in den Top 10 (die anderen zwei waren „Golden“ und „Ordinary“) und THE LIFE OF A SHOWGIRL auf rasantem Goldkurs. Fun fact: Schon davor erreichten 2025 mindestens fünf ältere, anhaltend gestreamte und gekaufte Swift-Veröffentlichungen in Deutschland Gold-Status.
Und außerdem? Oimaras Bumsbeat-Mundart-Partyschlager „Wackelkontakt“ („Wär ich ein Möbelstück…“) war laut GfK der erfolgreichste Hit der ersten sechs Monate, Linkin Parks FROM ZERO (VÖ 11/2024) das meistverkaufte Album in der ersten Jahreshälfte, bis der „KPop Demon Hunters“-Soundtrack uns den „Golden“-Sommer bescherte. Das Jahresrennen könnte Swift trotz späten Entrys abermals für sich entscheiden. Doch Obacht, TayTay: Bei der Preisverleihung der „Goldenen Henne“ feierte der 2016 abgetretene Graf mit Unheilig sein Bühnen-Comeback. Im März 2026 soll ihr neues Album „Liebe Glaube Monster“ erscheinen. Gold- und Platin-Umsätze garantiert.
Im vom Brexit anhaltend geprellten Vereinigten Königreich kehrten derweil die (G)-Oldies des Britpops allesamt zurück: Die Live-Reunion der Gallaghers bescherte dem Oasis-Klassiker WHAT’S THE STORY? (MORNING GLORY) Platz 2 der Albumcharts, Pulps Comebackalbum MORE stieg auf Platz 1 ein, Suedes zehnte Platte ANTIDEPRESSANTS schaffte es bis auf die 2. Das dritte UK-Nummer-1-Album der Manic Street Preachers aus Wales verhinderte allein Sabrina Carpenter, während Ash 29 Jahre nach ihrem Hit „Goldfinger“ mit ihrem neunten Album AD ASTRA außerhalb des UK und ihrer nordirischen Heimat nicht mal mehr in irgendwelche Verkaufscharts einstiegen.
Goldgräberstimmung galore
Wer sein knapper werdendes Geld lieber nicht in Vinyl oder ausbeuterische Streamingdienste investieren wollte, tat mutmaßlich gut an, Achtung, Gold als Anlagewert. Laut Reports des World Gold Council (WGC) hat das Investment in Gold, insbesondere über ETFs, physische Barren und Münzen, deutlich zugenommen – und damit auch sein Preis. Instabile wirtschaftliche und geopolitische Rahmenbedingungen sollen die Wahrnehmung von Gold als Schutz gegen Risiken wie Inflation, Währungsabwertung und Handelskonflikte verstärkt haben. Klingt gestrig, nahezu apokalyptisch, fast so wie vor, äh, über 100 Jahren. Aber in Zeiten, in denen selbst die Goldgräberstimmung unter der uns alle wahlweise vernichtenden oder erlösenden KI durch Milliarden-Investments Blasenform annimmt, nicht völlig unlogisch. Die Nachricht, dass ChatGPT zu einer Shopping-Plattform erweitert werden soll (und wirtschaftlich offenbar muss), beruhigt derweil auf eine so kapitalistische wie zuversichtliche Art und Weise: „This is not fine“, aber am Ende der Welt as we know it werden der Mensch, seine Kreativität und ein Miteinander vielleicht doch unersetzbar bleiben.
Oder in den Worten Dirk von Lowtzows: „Den ganzen Abend hat’s geregnet / Aber man muss dankbar sein / Wenn man den Leuten noch begegnet / Nicht nur als Klick auf Spotify.“



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