Sie sind wieder da, nur ihr Sound ist es kaum: H-Blockx gehörten Mitte der 90er zur Speerspitze der europäischen Crossover-Szene. Für die MUSIKEXPRESS-Rubrik „Blind Date“ habe ich mich mit Sänger Henning Wehland an diesen fast vergessenen Genre-Ausläufer erinnert – und ihm Songs vorgespielt, die er erraten und kommentieren sollte. Hier die Langversion unseres Gesprächs, inklusive der Outtakes Suicidal Tendencies, Clawfinger, Guano Apes und Dog Eat Dog.
Suicidal Tendencies – „Nobody Hears“ (1992)
Henning Wehland: Mike Muir am Mikrofon ist in puncto Shoutgesang und Performance einer meiner absoluten Helden. Wie er auf der Bühne wie ein Tiger im Käfig von links nach rechts schleicht! Ich bin mit Suicidal Tendencies aufgewachsen und durfte Muir 1999 auf der Vans Warped Tour treffen und für VIVA Zwei auch interviewen. Alles, was ich an Amerika je geliebt habe, stammt aus der Gegend zwischen Santa Monica und Venice Beach. Wie diese Band.
Und Skateboarding.
Vor zwei Jahren habe ich Mikes Bruder Jim kennengelernt, einer der sogenannten Z-Boys, die Erfinder des Skateboardings, wie man es heute kennt. Mitte der 70er konnte man sich noch nicht entscheiden, ob Skateboarding Richtung Eiskunstlauf oder Selbstfindung und individueller Ausdrucksmöglichkeiten geht. Die Muir-Familie hat mir das total gute Gefühl gegeben, dass das Alter kein Grund ist, zu verzweifeln. Sie waren schon immer real.
Das Video wurde von „Smells Like Teen Spirit“-Regisseur Samuel Bayer gedreht.
Ach, Quatsch!
Body Count – „Body Count In The House“ (1992)
Das ist das beste fucking Intro, das es jemals gegeben hat (rappt mit). Ich wohne auf einem Reiterhof. Wenn ich mit dessen Besitzer Auto fahre, pumpen wir diesen Track. Es gibt nichts Geileres. Leute schmeißen uns oft in einen Topf mit Bands von Body Count bis Such A Surge. Die Unterschiede: Es gibt Bands, die vom HipHop kommen und Gitarren darunter legen. Andere, wie auch wir, haben Sprechgesang auf Rock und Punk gelegt. Ice-T hob mit seiner Attitüde Rap auf eine neue Stufe. Wir lernten auch ihn 1999 auf der Vans Warped Tour kennen. Du wächst dort zu einer Art Camper-Familie zusammen. Barbecue mit Pennywise. Aftershow-Partys im Wohnmobil von Ice-T. Basketball mit Eminem, Blink-182, Jimmy Eat World und den Black Eyed Peas. Das waren meine 15 Minutes of Fame.
Red Hot Chili Peppers – „Good Time Boys“ (1989)
Gänsehaut. Im Backstage-Raum des sehr kleinen Odeon-Clubs in Münster prangte damals ein riesiges Tag mit Faust und dem Peppers-Stern an der Wand. Erschaffen von der Band selbst, die 1988 dort auftrat. MOTHER’S MILK ist in puncto Legacy ihre wichtigste Platte. Eine weiße Band, die eigentlich Schwarze Musik macht. Sie waren quasi der Eminem des Funk, Punk und Rock’n’Roll. All das, was danach kam, gönne ich ihnen trotzdem.
Als Schülerband habt Ihr die Peppers dieser Phase gecovert.
Auf ein paar unveröffentlichten H-Block-Songs war dieser Einfluss auch unüberhörbar (rappt Zeilen vor). Auf einer Nummer von TIME TO MOVE adaptieren wir diesen Style 1:1.
Rage Against The Machine – „Bombtrack“ (1992)
Könnten wir auch kommentarlos stehen lassen.
Zack De La Rocha ist bekanntermaßen ein HipHop-Liebhaber, der die Kultur versteht. Der trifft auf eine Band, die ganz tief im Rock’n’Roll und Blues verwurzelt ist. Gemeinsam fanden sie eine Schnittmenge und einen neuen Horizont. RATM muss man nicht weiter erklären. Jemand fühlt es oder nicht.
Deine Bandmitglieder haben Anfang der 90er diese damals noch unbekannte Gruppe im Vorprogramm von Suicidal Tendencies in Bielefeld erlebt.
Und danach dachten sie: Jetzt können wir nach Hause fahren, Was ist das denn? Ich weiß noch, dass wir am Tag danach proben wollten. Die Band war unfähig zu spielen, weil sich niemand vorstellen konnte, was Tom Morello mit seiner Gitarre anstellen konnte. Das war Magie.
Beastie Boys – „Sabotage“ (1994)
Die Beastie Boys haben eine eigene Rubrik erfunden. Ein Genre, das nie wieder erreicht wurde. Egal, ob es am Ende beziehungsweise Anfang Rick Rubin war, der der Legende nach dieser jungen Punkband aus New York gesagt hat, sie solle es doch mal mit diesen neuen Ding namens Rap versuchen. Sie fanden einen funktionierenden monotonen Gesang, nachdem ich mich mein Leben lang gesehnt habe.
Adam „MCA“ Yauch starb 2012.
Eine Freundin von mir arbeitete Ende der 90er bei einer Organisation, die sich für die Freiheit von Tibet eingesetzt hat. Die Beastie Boys fungierten als Schirmherren. Sie lernte Yauch kennen, wollte mir eine Freude machen und hat ihn drei Zeilen auf eine Postkarte schreiben lassen, die mich eines Tages erreichte: „Jo, Henning, ich hab’ gehört, du hast auch eine Band. Ich wollte dir schöne Grüße von einem hübschen, pinkhaarigen Mädchen ausrichten aus New York City.“ Unterschrieben mit MCA.
Hast Du die Karte noch?
Nee. Ich bin kein Keeper. Selbst alte Kartons mit Erinnerungen verliere ich. Ich hänge nicht an der Vergangenheit in Form von materiellen Dingen. Den Sinn des Sammelns verstand ich auch nie.
Obwohl die 90er dafür so viel zu bieten hatten: Sammelkarten aus Sport oder Wrestling. Cola-Dosen mit BAP, Westernhagen…
…und H-Blockx!
Such A Surge – „Gegen den Strom ´93“ (1993)
Ich weiß nicht, ob es uns ohne Such A Surges erste EP so je gegeben hätte. Die Jungs sind Deutschlands Crossover-Pioniere, nicht wir. Mit unserer Plattenfirma gab es später ständige Diskussionen: „Macht doch mal was auf deutsch, wie die Fantas und Selig!“ Auch da waren uns Such A Surge voraus.
Die sich laut deren Bassist und Manager Axel Horn zu Euch wie VIVA Zwei zum bunteren VIVA verhielten.
Wir sind älter als VIVA. Unser Debüt wurde wegen des Sendestarts am 1. Dezember 1993 verschoben. TIME TO MOVE war ´93 fertig und erschien erst im August ´94. Zu unserem Unwohlsein, weil reihenweise Bands rauskamen, von denen wir dachten: Jetzt fährt der Zug wieder ohne uns los. Wir waren zwar von keinem Trend beeinflusst. Das kam aus uns heraus. Aber klar: Wir drehten Clips, die auf diesem Kanal stattfanden. Wir übertrieben den Pop-Art-Gedanken darin regelrecht.
Clawfinger – „N*“ (1993)
Das N-Word. Immer noch beeindruckend, dass denen das nicht komplett um die Ohren geflogen ist. Ich hätte mich so einen Songtitel nicht getraut. Trotzdem prägte diese Band einen Sound. Diese klaren Kanten von diesen Metal-Gitarren! Aus erster Hand weiß ich, dass Clawfinger ein absolutes Vorbild für Rammstein gewesen sind. Wir haben sie zuletzt wieder ein paar Mal auf Festivals getroffen. Interessant, dass es die immer noch gibt. Ihr Debüt DEAF DUMB BLIND war stilprägend. Aber ihr Problem können wir sehr gut nachvollziehen: „You can only once make a first impression.“
Thumb – „Red Alert“ (1995)
Sänger Claus Grabke ist ein Skateboarding-Idol gewesen. Ein Unicorn, der als Ostwestfale aus Gütersloh ganz oben mitgefahren ist. Du brauchst ein besonderes Mindset, um das Deutsche abzulegen. Gleichzeitig blieb er bei seinen Wurzeln. Arbeitet schon längere Zeit mit seinem Sohn Fynn zusammen und dessen Band Picturebooks. Bei Thumb gab es von meiner Seite aus damals ein gewisses Konkurrenzdenken. Die waren Realkeeper, true to the base. Ich hatte das Gefühl, Claus und ich hatten Knatsch. Haben wir beigelegt.
Deren Drummer Steffen „Steady“ Wilmking spielt heute bei Euch mit und hat als Produzent zum Beispiel Caspers XOXO verantwortet.
Ihn habe ich damals schon bewundert. Ich traf ihn beim Monster Mastership. Er hatte sich den Arm beim Skaten gebrochen und eine total beeindruckende Narbe. Tut nicht mehr weh, sagte er, aber wegen des Schlagzeugspielens könne er jetzt nicht mehr Skateboard fahren. Wahnsinn, dass dieser Typ später bei uns einstieg. Heute ist er der Herzschlag der Band und führt mit Keshav Purushotham (Timid Tiger) das tolle Label Papercup Records.
Dog Eat Dog – „No Fronts“ (1994)
Das Schmerzhafteste für mich als Sänger einer Band, die versucht, sich einer Kultur zu bemächtigen, die nicht die eigene ist, war es, wenn dann tatsächlich eine Band aus Amerika kommt. Das war ein Gütesiegel. Schon deshalb ergab es gar keinen Sinn, mit Dog Eat Dog zu konkurrieren. Gemerkt haben wir das spätestens bei den MTV European Music Awards 1995, wo wir zwar in der Kategorie „Breakthrough Artist“ nominiert waren, sie aber gewannen. Dafür durften wir live auftreten – im Nachhinein die für uns schönere Geschichte, die man erzählen konnte. Dog Eat Dog wurden gute Freunde von uns. Es werden noch immer viele Erinnerungen wach, wenn wir uns sehen. Auch an ein Lebensgefühl zwischen Skateboarding und dem Soundtrack von „Judgment Night“.
Der kurze Höhepunkt von Crossover war danach schnell wieder vorbei.
Letzten Endes haben Limp Bizkit und Linkin Park einfach die Schublade neu aufgemacht und den Titel ganz klar für sich geclaimed. Aber es gab von 1991 bis 1995 ein Zeitfenster, in dem keiner genau wusste, wo es lang ging. Goldgräberstimmung, sagen die einen. Die anderen sagen: Aus Verzweiflung wurde einfach alles ausprobiert. Niemand wusste, was richtig ist und was man machen darf. Und wir gehörten halt zu dieser Gruppe, die gesagt hat: Fuck it, wir machen das einfach.
Nach „Risin High“ fragten sich die Leute bei uns auch: „Sollen wir lachen oder weinen?“
Guano Apes – „Lose Yourself“ (2017)
Die Apes haben mit „Open Your Eyes“ eine unfassbare Hymne abgeliefert. Einen Monster-Hit. Und Sandra ist eine unfassbare Sängerin. Mit PROUD LIKE A GOD hatten sie den Vorteil, dass es schon ein paar derartige Bands vor ihnen gab. Aber – und das sage ich als jemand, der Songs, wie „Celebrate Youth“ gecovert und anderen Schwachsinn gemacht hat: Es fällt mir schwer nachzuvollziehen, warum man diesen Song covert. Eminem ist wie Led Zeppelin – covert man nicht. Nichts gegen die Band. Wir alle haben Songs, die nicht hätten sein müssen. Wir haben sie tonnenweise. Trotzdem brauchten wir sie. In Sackgassen muss ich erst mit dem Kopf gegen die Wand laufen, um umzudrehen.
Welcher Song der H-Blockx war am unnötigsten?
Die ganze Platte GET IN THE RING ist überflüssig. Im Rückblick herrschte pure Verzweiflung. Unser Lebenswerk veröffentlichten wir zu Beginn unserer Karriere und brauchten danach 30 Jahre, um uns dieses Gefühl wieder zu erarbeiten. Die Donots sagten zu uns: Das neue Material, das ist eure eigentliche zweite Platte, eigentlich.
Auch „Ring Of Fire“ covert man nicht. Ein Erfolg war die Single trotzdem.
Oder „The Power“ von Snap! Dazu gibt es auch eine aus Verzweiflung entstandene Geschichte. Turbo B stand eines Tages bei uns im Studio und sagte: „Yo man, I wanna do a track with you guys.“ Jeder Versuch eines neuen Songs führte nirgendwo hin. Also probierten wir es einfach mit „The Power“. Fand ich anfangs cool. Wir zitierten darin mit dem Chor am Anfang sogar „Judgment Night“ und versuchten, neue Hooklines zu schaffen. Haben wir damit die Legende von Idolen zerstört? Dank „Ring of Fire“ durften wir immerhin Johnny Cash und June Carter kennenlernen. Obwohl beide, glaube ich, von jeder Cover-Version entsetzt waren. Trotzdem hat Cash einen Karton mit 25 Singles bestellt und beteuerte, dies wäre noch die erträglichste Version, die er seit Langem gehört habe. 1999 war das.
Alligatoah feat. Fred Durst – „So raus“ (2023)
(Nach einer Minute des Rätselns): Ach, Alligatoah, natürlich! Wir sollten mal in seinem Vorprogramm auftreten. Dieses Feature mit Fred Durst hätte ich nicht gebraucht, um ihn gut zu finden. War das credibil oder ein Jump-on-the-Train-Ticket? Ich find’s geil, dass er als ein sehr junger Künstler versucht, sich dem sehr uncoolen Thema Crossover zu nähern. Zum Feature: Ich habe mit Sarah Connor ein Duett gesungen. Ich weiß: Wenn du dich mit einem Namen umgibst, dessen Stern heller strahlt als deiner, dann wirst du immer nur einen großen Schatten werfen. Aber nie in diesen Fred-Dunst-Kreis kommen, hätte ich jetzt fast gesagt.
Innerhalb seiner Zielgruppe ist Alligatoah der viel größere Star als Durst. Ein ausgemachtes Crossover-Revival hat das dazugehörige Album OFF trotzdem nicht losgetreten.
Das wird es auch nie geben. Es gibt keine Crossover-Kultur. Das war ein Phänomen, das als Blase häufig belächelt wird. Eine Vorbereitung für den Wurzeln schlagenderen Nu Metal. Vieles, das in irgendeiner Form mit Gitarren zu tun hat, wird sich immer wieder des Sprechgesangs und der Hip-Hop-Kultur bedienen, weil es gar nicht mehr anders geht. Die zwölf Halbtöne sind ausgereizt. Wenn du dem Rock’n’Roll die Melodie nimmst, bist du irgendwann bei Attitüde – und dann beim HipHop.
FiNCH x SDP x Phil The Beat – „Abenteuerland“ (2024)
Electric Callboy? Nein? Ich kann sogar etwas für Pur empfinden. Und Alter, Ich kann sogar zu so einer Art von Musik feiern. Aber diese Stilelemente! Fast alles ist für mich falsch daran. Moment: Das ist nicht Finch, oder? Den mag ich sogar. Ich glaube, der Typ ist authentisch. Seine Texte und Musik funktionieren wie bei Ski Aggu und Ikkimel, wie ein Störer und ein Spiegel. Ich denke: Das kann man doch nicht sagen! Und denke gerade deshalb darüber nach. Nach „Risin High“ fragten sich die Leute bei uns auch: „Sollen wir lachen oder weinen?“
Auf einer 90er-Party würden zu diesem Track alle abgehen.
Auf jeden Fall. Alles eine Frage des Anspruchs. Meine erste Regel lautet: No disrespect about anything. Solange es nicht politisch zu inkorrekt ist, rechtes Gedankengut transportiert oder sonstwie übergriffig wird, ist alles, was mich stört, auf eine gewisse Art und Weise gut.
Mit seiner konstruierten Mischung aus Happy Hardcore, Rock, Rap und Schlagerpop ist „Abenteuerland“ Crossover im eigentlichen Sinne, oder?
Ich bin totaler Fan davon, so zu denken. Es gibt für mich zwei wichtige Leitsätze namens „Warum eigentlich?“ und „Warum eigentlich nicht?“. Wenn Leute mir sagen, dies oder das gehe nicht, dann frage ich mich: warum eigentlich nicht? Und wenn mich etwas stört, frage ich mich: warum eigentlich? So komme ich meiner inneren Mitte ein Stück näher.
Euer neues Album, das erste seit 13 Jahren, heißt wie die aktuelle Tour FILLIN_THE_BLANK und erscheint am 6. März 2026 auf Solitary Man Records, dem Donots-Label. Die 2024er-Single „Fallout“ wird nicht darauf zu hören sein, dafür Eure 90er-Hommage „Straight Outta Nowhere“ sowie die aktuelle Single „Lights Out“. Vorschlag: Vielleicht covert Ihr als Bonus-Track „Stan“ von Eminem.
Wenn ich das als Humor auslegen darf, dann hast du mich sehr gut verstanden.
Über Henning Wehland
Henning Wehland (*1971) gründete seine Band H-Blockx 1990 in Münster. Ihr Debüt TIME TO MOVE erreichte 1995 dank der Singles „Move“ und „Risin’ High“ Goldstatus. 1999 steuerten sie den Soundtrack zu „Bang Boom Bang“ bei. Später sang Wehland bei den Söhnen Mannheims, agierte als Juror bei „The Voice Kids“, veröffentlichte zwei Soloalben und moderiert bis heute mit Till Hoheneder den Podcast „Musik ist Trumpf“. Nach 13 Jahren Pause erscheint das achte Album FILLIN_THE_BLANK 2026 auf dem Donots-Label Solitary Man Records.
Dieses Interview ist in gekürzter Version in der MUSIKEXPRESS-Ausgabe 11/2025 sowie online auf musikexpress.de erschienen.
Für mein mit Stephan Rehm Rozanes geschriebenes Buch „Back For Good: Warum uns die Musik der 90er nicht loslässt“ (2024, Reclam) sprach ich mit Henning Wehland ausführlich über Crossover und Nu Metal; in unserer „Never Forget“-Podcastfolge „Die 10 wichtigsten Film-Soundtracks der 90er“ über den H-Blockx-Soundtrack zur Kultkomödie „Bang Boom Bang“.




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