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The Show Must Go On

Humor statt Heart-Shaped-Boxes: Mit den Toden von Kurt Cobain und Grunge vor nunmehr 30 Jahren erwuchs rund um Nirvanas Ex-Drummer mit den Foo Fighters eine andere Band zum Leben, der seit jeher der Ruf als „nicest guys in rock music“ vorauseilt. Eine beispiellose Alternative-Rock-Erfolgsgeschichte, die auch trotz weiteren Todesfällen (und Kehrseiten) nicht zuende erzählt ist und stetig neue Höhepunkte offenbart. Vielleicht bis zum Ende von Dave Grohls Tagen.

Aufmacherseite meiner „ME-Helden“-Geschichte über die Foo Fighters im Musikexpress 10/2024

+++ Dieser Text ist in redigierter und leicht gekürzter Fassung in der Musikexpress-Ausgabe 10/2024 in der Reihe „ME.Helden“ erschienen (und damit vor den jüngeren Gossip-Schlagzeilen, dass Dave Grohl „Vater außerhalb der eigenen Ehe“ geworden sei.) In derselben Ausgabe erschien von mir auch ein Interview mit Conor Oberst (Bright Eyes) sowie „10 Fakten über… Row Zero“. +++

Göteborg, Ullevi-Stadion, 12. Juni 2015. „Dö, dö, dö, dö, dö, dödödödöö…“: Mit dem ikonischen Gitarrenintro ihres größten Hits „Everlong“ eröffnen die Foo Fighters auch das 27. Konzert ihrer „Sonic Highways“-Welttournee. Am Wochenende davor traten sie als Headliner bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ auf. Wenn nichts schief geht, würde dieser Abend ein weiterer routinierter Siegeszug in der langen Liste der Siegeszüge der beständigsten Alternative-Rock-Band der Welt werden. Doch einer von ihnen geht schief: Dave Grohl, zu diesem Zeitpunkt schon seit über 20 Jahren gut gelaunter und kaugummikauender Sänger, Schreihals, Gitarrist, Gesicht, Sprachrohr und Frontrampensau der Foo Fighters, stolpert während des zweiten Songs „Monkey Wrench“ und stürzt von der Bühne. Seine Mitmusiker jammen ratlos weiter.

Minuten später spricht Grohl, liegend auf einer Trage, aus der Tiefe des Bühnengrabens zu den über 50.000 Fans: „I think I just broke my leg!“ Er instruiert seinen singenden Drummer Taylor Hawkins, das Publikum bei Laune zu halten und wird vom Gelände gekarrt. Die Show scheint, pardon, gelaufen. Von wegen: Drei Lückenfüller später, darunter ein Cover der Faces und „Under Pressure“ von Queen und David Bowie, tragen Sanitäter den bis dahin nur dürftig verarzteten Grohl wieder auf die Bühne. Ein eigentlich schon ausgemachter Abbruch kommt ihm offenbar nicht infrage. Das Konzert geht in die Geschichte ein: Grohl spielt im Sitzen weiter, lässt sich im Verlauf der weiteren 20 Songs auf der Setlist eingipsen, ein Arzt weicht nicht von der Seite seines rechten Beins. The Show Must Go On, ein Motto, das nicht von ungefähr die Karriere der Foo Fighters – besonders Grohl und Hawkins, der live auch regelmäßig „Another One Bites The Dust“ trommelte und sang, waren stets riesige Queen-Fans (und mit ihnen befreundet) –  bestimmt, hier und heute wird es ein buchstäbliches. Die folgenden Europatermine wurden abgesagt, die Tour im Juli in Nordamerika fortgesetzt – mit Grohl auf einem für ihn angefertigten gigantischen Thron inklusive Gitarren-, Bein- und bestimmt auch versteckten Bierdosenhalterungen sowie Bandlogo, den er Jahre später unter anderem Greyhawks Bassist Darin Wall, Old Dominions Matthew Ramsey und Axl Rose für Guns N‘Roses lieh. Isn’t it iconic?

Der erste Tag vom Rest von Dave Grohls Leben

Die Rockstarwerdung von David Eric Grohl und damit die Grundsteinlegung der Foo Fighters begann nicht erst mit dem jähen Ende von Nirvana 1994, und schon gar nicht in Seattle. Sie schlug sich bereits in den späten 70ern in Springfield im US-Bundesstaat Virginia Bahn. Dort lebte der 1969 geborene Dave mit seiner Schwester Lisa und ihrer Mutter Virginia, einer Lehrerin, unter einem Dach, nachdem sie und sein Vater, der Journalist James Harper Grohl, sich scheiden ließen. Sie lebten in einfachen Verhältnissen. Er brachte sich selbst das Schlagzeugspiel bei, indem er auf Kissen eindrosch und durch heimliches Klappern der Zähne sogar im Kopf übte. Eines Tages nahm seine Cousine ihn, der von Bands wie Misfits, Dead Kennedys und Black Flag nie gehört hatte, während eines Familienbesuchs mit auf ein Punkkonzert von Naked Raygun in Chicago. In dem Moment, schreibt Grohl in seiner 2021 erschienenen Biografie „The Storyteller: Tales Of Life And Music“, sei es um ihn geschehen: „Das war der erste Tag vom Rest meines Lebens. Es war ein Gefühl der Freiheit, auf das ich mein ganzes Leben gewartet hatte, und jetzt, da ich durch Spucke, Schweiß und Glasscherben getauft worden war, gab es kein Zurück mehr.“ Er brachte sich auch das Gitarrenspiel selbst bei und gründete seine ersten Bands Dain Bramage, Freak Baby und Mission Impossible. Im benachbarten Washington D.C., der damaligen Szene-Hauptstadt von Hardcore und Punk mit Bands wie Bad Brains und Minor Threat, besuchte er mit seiner Mom an Sonntagnachmittagen regelmäßig Jazz-Clubs. Dort lernte er seinen bis heute einzigen Schlagzeuglehrer kennen. Es blieb bei einer einzigen Stunde, deren 30 Dollar der 15-jährige Teenager von seinem Taschengeld bezahlte. Schon damals war klar: Der Kerl hat derbe Bock, Talent und beisst sich durch. Und er spielt viel zu laut. Oder wie Grohl selbst erkannte: „Ich war das Tier aus der Muppet Show, nur ohne Technik.“

Von da an ging alles sehr schnell: Im lokalen Plattenladen entdeckte er mit 17 Jahren eine Annonce, dass seine Helden Scream einen Drummer suchen. Er spielte vor, konnte alle ihre Songs, bekam den Job und brach nach Rücksprache mit seiner Mutter („Dann musst Du aber gut sein!“) die Highschool ab. Fortan tourte er, kiffend und biertrinkend, mit einem Van und ohne Kohle durch die Lande, sprang während eines Tourstopps für Iggy Pops Drummer ein. 1990, als sich bei Scream die Probleme häuften, meinten es Schicksal oder Zufall erneut gut mit ihm: Ein alter Freund aus der Kleinstadt Aberdeen rief ihn an. „Kennst Du eigentlich Nirvana?“, fragte er. Sie suchten gerade einen Schlagzeuger, hätten ihn während eines Scream-Konzerts gesehen und seien von seinem „Neandertaler-Discostampf“ recht angetan. Grohl liebte deren Debüt BLEACH, telefonierte mit Krist Novoselic und Kurt Cobain, packte seine Sachen, fuhr in die ihm bis dahin fremde Stadt Seattle. Das muss der zweite erste Tag vom Rest seines Lebens gewesen sein – bis zu dessen Ende würde er nun nämlich immer auch „der Typ von Nirvana“ gewesen sein. Er bezog mit Cobain eine WG in Olympia, der Rest ist Musikgeschichte. Nirvana veränderten die bis dahin geltenden Gesetze der Rockmusik wie kaum eine Band vor oder nach ihnen. Cobain wollte den Ruhm, bis er ihn kriegte daran kaputt ging. Auch ohne Cobains Drogensucht, Depressionen und den Suizid aber wäre Nirvanas Karriere endlich gewesen. Erstens standen bei deren Konzerten eines Tages Leute im Publikum, die mit ihrem Pick-up vorfuhren und vor Nirvana noch nie Punk oder von irgendwelchen Szenen gehört hatten – und damit ironischerweise die Art von Musikhörer*innen, mit denen die Foo Fighters Jahre später teilweise ihre Stadien füllen würden. Zweitens zog Grohl die dunklere Seite der Musik bei aller Faszination zunehmend runter: „Ich merkte irgendwann, dass ich das einfach nicht bin. Musik war für mich immer Ausdruck von Licht und Leben oder sogar von Freude. Ich wollte lieber feiern, dass wir aus dem Tunnel herausgefunden haben.“ Er selbst würde, das wissen wir heute, diesen Ruhm umarmen – aber nie selbstverständlich nehmen.

Nirvana würde immer ein Teil der Foo Fighters bleiben

Nach Cobains Tod suchte er eine Flucht aus Seattle und einen klaren Kopf. Er reiste mit dem Auto durch Irland, entdeckte am Straßenrand einen Tramper, den er mitnehmen wollte – und sah plötzlich, dass der ein Kurt-Cobain-Shirt trug. Grohl erkannte, dass er der Vergangenheit nicht entkommen würde – und machte sich wieder an die Arbeit. Er buchte ein Studio nördlich von Seattle, nahm in fünf Tagen 15 Songs, die er schon zu Nirvana-Zeiten geschrieben hatte, im Alleingang auf. Jede Spur ein One-Take. Einhundert Kassetten davon verteilte er an Freunde und Verwandte und schrieb als Namen, weil ihm die Bezeichnung Soloprojekt zuwider war, Foo Fighters darauf. So hießen unidentifizierte Flugobjekte während des Zweiten Weltkriegs. Grohl war schon immer fasziniert von Aliens, UFOs und Übernatürlichem, sein Plattenlabel nannte er nach dem Ort, an dem 1947 angeblich ein extraterrestrisches Flugschiff einen Militärballon zum Absturz brachte, Roswell Records. Zeitgleich bat ihn Tom Petty, mit ihm und seinen Heartbreakers bei „Saturday Night Live“ aufzutreten – und danach, als festes Mitglied bei ihnen einzusteigen. Grohl wäre für den Rest seiner Tage ein gemachter Mann gewesen, entschied sich aber dagegen und für seine neue, eigene Musik: „Ich war 25 Jahre alt, immer noch hungrig und keineswegs bereit, es mir in einer sicheren Sache bequem zu machen.“

FOO FIGHTERS, so der Titel des Debüts, erschien offiziell am 4. Juli 1995. Ein Achtungserfolg, der auch durch das Mentos-Werbungen parodierende Video zum Akustiksong „Big Me“ in einer Nominierung als „Best Alternative Music Album“ bei den Grammys 1996 kulminierte, bei denen, wieder mal ironischerweise, Nirvanas posthumes MTV UNPLUGGED IN NEW YORK gewann. Schon vorm Release rekrutierte Grohl, der einstige Drummer, der nun auch sang, Gitarre spielte und Songs schrieb, für Konzerte alte Bekannte: Bassist Nate Mendel und Drummer William Goldsmith galten in der Szene durch ihre Band Sunny Day Real Estate als Emo-Pioniere. Gitarrist Pat Smear, in den Achtzigern Teil der Punkband The Germs, wurde spätestens durch seine Teilnahme an Nirvanas MTV-Unplugged auch darüberhinaus berühmt.

Diese Konstellation war nicht von Dauer. Scheinbar untypisch für den stets so freundlichen und dankbaren Grohl: Mit Goldsmiths Schlagzeugspiel und Goldsmith selbst kam er nicht klar. Die Aufnahmen für den Nachfolger THE COLOUR AND THE SHAPE trommelte er kurzerhand selbst komplett neu ein, lediglich bei zwei Songs stand der Geschasste noch in den Credits. Produzent Gil Norton (Pixies, Counting Crows) war ebenfalls sehr auf Perfektion bedacht. Für die bevorstehende Tournee war bereits Ersatz gefunden: Taylor Hawkins, vorher Livedrummer für Alanis Morissette,  wurde für die folgenden 25 Jahre sein „brother from another mother“, so nannte Grohl sein neues, dauergrinsendes Muppets-Tier. Der introvertiertere Mendel soll lange Zeit nicht warm geworden sein mit diesem Surfer aus Laguna Beach. Bis sie es doch wurden. Pat Smear stieg 1997 aus, 2005 als Live- und 2011 als vollwertiges Mitglied wieder ein. Zuerst wurde er durch Franz Stahl von Grohls alten Freunden Scream ersetzt, 1999 stieß stattdessen Chris Shiflett (No Use For A Name, Me First And The Gimme Gimmes) als Gitarrist dazu. Seitdem stehen die Foo Fighters im Kern geschlossen da. 2005 heuerten sie noch Rami Jaffee (The Wallflowers) als Live-Keyboarder an, 2017 wurde auch er festes Mitglied.

Fette Jahre zwischen Alternative-, Dad- und Arena-Rock

Ihre fetten Jahre sind seit ihrem zweiten Album ungebrochen: Mit „Everlong“ und Michel Gondrys begleitendem Albtraum-Video, für das sich die Foo Fighters nicht zum ersten oder letzten Mal kostümierten, schufen sie einen der prägnantesten Rocksongs der 90er. Auch „My Hero“ wurde ein Instant-Klassiker, der auf fast keiner Setlist ihrer bisher über 1500 gespielten Konzerte fehlte. Seitdem und nun mehr drei Jahrzehnten genießen sie ein, womöglich lebenslanges, Abonnement auf den Festival-Headliner-Slots dieser Welt. Rock ist nicht tot, solange ein Rockstar wie Dave Grohl ihn am Leben hält. Mit dem Video zur Leadsingle „Learn To Fly“ vom dritten Album THERE IS NOTHING LEFT TO LOSE bewiesen sie endgültig, dass mit ihnen, anders als mit anderen Grunge- oder Post-Grunge-Bands des Jahrzehnts, zu spaßen sowie weiterhin zu rechnen ist. Durchhänger im neuen Jahrtausend taten dem keinen Abbruch: Mit ONE BY ONE war Grohl selbst nicht zufrieden, mit den Nachfolgern drohten sie zumindest musikalisch in der Irrelevanz, die Kritiker ihnen schon vorher attestierten, zu versinken. Das egale Rock-Akustik-Doppelalbum IN YOUR HONOR nahmen sie in ihrem eigens dafür gebauten Studio 606 in Los Angeles auf. Auch der wieder von Gil Norton produzierte Nachfolger ECHOES, SILENCE, PATIENCE & GRACE hinterließ keine Spuren. Das Schema schien irgendwann bekannt: Eine Powerrock-Leadsingle („All My Life“, „Best Of You“, „Pretender“ oder „Wheels“ vom „Greatest Hits“-Album 2009) wird’s schon richten. One killer, rest filler. Eine durchgängig gute Platte hatten sie zehn Jahre nicht mehr aufgenommen.

Sein Songwriting und die dahinterstehende mutmaßliche Hitformel verglich Grohl einmal mit dem Lösen eines Rubik-Würfels. Melodie und Text müssten lediglich derart zusammenpassen, dass du mit ihnen eine vierminütige Erinnerung erschaffst, die niemand mehr vergisst. Songs müssten simpel sein, um mit ihnen eine emotionale Verbindung aufzubauen. Das könne auch der Sound einer Moll-Tonleiter sein, oder eine Dur-Tonart, die in einem Chorus gipfelt. „Die Noten werden dein Herz verdrehen“, und dieses Herz, das bei ihm oft auf der Hand oder der Zunge liegt, ist es in Verbindung mit ihrem Gespür für flanellhemdsärmelige Hymnen wohl auch, was die Foo Fighters bei aller grundsätzlichen Berechenbarkeit noch immer noch so viel besser als andere Rock- und zur größtmöglichen der sogenannten Alternative-Rock-Bands, um nicht Unternehmen zu sagen, macht. Während Gruppen wie Coldplay durch jene Berechenbarkeit als uncool empfunden werden und obwohl den Foo Fighters nicht ausnahmslos nett gemeinte Zuschreibungen wie Dadrock und Arena Rock zugehen, lassen sie sich nicht beirren: ROCK schreiben sie ganz selbstverständlich und geschichtsbewusst in Großbuchstaben. Sie sind unverkopft. Aus dem Bauch heraus. Und dabei nie prollig. Sie liefern immer wieder den Beweis, dass Weitermachen eine Tugend ist. Und sie machten immer weiter. The show must go on. Kehrten mit WASTING LIGHT und einem Gastauftritt von Lemmy Kilmister („White Limo“) zu Punk und Ohrwürmern („Walk“, „Rope“) zurück. Zollten mit SONIC HIGHWAYS und der begleitenden Doku amerikanischen Produzenten, Studios und Stilen und der Musikgeschichte verschiedener Städte Tribut. Verwalteten mit CONCRETE AND GOLD erfolgreich ihr eigenes Erbe zu einer Zeit, in der Rockmusik seit Ewigkeiten totgesagt war. Und trauten sich auf dem mediokren MEDICINE AT MIDNIGHT doch nochmal Pop- und Dance-Experimente.

They’ll stick around: Bis dass der Tod sie scheidet

Die größte Zäsur war der Tod von Taylor Hawkins. Grohls brother from another mother, der zumindest in der Außenbetrachtung für das blühende Leben stand. Er starb am 25. März 2022 in einem Hotel in Bogotá vor einem Konzert im Alter von 50 Jahren (hier mein damaliger Nachruf für den Musikexpress: „Das grinsende Getriebe“). In der Vergangenheit kämpfte er mit Drogenproblemen. Bei der Autopsie wurden zwar so verschiedene Substanzen wie Opioide, THC und Anti-Depressiva nachgewiesen, aber auch ein massiv vergrößertes Herz, das kollabiert sein könnte. 28 Jahre nach Kurt Cobain starb wieder Grohls engster Vertrauter in seiner Band – und nur Monate nach ihm Daves Mutter Virginia. Andere packen das nicht, lösen ihre Bands auf. Doch selbst aus diesen Schicksalsschlägen gingen Grohl und seine anderen Freunde gestärkt hervor, organisierten gigantische Tribute-Shows für ihn mit einer Weltstar-Gästeliste, bei denen Hawkins‘ Sohn Shane, den nicht wenige gerne als den Nachfolger seines Papas gesehen hätten, „My Hero“ trommelte, heuerten schließlich Josh Freese als neuen Live-Drummer an und brachten mit BUT HERE WE ARE nicht nur eine Liebeserklärung an die Musik, das Leben und Hawkins heraus, sondern ihr bestes Album seit WASTING LIGHT 2013. Vermutlich werden die Foo Fighters erst mit Dave Grohl zu Grab getragen.

Es gibt übrigens auch eine Kehrseite zur ewigen Darstellung der Foo Fighters als fucking nicest guys in rock music. Über die einem keine Skandale einfallen. Die ein Konzert für ihre italienischen Fans in Cesena geben, nachdem dort 1000 Musiker*innen „Learn To Fly“ spielten und darum baten. Deren Sänger ein virales Drumbattle mit der virtuosen Teenagerin Nandi Bushell eingeht. Der in einem Interview mit Pharrell Williams unumwunden zugibt, dass er sein NEVERMIND-Drumspiel bei Discobands aus den 70ern geklaut habe, bei The Gap Band, Cameo und Chics Tony Thompson. Der im Rekordtempo während einer Tournee von Australien nach LA und zurückfliegt, um den Abschlussball einer seiner Töchter zu erleben. Der durch seinen Kaffee- anstatt Drogenkonsum viral geht. Der mit Paul McCartney abhängt. Der mit Rick Astley seine Fans rickrolled und „Never Gonna Give You Up“ im Stil von „Smells Like Teen Spirit“ zum Besten gibt. Dessen Mutter ein Buch darüber schrieb, wie es ist, einen Rockstar groß zuziehen, und die dafür auch die Mütter von zum Beispiel Michael Stipe, Amy Winehouse, Mike D und Dr. Dre interviewt hat. Der drei Jahre nach seinem Sturz in Göteborg bei einem erneuten Konzert vor Ort einen erneuten Sturz prankte und dem Arzt, der ihn damals behandelte, „My Hero“ widmete. Diese Kehrseite lautet: Mindestens einige Mitglieder der Foo Fighters sollen AIDS-Leugner gewesen sein. Die Band habe im Jahr 2000 ein Benefiz-Konzert für die Organisation „Alive And Well“ gespielt sowie über Jahre hinweg auf ihrer Website Bannerwerbung betrieben. Gründerin Christine Maggiore behauptete vehement, HIV sei harmlos, nicht ansteckend und führe nicht zu AIDS, selbst nachdem ihre eigene Tochter, angesteckt durch ihre Mutter, an den Folgen starb. Ihr selbstpubliziertes Buch soll Nate Mendel in die Hände gefallen sein, der seine Bandmitgliedern diese Verschwörungstheorie näher gebracht haben soll. Auch Nina Hagen, so Deutschlandradio, soll daran geglaubt und ihre Unterstützung ausgedrückt haben. Öffentlich und explizit distanziert haben sich die Foo Fighters davon bis heute nicht. Darauf angesprochen, soll Mendel im selben Jahr lediglich ausweichend geantwortet haben, dass er kein Mediziner sei, aber finde, dass Menschen, die positiv auf HIV getestet wurden oder an AIDS erkrankt seien, nicht geholfen sei, wenn sie nicht alle Informationen auf dem Tisch liegen hätten.

Ihren Platz in der Rock and Roll Hall Of Fame wird ihnen diese Passage in keinem Fall mehr streitig machen. Dave Grohl war 2021 mit 52 Jahren nach Stephen Stills der zweitjüngste Musiker, der (nach Nirvana) bereits zum zweiten Mal ebenda aufgenommen wurde, nun mit den Foo Fighters. Er vereint sogar als als Internet-Meme Generationen. Auf einem steht über einem alten und einem jüngeren Foto von ihm geschrieben: „If the singer from Foo Fighters shaved, he’d look just like the drummer of Nirvana.“ Und ihre Karriere scheint noch lange nicht vorbei, wie ihr zunehmend sein Gehör, nicht aber seinen Humor verlierender Erfinder 1995 auf seinem Ein-Mann-Debüt schon voraussagte: „I’ll stick around“ sang er, „Ich werde bleiben“. The show must go on.

+++ Dieser Text erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 10/2024 in der Reihe „ME.Helden“ – genau so wie eine kürzere Fassung folgenden Info-Kästen. +++

Eine sehr unvollständige Liste von Bands, bei denen Dave Grohl abseits der Foo Fighters mitmischte:

Probot

Grohls eigenes Metalprojekt, ein „lang gehegter Traum“. 2004 nahm er unter dem Namen und mit über einem Dutzend Genregrößen ein Album auf, darunter Max Cavalera (Soulfly) und Cronos (Venom).

Them Crooked Vultures

Hardrock-Supergroup, die er 2009 mit Josh Homme (Queens Of The Stone Age) und  Led Zeppelins John Paul Jones ins Leben rief. Für mehr als ein Album reichte die Zeit bisher offenbar nicht.

Queens Of The Stone Age

Mit der legendären Stonerrock-Band aus Seattle trommelte er 2002 ihr drittes und bis heute bestes Album SONGS FOR THE DEAF ein. Zehn Jahre später half er nochmal bei …LIKE CLOCKWORK aus.

Tenacious D

Auf dem ersten Album des Comedy-Hardrock-Duos übernahm Grohl 2001 Schlagzeug und Gitarre. In Jack Blacks und Kyle Gass‘ Film „The Pick Of Destiny“ spielte er 2006 den Teufel persönlich. Seitdem machten sie immer wieder Quatsch und Musik zusammen.

Die 5 besten Alben der Foo Fighters

THE COLOUR AND THE SHAPE (1997)

Der Durchbruch. Nicht nur die endgültige Emanzipation von der eigenen Geschichte, sondern die frühe Anmeldung auf den Rockolymp: THE COLOUR AND THE SHAPE gilt als der bis heute unerreichte Klassiker der Foo Fighters und als eines der besten Gitarren-Alben der 90er überhaupt. Produziert von Gil Norton, schuf Grohl Evergreens wie „Everlong“, „My Hero“, Balladen wie „February Stars“ und „Walking After You“ und damit die Corporate Identity des schmissigen Bandsounds, wie wir ihn bis heute kennen. Während sich Grunge-Epigonen wie Creed und Co. – teilweise leider sehr erfolgreich – noch immer am Aufwärmen von gerade erst Dagewesenem versuchten, läuteten die Foo Fighters eine neue Ära ein: Schluss mit Introvertiertheit, Depressivem, Lebensverneinendem oder Pathetischem, her mit Hooklines, Hardrock und den großen Hymnen. (6/6)

FOO FIGHTERS (1995)

Das Debüt. Eingespielt im Alleingang. Roh, dreckig, auch mitunter lustig – und Grohls Abnabelung von der zu bewältigenden Nirvana-Vergangenheit mit Ausblick: Wer im Alleingang Rocksongs wie „This Is A Call“ und „For All The Cows“ raushaut, hat mehr als einen (guten) Platz hinter dem Schlagzeug verdient. Auch erfrischend war die humoristische Seite der Foo Fighters, die bei Nirvana zwar immer auch da war, unter dem so depressiven wie ikonischen Grungesound aber stets zu kurz kam. (4/6)

BUT HERE WE ARE (2023)

Die Standortbestimmung. Im Jahr nach dem Tod ihres Drummers Taylor Hawkins sowie Grohls Mutter umfasst BUT HERE WE ARE Drumming von Grohl selbst, Gesang von Tochter Violet, Dreampop, einen epischen Zehnminüter, Riffs und Refrains, die an ihre Hochzeiten in den späten Neunzigern erinnern, ohne gestrig oder abgedroschen zu klingen, ist stärker als seine drei Vorgänger und beweist: Auch ohne ihr zweites grinsendes Gesicht bleiben die Foo Fighters die größte Alternative-Arena-Rockband der Welt und ewige Festivalheadliner. Zu recht. (5/6)

WASTING LIGHT (2013)

Das Comeback. Mit WASTING LIGHT pulverisierten die Foo Fighters nicht nur die ohnehin nichtigen Vorgänger, sie legten auch ein dreckiges Rockalbum mit Punkattitüde hin, das sich hinter THE COLOUR AND THE SHAPE zumindest nicht verstecken muss. Vielleicht kein Zufall, dass hier erstmals seit damals wieder Gitarrist Pat Smear mit im Studio stand (und Ex-Nirvana-Bassist Krist Novoselic als Gast auf der Matte). Endlich hatte eine ihrer LPs wieder mehr Killer als Filler und mit der ersten, erfrischend unkonventionellen Single „White Limo“ (featuring Lemmy Kilmister im Video) wieder einen Überraschungsmoment. Wer Stadionrock-Hits zum Mitsingen wollte, bekam mit „Walk“ und „These Days“ natürlich auch die. Grohl bewies wieder: Wer kann, der kann eben doch. (5/6)

THERE IS NOTHING LEFT TO LOSE (1999)

Der Grower. Abseits des Feelgood-Hits „Learn To Fly“, für dessen Clip sie die Besetzung eines Passagierflugzeugs nachspielten, sowie „Generator“ und obwohl es die ersten Aufnahmen mit dem wilden Hawkins waren, kommen viele Songs folkig, plätschernd, laidback, auf den ersten Blick geradezu langweilig daher. Umso schöner die Momente, in denen Underdogs wie „Headwires“ und „M.I.A.“ plötzlich zünden. Und nicht umsonst Grohls Lieblingsalbum, weil sie es zu dritt in der Abgeschiedenheit in seinem damaligen Studio in Alexandria (Virginia) ohne Trubel aufnahmen. (4/6)

Die Foo Fighters haben beeinflusst:

Fall Out Boy, Biffy Clyro, Paramore, Royal Blood, Imagine Dragons, Rise Against, Kings of Leon, My Vitriol

Die Foo Fighters wurden beeinflusst von:

Nirvana, Scream, Beatles, Stooges, Kiss, Hüsker Dü, Sonic Youth, Pixies, Black Flag, Led Zeppelin, Fugazi, Sunny Day Real Estate, Queen, Motörhead, Ramones, Dinosaur Jr.

Zitate von Dave Grohl über die Foo Fighters:

“I’ve never been afraid to say that if it weren’t for Nirvana, the Foo Fighters wouldn’t be in the same position that we’re in now.”

„It’s a small crew of people and I like working that way. It’s why the Foo Fighters have been a band for so long. Nobody tells us what to to do. We got to our studio, make a record and, when we’re done, we license it to the label. And when it’s time to take a break, we take a break.“

„If there’s one thing I’m good at, it’s gathering people together to do something fun.“ (über die Sound-City-Doku)

„How could you not want to do this? I get to sit around and talk about rock’n’roll all day, then go play music with my friends and laugh my arse off backstage, until it’s time to have a beer and get 80,000 people to sing with me. That’s not work!“

„Music will never go away, and I will never stop making music; it’s just what capacity or what arena you decide to do it. It’s tough to go to sleep at night, and I wake up after five hours because I feel like I’m wasting time.“

„There are nights where you’re thinking about what toppings are on the pizza on the bus and whether you need to do laundry tomorrow, but when you launch into a song like ‘Everlong’, it immediately brings you back.”

(Rolling Stone, 2018)

“When I tell people I’ve never done cocaine in my life, they think I’m lying! But I love music, and I love life. And to me, survival is the game – that’s the hardest part. I just wanna play music.”

(CBS Sunday Morning, 2018)

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