Das Powercouple der deutschen Podcastbranche: Host Nilz Bokelberg und seine Frau, die Produzentin Maria Lorenz-Bokelberg, haben sich über ihre Liebe für Personality-Talks und Popkultur kennengelernt. Die Langversion eines Gespräch über Gastauswahl, Gesprächsführung und die Aufmerksamkeitsspanne von Zuhörer*innen. Eine kürzere Version erschien in der MUSIKEXPRESS-Ausgabe 04/2025, die am 14. März 2025 erschien und für die ich auch ein Essay über die Kulturgeschichte von Podcasts schrieb sowie zahlreiche Empfehlungen für Einsteiger*innen gab.

Nilz, Du bist als Host, Regisseur und Drehbuchautor einer der umtriebigsten Podcaster dieses Landes. Könntest Du alleine davon leben?
Nilz Bokelberg: Ich will mich nicht nur darauf festlegen. Podcasts sind ein total geiles Medium, in dem ich wegen der Niedrigschwelligkeit immer noch extrem viel anstellen und anarchisch agieren kann. Selbst wenn alle möglichen Ecken und Enden versuchen, das zu regulieren. Aber ich probiere auch gerne andere Sachen aus.
2015 startete Dein erster Podcast „Gästeliste Geisterbahn“. Was reizte Dich daran?
Nilz Bokelberg: Damals gab es keine deutsche Podcast-Branche. Es gab Oldschool-Podcaster um Tim Pritlove mit einem nerdigen Tech-Aspekt. Aber es gab keinen Massen-Appeal. Die Deutschen wussten nicht, was ein Podcast ist. Zu der Zeit habe ich Maria kennengelernt, die sich sehr mit dem amerikanischen Markt beschäftigt und mir diese Welt erklärt hatte. Ich hatte keine Ahnung, habe aber gemerkt, dass da eine unbespielte Medienform vor uns liegt. Der erste deutsche Podcast, den ich regelmäßig gehört habe, war der von Johnny Haeusler auf seinem „Spreeblick“-Blog.
Vermisst Du den frühen DIY-Spirit?
Nilz Bokelberg: Es gibt ihn immer noch. Man muss ihn nur suchen und finden. Natürlich gibt es heute Riesenplayer, die den Markt dominieren und auf den oberen Chart-Plätzen wenig Raum lassen für kleine Indie-Underground-Projekte. Abseits von diesem Glitzer-Gedöns existiert weiterhin eine riesengroße, spannende und vibrierende Podcast-Szene, in der Nischen zelebriert werden.

Welche zum Beispiel?
Nilz Bokelberg: Es gibt Podcasts, die wegen ihrer Partikularinteressen nicht auf Platz 1 stehen und da auch nicht hingehören. Sollen schön Indie bleiben. Einer meiner Lieblings-Podcasts etwa heißt „Puppkultur“. Martin Reinl ist bekannt für seine Puppen wie Wiwaldi und Zirkuspferd aus „Zimmer frei!“. In dem Podcast besprechen er und Moderator Julian Schlichting sehr ausführlich einzelne Puppenserien, Filme und Sendungen. Eine Folge nur über die „Fraggles“, eine Folge nur über die „Sesamstraße“, eine Folge nur über „Hallo Spencer“, und so weiter und so fort. Er kennt sich super aus. Das wird nie ein Platz-1-Podcast. Aber in meinem Herzen ist er das längst.
Maria, mit welchem Podcast ging bei Dir die Reise los?
Maria Lorenz-Bokelberg: Der US-True-Crime-Hit „Serial“ war der erste Podcast, bei dem ich mich fragte: Warum gibt es das hier in Deutschland nicht? Der war sehr aufwändig produziert. Sogenannte Laber-Podcasts gab es, die sind in der Produktion relativ überschaubar. In „Serial“ reisten Leute durch die Gegend, es gab sogar ein Drehbuch! Die Deutschen mögen Krimis auch, das sieht man ja am Buchmarkt, am TV-Programm und an Streaming-Serien. Ich dachte: Wenn so ein finanzieller Aufwand auch hier betrieben werden würde, würden Podcasts auf ein neues Level gehoben werden. Meine Freundin und jetzige Geschäftspartnerin Frida Morische und ich schalteten uns zu Listening-Partys zusammen, setzten beruflich bis dahin kleinere Aufträge um. Und dann hatten wir das Glück, dass „Antenne Bayern“ auf uns zukam und mit uns den von Berni Meyer moderierten und von Nilz geschriebenen Podcast „Dunkle Heimat“ machen wollte. Das war für mich ein erster Schritt. Ein Jahr später folgte unser Podcast „Faking Hitler“ mit dem „Stern“ über die gefälschten Tagebücher. Das war genau das, was ich machen wollte.
…und der Grund zur Agenturgründung?
Maria Lorenz-Bokelberg: Es war der Grund, wegzugehen von „drei Leute sitzen an einem Tisch“. Ich wollte Podcasts produzieren und nicht nur Dingen hinterherrennen, sondern selbst pushen und versuchen, aus eigenen Kräften die noch relativ kleine Szene zu einer Branche zu machen.

Du sagtest in einem „NEON“-Interview 2019: „Ich bin seit fünf Jahren (also 2014) hauptberuflich Podcast-Produzentin. Die ersten zwei Jahre liefen aber alles andere als gut, ich habe kaum Geld verdient und konnte mich so gerade eben über Wasser halten. Aber ich habe immer daran geglaubt, dass die Deutschen einfach ein bisschen länger brauchen – zum Glück.“ Jetzt verdienst Du Geld damit, hast eine eigene Firma, Angestellte, Ihr produziert dutzende Podcasts, u.a. über 30 für die ZEIT-Familie.
Maria Lorenz-Bokelberg: Die ZEIT-Podcasts haben einen großen Stellenwert bei uns, klar. Dort sind wir seit Tag 1 dabei. Wir versuchen aber immer noch, auch aus reinem Fortschrittsinteresse, mit vielen anderen Kund*innen zusammen ganz andere Sachen zu machen, wie zum Beispiel „Batman unter Toten“. Storytelling-Fiction-Podcasts gibt es viel zu wenige. Die ZEIT wiederum hat sich mit ihrem Riesenportfolio zu recht ein Hörer*innen-Vertrauen erarbeitet. Das hilft allen: Wenn man drei Podcasts hat, die gut laufen, ist es leichter einen vierten zu starten und so weiter.
Aktuell arbeitet Ihr an über 46 Podcasts. Läuft Euer Betrieb, weil die Deutschen länger gebraucht haben (und Podcast jetzt in aller Munde sind) und Du früh genug dabei warst? Oder weil Du und Ihr bei „Pool Artists“ Dinge rechtzeitig anders gemacht habt?
Maria Lorenz-Bokelberg: Wir gehörten zu den Ersten. Studios und Technik gab es, klar. Wer damals aber Podcasts produzieren lassen wollte, hatte keine Riesenauswahl an Produktionsfirmen mit ganzheitlichem Angebot. Wir hatten Podcast-Wissen und bauten uns über nunmehr zehn Jahre Vertrauen auf. Dazu gehört auch Glück. Ich bin außerdem sehr hartnäckig, vielleicht sogar stur, habe mich festgebissen und stets weitergebildet.
Mit welchem Podcast erreichte Deutschland einen Kipppunkt? Raus aus der Nische, rein Richtung Mainstream?
Maria Lorenz-Bokelberg: Podcast-Deutschland erlebte drei Schübe. Erstens „Fest und Flauschig“ und dort besonders nach Böhmermanns Erdogan-Gedicht. Zweitens „Faking Hitler“. Dort gab es sogar einen Peak in den „Podcast“-Suchanfragen bei Google. Wir bekamen viel Presse damit, wohl so viel wie kein Podcast zuvor. Den dritten Schub gab leider die Corona-Pandemie. Den Moment, als Angela Merkel in einer Ansprache an die Nation das Wort Podcast benutzt, erkennt man auch in der Google-Suchstatistik. Diese drei großen Dinger haben aus einer Szene eine Branche und eine Industrie gemacht. Podcasts waren vorher was für Nerds, ein Hobbyding, kein seriöses Medium. Plötzlich hörten auch dank Merkel alle Christian Drostens „Coronavirus-Update“ und merkten: Aha, ich kann also auch seriöse Nachrichten darüber konsumieren! Wo viele Leute sind, wandert irgendwann das Werbegeld hin und dann dreht sich der Kreisel.
Auch im „Neon“-Interview 2019 sagtest Du: „Das Gefühl, dass gerade jeder einen Podcast macht, ist schon richtig – aber in den nächsten Jahren wird das auch wieder zurechtschrumpfen, weil viele merken, wie viel Arbeit das eigentlich ist. Die Hörer werden entscheiden, ob es jetzt wirklich den 500. Interview-Podcast geben muss. Ich glaube, in Zukunft wird es noch mehr aufwendige Produktionen geben, in Richtung Hörspiel oder groß recherchiert. Im Moment trauen sich die meisten natürlich an Gesprächsformate ran, weil die einfach und dadurch billig zu produzieren sind.“ Stimmt das immer noch? Gab es eine Zurechtschrumpfung? Ja, die Produktionen werden aufwändiger, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen. Aber den 1000. neuen Interview-Podcast gibt es doch immer wieder mal?
Maria Lorenz-Bokelberg: Es gab eine Zurechtschrumpfung, vielleicht nur an einer anderen Stelle. Vorm Anfang der Pandemie schossen bis 2021 plötzlich Produktionsfirmen aus dem Boden. Das hat sich wieder beruhigt, weil viele merkten, dass das große Geld damit nicht kurzfristig einzusammeln ist. „Always on“-Podcasts, die möglichst lange und regelmäßig auf Sendung sind, haben zudem eine viel bessere Chance auf Monetarisierung. Anders als bei Filmen, Büchern und so weiter. Übrig blieben die Firmen, die es wirklich ernst meinen. Damals war ich genervt, dass bei Talk-Podcasts immer drei Männer um den Tisch sitzen, obwohl man doch so viele andere schöne Sachen machen könnte. Heute finde ich: Leute sollen sich bitte nicht länger reflexartig über „noch einen Podcast!“ beschweren und darüber, wann sie den denn bitte doch noch hören sollen. Sagt bei Büchern, Filmen und Serien doch auch niemand! Außerdem kriegen die Leute übrigens nicht mit, dass auch wahnsinnig viele Podcasts aufhören. Angeblich bleibt der Status an laufenden Podcasts seit ein paar Jahren relativ gleich.
Eine Zeitlang eröffnete jede Bäckerei einen eigenen Instagram-Account, obwohl die ihre Kund*innen anders vielleicht besser erreicht. Wer braucht (als Absender) einen Podcast, wer nicht? Und was macht einen guten Podcast aus?
Nilz Bokelberg: Vielleicht würde ich mir aber gerade einen kreativen Instagram-Account oder Podcast einer Bäckerei gerne geben!
Einen Brotcast.
Nilz Bokelberg: Mich bat mal jemand um Equipment-Tipps für eigene Podcastaufnahmen. Ich schrieb ihm was zusammen und riet: „Lass dich am Anfang durch nichts aufhalten.“ Er wollte mit einer Freundin einen Podcast über Goldschmiede machen und legte sofort los. ich kann mich sehr dafür begeistern, dass Partikularinteressen plötzlich eine Bühne kriegen, die easy bespielbar ist. Ich fand’s auch früher immer geil, mir am Kiosk die „Kirmes-Revue“ zu kaufen, in der Schausteller über ihre neuen Geräte berichteten. Podcasts sind wie ein riesiger Fanzine- oder Berufe-Pool. Ist doch super, überall nah dran sein zu können und alle der Welt mitteilen können, was sie wollen.
Maria Lorenz-Bokelberg: Bei Filmen gibt es auch eine Blockbuster-Industrie und eine Indie-Szene. Mit unterschiedlichen Awards, an unterschiedlichen Orten, manchmal mit Überschneidungen. Manche Podcaster, die die Charts dominieren, können davon leben. Und dann gibt diese Nischenszene ohne Kohle und viel Reichweite. Die ist genau so wichtig, weil Podcast neben YouTube das einzige Medium ist, wo ich einfach anfangen kann. Ohne Connections, ohne irgendeinen Chef von irgendeinem Sender zu kennen, ohne durch 400 Instanzen durchzumüssen.
Was eint beide Seiten?
Maria Lorenz-Bokelberg: Einen guten Podcast macht aus, dass man von etwas redet, wovon man Ahnung hat. Klingt selbstverständlich, aber es gibt genug Negativbeispiele. Fiction und Scripts ausgenommen, logisch. Unsere Kund*innen fragen wir immer zuerst: „Was wollt Ihr damit erreichen?“ Darauf gibt es tausend Antworten. Manche wollen wirklich nur Reichweite. Manche wollen Geld verdienen, manche wollen ihr Publikum verjüngen. Das Ziel bestimmt die Art des Podcasts.
Und was macht einen guten Personality-Talk-Podcast aus?
Nilz Bokelberg: Eine gute Vorbereitung, Interesse am Gast und eine gute Gästemischung. Gerade Interview-Podcasts sollten Raum lassen. Nicht zu formatiert sein, sondern die Möglichkeit geben, dass da viel passieren kann. „Alles gesagt?“ von der ZEIT bespielt die Königsklasse des Raumlassens. Gerade weil eine Folge manchmal unendlich lange dauert.
Ist Dir bei Deiner „Nilz-Bokelberg-Erfahrung“ all das geglückt?
Nilz Bokelberg: Ich habe mir ausnahmslos Gäste eingeladen, die ich interessant fand und von denen ich alles wissen wollte. Auch abwegige Fragen. Ich habe immer versucht, sich auf Augenhöhe zu begegnen und ergebnisoffen zu unterhalten. Einengende Formatierungen interessieren mich nicht. Das hat meistens funktioniert. Es gab einen oder zwei Fälle, wo ich mir die Zähne ausgebissen habe. Dort habe ich vielleicht meine Interviewfähigkeiten über- oder den Gast unterschätzt.
Wer war das? Ließe sich ja nachhören.
Nilz Bokelberg: Ich nenne keine Namen. Aber du musst mit ganz anderen Wassern gewaschen sein, wenn du Politiker*innen interviewst. An deren Oberfläche beißt du dir die Zähne aus. Meine große Interview-Erkenntnis lautete: Die lade ich nicht länger ein. Ich will keine Phrasendrescherei. Ich will etwas erfahren, das ich vorher nicht wusste. Auf der anderen Seite gibt ganz viele Folgen, auf die ich heute noch stolz bin. Zum Beispiel die mit Jochen Distelmeyer. Ich habe ihn ganz anders kennengelernt, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Ein super Typ. Auch Iris Berben war Zucker. Und so einnehmend.
Maria Lorenz-Bokelberg: Ich bin selbst keine Interviewerin, saß als Produzentin aber bei tausend Interview-Podcasts dabei und hörte zu. Auch an den Hörer*innenzahlen sahen wir: Es kommt gut an, wenn du den Interviewten eine überraschend gute Zeit gibst. Die meisten müssen immer die gleichen Fragen beantworten, teilweise wollen sie es gewiss auch. Aber wenn du dir die Mühe machst, in eine bestimmte Richtung weiter zu recherchieren oder ihnen das Gefühl zu geben, auch über das Naheliegende hinaus interessant zu sein, kommt auch viel zurück. Distelmeyer zum Beispiel war selbst überrascht über das Interview und die Wertschätzung. Menschen freuen sich über Fragen, Zeit vom Gegenüber und Respekt. Nilz und mir wurden beiden schon unvorbereitete Interviewfragen gestellt á la: „Worüber möchtest Du denn reden?“ Das geht nicht.
Nilz Bokelberg: Ich sehe das als Selbstverteidigung an. Seit ich 17 bin, habe ich viele Interviews gegeben. Ich weiß, wie scheiße es sich anfühlt, in einem Scheißinterview zu sitzen, wenn das Gegenüber kein Interesse hat, schlecht vorbereitet ist oder nur deinen Wikipedia-Artikel gelesen hat. Das merkt man sofort. Ich habe selber auch schon solche Interviews geführt, by the way. Gerade zu VIVA-Zeiten war ich manchmal krass unvorbereitet.
Oft musste es ja sehr schnell gehen.
Nilz Bokelberg: Ich habe mich durchgewurschtelt. Ich kenne beide Seiten und den Gedanken: Warum verschwendest du gerade meine Zeit? Meine Prämisse war: Das wollte ich bei der „Nilz-Bokelberg-Erfahrung“ unbedingt vermeiden. Als Rache für alle schlechten Interviews, die ich jemals gegeben habe.
Welches Gespräch bleibt Dir noch in Erinnerung?
Nilz Bokelberg: Schön war es zum Beispiel auch mit Friedrich Mücke, der mir überraschend eine Platte geschenkt hat: „Steve McQueen“ von Prefab Sprout. Er hatte Bock darauf und wollte mir eine Freude machen, weil er mein Buch über Musik gelesen hat. Was für eine tolle Überraschung, zumal ich sie zufälligerweise noch nicht auf Vinyl hatte.
Maria Lorenz-Bokelberg: Noch ein Talk-Tipp: Nilz hat jedes Mal nach der Aufnahme dem Gast eine Platte geschenkt. Mit einer Karte dazu, auf der er erklärte, warum er gerade diese Platte ausgesucht hat. Diese Geste hatte nichts mit dem Interview zu tun, passierte off-air und sie gefiel den Leuten. Weil es nicht um einen Reichweiten-Moment ging. Sondern um Wertschätzung dafür, dass sie da waren.
Nilz Bokelberg: Ich habe Iris Berben eine Santana-Platte geschenkt. „Caravanserei“, meine Lieblings-Santana-Platte. Im Podcast erzählte sie mir sogar, dass sie mit Jimi Hendrix in London gekifft hat!
Brauchen Interview-Podcasts nicht trotzdem einen USP, der über Host und Gäst*innen hinaus geht? Wie hebt man sich von anderen ab?
Nilz Bokelberg: Der Talker macht den Unterschied. Der irgendwie anders fragt, anders spricht, andere Themen hat. Es gibt auch formelle Tricks und Möglichkeiten, Interview-Podcasts einzigartig zu machen, wie das eben „Alles gesagt?“ tut. Wobei Jochen Wegner und Christoph Amend auch fantastische Interviewer sind, die bis an die Zähne vorbereitet sind. Da muss man sich keine Illusionen machen.
Maria Lorenz-Bokelberg: Wer einen neuen Interview-Podcast startet, sollte sich trotzdem fragen: Was können wir abgesehen von der Moderation machen? Wen laden wir ein? Was können wir Neues bringen? Ein krass talentierter Host kann eine Antwort sein. Aber von denen gibt es ja auch einige. Ich wünsche mir seit Ewigkeiten einen Interview-Podcast, in dem Promis nicht über sich reden, sondern ein Lieblingsthema mitbringen, das nichts mit dem zu tun hat, was sie sonst machen. Der Host muss sich dann da reinarbeiten, um mit ihnen darüber ein gutes Gespräch zu führen. Wahrscheinlich erklären sie ihm am Ende alles. Mein Punkt ist: Holt die Leute raus und erkennt an, dass sie auch noch etwas anderes sind, als das, was sie in der Öffentlichkeit sind.
Podcast-Totgeburten sind ja oft die, die nicht aus Leidenschaft und/oder Journalismus entstehen, sondern aus Marketingabteilungen, die angepasste Formate für Werbekund*innen anbieten wollen.
Maria Lorenz-Bokelberg: Das merken die Leute sofort. Wenn wirklich ungefähr 45 Prozent der Deutschen mindestens selten Podcasts hören – was ich übrigens krass finde, weil das fast 40 Millionen Menschen wären und vor zehn Jahren musste ich noch jedem erklären, was das ist – dann kann man immer noch total viel ausprobieren. Dann müsste es noch wahnsinnig viele Interviews in bestimmten Bereichen geben, die noch gar nicht gemacht wurden. Aber es stimmt, was Du sagst: Statistisch gesehen sind Podcast-Hörer*innen wirklich schlau und merken, wenn etwas nur der Sache wegen gemacht wird und nicht, weil jemand etwas Spannendes erzählt.
Host-Reads nehmen sie aber in Kauf. Muss der Moderator, der ja nicht selten auch ein Journalist ist, als Werbesprecher nun wirklich noch selbst Produkte bepreisen?
Maria Lorenz-Bokelberg: Warum nicht? Dafür ist der Podcast halt umsonst.
Nilz Bokelberg: In den Nullern gab es auf dem Independent Channel in Amerika eine Sendung mit John Lurie. In „Fishing with John“ ging er einfach angeln – mit Jim Jarmusch Hochseeangeln, mit Willem Dafoe Eisangeln in seiner Hütte, und so weiter. Dabei haben sie sich ein wenig unterhalten. Das war eine der besten Interviewsendungen, die es jemals gab. Es gibt immer noch Twists, die man machen kann. Die es schaffen, vom typischen Format abzuweichen und trotzdem was aus den Leuten rauszuholen, was man sonst nicht sieht und kennt.
Nilz, Du bist immer zuerst auch Fan von Deinen Gästen gewesen: Ist das eine gute oder schlechte, weil unjournalistische Grundlage?
Nilz Bokelberg: Mir war klar, dass da die kritische Distanz fehlt, aber um die ging es mir auch nicht. Ich habe keine Gäste eingeladen mit Räuberpistole in der Hand oder weil ich sie mit Gotcha-Journalismus grillen wollte. Die Intention war immer, ein gutes Gespräch zu führen. Und das kann ich am besten mit jemandem, den ich bewundere oder irgendwie interessant finde. Viele Gastangebote sagte ich ab, teilweise sogar große Namen, weil ich mit denen nichts am Hut hatte. Obwohl ich das könnte. Für den Podcast „Songpoeten“ habe ich auch Interviews mit Musiker*innen geführt, von denen ich nicht ausnahmslos Fan war. Mit Newcomern eine Stunde reden, die erst eine Single draußen haben? Kann man hinfinden. Woanders habe ich mir Späße gegönnt. Mit Ina Müller, von der ich Fan bin, habe ich die ersten 20 Minuten nur über ihre Zeit als Apothekerin auf Sylt gesprochen. Fand ich cool.
Wer die Mischung zwischen Fantum und Journalismus hervorragend hinbekommen hat, ist Marco Seiffert von Radio Eins mit seinem Podcast „Diese eine Liebe – 40 Jahre Die Ärzte“.
Maria Lorenz-Bokelberg: Das meine ich: Nilz hat sich überlegt, was er mit dem Podcast eigentlich erreichen und erzählen will und das so kommuniziert. Du kannst einen Interview-Podcast machen und eine Gesellschaft darstellen. Du kannst aber auch sagen: Nö, ich will mein Zuhause, mein Wohnzimmer, mein Safe Space, meinen Wohlfühl-Podcast. Und das hat er ja auch immer kommuniziert. In richtig journalistischen Formaten musst du ausgeglichen Leute einladen. Das war nie Nilz‘ Ziel.
Nilz Bokelberg: Ich merke sofort, ob jemand für das Thema brennt oder ob der Podcast eine redaktionelle Entscheidung war. Und dann höre ich „ScamBits“, einen Podcast über den großen Schachskandal, der für mich einer der besterzählten Podcasts ever ist. Ich würde mir niemals was über Schach anhören, dachte ich, wie spannend kann es sein? Und dann war es genau das, all diese Überraschungen und Wendungen und Erzählungen! Die Macher haben dafür gebrannt. Sie wollten Schach sexy erzählen, merkten: Können wir gar nicht, also machten sie das Drumherum sexy. Im ersten Moment dachte ich: Sowas wäre mir auch gerne eingefallen. Und im zweiten: Inspirierend, dass es so etwas gibt.
Trotzdem bleibt es Arbeit und Arbeitszeit, die bezahlt werden muss. Maria, „NBE“ wurde von „Pool Artists“ produziert. Wie wird bei Euch Erfolg und Misserfolg gewertet? An welchen Punkt hättest Du Nilz sagen müssen: „Sorry, aber wir können das hier nicht weitermachen“?
Maria Lorenz-Bokelberg: Wir haben damit Geld verdient, aber nicht allzu viel. Es muss bei uns nicht jeder Podcast Geld einbringen. Wir versuchen auch Podcasts länger laufen zu lassen, die anfangs rote Zahlen schreiben. Weil wir Fans sind, Freunde, weil wir sie selber machen, weil wir daran glauben, oder weil wir das Thema so wichtig finden. Lässt sich mit anderen Produktionen querfinanzieren. Hätte Nilz gesagt, er könne die Folgen nur auf der AIDA aufnehmen, hätte wir vielleicht nur zehn Folgen ausprobiert statt am Ende fast 200. Man muss aber auch mal Dinge ohne monetären Erfolg durchziehen. Wie Nilz bereit sagte: Das Tolle an Podcasts sind die Nischen. Für Netflix ergibt deren Bespielung keinen Sinn, dafür ist die Produktion zu teuer. Podcasts sind günstiger und laden zum Ausprobieren ein.
Gerade Kund*innen, die Euch beauftragen, könnten einen Podcast auch aus Imagegründen betreiben wollen.
Maria Lorenz-Bokelberg: Wir haben auch Kund*innen, die Podcasts zur internen Unternehmenskommunikation nutzen. Denen ist Reichweite völlig wumpe. Es ist ein Kommunikationstool. Es gibt so viele Gründe für Podcasts, nicht alle sind maximale Reichweite, maximale Kohle. Manchmal ist es Image, manchmal geht es darum, den Chef zu beschäftigen. Wir haben alles schon gemacht. Die großen Plattformen gucken schon darauf, wie viele Leute was gehört und darüber Abos abgeschlossen haben. Und das ist ja auch völlig legitim. Man muss es nur einfach wissen, wenn man startet.
Maria, werden sieben Stunden „Alles gesagt?“ wirklich gehört? Grenzt das nicht an Zumutung oder bringt die Gefahr mit sich, Leute zu vergraulen? Oder hören die das wirklich zu Ende?
Maria Lorenz-Bokelberg: Die Frage hören wir immer wieder und kennen die Antwort: Die durchschnittliche Durchhörquote liegt bei 89 Prozent.
Wenn sich jemand für das Thema und die Person interessiert, ist die Länge also egal.
Maria Lorenz-Bokelberg: Ja. Es gibt je nach Gast Schwankungen. Aber „Alles gesagt?“ hat eine krass große Fanbase. Die mögen die Hosts, vertrauen dem Konzept und schalten auch bei Gästen ein, die sie nicht kennen. Und checken, dass das Interview erst nach drei Stunden und dem zweiten Glas Wein wirklich interessant wird. Das ist das Besondere an diesem Podcast: Die Gäste lassen sich darauf ein, weil sie wissen, dass sie es in der Hand haben, wann Schluss ist oder sie es interessant werden lassen. Schuhe aus, Essen auf den Tisch, Schluss, jetzt gehen wir mal rein.
Nilz Bokelberg: Viele hören lange Folgen ja auch nicht am Stück. Morgens eine halbe Stunde, auf dem Heimweg eine halbe Stunde, am nächsten Morgen wieder. Die teilen sich eine Folge häppchenweise ein.
Liegt der Erfolg von „Hotel Matze“ auch in dieser Möglichkeit zur Ausführlichkeit, abseits von Schlagzeilen und Phrasen?
Maria Lorenz-Bokelberg: Leute wie Jochen und Christoph, Matze und Nilz vereint eine Eigenschaft, die mir gar nicht liegt: Sie interessieren sich wirklich extrem doll für andere Menschen. Sie sind genuin und nicht nur im Auftrag neugierig. Das weckt bei Leuten die Lust, wirklich etwas zu erzählen. Ehrliches Interesse macht den Unterschied.
Nilz Bokelberg: Von anderen Lebensläufen und anderen Leben kann ich viel mitnehmen. Ich hatte zum Beispiel Veronika Fischer zu Besuch. Sie war ein großer DDR-Schlagerstar, ist in den 80ern in den Westen gegangen und war mir gegenüber total misstrauisch. Wieso interessiert so ein junger Typ sich für mich? Älteren Gästen habe ich immer erklärt: Ich finde es wirklich total spannend, was du erlebt hast und was du erzählen kannst. Ich will das alles hören, da irgendwie von lernen.
Maria Lorenz-Bokelberg: Ich sage es on the record: Es gab wirklich ein paar Leute, die uns vorher geschrieben haben: Wollt Ihr da wirklich ein ernsthaftes Gespräch führen oder ist das eine Verarsche mit versteckter Kamera? Gerade am Anfang wussten einige mit Podcasts ja noch nichts anzufangen, kannten aber Tortenwurf- oder Prank-Videos auf YouTube.
„Alles, nichts, oder?“, der Podcast.
Maria Lorenz-Bokelberg: In manchen Interviews müssen Schauspieler*innen irgendwelche schrägen Spiele spielen. Da musste unser Gästemanagement am Anfang Erklärarbeit leisten. Als sie anderen Folgen hören konnten, wurde die Akquise leichter.
Selbst bei so erfolgreichen Laberpodcasts wie „Gemischtes Hack“, „Fest & Flauschig“ oder „Baywatch Berlin“, also Shows ohne Gäste, frage ich mich nach einer Folge oft: Was für Nichtigkeiten habe ich mir eigentlich in der vergangenen Stunde wieder angehört? Fast nichts gelernt oder gemerkt.
Nilz Bokelberg: Obwohl wir „Gemischtes Hack“, den Begriff „ZwiWa“ zu verdanken haben und seitdem darauf achten: Wenn du säufst, trink ein Zwischenwasser!
Maria Lorenz-Bokelberg: Ich höre viele Laberpodcasts, vor allem amerikanische, wo ich auch nie irgendwas lerne. Die erfolgreichsten Laberpodcasts in Deutschland gibt es auch schon eine ganze Weile, und die sind vor allem doch auch einfach lustig. Und sie bieten Vertrautes. Du hattest einen stressigen Tag? Da weißt du, was du hast. Sie formulieren lustige Beobachtungen, sind befreundet, so einem Safe Space hören viele gerne zu. Einer meiner Lieblingspodcasts seit elf Jahren ist „How Did This Get Made“. Die gucken schlechte Filme und reden darüber. Da ist auch nichts zu holen informell. Meistens habe ich die Filme selbst auch nie gesehen.
Jetzt redest du in Eurem Podcast „Niemand wird verurteilt“ über „Lost“.
Maria Lorenz-Bokelberg: Ja, allein. Aber die drei haben einfach so eine gute Dynamik. Die sind lustig. Mir sind sie ultra-sympathisch. Ich war mal allein auf Reisen, habe mich in einer Großstadt verlaufen und hatte Schiss. Ich machte meinen Lieblingspodcast an, ohne Politik und ohne News, fühlte Sicherheit und konnte mich danach in Ruhe zurechtfinden. Der Begriff „Laberpodcast“ klingt wie von oben herab. Als ob dafür niemand etwas könne müsse. In der Pandemie haben sie ganz viele Menschen durch schlimme und dunkle Tage gezogen. Mehr als die hochproduzierten Investigativ-Story-Podcasts, die auch wichtig sind. Aber nicht auf zwischenmenschlicher Ebene.
Wo stehen Podcasts gerade in der Evolution „neuer“ Medien? Haben sie noch viel vor sich, sind sie vollends etabliert oder schon auf dem absteigenden Ast?
Maria Lorenz-Bokelberg: Ich weiß gar nicht, ob ein absteigender Ast kommt. Ich glaube, dass Podcasts sich nach wie vor zwischen den ganzen anderen Medien, zwischen Fernsehen, Radio und Internet etablieren werden. Wir werden da sein und bleiben. Es gibt immer wieder mal Entwicklungen, auch innerhalb bestimmter Genres. Und dann folgt hier und da noch ein Schub. Das Wachstum von Nutzungsdauer und Hörer*innenzahlen wird weiter steigen und irgendwann aufhören. Weil dann die Menschen erreicht sind, die man erreichen kann, wie es ja auch bei Radio, Fernsehen und so weiter auch irgendwann aufgehört hat.
Oder wie bei „Netflix“, wo plötzlich irgendwelche Games installiert werden, um die User bei der Stange zu halten.
Maria Lorenz-Bokelberg: Es liegt dann an Leuten wie uns, die Branche interessant zu halten, relevant zu bleiben, sich neue Sachen auszudenken. Da geht es auch um Technik, Apps und Auffindbarkeit. Vielleicht werden andere Plattformen dazugekommen. Es folgen weitere Awards und Veranstaltungen. Podcasts sind gekommen, um zu bleiben. Sie waren für mich nie ein Hype, weil sie dafür viel zu wichtig sind für die Menschen. Die Evolution von Podcasts hatte auch technische Gründe. Datenvolumen und Speicherplätze auf Handys sind höher geworden. Podcast wurden technisch sinnvoll und passten gut in unseren schnelllebigen Alltag hinein. Ich kann jederzeit Pause drücken und weiterhören. Ich kann dabei putzen. Viele hören Podcasts auf ihrer Arbeit. Da hatte etwas gefehlt. Podcasts füllten diese Lücke, bleiben da und fertig.
Werden am Ende aber nicht nur die Großen überleben, wie es ja zum Beispiel auch bei Social-Media-Plattformen der Fall war oder wegen denen kein Mensch mehr Blogs las? Oder überleben eben nur die Kleinen am Ende, weil die nie auf die Kohle angewiesen waren, die die anderen dann irgendwann auch nicht mehr haben?
Maria Lorenz-Bokelberg: Ich glaube, dass beides bleiben wird. Eine Indie-Szene, in der sich weiterhin günstig produzieren lässt. Und diese krass großen Brecher, ich meine hier etwa „SmartLess“ von Will Arnett, Jason Bateman und Sean Hayes, die 120 Millionen Dollar für drei Jahre Leasing bekommen haben. Das kann wahnsinnig gut nebeneinander her existieren, wie es auch bei Filmen der Fall ist.

Der erste große deutsche Paar-Podcast, durch den auch ich auf Podcasts aufmerksamer wurde, war 2019 „Paardiologie“ von Charlotte Roche und Martin Keß. Ihr beide macht beruflich Podcasts und privat auch einen zusammen. Wie kann man sich so viel zu sagen haben? Und muss alles gesendet werden? Unterbrecht Ihr Gespräche am Frühstückstisch, um schnell ein Mikro zu holen, weil der Dialog gut war?
Nilz Bokelberg: Wir machen unseren und unsere Podcasts aus Leidenschaft. Wir lieben das Medium. Wir unterhalten uns gerne über Dinge und finden es interessant, ein Gespräch zu forcieren und uns so zum Beispiel einmal pro Woche mit einem Film auseinanderzusetzen. Das ist hilfreich in der Kommunikation zwischen uns.
Maria Lorenz-Bokelberg: Wenn wir uns dabei aufnehmen, hat das Gespräch eine andere Energie. Auch wegen des Wissens: Einer Stunde lang kann hier niemand raus. Anders als im Alltag, wenn plötzlich einer von beiden zum Kühlschrank geht und das war‘s dann. Ein eigener Podcast mit Nilz hat nichts mit irgendwelchen Kund*innen, Aufträgen und dem Business zu tun. Ich vergesse dadurch nicht, warum ich Podcasts so liebe. Als Geschäftsführerin von Pool Artist produziere ich nicht mehr besonders viel. Ich verwalte, kümmere mich ums Personal, solche Geschichten. Im Studio sitzen, aufnehmen und schneiden, das passiert seltener. Meine Podcast-Liebe brennt dann wieder auf. Ohne Freigaben, ohne Rechnungen.
Nilz Bokelberg: Wir können auch loslassen. Wir denken nicht beim Frühstück: Mist, hätten wir das mal aufgenommen. Wir zerbrechen uns dafür immer wieder mal den Kopf und brainstormen, wenn wir unterwegs sind und einer eine Idee hat. Aus einigen heraus sind Podcasts entstanden. Andere erreichten nie ein ernstzunehmendes Stadium.

ZU DEN PERSONEN:
Nilz Bokelberg gehörte als 17-Jähriger 1993 zu den VIVA-Gesichtern der ersten Stunde. Heute arbeitet er weiterhin als TV- und Bühnen-Moderator, Musiker, schreibt Bücher und Podcast-Drehbücher, führt Regie und tritt als Host in über einem Dutzend Podcasts auf. Von 2020-2024 moderierte er in 185 Folgen seinen Talk-Podcast „Nilz Bokelberg Erfahrung“. Mit seinem ersten Soloprogramm „Büdchen of the Universe“ ging er Anfang 2025 auf Tour.
Maria Lorenz-Bokelberg arbeitet seit 2013 als Podcast-Produzentin. 2018 gründete sie mit Frida Morische die Agentur „Pool Artists“, die als Originals oder für Kund*innen aktuell rund 50 Podcasts produziert, 30 davon im Auftrag von die ZEIT. Zu den bekanntesten gehört der mehrstündige Talk „Alles gesagt?“, der übrigens in Marias und Nilz‘ Wohnzimmer aufgenommen wird.
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